XXXVIII. Das Jahr 1851.

[402] Fürst Schwarzenberg war, ohne daß ich ihn sehen konnte, nach Dresden abgereist, es blieb mir also nur übrig, seine Rückkehr abzuwarten. Ich begann Dozys ›Recherches sur l'Espagne‹, in dem viele Auszüge aus arabischen Dichtern enthalten sind, für meine Literaturgeschichte durchzuarbeiten. Am 3. Oktober war Fürst Schwarzenberg aus Dresden zurückgekehrt, konnte mich aber an diesem Tage einer militärischen Parade wegen nicht empfangen, erst am folgenden Tage wurde ich für einen Augenblick vorgelassen, wurde aber nur auf seine Rückkehr von Warschau vertröstet, dann wolle er sich mit der Hofbibliothek beschäftigen, und über sie im Ministerrate vortragen. Ich wiederholte, daß diese als Eigentum des Hofes doch ausschließlich ihn als Minister des Hauses und den Obersthofmeister angehe. Der Fürst antwortete, daß er dies wohl wisse, er werde den Vortrag auch allein unterschreiben, aber sich doch mit seinen Kollegen darüber beraten. Endlich nach seiner Rückkehr aus Warschau sprach ich den Fürsten und berichtete ihm über meinen Besuch der Münchener Bibliothek und die dortige Ordnung. Ich fragte ihn, ob er erlaube, daß ich mit jenen Ministern, die zu kennen ich die Ehre hatte, darüber zu sprechen, und der Fürst sagte: ›Tun Sie mir den Gefallen und sprechen Sie darüber mit Herrn von Bach und dem Grafen Thun.‹

Schon am zweiten Tage danach entledigte ich mich beim Minister des Inneren dieses Auftrages, einige Tage nachher sprach ich Grafen Thun, der mich mit allem Interesse anhörte und versprach, den Fürsten in diesem Sinne zu berichten. Nun zeigte ich mich öfters im Empfangssaale des Ministers des Inneren, um ihn an die Erstattung des vom Ministerpräsidenten verlangten Gutachtens über meinen Bibliotheksbericht zu mahnen. Bei einem dieser Besuche sagte er mir, daß eingezogene Erkundigungen meine Berichte bestätigt hätten und er in diesem Sinne sein Gutachten an den[402] Fürsten erstattet habe. Dieser wolle nun eine Kommission zusammensetzen, aus der aber wohl kaum Förderliches und Zweckmäßiges sich ergeben werde, solange die Hofbibliothek dem Obersthofmeister unterstellt bleibe. Ich konnte ihm nur vollständig beistimmen und schrieb am nächsten Tage einen Brief an den Ministerpräsidenten, der wie alle anderen unbeantwortet blieb.

Sechs Wochen vergingen, ohne daß ich das geringste weiter hörte. Erst in den ersten Tagen des Mai überraschte mich eine Nachricht in den Tagesblättern, daß eine Kommission zur Zentralisierung der Verwaltung der Hofbibliothek unter dem Vorsitze des Feldzeugmeisters Freiherrn von Heß eingesetzt worden sei. Wer zu Mitgliedern ernannt worden, war nicht gesagt, aber wie kam ein Militär dazu, ihr vorzusitzen, warum war ich ausgeschlossen? Ich konnte mir nur denken, daß die Ernennung Heß' unmittelbar von des Kaisers Majestät ausgegangen war.

Bei den Wahlen in der Akademie (1851) war der neue Handelsminister Baumgartner zum Präsidenten, Karajan – Chmel hatte die Annahme abgelehnt – zum Vizepräsidenten, Schrötter zum Generalsekretär gewählt und Wolf als Sekretär der philosophisch-historischen Klasse bestätigt worden.

Viel Freude erlebte ich an dem jungen und talentierten Orientalisten Herrn von Kremer, welchen ich zuerst der Akademie zu einer Reise nach Syrien, dann dem Minister für Unterricht für die am Polytechnischen Institute neu errichtete Kanzel des Vulgärarabischen empfohlen hatte. Im Juni bewillkommte ich ihn bei seiner Rückkehr und gratulierte ihm zur Professur. Sein reiner Eifer für orientalische Studien und literarische Tätigkeit hatte ihn bewogen, der Professur gegenüber der Stelle eines ersten Dolmetsch beim Generalkonsulate in Alexandrien den Vorzug zu geben. Hoffentlich ernennt ihn die Akademie bald zum korrespondierenden und dann zum wirklichen Mitglied und er ersetzt mich in ihr.

Meine Bemühungen, die Tätigkeit und das Interesse für die orientalische Literatur in der Akademie zu heben, sind bisher erfolglos geblieben. Ebenso vergeblich waren später meine Eingaben beim Minister des Äußeren und bei[403] dem des Inneren, durch die ich eine Hebung der orientalischen Studien an der Akademie zu erreichen hoffte. Ich hatte mich bemüht, in ihr eine orientalische Kommission zu bilden, welche besondere Bände mit Auszügen und Übersetzungen herausgeben würde, die mit den in Paris erscheinenden ›Notices et extraits‹ hätten wetteifern können. Dies scheiterte an Endlichers Widerstand, später an dem gänzlichen Mangel der Mitglieder für orientalische Literatur und an der Teilnahmslosigkeit für Geschichte, sobald diese nach dem Osten hinübergriff.

Seitdem ich im Jahre 1836 das erstemal als Besitzer nach Hainfeld gekommen, sind sechzehn Jahre vergangen, in denen ich während der zwei Monate meines Aufenthaltes meine Morgenstunden zuerst durch vier Jahre den Denkwürdigkeiten der ›Gallerin auf der Riegersburg‹, dann durch elf Jahre dem Schreiben meiner Lebenserinnerungen gewidmet habe. Ich begann das Schreiben dieser Erinnerungen im Jahre 1841 und setzte es durch elf Jahre fort, mit dem zwölften Jahre der Arbeit soll auch dieses Werk beendet werden. Ich stehe nun im neunundsiebzigsten Jahre meines Lebens, das achtzigste bezeichneten die großen Geister des Altertums als die Grenze menschlichen Lebens. Als im Jahre 1809 Napoleon Baron Thugut nach Schönbrunn rufen ließ und ihn fragte, ob er nicht wieder die Leitung der Geschäfte zu übernehmen gedenke, entschuldigte sich der Siebzigjährige mit seinem Alter. Napoleon meinte, das sei kein Grund und führte das Beispiel des Erzbischofs von Paris an. Und Thugut antwortete: ›Votre Majesté, ne s'est elle jamais appercue, qu'il radotte.‹ Und auch andere Gebrechen des hohen Alters fühle und merke ich. Auch interessanter und merkwürdiger Stoff beginnt zu mangeln, ich habe mich von der Welt zurückgezogen und fliehe die Gesellschaften. ›Es wird Abend und es kommen die Tage, die mir nicht gefallen.‹

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 402-404.
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