»Sexismus« in Anreden und Berufsbezeichnungen

[77] Das Problem des (wirklichen und vermeintlichen) »Sexismus in der Sprache« können wir als Ganzes hier nicht lösen. Wir erinnern daran, daß die erste Grundfrage dieses Buches lautet: Wie erfreuen wir unsere Gesprächspartner? und nicht etwa: Wie verhelfen wir einem Prinzip zum Durchbruch? Deshalb stellen wir auch hier das menschliche Individuum und die konkrete Situation in den Mittelpunkt.

Ein Problem, das immer wieder auftaucht, ist die Anrede für eine unverheiratete weibliche Person: Nur »Frau« oder eventuell auch »Fräulein«? Wir möchten dafür folgende zwei Thesen aufstellen:

– jede erwachsene Frau hat Anspruch darauf, mit »Frau« angeredet zu werden, wenn sie es wünscht.

– jede unverheiratete Frau hat Anspruch darauf, mit »Fräulein« angeredet zu werden, wenn sie es wünscht.


Der Streit um »Frau« und »Fräulein« ist, so viel wir sehen, um [77] die hundert Jahre alt5. Die Lösung kann nicht darin bestehen, für alle Frauen die Anrede »Frau« zu postulieren; denn manche von ihnen wünschen dies gar nicht. Ihre Gründe sind verschieden: Eine Frau, die ein Leben lang mit einem bestimmten Ausdruck angeredet worden ist, mag dabei bleiben wollen; eine andere will es deutlich machen, daß sie selbst Doktor oder Direktor ist und nicht die Frau eines Doktors oder Direktors. Wieder andere mögen sich gerne an den alten Sinn von »Fräulein« (›Dame von Stand‹) erinnern. Deshalb: Niemand mit Gewalt »glücklich« machen wollen.

Ein anderes Problem sind die Berufs- und Amtsbezeichnungen für Frauen. Hier möchten wir zuerst dafür plädieren, daß sprachliche Texte nicht durch ein Gestänge von Bruchstrichen, Klammern und falschen Großbuchstaben verunstaltet werden. Wir sind also gegen solche Formen wie: »MusikerInnen«; »man/frau« finden wir falsch, weil »man« und »Mann« (wie französisch »on« und »homme«) seit Jahrhunderten zwei verschiedene Wörter sind. Und wenn schon Klammern mit der weiblichen Endung »-in« gesetzt werden, dann müssen sie stimmen. Eine Formel wie:

»Gesucht: ein(e) Übersetzer(in)«

kann man gelten lassen; denn die Wörter stimmen mit Klammer und ohne Klammer jeweils zusammen. Falsch ist dagegen:

»Diese(r) Assistent(in) soll«

denn ohne Klammer heißt es: ›diese Assistent soll‹, mit Klammer: ›dieser Assistentin soll‹ – beides ist falsch.

Und nun das aktuellste und umstrittenste Problem. Soll bei Berufsbezeichnungen immer die sogenannte markierte Form (also diejenige mit der Endung »-in«) verwendet werden, wenn es sich um Frauen handelt? Grundsätzlich stehen sich hier zwei Meinungen gegenüber.

Die eine Meinung, die heute von vielen Frauen vertreten wird, lautet, es sei bei der Bezeichnung von Frauenberufen und -Ämtern stets die markierte Form (also zum Beispiel »Professorin«) [78] zu verwenden, damit immer wieder nachdrücklich an die Frauen, ihre Leistungen, Rechte und Forderungen erinnert werde.

Die andere Meinung, die in der Öffentlichkeit seltener gehört wird, lautet, die weibliche Endung sei nur dort zu setzen, wo sie für die Information dringend nötig ist; in allen anderen Fällen solle man auch für Frauen die unmarkierte Form (also zum Beispiel »Professor«) gebrauchen.

Wir vertreten die zweite Meinung. Bei der Begründung müssen wir etwas ausholen und von der Gegenwart, der Zukunft und von den Gesetzen der Sprachentwicklung sprechen.

Nachdem die Frau in fast allen Berufsarten schon gut vertreten ist, hat man sich weitgehend daran gewöhnt, Berufsbezeichnungen (zum Beispiel »Lehrer«, »Dozent«) generell als zweigeschlechtig aufzufassen. Hören wir, daß es irgendwo 355 Lehrer gibt, so denken wir nicht nur an die Männer, sondern zählen die Frauen mit. Das grammatische Maskulinum samt dem Artikel werden dabei nicht allzu wichtig genommen; denn wir wissen seit langem, daß die Schildwache keine Frau ist, das Mädchen keine Sache, und daß der Mensch sich auch auf Frauen beziehen kann. Es geschieht einer Frau kein Unrecht, wenn sie mit einem männlichen Substantiv bezeichnet wird.

Aus diesem Grunde ist es möglich und auch wünschenswert, daß die Frauen die maskulinen Berufs-und Amtsbezeichnungen noch ganz für sich erobern. Wenn sie sich zäh und nachdrücklich dafür einsetzen, daß man bei »Lehrer«, »Partner«, »Sänger«, »Minister« immer auch an die Frauen denkt, so wird das mit größter Wahrscheinlichkeit verwirklicht werden können, wenn auch erst in einiger Zeit. Wir bekämen dann im Deutschen mehr oder weniger die gleichen Verhältnisse wie im Englischen, wo Wörter wie »artist«, »professor«, »specialist« längst für beide Geschlechter gelten6.

Dies hat große Vorteile, vor allem für die Flauen selbst, denn es drückt die Gleichstellung der Geschlechter sprachlich besser [79] aus als irgend etwas anderes. Zum Beispiel wird die unmarkierte Form in Wertungen den Frauen mehr gerecht als die markierte. »Frau X. ist die beste Assistentin, die ich in den letzten fünf Jahren hatte«, ist ein laues Lob, verglichen mit: »Sie ist der beste Assistent«; denn das erste bedeutet nur: ›Sie ist die beste von den (wenigen) Assistentinnen‹, das zweite dagegen: ›Sie ist die beste von den (vielen) Assistenten beiderlei Geschlechts‹.


Um noch klarer zu sehen, ist es nötig, auch das, was wir die »erste Meinung« genannt haben, in Gedanken weiter zu verfolgen. Bekanntlich wünschen viele Frauen, daß bei der Bezeichnung von Frauen ausschließlich die markierte Form, also diejenige mit »-in«, verwendet werde. Dies hätte für die Sprache zwei Folgen. Die erste ist allgemein bekannt: Es müßten bei jeder Nennung eines Berufs oder Amts zwei Wörter gesetzt werden – oder aber die mühseligen Annex-und Klammerformen, wie »Gemeinderat/rätin«, »MalerInnen«. So etwas kann allenfalls für die Amtssprache verbindlich erklärt werden. Ob sich aber die große Zahl der außeramtlichen Sprecher und Schreiber zu so etwas herbeiläßt, ist sehr fraglich; wahrscheinlich ergäbe sich nur eine noch größere Diskrepanz zwischen Amts- und Volkssprache als bisher.

Nur Fachleuten bekannt und deshalb bisher nicht in der Öffentlichkeit diskutiert, ist folgendes: Jede Sprache ist eine Struktur, in der die Elemente einander bedingen; die Änderung eines Elements hat auch die Änderung anderer Elemente zur Folge. Nehmen wir einmal an, der Wunsch mancher Frauen sei erfüllt, und es werde tatsächlich, wenn von weiblichen Wesen gesprochen wird, auch immer die markierte Form (also: »Professorin«) gesetzt. Dann hat das gesetzmäßig die folgende Konsequenz: Die andere, unmarkierte Form des gleichen Wortes (also »Professor«) wird – infolge des »oppositionellen Prinzips« – nur noch das Maskulin bedeuten. Und wenn dann jemand der Kürze halber oder aus irgendwelchen anderen Gründen diese endungslose Form gebraucht, so wird niemand mehr darunter auch die Frauen verstehen können.

[80] Wir meinen deshalb, daß den Frauen auf lange Sicht besser gedient ist, wenn die Feminin-Markierung nicht automatisch gesetzt wird, sondern nur dort, wo sie für die Information dringend nötig ist.


ZU BEACHTEN


Auch das Reden mit sogenannten kleinen Leuten ist nicht ohne Probleme. Eine Reihe von Regeln sind zu beachten, damit das Gespräch nicht beide Teile verstimmt.


Keine Angst vor »großen Tieren«: Das Reden mit ihnen ist leichter als man denkt. Man soll mit ihnen lieber nicht von »hohen Dingen« sprechen. Und man darf sie nicht zu lange beanspruchen.


Titel, besonders seltene, darf man auch einmal falsch gebrauchen.


Nicht jeder darf jeden gleich anreden: Wechselnamen beachten!


Sexismus vermeidet man durch Phantasie und Rücksicht, nicht durch gewaltsame Sprachregelung.

Fußnoten

1 Siehe N. Dittmar, Soziolinguistik, 5. Aufl., Athenäum-Taschenbücher 1980, S. 22., sowie (kurz) E. Leisi, Das heutige Englisch, Heidelberg 7. Aufl. 1985, S. 181 und 205f.


2 Siehe E. Leisi, Das heutige Englisch, S. 80.


3 s. Leisi, Das heutige Englisch, S. 207


4 Über die Titelgebung im Deutschen kann man sich z.B. in dem Buch von Klaus Nestle, Die neue Höflichkeit, Genf 1986, sowie im berühmten »Almanac de Gotha« informieren; über die englischen Titel orientieren u.a. »Whitacker's Almanach«, London, alljährlich erscheinend (im Abschnitt »The Peerage« = der Hochadel), sowie »Debrett's Peerage«.


5 Wir fanden ihn als Thema schon in dem zeitkritischen Gedichtbuch »Biedermeier mit ei« von Franz von Ostini, Stuttgart 1904.


6 Vergleiche E. Leisi, Wie das Englische den Sexismus abwarf, in: »Neue Zürcher Zeitung« 18.7.1991.


Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993.
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