Das Kompliment

[142] An sich ist das Kompliment nicht notwendigerweise etwas Erotisches. Ein Mann kann einem Arbeitskollegen ein Kompliment machen, eine Frau einer Kollegin. Aber besonders beliebt und geliebt ist natürlich das Kompliment über die Geschlechtsgrenzen hinweg: wenn ein Mann eine Frau, wenn eine Frau einen Mann lobt, womöglich gar für typisch weibliche, typisch männliche Eigenschaften, so daß man es zwischen ihnen knistern hört. In diesem Sinne wollen wir hier das Kompliment verstehen und uns fragen, wie man ein ordentliches Knistern erzielt.

Dazu eine Vorbemerkung. Wenn man von erotischen Komplimenten spricht, so denkt man auch heute noch zuerst an Komplimente, die ein Mann einer Frau macht. Natürlich ist auch das Umgekehrte möglich: Die Geschichte von den aufgestellten Härchen war ein – indirektes aber umso wirksameres – Kompliment einer Frau an einen Mann, und solche gibt es glücklicherweise in großer Menge. Wenn wir im folgenden uns doch primär (aber nicht ausschließlich) an die Männer wenden und ihnen einige Rezepte verraten, so haben wir dafür drei Gründe. Erstens ist es auch heute in unserem aufgeklärten und emanzipierten Zeitalter so, daß erotisch getönte Komplimente häufiger von Männerseite kommen als von Frauenseite. Denn, zweitens, dies ist nicht gesellschaftliche Rollenverteilung sondern [142] biologische Anlage. Nicht nur in den archaischen Menschengesellschaften – mit ihren Schuhplattlern und Waffentänzen – sogar in den höheren Schichten des Tierreichs ist es so, daß in der Erotik der Mann die Führung übernimmt, balzt, springt, bedrängt, kurz, der aggressive Teil ist. Das Gegenteil gibt es zwar auch, aber es ist vergleichsweise selten.

Und schließlich der dritte Grund, über den wir uns besonders freuen: Frauen brauchen im allgemeinen »in solchen Dingen« weniger Ratschläge als Männer. Sie haben mehr Naturtalent, anmutig zu sprechen, besitzen mehr Einfühlung in das, was der Partner seelisch braucht, und weil ihre Komplimente weniger alltäglich sind, haben sie auch mehr Kraft.

Wie soll man sich nun verhalten, daß es »ordentlich knistert«? Schon die Stimmlage ist wichtig. Beim Mann wirkt eine tiefe Stimme, sei sie von Natur so oder nicht, allgemein männlicher; also soll ein Mann seine Stimme, wenn sie nicht ohnehin tief ist, eher senken als heben. Bei Frauen liegen die Dinge weniger eindeutig: Neben den schönen tiefen Stimmen – Marlene Dietrich und Zarah Leander hatten sie, und O'Neill preist in seinen Dramen die tiefen, vibrierenden Stimmen der Frauen aus den amerikanischen Südstaaten – gibt es doch auch das »süße Gezwitscher«, von dem wir schon in einem früheren Kapitel gesprochen haben (Seite 17). Aber dies ist schon mehr Geschmacksache; im allgemeinen möchten wir der tieferen Stimme auch bei der Frau das Wort reden, natürlich mit Maßen, nicht so, daß man sie für einen Mann hält.

Sei die Stimme eher tief, so soll sie doch nicht eine »Plüschstimme« sein. Denn diese verrät zu sehr den alten Profi, den gewohnheitsmäßigen Schwerenöter, bei dem schon das jüngste Mädchen merkt: Aha, jetzt hat er auf erotisch umgeschaltet. Also lieber eine natürliche Stimme; wenn sie später dennoch unvermerkt ins Vibrieren geraten sollte, umso besser.

Auch inhaltlich sollte das Kompliment stimmen: »Gnä' Frau sehen heut wieder entzückend aus!«, das ist der vergangene Stil des alten Wien, und die meisten Frauen werden bei einem so starken und direkten Kompliment automatisch Abstriche [143] machen. Wir meinen deshalb, daß das Kompliment auf keinen Fall pathetisch, sondern eher spröde und indirekt sein soll. Mit spröde meinen wir: nicht schwül und wenn möglich mit einem Schuß Humor. Also statt: »Sie sind entzückend« lieber etwas Lustiges, vielleicht sogar ein bißchen Ausgefallenes, zum Beispiel: »Ich freue mich immer, Sie zu sehen, schon aus ästhetischen Gründen«. Wobei man sich natürlich stets fragen muß, ob man mit einer Dame spricht, die solches zu schätzen weiß.

In Spanien ist es immer noch der Brauch, daß junge Männer auf der Straße hübschen Frauen – wenn diese etwa in einem offenen Wagen vorbei fahren – Komplimente nachrufen. Dafür gibt es eine Anzahl fester Formeln. Eine davon ist besonders hübsch, nämlich »¡Olè su madre!«, wörtlich also: ›Ein Hurra für Ihre Mutter!‹. Zu ergänzen hat man dabei: › ... daß sie so etwas Schönes hervorgebracht hat.‹ Dies ist ein gutes Beispiel für das indirekte oder, wie man in der Linguistik sagen würde, »präsuppositionelle« Kompliment. Der Verehrer sagt nicht direkt: »Sie sind schön«, sondern: »Ihre Mutter ist zu preisen« und setzt damit voraus (präsupponiert), daß die Tochter etwas ganz Besonderes sei. Die angesprochene Dame bekommt also das Kompliment nicht offen serviert, sondern in Gestalt einer kleinen Nuß, die sie erst knacken muß oder darf. Dies liefert ihr ein angenehmes Spielchen – das Spielelement ist ja in der Erotik enorm wichtig.

Auch das indirekte Kompliment kann natürlich mehr oder weniger gut sein, aber im Prinzip ist es sicher besser als das (plumpere) direkte Kompliment. Wir möchten es deshalb empfehlen, etwa in folgender Form:


Dame zum Herrn: »Ja, die Zeit vergeht, mein Junge ist auch schon zwanzig.«

Herr (sehr erstaunt): »Da müssen Sie ihn ja mit fünfzehn gehabt haben, das geht doch nicht.«


Wir haben diese Formel mehrmals ausprobiert, und immer haben sich die beteiligten Damen über alle Maßen gefreut. Statt des direkten und etwas plumpen: »Sie sehen aus wie fünfunddreißig« [144] nimmt der Sprecher das jugendliche Aussehen als Voraussetzung (Präsupposition) und »errechnet« daraus das Alter bei der Geburt des Sohnes. Das heißt, die Frage, wie alt die Dame jetzt sei, erscheint nicht direkt als Thema, vielmehr wird eine ganz andere Frage – wie alt sie bei der Geburt des Sohnes gewesen sein mag – ins Zentrum gestellt. Daß die Dame jetzt aussehe wie fünfunddreißig, steht als selbstverständlich am Rande – und die Empfängerin des Kompliments hat die angenehme Aufgabe, es zu ihren eigenen Gunsten in die Mitte zu rücken.

Wichtig ist hier noch folgendes: Dieses Kompliment folgt direkt auf eine Äußerung der Dame: daß ihr Sohn schon zwanzig sei. Vielleicht sollte jedes gute Kompliment direkt an etwas Vorangegangenes anschließen. Dann wirkt es nämlich spontan und zwanglos. Komplimente, die ohne Anschluß an eine Situation oder ein Gesprächsthema, gleichsam aus heiterem Himmel, auf eine Dame losgelassen werden, wirken dagegen einstudiert und unnatürlich. Das heißt: Es braucht zu einem guten Kompliment eine gehörige Portion Geistesgegenwart: man muß das »Stichwort« wahrnehmen und in einer Sekunde das Richtige darauf sagen. Aber auch das läßt sich lernen.

Auch das Erwidern auf Komplimente muß gelernt werden. Wenn sich jemand die Mühe genommen hat, ein Kompliment zu machen, so hat er Anspruch auf eine Gegen-Freundlichkeit. Also nicht: stachlig-keusch: »Ach was!«. Sondern freundlich: »Das ist lieb von Ihnen« oder, wie es uns manche Amerikanerinnen so reizend entgegensingen: »Oh, thank you!«

Zum Schluß noch etwas Wichtiges: Wie bei manchen Sprachäußerungen kommt es auch beim Kompliment darauf an, wer mit wem redet. Zum Beispiel darf ein alter Herr einer Dame feurigere Komplimente machen als ein junger, weil man ihn als notorisch harmlos einstuft und von ihm einen altmodischen und romantischen Sprechstil geradezu erwartet. Er darf also, wenn ihm eine junge Dame drei Rosen bringt, ohne weiteres sagen: »Sieh da, da kommen vier Rosen auf mich zu«, was man bei einem jüngeren Mann komisch fände.

Aber auch je nach der Adressatin muß das Kompliment verschieden [145] gewählt werden. Wir haben – im Einklangs mit dem erotischen Thema dieses Kapitels – bisher vor allem von solchen Komplimenten gesprochen, die sich auf die Schönheit oder Jugendlichkeit einer Dame beziehen. Damit ist nun aber in neuerer Zeit Vorsicht geboten.

Es ist ein wichtiges Element der modernen Frauenbewegung, daß sich viele Frauen, besonders jüngere, weigern, als bloßes Dekorationsstück, als bloße Augenweide für Männer angesehen zu werden. Diese Frauen wollen nicht mehr (nur) für ihr Äußeres gerühmt werden, sondern, wenn überhaupt, für alle ihre menschlichen Qualitäten, zu denen zum Beispiel auch der Intellekt gehört. Dies ist übrigens nicht schwer, denn es gibt mindestens so viele gescheite Frauen wie gescheite Männer. Zum »alten« Kompliment, das sich vorwiegend auf Schönheit und Jugendlichkeit bezieht, muß sich also heute ein neuer, umfassenderer Typus gesellen – aber auch hier gilt, daß die indirekte und spontane Form wirksamer ist als die direkte und einstudierte.

Vielleicht das beste von allen Komplimenten ist dasjenige, welches von jeder »objektiven« Feststellung ganz absieht, sondern einfach schlicht und subjektiv so etwas sagt wie:

»Mir ist wohl in Ihrer Nähe.«


Davor – dabei – danach


Bis jetzt haben wir uns mit harmlosen Dingen befaßt. Wie aber, wenn es nun mit dem Eros weiter geht,


Wie es unversehens im Geplauder

anders wird und ernsthaft« (Rilke).


Wie soll man dann reden?

Es gibt manche, vor allem junge Leute, die sich in ihren Träumen eine völlig wortlose Liebe vorstellen. Die Sprache, mit ihren vielen Beschränkungen und Vorurteilen, müßte bei wahrer [146] Liebe wie ein Kleid fallen, und es müßte sich eine neue Ausdrucksform finden, die die Körper und Seelen wortlos mit einander verbindet. An sich ein wunderbarer Gedanke – aber er muß ein Traum bleiben, da es dem normalen Menschen unmöglich ist, auf die Dauer nicht zu sprechen. Immerhin, soviel ist daran real, daß sprachliche Verständigungsschwierigkeiten für die Liebe, wenn überhaupt, nur ein geringes Hindernis sind. Die Fremdheit der Sprache des anderen kann eine angenehme Fremdheit sein, und vor allem bietet sie Gelegenheit zu anregenden, überraschenden und die erotische Stimmung fördernden Spielen. Aber im ganzen genommen muß auch bei der Erotik – mindestens von Zeit zu Zeit – geredet werden.

Wieder eine andere Gruppe, vor allem von Männern jeden Alters, meinen, um die Frauen in erotische Stimmung zu versetzen, müsse man ihnen vor allem erotische Witze oder Geschichten erzählen. Also etwa: »Es waren einmal zwei miteinander im Bett, und da sagte sie zu ihm ...«, oder wie die vielen hundert anzüglichen Geschichten alle beginnen mögen. Dies ist als erotisches Stimulans nicht zu empfehlen. Einmal gibt es nur sehr wenige solche Witze, die nicht mehr oder weniger versteckt eine Spitze gegen die Frauen enthalten.3

Weiter: Der Witz und die Anekdote sind unpersönlich, es geht ihnen um »die Weiber« im allgemeinen, oder allenfalls um unbekannte und fernstehende Individuen. Eine Frau will aber persönlich angesprochen sein. Sie bleibt kühl, wenn man irgendwelche Geschichten, seien sie auch noch so erotisch, über fremde Menschen erzählt, und erwärmt sich nur, wenn der Sprechende eine Beziehung zwischen ihm und ihr herstellt. Dies läuft darauf hinaus, daß das wirksamste erotische Zureden nichts anderes ist als ein Kompliment oder besser mehrere – wobei dann freilich die sonst bestehenden Tabu-Schranken zunehmend überschritten werden.

[147] Fragen wir einen bewährten Verführer der Weltliteratur – diesmal nicht Casanova, sondern Don Giovanni, den Helden von da Pontes und Mozarts Oper – wie er beim Verführen vorgeht, und nehmen wir die Situation, in der er bestimmt Erfolg gehabt hätte, wenn nicht jemand dazwischen geraten wäre. Es ist ihm gelungen, die junge und charmante Zerline von der übrigen Gesellschaft wegzumanövrieren, und jetzt beginnt er seine – vorerst rein sprachliche – Attacke:


Vi par, ch' un onest'uomo,

Un nobil cavalier, com'io mi vanto

Possa soffrir che quel visetto d'oro,

Quel viso inzuccherato

Da un bifolcaccio vil sia strappazato?

(...) Voi non siete fatta

Per essere paesana; un'altra sorte

Vi procuran quegli occhi bricconcelli,

Que'labretti si belli,

Quelle ditucce candide e odorose ...


Glaubst Du denn, ein Ehrenmann, / Ein Kavalier, wie ich es bin, / Solle es dulden, daß dieses goldige Gesichtchen, /Dieses süße Antlitz, / Von einem Bauerntölpel mißbraucht werde. / (...) Du bist nicht zur Bäuerin geboren: /Ein schöneres Los verschaffen Dir diese schelmischen Augen, / Diese schönen Lippen, / diese weißen duftenden Fingerchen ...


Dies genügt bekanntlich, Zerline fortzureißen; es folgt das berühmte Duett »Là ci darem la mano«, ›Reich mir die Hand, mein Leben‹, und sie wäre ihm bestimmt auf das Schloß gefolgt, wenn nicht Elvira, die frühere Liebschaft, als rächende und hindernde Instanz dazwischengetreten wäre.

Woraus besteht Don Giovannis Zureden? In der Hauptsache ist es einfach eine Aufzählung von Zerlines (harmloseren) Reizen: Gesichtchen, Augen, weiße Fingerchen und so weiter. Ähnlich – wenn auch natürlich der Zeit angepaßt – ist fast jedes erfolgreiche erotische Zureden. Dies scheint nun auf den ersten [148] Blick ziemlich schlicht, ja trivial. In Wirklichkeit aber wird dadurch eine ganze Reihe von Dingen kundgegeben und ausgelöst.

Erstens einmal – und das ist vielleicht das Wichtigste – werden die einzelnen reizvollen Körperteile der Frau vor ihren Ohren laut aufgezählt. Das heißt, es wird ihr erlaubt, ja, sie wird sogar aufgefordert, sich in Gedanken mit diesen ihren eigenen körperlichen Reizen zu beschäftigen, was der mehr oder, minder jedem Menschen immanenten narzißtischen Komponente entgegenkommt. Und dies erregt bereits intensiv.

Zweitens signalisieren diese Worte, daß der Liebhaber diese Reize bemerkt hat. Und drittens: daß er sie nicht nur bemerkt hat, sondern sich demnächst noch intensiver mit ihnen beschäftigen wird. Also eine Art Vorankündigung, die keine Angst, aber einen angenehmen Schauer hervorruft. Die Liebende im biblischen »Hohelied« – diesem kräftigsten aller frühen Liebeslieder – bekennt: »Anima mea liquefacta est, ut locutus est«, ›Bei seinen Worten schmolz meine Seele dahin‹ (5.4), oder noch wörtlicher: ›Als er sprach, ist meine Seele verflüssigt worden.‹ Mehr kann sich ein Liebhaber nicht wünschen.

Psychologen haben festgestellt, daß folgender »Rückkopplungseffekt« nicht selten ist: Ein Mann macht einer Frau ein Kompliment über ihre Augen. Darauf erweitern sich ihre Pupillen, und ihre Augen werden – ganz objektiv – noch schöner.

Und in diesem Zustand wird auch die sprödeste Frau den Wunsch fühlen, zu entgegnen, auch dem Manne ein Kompliment zu machen. Zum Beispiel, was einen Mann immer glücklich macht: »Ich liebe Deine Hände.«

Und wenn der Eros dann ernsthaft wird und die Liebesvereinigung näherrückt – was soll man dann reden? Soll man überhaupt? Es gibt hierüber sehr verschiedene Auffassungen. Manche meinen, wie wir gesehen haben, die Sprache habe die Tendenz zu lügen, und es sei eine Entweihung, wenn man in der »Stunde der Wahrheit« spreche. Andererseits haftet, so meinen andere, dem sprachlosen Akt etwas Tierisches an. In Shakespeares spätem Drama »Cymbeline« kommt der Held Posthumus [149] auf die (gänzlich abwegige) Idee, seine Frau habe ihn mit dem »gelben Iachimo« in schamloser Weise betrogen, und er malt sich dies (II 5 9) selbstquälerisch im Detail aus:


I thought her

As chaste as unsunned snow. O, all the devils!

This yellow Iachimo in an hour, was't not?

Or less? At first? Perchance he spoke not, but

Like a full-acorn'd boar, a German one,

Cried ›Oh!‹ and mounted ...


Ich glaubte, / Sie sei keusch wie unbesonnter Schnee. O, alle Teufel! / Der gelbe Iachimo – in einer Stunde, nicht, /Oder gar weniger. Auf Anhieb! Vielleicht redete er nicht einmal, / Sondern brüllte nur, wie ein eichelgemästeter deutscher Eber, / O! und stieg auf ...


Das ist die andere Auffassung, die den sprachlosen Liebesakt als gemein und tierisch verurteilt. Es ist in der Tat natürlich, daß ein Paar, das in allen vorhergehenden Situationen sprachlichen Kontakt hat, auch in dieser Situation Wortkontakt behält. Sicher darf geseufzt und gestöhnt werden. Aber nicht ausschließlich. Und wenn gesprochen wird, dann nicht – wie in einer Zeitungsumfrage an den Tag kam – »Flüche, an die man sich nachher ungern erinnert«. Sondern dies: Der Mann soll die Komplimente weiter führen und der Frau auch ihre geheimen Reize liebend und lobend ins Ohr flüstern. Und die Frau darf sich ruhig an die bereits zitierte, vorzügliche Richtlinie von Ovid halten:


Flüstre verschämt, wie selig Du bist und wie dankbar.


Für den Fall, daß dies bis jetzt noch nicht deutlich genug gesagt worden ist: Der sprachliche und der körperliche Teil der Liebe sind nicht zwei »Phasen«, die von einander abgetrennt sind; vielmehr fügen sich beide ineinander. Manche jungen intellektuellen Männer machen den folgenden Fehler: Sie glauben, das Sprachliche müsse zuerst »erledigt« werden, und reden auf [150] ihre Partnerin ein, in der Hoffnung, von ihr (ebenfalls sprachlich) eine General-Erlaubnis für körperliche Berührungen zu erhalten. Diese wird so schwerlich zu erreichen sein. Vielmehr müssen das Sprachliche und das Körperliche von Anfang an »Hand in Hand« gehen.

Zum Schluß dieses Abschnittes noch folgendes: Wenn ein Mann seine Partnerin mit liebevoller Sprache aus dem Alltag zum Höhepunkt der Liebesvereinigung begleitet hat, dann soll er sie auch wieder mit liebevoller Sprache von diesem Höhepunkt in den Alltag zurückbegleiten. Also weder sich stumm eine Zigarette anzünden, noch etwas Unverständliches knurren, noch einschlafen, noch von den hohen Steuern sprechen. Man macht den Männern gern den Vorwurf, daß sie Sexualität von Zärtlichkeit trennen können, und die Lehrbücher der Sexualität betonen, daß das Nachspiel ebenso wichtig ist wie das Vorspiel. Und – so fügen wir hinzu – zu diesem Nachspiel gehört auch Sprache. Einige liebe Sätze – wie glücklich er war, wie dankbar er immer noch ist, wie unbeschreiblich sie war – gehören obligatorisch zum Liebesritual. Wem nichts Eigenes einfällt, der mag sich an die ersten Worte des Octavian im »Rosenkavalier« erinnern:


Wie du warst! Wie du bist!

Das weiß niemand, das ahnt keiner!


Wundervoll präzis hat Hofmannsthal diese Worte gewählt – »warst« heißt: ›wie du diese Nacht warst‹, »bist« bedeutet: ›wie du überhaupt bist‹. Richard Strauß hat dazu seine süßeste Musik geschrieben. Und miteinander haben beide Ovid übertroffen, der mit dem Höhepunkt aufhört und vom Nachspiel nichts sagt – weder vom sprachlichen noch vom körperlichen.

Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993, S. 142-151.
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