IV. Das Jahr 1849 in Schleswig-Holstein.

[30] Als der Waffenstillstand von Malmö am 26. März 1849 ablief, reiste meine Mutter mit mir ab und wieder nach Charlottenburg zu den Großeltern in dem Hause am Lützowplatz.

Oberst Zastrow hatte am 19. April Vonsild erreicht, als die Meldungen einliefen, daß die Dänen Kolding, Fredericia und Veile besetzt hielten.

In dem Kriegstagebuch meines Vaters heißt es vom 20. April: »Vollständig angekleidet hatte ich mich in dem Gasthause zu Wonsild auf das Bett geworfen und ein paar Stunden geschlafen, als man mir um 4 Uhr den Hauptmann Delius, den Generalstabschef von Bonin meldete. Ganz überrascht eilte ich ihm entgegen und wurde von ihm mit der Frage begrüßt: ›Nun, was wissen Sie vom Feinde?‹

Immer in dem Glauben, er brächte uns den Befehl zum sofortigen Rückmarsch, berichtete ich ihm etwas mißvergnügt meine letzten Beobachtungen.

Er schmunzelte. ›Wie wäre es‹, schlug er vor, ›wenn wir einmal versuchten, ob Sie recht haben, und wirklich nur solch eine Handvoll Feinde da in dem Nest sitzt?‹

Der Gedanke elektrisierte mich, und ich versicherte ihm, daß ich überzeugt sei, die Avantgarde würde Kolding ohne fremde Beihilfe nehmen.

›Nun denn los!‹ rief er mir zu. ›Bereiten Sie alles vor, wir wollen gleich angreifen, aber vorläufig nur bis an die Brücke gehen. Laufen die Kerlchens weiter, dann kann man ja sehen, was man noch tut.‹

Diese unerwartete Änderung der Ideen beglückte mich so, daß ich den lächelnden Delius zuerst jubelnd umarmte, dann aber hinausstürmte, um Generalmarsch schlagen zu lassen, während Delius zu Zastrow eilte, um genauere Verabredung zu treffen.

Schon gegen 6 Uhr ging Zastrow mit beiden Jägerkorps geschlossen vor, und um 11 Uhr waren wir Herren der Stadt, während die Kavallerie den Feind weiter verfolgte. Die nächsten Tage wurde fleißig an Erdaufwürfen gearbeitet, und man benutzte die Zeit, um sich mit den Truppen in der Stadt festzusetzen. In der Nacht zum 23. rasselte der Generalmarsch durch die Straßen. Feindliche Kolonnen marschierten auf Kolding zu, und die Jäger warfen sich entschlossen dem in großer Übermacht anrückenden Feinde entgegen.[31]

Durch den Vorstoß der Dänen, die sich schon der Brücke über die Aue nahten, waren zwei Jägerkompagnien vollständig abgeschnitten und standen in höchster Gefahr, gefangen genommen zu werden. Da erhielt ich von Zastrow, der schon jenseits des Flusses war, den Befehl, die Stadt zu räumen. Doch so wie die Verhältnisse lagen, mußte ich nach eigenem Ermessen handeln, wollte ich die Jägerkompagnien nicht im Stich lassen. Daher entschloß ich mich, den Befehl nicht weiter zu geben.

Ich war schwer besorgt um das Schicksal jener hart bedrängten Jäger und wollte aus diesem Grunde den Brennpunkt des Kampfes nicht verlassen. Sobald ich mich überzeugt hatte, daß die Jäger auf dem Rückzugwege noch nicht zu erspähen waren, eilte ich nach der Barrikade, an der sie vielleicht vorbeikommen konnten.

Die Besatzmannschaft dieses wichtigen Punktes war verschwunden, doch konnte ich vom nächsten Bataillon sofort eine Sektion herbeiholen und dort aufstellen. Damit noch beschäftigt, hörte ich plötzlich in der Hauptstraße ein heftiges Feuer. So rasch wie möglich eilte ich dorthin. Doch schon wälzte sich mir an der nächsten Ecke der Straße eine zurückweichende, bunt durcheinander gewürfelte Masse entgegen, während der Feind, der in die Häuser gedrungen war, ein verheerendes Feuer in den dichten Menschenknäuel abgab. Nie wieder habe ich solchen Wirrsal, solchen Lärm und solches Schreien gehört. Wer verwundet war oder niederstürzte, wurde von den Nachrückenden unbarmherzig niedergetreten, und kein Zuruf, kein Befehl vermochte in diesem Augenblick Ordnung zu schaffen.

Da alles darauf ankam, die Massen zum Halten zu bringen, damit den Jägern Zeit zum Abzuge geschaffen wurde, drängte ich mich mit möglichster Gewalt nach vorn, um dieses Ziel zu erreichen. Doch ich wurde von dem wilden Strome fortgerissen und machtlos gegen ein Haus gedrängt, an dessen Türklinke ich mich festklammerte.

Da sah ich wenige Schritte von mir einen kleinen Tambour und rief ihm keuchend zu, Sturm zu schlagen. Als er nicht sofort meinem Befehle folgte, riß ich ihm den Trommelstock aus der Hand und paukte nun selbst auf dem Kalbfell frisch drauf los. Kaum hatte ich einige kräftige Schläge getan, als von der Brücke her etliche Stimmen Hurra riefen. Man fing an, sich umzusehen und stillzustehen, während ich immer munter weiter trommelte. Jetzt schlugen jenseits der Brücke die sämtlichen Tambours des Bataillons in gleicher Weise Sturmschritt, und nun – Freude über Freude – machten die Leute plötzlich wieder Front.

Von allen Seiten erschallte ein wildes Hurra, und dieselben Menschen, die eben im besten Davonlaufen begriffen waren, gingen nun mit[32] einer solchen Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit auf den bestürzten Feind los, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

Zuerst wurden die Dänen aus einem Gasthaus, das sie besetzt hielten, vertrieben, während unsere geschlossenen Kolonnen mit schlagenden Tambours auf dem Wege nach dem Markte munter vorrückten.

Sobald ich die Sache hier so weit im Gange hatte, eilte ich zurück, um nach meinen Jägern zu sehen. Wie groß war meine Freude, als ich den ersten grünen Gesellen erblickte, der über die zerbröckelte Mauer sprang, die ich vorhin hatte niederreißen lassen.

Es war aber auch die allerhöchste Zeit, denn während das 9. Bataillon den Angriff gegen den Markt ausführte, schlugen bereits feindliche Kanonenkugeln auf der Brücke ein und zertrümmerten einen steinernen Pfeiler dicht neben mir. Ich teilte daher den anlangenden Jägern den Befehl des Obersten mit, einzeln im Trabe die Brücke zu passieren und sich bei Bellevue zu sammeln. Die ersten Hundert mochten hinüber sein, als der Major von S. anlangte und niemand mehr über die Brücke hinüberlassen wollte, da er beabsichtigte, sein Bataillon erst zu formieren.

Ich stellte ihm die Gefahr einer solchen Handlungsweise entgegen und berief mich auf Zastrows Befehl, aber alles war vergebens. Der Augenblick drängte, denn jede verlorene Minute konnte das Leben vieler Braven fordern. So griff ich denn zu einem Mittel, das in ruhigen Zeiten freilich unverantwortlich ist, hier aber die letzte Rettung blieb. Ich wandte mich an die Jäger und rief ihnen zu: ›Auf Befehl des Oberst Zastrow sollt ihr euch so rasch wie möglich bei Bellevue sammeln!‹ Sofort stürzten die Leute über die Brücke dem Sammelplatz zu. Erst als der letzte Jäger mir sagte, hinter ihm sei kein Kamerad mehr, zog ich den vor einer Stunde erhaltenen Befehl Zastrows aus der Tasche und teilte denselben dem Major mit, dem zufolge der Rückzug aus der Stadt ungesäumt angetreten werden sollte, was nun auch von den beiden Bataillonen in voller Ordnung ausgeführt wurde.

Ich begab mich dann direkt zum Oberst, um ihm Bericht abzustatten. Von Zastrow, wie von seinem Stabe, wurde ich mit lauten Freudenbezeigungen empfangen, denn ihnen war die Nachricht zugegangen, ich seit tot oder gefangen. Der Rote Adlerorden vierter Klasse mit Schwertern ist mir später für diesen Tag zuteil geworden.«

In einem holsteinschen Blatte stand damals: »Der Hauptmann von Wrangel, der zur Erhaltung von mehreren abgeschnittenen Jägerkompagnien dadurch so viel beigetragen hat, daß er die im Straßenkampf zerstreuten 9. und 10. Infanteriebataillone unter dem Kugelregen eigenhändig mit der Alarmtrommel sammelte, wird von den Truppen zum[33] Andenken an diesen Akt kaltblütiger Umsicht der Trommler von Kolding genannt.«

Diesen Ehrennamen, »Trommler von Kolding«, hat mein Vater bis zu seinem Tode geführt. Unter diesem Titel war er in Schleswig-Holstein überall bekannt und geliebt. Er selbst legte großen Wert auf den Namen, und noch als Greis im Silberhaar konnte er voll jugendlicher Begeisterung des Tages von »Kolding« gedenken.

Der linke Flügel der Armee hatte die Aue überschritten, und die Avantgarde von Zastrow ging nun ebenfalls bei Seest über den Fluß. Das veranlaßte die Dänen zu einem allgemeinen Rückzuge. Zastrow quartierte sich mit seinen Truppen in dem zerschossenen Kolding ein, und mein Vater wollte dort sein altes Quartier aufsuchen, doch das Gasthaus lag zur Hälfte in Trümmern. In seine ehemalige Stube war eine Granate eingeschlagen und in seinem Bette krepiert.

Verschiedene Erkundungsritte nach Fredericia wurden unternommen, und hin und wieder fanden kleine Gefechte statt, so schrieb mein Vater nach Hause, auch teilte er meiner Mutter mit, daß er das Kommando über das 2. Bataillon erhalten habe, an Stelle des erkrankten Majors Wittmann. Darüber und über den Tag von Fredericia schreibt mein Vater in seinem Kriegsbericht: »Das 2. Bataillon hat sich wegen Ungehörigkeiten einen sehr strengen Korpsbefehl von dem General von Bonin zugezogen, daher war es mir höchst peinlich, als ich hörte, welches Kommando man beabsichtigte mir zu geben. General von Bonin hatte seine Anrede, als er mich am 5. Mai zum Kommandeur dieses Bataillons ernannte, mit den Worten geschlossen: ›Gerade von Ihnen erwarte ich, daß Sie mir das Bataillon feuerfest machen können‹, und hatte damit jede Einwendung meinerseits abgeschnitten. Ich mußte einfach gehorchen. Unter diesen Umständen wurde mir der Abschied von Zastrow doppelt schwer, mit dem ich so lange alle Freuden und Gefahren des Feldzugs geteilt hatte, und der mir stets ein gütiger und wohlwollender Vorgesetzter gewesen war.

Von nun an trat ich unter das Kommando des Obersten von St. Paul. Am andern Morgen sollte mir das Bataillon übergeben werden. Mir graute vor dem Augenblick. Der Adjutant war verwundet, zwei Hauptleute krank, und die Armee blickte mit einem gewissen Mißtrauen auf das unglückliche Bataillon. Ich hatte mir zur Unterstützung zwei tüchtige preußische Offiziere als Kompagnieführer ausgebeten, und waren mir die Herren von Radowitz und von Drigalsky versprochen worden. Am 6. übergab mir der älteste Offizier das Kommando des Bataillons. Ich stellte mich nun selbst den Leuten vor und sagte ihnen, daß allerdings[34] Sachen vorgefallen seien, von denen man dringend wünschen müßte, sie wären nicht geschehen, daß ich aber trotzdem die Überzeugung hätte, das Bataillon werde sich bei der ersten Gelegenheit den Ruf als eines der bravsten der Armee erwerben. Ein jeder von ihnen müsse mir aber mit Vertrauen entgegen kommen und mir folgen, wohin ich ihn führte, dann würden sich die Dinge schon machen.

Gegen Abend besuchte mich St. Paul und teilte mir mit, daß wir tags darauf nach Fredericia vorrücken würden und er dabei beabsichtigte, mein Bataillon zuerst ins Feuer zu schicken. In aufrichtiger Freude dankte ich ihm dafür.

Wir lagen nun in den Wochen bis zum 5. Juli unausgesetzt vor der Festung Fredericia, meistens auf verschiedenen Biwaksplätzen, mitunter auch in Kantonnements. Tage eines heftigen Bombardements, Ausfälle der Dänen und Ruhezeiten wechselten miteinander. Ein freudiges Wiedersehen gab es für mich in der Zeit mit dem Major von der Tann1, dem vorjährigen treuen Kampfgenossen, der nun mit seinen Truppen gegen Veile vorrückte.

Das Wetter war entsetzlich. Ein wolkenbruchartiger Regen hatte auf unserm neuen Biwakplatze alle Lagereinrichtungen weggespült, so daß Offiziere wie Leute ohne Holz und Stroh während eines strömenden Regens die ganze Nacht hindurch im tiefsten Morast herumstanden. Es bedurfte einer großen moralischen Energie, um im Bataillon die nötige Gefechtsbereitschaft und den frischen Mut aufrecht zu halten. Ich sah mir in dieser Zeit die Gegend genau an, um sie gründlich kennen zu lernen. Namentlich untersuchte ich die dortige Furt durch den Ramsfjord, die schlimmstenfalls meine einzige Rückzugslinie werden konnte. Durch Stangen mit Strohwischen ließ ich die Wasserstraße bezeichnen, und wenn auch diese Pfähle von Sturm und Wellen teilweise wieder umgerissen wurden, so lernte ich doch den Gang der Furt genau kennen, was für mich von größter Wichtigkeit sein konnte.

Am 5. Juli bezogen wir die Vorposten in nächster Nähe der Festung. Ich hatte Muße, mir das Gefährliche unserer Aufstellung klarzumachen. Von unserm rechten Flügel bis zur 2. Brigade blieb ein freier Raum von fast 2000 Schritt, durch den in der Nacht unbemerkt feindliche Regimenter marschieren konnten. Außerdem beobachtete ich von einem Hügel aus, wie der Feind fortwährend Infanterie ausschiffte. Ich stellte dort einen Offizier mit einem guten Fernglase auf, der jeden Mann zählte, welcher die Brücke passierte, und mir stündlich darüber berichten mußte.[35]

Selbstverständlich ließ ich eine hierauf bezügliche Meldung an General Bonin gehen, der auch am Nachmittag eintraf, um sich von der Sachlage zu überzeugen. Mein Beobachtungsposten, der genau Buch führte, hatte bis dahin schon über 9000 Mann gezählt. Blumenthal, der Generalstabschef von Bonin, versprach, am andern Morgen früh 5 Uhr ein Kavallerieregiment vorzusenden, das die Kette zwischen mir und der 2. Kavalleriebrigade schließen solle. Der General sah die Dinge nicht so bedenklich an wie ich. ›Auf Sie kann ich mich verlassen‹, sagte er mir beim Abschied, ›ich weiß, Sie lassen keinen Danske durch.‹ Das war sehr ehrenvoll, beruhigte mich aber nicht.

Am andern Morgen, am 6. Juli, als die Vorpostenkompagnien sich eben ablösen wollten, stürzte plötzlich der Feind in dichten Schützenschwärmen gegen meine Stellung und umfaßte sofort den ungedeckten rechten Flügel. Es war eine unerwartete Überrumpelung, die nur dadurch so völlig gelang, daß die Dänen sich bei den vorgeschobenen Posten für die Arbeiterkompagnien ausgaben, mit denen sie gleiche Kleidung trugen. Auf diese Art gelangte der Feind, ohne einen Schuß zu tun, bis hart vor unsere Verteidigungsstellung.

Jetzt aber wurden die Dänen aus den Laufgräben mit einem so heftigen Feuer empfangen, daß sie rasch zurückwichen. Sobald aber ihre Soutiens mit eingriffen, drangen sie wieder in dichten Massen vor und sprangen in die besetzten Laufgräben, in denen nun ein erbitterter Kampf mit Kolben und Bajonett stattfand. Auf meinem rechten Flügel kämpfte die erste Kompagnie mit der Rücklehnung an ein Knick heldenmütig gegen den Feind. Links von mir war eine starke dänische Kolonne durch die Schlucht gedrungen und erstieg das Plateau. An dieser Schanze arbeiteten heute nacht 2–300 Mann vom ersten und dritten Bataillon. Als die Leute sich so plötzlich im Rücken angegriffen sahen, stürzten sie kopflos davon.

Der linke Flügel schien mir daher am meisten gefährdet, und ich begab mich sofort mit meinem Adjutanten dorthin. Als ich eben durch die Öffnung des Knicks auf die neue Schanze trat, wälzte sich mir jene Arbeiterkompagnie entgegen. Es gelang uns, die Leute zum Stehen zu bringen und mit ihnen ein von West nach Ost laufendes Knick zu besetzen.

Doch immer mehr feindliche Scharen tauchten auf, und eine erdrückende Übermacht nötigte uns, die Stellung aufzugeben und eine neue zu suchen. Es galt für Offiziere wie Soldaten, das Äußerste zu leisten und in todesmutiger Pflichterfüllung standzuhalten. Noch war es entsetzlich dunkel, Freund und Feind waren kaum zu erkennen, und es hielt dadurch schwer, eine entstandene Unordnung rasch zu beseitigen. Jetzt[36] sah ich mich von der Seite und im Rücken gefaßt. Wir wurden von einem Knick zum anderen zurückgedrängt. Endlich erreichten wir das vorgeschobene Hüttenlager und hofften uns dort halten zu können, bis meine nach allen Richtungen ausgesandten Meldungen mir Unterstützung bringen würden.

Eine Zeitlang gelang es, die anstürmenden Dänen aufzuhalten und ihnen empfindliche Verluste beizubringen. Doch der Feind umklammerte mich immer enger, von allen Seiten wurde ich beschossen und mußte mich wehren, mit gefälltem Bajonett ging es vorwärts. Im Laufschritt, uns dicht an das große Knick haltend, erreichten wir dies Vorwerk.

Von allen Seiten hagelten die Schüsse auf uns nieder, aber es gelang mir, das dahinterliegende Hüttenlager, sowie den anstoßenden Waldrand zu besetzen und dadurch in unmittelbare Verbindung mit der ersten Brigade zu treten.

Dieses tollkühne, aber notwendige Durchschlagen hatte viele Leute gekostet. So fiel auch unter anderen mein kleiner vierzehnjähriger Hornist Beust. Eine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen, und bewußtlos stürzte er vor mir nieder. Mit wahrem Schmerz hielt ich den kleinen munteren Kerl, der mir stets zur Seite gewesen war, für verloren, als er plötzlich aufschrie und mir nachrief, ihn doch nicht liegen zu lassen.

Ich kehrte sofort um und schleppte den starkblutenden Jungen mit Hülfe meines Adjutanten seitwärts, wo mein Reitknecht mich mit meinem Lieblingspferd, dem braunen Sciold, erwartete.

Schon setzte ich den Fuß in den Bügel, als eine feindliche Kugel denselben abriß und mir dabei eine Verletzung des linken Fußblattes beibrachte. Das schien mir eine Warnung zu sein, und da ich bei den vielen Knicks das Pferd doch nur zeitweise gebrauchen konnte, so setzte ich noch den kleinen Beust auf Sciold und befahl dem Reitknecht, mit dem Verwundeten schnell den Kampfplatz zu verlassen. Ich selbst eilte nun, so rasch es ging, zu meinen Leuten, die den Waldsaum besetzten. Das Feuer aus dem Gehölz wurde so heftig, daß ich mich genötigt sah, auch diese Stellung zu verlassen. Mit eiserner Zähigkeit wurde jedes Knick verteidigt, bis feindliche Übermacht uns zum Rückzug zwang. So näherten wir uns kämpfend der Furt, die von drei Kanonenbooten bestrichen wurde, also nur einen höchst gefährlichen Rückzug bot. Zugleich erreichte mich der Brigadebefehl, mit meinen Leuten und dem 4. Bataillon unverzüglich nach Veile zu marschieren.

Der Westausgang des Dorfes war vom Feinde besetzt, so blieb denn nur die von mir früher untersuchte Furt, wenn wir dem Befehle[37] folgen und uns aus der üblen Lage retten wollten. Mein Entschluß stand fest, ich gedachte mir mit meinen Leuten den Weg dorthin zu bahnen. Zur Überraschung der uns verfolgenden Dänen ließ ich kehrtmachen und die Leute mit gefälltem Bajonett auf den Feind losgehen.

Das geschah so plötzlich und so stürmisch, daß die Dänen von dem Anprall zurückwichen und wir ohne nennenswerte Verluste die Furt erreichten. Zeit war nicht zu verlieren, denn schon nahten die feindlichen Soutiens aus dem Gehölze. Ich gab daher sofort den Befehl zum Durchschreiten der Furt. Leider hatte der Wind verschiedene Strohwische, die den Wasserweg bezeichneten, umgerissen, so daß auf dem gewundenen, etwa tausend Schritt langen Pfade doch ein paar meiner Leute ertranken. Ich selbst blieb bis zuletzt am Ufer, um abzuwarten, bis meine Unteroffiziere den schwerverwundeten Leutnant Gallus herangetragen hatten. Zum Glück entdeckte ich einen Bauernwagen, der sich im Schilfe festgefahren hatte. Für Gallus wurde auf dem Wagen ein Lager bereitet, er selbst und etliche Verwundete heraufgepackt, und dann befahl ich dem Bauer, die Unsern durch die Furt zu fahren.

Von einer vorspringenden Landzunge beschossen uns die dänischen Jäger. Das war ein empfindliches Flankenfeuer und kostete etliche Leute. Am anderen Ufer angelangt, gönnte ich meiner völlig erschöpften Mannschaft eine kurze Rast, dann aber ging es in der befohlenen Richtung weiter. Außer meiner Person haben von meinem Bataillon nur zwei Offiziere und 76 Mann unverwundet das nördliche Ufer des Ramsfjord erreicht. Als unser zusammengeschmolzenes Häuflein in Piedstädt anlangte, um sich mit den Trümmern der Brigade zu vereinigen, fanden sich noch verschiedene Versprengte ein, so daß ich schließlich eine Stärke von 2 Offizieren und 152 Mann erreichte. Wir hatten einen Verlust von 10 Offizieren, 2 Ärzten und 518 Mann zu beklagen.

Ausnehmend herzlich wurde ich von Bonin und Blumenthal begrüßt. Sie hatten mich mit dem ganzen Bataillon schon für verloren angesehen, und daher war das Wiedersehen mit den Kameraden ein um so freudigeres.

Nach zwei Stunden der Rast trat das ganze Korps den Marsch nach Veile an. Auf Bonins besonderen Befehl mußte ich die Tete nehmen, wobei der General meinen Leuten zurief: ›Kinder, ihr habt die Scharte von Gudsoe heute prächtig ausgewetzt! Ihr sollt als mein bravstes Bataillon den Platz an der Spitze meiner Armee haben!‹

Vor den Toren von Veile ließ Bonin uns in Parade vorbeimarschieren, wobei meine drei übriggebliebenen Tambours, von denen nur einer über eine heile Trommel verfügte, allerdings nicht gerade[38] parademäßig aussahen. Doch ein Gleiches konnte man eigentlich von uns allen behaupten. Trotzdem durchzogen wir in bester Haltung die Stadt und schlugen dann in einer Waldlücke, an einem reizenden Talrande, unser Biwak auf.

Bald schien der Soldat am dampfenden Kochkessel alle Beschwerden des Tages vergessen zu haben, und mit stürmischem Jubelrufe wurde Vater Bonin von allen Seiten empfangen, als er durch das Lager ritt. –

Ein paar Tage darauf erhielt ich an Stelle meines zusammengeschmolzenen Bataillons das 1. Bataillon, das durch Rekruten vollständig gemacht worden war. Es wurde mir schwer, mich von den braven Leuten zu trennen, mit denen ich Seite an Seite im Kugelregen gestanden hatte. Auch die Majorsepauletten, die Bonin mir mit den Worten gab: ›Die haben Sie sich unbedingt auf dem Schlachtfelde verdient‹, konnten mir über die Trennung von dem mir so lieb gewordenen Bataillon nicht hinweghelfen.

Der Waffenstillstand erfolgte, und die Truppen wurden hinter die Eider zurückgezogen. –

Das Kriegsbild versank, und auf die ernsten Zeiten folgten Freudentage. Jubelnde Einmärsche begannen. Flensburg und Schleswig überboten sich in Ehrenbezeugungen. Lorbeerkränze, Ansprachen, Blumen und Gedichte wurden in Hülle und Fülle gespendet. Eine ganz besondere Freude erlebte ich noch bei einem dieser Einzüge. Aus dem Menschengewühl drängte sich plötzlich frisch und gesund mein kleiner Beust an mich heran. Unter Freudentränen küßte der brave Junge meinen braunen Sciold, den er seinen Lebensretter nannte, und erzählte mir, daß seine blecherne Feldflasche am Tage von Fredericia die Kraft der Kugel, die ihn getroffen, abgeschwächt hätte.

Die Mitglieder der Holsteinschen Regierung gaben meinem Offizierkorps ein glänzendes Fest in der Stampfmühle. Der Kriegsminister Johannsen ließ sich dabei in seiner Begeisterung so weit hinreißen, daß er mich in einem Toast nicht nur den ›Trommler von Kolding‹, sondern auch ›den unverzagten Leonidas von Fredericia‹ nannte.

Man mußte sich bemühen, bei diesen überschwenglichen Lobsprüchen ruhiges Blut zu behalten, und sich immer wieder daran erinnern, daß man nur Unvollständiges zuwege gebracht hatte, um durch solche Überschätzung der eigenen Leistungen nicht zu einem aufgeblasenen Narren zu werden.

Bis zum April 1850, wo meine Abberufung erfolgte, blieb ich nun in Rendsburg und beschäftigte mich während dieser Zeit eingehend mit der[39] Ausbildung meines Bataillons. Frau und Kind ließ ich nach Rendsburg kommen und lebte dort in behaglicher Häuslichkeit.

Als im April der Befehl zur Rückkehr nach Berlin eintraf, konnte ich ihn nur schweren Herzens entgegennehmen. Der Abschied von diesem meerumschlungenen Lande wurde mir nicht leicht. Der Gouverneur gab mir zu Ehren ein großes Diner, und die Leute meines Bataillons brachten mir einen Fackelzug. Sie entließen mich nicht eher aus ihrer Mitte, bis ich jedem einzelnen die Hand gedrückt hatte. Am Abend gab das Offizierkorps mir einen Ball, bei dem man mir einen Ehrenpokal überreichte, auf dem die Koldinger Szene mit einer Widmung eingraviert war.2

Bis 4 Uhr wurde ich festgehalten, dann brachte man mich nach der Eisenbahn, wo mein ganzes Bataillon mich erwartete und mir nicht endenwollende Abschiedsgrüße zurief, als ich abfuhr.

Und solchen Leuten sollte man nicht gut sein? Schleswig-Holstein hat durch diese Jahre mein Herz erobert, die braven Holsten aus dem meerumschlungenen Lande werden es auch dauernd behalten.«

1

Kommandierender General des I. bayrischen Armeekorps im Kriege 1870/71.

2

Der Pokal wird als teures Andenken in unserer Familie aufbewahrt, er steht in dem Hause meines Schwiegersohns, des Grafen Kirchbach, ebenso der zweite Pokal, den mein Vater am 23. April 1899 von dem Kombattantenverein der 18. Division von 1870/71 erhielt.

Quelle:
Liliencron, Adda Freifrau von: Krieg und Frieden. Erinnerungen aus dem Leben einer Offiziersfrau, Berlin 1912, S. 40.
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