2. Durch gutes, sittliches Betragen, durch Höflichkeit und Artigkeit

[31] II. Durch gutes, sittliches Betragen, durch Höflichkeit und Artigkeit


auszeichnen. Viele Schriftsteller werfen zwar den Damen vor, daß sie unordentliche und solche Leute, die anerkannt einen unsittlichen Lebenswandel führen, den soliden und ordentlichen weit vorziehen. Finden wir dieß auch in einzelnen Fällen bestätigt, so ist es doch durchaus nicht auf das ganze Geschlecht anzuwenden. Frauenzimmer, deren edle Weiblichkeit, deren Zartgefühl die Welt noch nicht mit giftigem Hauche berührt hat – verachten den jungen Mann, der im Taumel der Leidenschaft sein besseres Selbst hingiebt, in unerlaubten Genüssen schwelgt und sich so zeitlich und ewig unglücklich macht; und zeichnen dagegen[31] durch freundliche Achtung den aus, der Leib und Seele rein bewahret vor der Sünde, und dadurch den großen Vorzug gewinnt, jedem offen ins Auge blicken zu können.

Der Mann soll stark seyn, Herrscher über sich selbst, er darf keiner sündigen Begierde nachgeben, sondern mit Kraft jede Leidenschaft unterdrücken. Nur ein solcher, der den Namen Mann verdient, indem er seiner selbst Meister ist, kann Anspruch auf die Achtung der Damen machen.

Freilich ist es sehr schwer, immer auf sich selbst Acht zu geben, um weder im Worte noch in der That seiner Würde zu nahe zu treten – diese Aufmerksamkeit belohnt sich aber durch die süßesten Früchte, welche uns unser freudiges Bewußtseyn und die allgemeine verdiente Achtung unsrer Mitbürger reicht.

Zu einem sittlichen Betragen gehört unendlich[32] viel; es ist nicht genug, daß man Bachanalien meidet, oder im Aeußeren den Anstand streng beobachtet, dagegen in Innern die reine Sitte verlacht und in vertrauter Gesellschaft offen bespöttelt. O, nein! wer so handelte, würde bald mit Schrecken den falschen Weg bemerken, den er betrat, den Weg, der äußerlich mit Blumen bestreut aber bei näherer Betrachtung ein Sündenweg ist.

Ohne reines Selbstbewußtseyn kann der Mensch weder glücklich noch von seinen Umgebungen, die ihn gar leicht durchschauen, geachtet und geliebt seyn. Er vermeide daher jede Versuchung, lasse nie ein unsittliches Wort über seine Lippen gehen, und fliehe besonders böse Gesellschaft. Leider ist unsre junge Männerwelt jetzt größtentheils so weit in der Verderbtheit vorgerückt, daß sie bei jeder Gelegenheit ohne Scheu die schamlosesten, gemeinsten Scherze[33] auftischt, sogar verlangt, daß man dafür Beifall lächeln soll, ohne auch nur den fernsten Gedanken zu haben, wie abscheulich und aller Sittlichkeit zuwider dieß Benehmen ist. Jüngling, dessen Wange, bei Anhörung solcher Verirrungen des Herzens und Geistes, noch von der schönen Röthe der Scham bedeckt wird, der du selbst, anstatt daß es der Erzähler sollte, in Verlegenheit kommst – höre sie nicht länger an die Worte des faden Scherzes, siehe den, der sich nicht scheut, ein Glaubensbekenntniß so schlechter Art, ohne Furcht vor Mißbilligung, dir mitzutheilen. Hörst du ihn im Gegentheil an, so wird sich leider dein Ohr nur zu schnell daran gewöhnen, du wirst wohl gar in kurzer Zeit so sprechen, wie dein Verführer und wirst Freude empfinden bei den sittenlosen, schamtödtenden Erzählungen deiner vermeinten Freunde. Darum scheue dich nicht, den[34] Leuten, die die Maske der Sittlichkeit zum ersten Male vor dir lüften, mit Ernst zu begegnen, und ihnen, wenn dich nicht andere Verhältnisse zur Schonung zwingen, zu zeigen, wie sehr du sie verachtest. Der Beifall der Bessern wird dich überschwenglich reich belohnen, und du wirst in einem gewiß vortheilhaften Lichte allen sittlichen, wahrhaft gebildeten Frauenzimmern erscheinen.

Auch das Verspotten und Belächeln, welches auch des Heiligsten in uns nicht schont, sondern mit roher Anmaßung die zartesten Saiten unsres Gemüths, jede fromme (nicht frömmelnde) Anregung, welche unser besseres Selbst empfindet, auf eine unzarte Weise berührt – ferne sey es von jedem jungen Manne! wohl sagt Göthe mit Recht: »durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter, als durch das, was sie lächerlich finden.«[35] Die Erfahrung bestätigt es nur zu sehr, daß Menschen, denen nichts heilig, nichts erhaben ist, die lieber in flacher Erbärmlichkeit jeden Aufschwung des menschlichen Geistes und Herzens belachen, als ihn mit fühlen, die sich muthwillig gegen Eindrücke verhärten, welche den fühlenden Menschen allein glücklich machen und seine Grundsätze befestigen können – daß diese Menschen, fehlten sie aus Leichtsinn – nur zu bald und sehr schmerzlich die tiefe Leere ihres Herzens empfanden; und fehlten sie aus Nichtswürdigkeit, wie sehr sind sie dann zu bedauren, und wer wollte ihnen denn wohl gleich seyn oder nur ähnlich werden?

Zu einem guten Betragen gehört, daß man alles Auffallende vermeidet, still und bescheiden, ernst und gesetzt ist. Die Ruhe, die man beobachten muß, ist sowohl körperlich als geistig zu verstehen.[36]

Im äußern, indem man sich nicht durch übertriebene Beweglichkeit, durch Fechten mit beiden Armen, durch eifriges, wiederholtes Aufwerfen des Kopfes, durch einen auffallend schnellen Gang etc. zum Narren mache – in geistiger Hinsicht, daß man nie irgend eine Leidenschaft auf eine bemerkbare Weise durch heftige Worte zu versinnlichen suche. In der feinen Welt gilt der Enthusiast, wenn er nicht überwiegende Kenntnisse und anerkannten Einfluß hat, gar nichts, und wo möglich noch weniger der, der glühende Empfindungen heuchelt – man hüte sich also dafür, und befleißige sich einer ruhigen Haltung des Körpers, und eines ruhigen, doch aber nicht monotonen, Ausdrucks.

Der Ernst und die Gesetztheit besteht nicht etwa darin, daß man mit faltiger Stirn, schweigend und also langweilend, in Gesellschaften sey; im Gegentheil,[37] man kann heiter und unterhaltend, und dabei doch ernst seyn. Dieser Ernst muß sich dadurch zeigen, daß jedes unserer Worte das Gepräge unsres bessern Selbst ist, und daß man sich nie zu erbärmlichen, faden Witzen hinreißen läßt, nie den Narren einer ganzen Gesellschaft macht, und schon dadurch der Damenwelt beweiset, daß unser Verstand gebildet, und unser Charakter solid ist.

Mancher glaubt sich durch ein süßes, immer schmeichelndes Wesen bei den Frauenzimmern beliebt zu machen; er spricht in leisen, lispelnden, schmachtenden Tönen, geht immer geschniegelt und geputzt wie eine Modenärrin einher, sucht jede Gelegenheit, eine wenn auch im Gunde nichtssagende Schmeichelei anzubringen, läßt sich die größte Beleidigung mit wahrer Gemüthsruhe gefallen, wenn er dafür nur eine Dame übet die Straße führen darf, ist[38] aber um kurz zu seyn, nichts als – ein Geck. Er gewinnt vielleicht bei einem in Sehnsucht (wonach, weiß sie selbst nicht!) sich auflösendem, bei dem Anblicke eines Vergißmeinnichts in Thränen zerfließenden, in immerwährenden Seufzern sich verzehrenden Dämchen, dieß ist aber nur ein scheinbarer Gewinn. Er wird dennoch von Frauenzimmern verlacht, giebt ihnen Veranlassung zu tausend Neckereien, die, obschon sie beleidigend sind, dennoch den armen, bedaurenswürdigen Narren in ein unbändiges Entzücken versetzen, und ist weder von dem männlichen noch weiblichen Geschlechte geachtet. Man giebt solchen Schmachtlampen bisweilen bezeichnende Namen, z.B. das Dämchen, Bärbchen etc., und gewöhnlich geht dann ihre Beschränktheit so weit, daß sich ihre Eitelkeit in solchen, dem Manne unbezweifelt widerlichen, Beinamen gefällt, und sie sogar Veranlassung[39] geben, sie bekannt zu machen oder oft anzuwenden. Ein solches Betragen paßt durchaus nicht für den gesetzten, bescheidenen jungen Mann, dem ein wenig Derbheit, obwohl auch diese unverzeihlich ist, dennoch viel leichter von den Frauenzimmern vergeben wird, als weibische Schwäche. Sie selbst sind schwach, sie fühlen dieß, und schließen sich daher wie natürlich nur an kräftige Naturen, die Kopf und Herz auf der rechten Stelle haben.

Die Gesetze der Höflichkeit und Artigkeit bestehen darin, Jedermann durch freundliches Zuvorkommen, durch jede unsere Handlungen, ja besonders durch Blicke, Grüße, und Gefälligkeiten die Achtung zu beweisen, die ihm als Menschen, und in besondern Fällen als unserm Oberen, Freunde oder Diener, zukommt.

Gleich entfernt von Kriecherei oder Heuchelei wird der Artige dennoch Jedem etwas[40] Angenehmes zu sagen wissen, er wird Niemand durch unbesonnenes Wesen, durch unüberlegtes Geschwätz in Verlegenheit bringen, seine Worte werden, indem sie bedacht, vernünftig und anständig sind, Jedermann zum Freunde des Sprechenden machen.

Man kann sehr höflich seyn, ohne darum Anspruch auf das Prädikat artig machen zu können – hingegen ist der Artige immer höflich; Höflichkeit bezieht sich mehr auf äußere Complimente. Artigkeit aber bedeutet mehr, und muß sich im ganzen Benehmen des jungen Mannes äußern.

Artigkeit ist eine genaue Verbindung von Höflichkeit, Unbefangenheit, Bescheidenheit und Geschmeidigkeit – Aufschneidereien, Rechthaberei, Rodomantaden sind dem Artigen fremd. Er wird auch nie zerstreut seyn, und sich dadurch große Verlegenheiten, die sehr oft einen mächtigen[41] Einfluß auf sein ganzes Geschick haben, ersparen. Der Auge ist immer heiter, scheint es wenigstens und macht also Niemanden durch Launen eine trübe Stunde, sondern er gefällt der Welt, besonders aber der Damenwelt.

Es ist in unsren Tagen unumgänglich nothwendig, sehr artig zu seyn, und die beste Anweisung dazu giebt der Umgang mit dem weiblichen Geschlechte – weil eben dasselbe die größte Artigkeit fordert und auch besonders ein lebendiges Beispiel der Artigkeit selbst ist. Wer daher Gelegenheit zu diesem Umgange hat, wird an feiner Bildung und gutem Tone bedeutend gewinnen. Viel Vorsicht ist dabei nöthig, um in keinem Worte, in keiner Bewegung anzustoßen – Bescheidenheit und Aufmerksamkeit auf sich selbst muß man nie ausser Acht lassen.

Einzelne Regeln der Artigkeit lassen sich[42] nicht wohl geben, indem es des Situationen so unendlich viele und so fein nuancirte giebt, daß man unmöglich alle gründlich durchführen kann, und durch einzelne Andeutungen den Leser nur irr machen würde; die Natur hat jedem Menschen mehr oder minder Anlagen gegeben, sich im Kreise seiner Mitmenschen frei oder doch anständig zu bewegen – an einem Jeden ist es, diese Anlagen nach Kräften auszubilden, was aber nur durch Umgang und durch Erfahrung geschehen kann. Wie man sich vor groben Verstößen gegen den Anstand hüten soll, lehrt uns theils das Leben unter Gebildeten selbst, theils werde ich es im Verfolge dieser Blätter zur Genüge andeuten.


Quelle:
Hoffmann, Karl August Heinrich: Unentbehrliches Galanterie-Büchlein für angehende Elegants. Mannheim 2[1827], S. 31-43.
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