Die Gastgeber – ihre sprachlichen Rechte und Pflichten

[49] Hausfrau und Hausherr haben auch sprachlich eine Sonderstellung. Sie dürfen, wie eben gesagt, von ihren Gästen eine dankbare Bemerkung über das Essen und Trinken erwarten. Und es [49] freut sie auch, wenn es eine kleine, einfache Tischrede gibt. Wir möchten sogar sagen: Sie haben Anspruch darauf. Normalerweise erscheint die Tischrede (als Dank für das Gehabte) am Schluß des Essens; es ist aber durchaus zu empfehlen, sie schon nach dem Hauptgang einzufügen; dann sind die Gäste noch aufnahmebereiter, und der Redner kann wenigstens den letzten Gang in Ruhe essen. Zur Tischrede nur soviel, daß sie unter allen Umständen kurz sein soll. Im Grunde genügt es, wenn jemand – warum nicht eine Frau? – aufsteht, das Glas in die Hand nimmt und etwa sagt:


»Wir haben heute so viel Schönes und Gutes genossen, daß es höchste Zeit wird, Erika und Hans ganz herzlich zu danken. Wir wollen deshalb alle unser Glas erheben und auf ihr Wohl trinken. Auf Euch, liebe Erika, lieber Hans!«


So etwas genügt in den meisten Fällen. Denn wichtig ist nicht die Länge der Rede; sie braucht auch kein Meisterwerk zu sein. Wichtig ist nur, daß man inmitten des festlichen Trubels wenigstens einmal gemeinsam die Gedanken auf die Gastgeber lenkt und diese dadurch zum Thema macht und in die Mitte rückt.


Hausfrau und Hausherr haben aber, was das Reden betrifft, auch ein paar Sonderpflichten. Einmal ist es in erster Linie ihre Aufgabe, unbekannte Personen einander vorzustellen. Hier wird viel gefrevelt. Die alte Regel lautet, daß beim Vorstellen der sozial Tiefergestellte vor dem Höhergestellten, der Mann vor der Frau, der Jüngere vor dem Älteren genannt werden soll, damit der jeweils »Höhere« zuerst über den Namen des anderen informiert wird. Diese Regel ist logisch und darum an sich nicht übel. Aber man vergißt sie gern im Drang der Ereignisse, und irgendwie ist es den meisten von uns gegen den Strich, den Tiefergestellten zuerst zu nennen. Und wer weiß schließlich immer genau über den sozialen Rang Bescheid? Wir finden deshalb die Verletzung dieser Regel nicht schlimm.

Etwas anderes ist viel wichtiger. Manche Vorsteller glauben ihre Pflicht erfüllt zu haben, wenn sie sagen: »Darf ich bekanntmachen: [50] Herr Siebenthal, Frau Mältzer.« Damit haben sie etwas Notwendiges ausgelassen, nämlich eine minimale Information über die beiden Personen, auf Grund derer diese beiden ein Gespräch anknüpfen können. Also etwa: »Sie wissen wohl, Herr Siebenthal ist der Bratschist des Goldberg-Quartetts – als Künstler sagt er natürlich Bratscher. Frau Mältzer hat gerade einen gewaltigen Umzug hinter sich – sie wohnt jetzt an der Bülowstrasse – es war anstrengend, nicht wahr?, aber man merkt ihrs gar nicht an.« Dann haben die beiden eine wenn auch einstweilen schmale Basis für ein Gespräch: sie können sich wechselseitig weiter befragen – ist der eine ein großes Tier, so vergleiche man den Abschnitt über »Große Tiere«. Also auf keinen Fall nur die »nackten« Namen angeben!

Einige weitere Regeln für Hausfrauen und Hausherren: Manche Hausfrauen haben die Gewohnheit, sich von allem Anfang an, und vielleicht auch noch zwischendurch, für das »schlechte« Essen zu entschuldigen. Dies wirkt etwas kleinbürgerlich. Es kann nicht alles allen gleich schmecken; die Hausfrau hat sich alle Mühe gegeben und damit Dank verdient. Darum soll sie sich erst einmal stille halten und sehen, wie es den Gästen schmeckt. Sollte tatsächlich eine Panne passiert sein, so soll sie sich kurz und sachlich dafür entschuldigen, aber keinen langen Vortrag mit ausführlichen Klagen und Begründungen halten. Dann soll sie darüber schweigen und nicht wieder darauf zurückkommen. Alles andere sieht so aus, als sei sie »fishing for compliments«.

Aus dem gleichen Grund soll die Hausfrau auch nicht ins Gegenteil verfallen: Sie soll keinen Vortrag über die besondere Güte oder besondere Schwierigkeit des von ihr aufgetischten Gerichts halten. Vielmehr soll sie den Gast mit ihrem Gericht vorerst einmal in Ruhe lassen. Wenn er es dann preist und nähere Auskünfte darüber verlangt, dann ist ihre Stunde gekommen: Dann soll sie darüber reden, aber auch dann nur in Kürze keine Vorlesung. Wenn kein Lob kommt, ist Stille ohnehin das beste.

Dasselbe gilt für den Hausherrn. Keine peinlichen vorrangigen [51] Entschuldigungen wegen des »schlechten« Weines, aber auch keine langen Erklärungen, daß man ihn nur mit größter Mühe einem kleinen, aber ganz außerordentlichen Winzer habe abschmeicheln können. All dies kann gesagt werden auf eine Frage hin, aber nicht im Stil eines einführenden Vortrags. Denn kein Erlebnis wird schöner, wenn man vorher mit langen Worten darüber spricht – siehe darüber unser letztes Kapitel über die »Sprachliche Vorwegnahme«.

Zu den Pflichten der Hausfrau, eventuell auch des Hausherrn, gehört auch die Aufforderung an die Gäste, zuzulangen und sich (nochmals) zu bedienen. In früheren Zeiten, auch heute noch in bäuerlichen Verhältnissen, ist dieses Nötigen ein obligatorischer Teil des ganzen Einlade-Rituals. Man kann darüber bei Gotthelf nachlesen, etwa in der »Schwarzen Spinne«. Vier- und fünfmal mußte genötigt werden, und immer wieder mußten die Gäste beteuern, sie könnten einfach nicht mehr, oder – wie es anderswo bei Gotthelf heißt: »es dünke sie, sie könnten das Gegessene noch mit dem Finger erlangen«.

Heute hat sich allerlei gewandelt. Zwar ist es immer noch richtig, wenn Gastgeber und Gastgeberin die Gäste freundlich auffordern, zuzugreifen und keine Hemmungen zu haben. Man darf aber den Gast nicht quälen. Wenn er sagt: »Danke vielmals, aber ich habe wirklich genug.«, soll man ihn in Ruhe lassen. Weder soll man ihn nach besonderen Gründen ausfragen, noch soll man annehmen – und dies laut sagen – es schmecke ihm eben nicht.


Es kann unter den Gästen auch Abstinenten und Vegetarier geben. Ihnen soll man freundlich entgegenkommen, ohne eine große Geschichte zu machen. Weder soll man mitleidig ausrufen: »Ach, Sie Armer!«, noch soll man durchblicken lassen, daß einem der Gast mit seinem Sonderwunsch Mühe macht, noch soll man ein schlechtes Gewissen haben, wenn man für das Refüsierte keinen ebenbürtigen Ersatz bieten kann.

Nur Hausfrau und Hausherr dürfen »nötigen«. Niemand anders, auch keine Schwester oder Mutter, darf hier unterstützend [52] mitwirken; denn allein die Gastgeber wissen, wie viel von jeder Speise noch vorhanden ist, und ob irgend etwas für den anderen Tag oder für die Kinder aufgehoben werden soll.


Wie nun aber, wenn eine alleinstehende Frau oder ein alleinstehender Mann die Gäste eingeladen hat? Wie, wenn der Mann das Essen gekocht hat und die Frau die Weinkennerin ist? Dann lauten unsere Ratschläge genau gleich; nur gehen sie an andere Adressen.

Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993, S. 49-53.
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