VI. Das Kriegsjahr 1864.

[51] Auf die ersten strahlend frohen Wochen der Brautzeit folgte bald der Ernst des Lebens.

Meine Schwiegermutter hatte mir durch ihren Sohn an unserem Verlobungstage als ersten Gruß das herrliche Spittasche Gedicht geschickt über die Worte der Ruth: »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Gott sei mein Gott und dein Volk sei mein Volk.

Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben sein. Der Tod muß mich und dich scheiden.«

Wohl kannte ich das Wort und das Gedicht gut, aber, als wir es in der für uns so bedeutungsvollen Stunde unserer Verlobung lasen und[51] darüber sprachen, gewann es erst das volle Leben und wurde bei mir zum Gelübde. Sein Gott war mein Gott, sein Volk, das liebe Holstenvolk, sollte auch mein Volk werden. Nun, schon wenige Wochen darauf galt es durch die Tat zu beweisen, was ich versprochen hatte.

Über Schleswig-Holstein zogen sich die Kriegswolken zusammen. Sie seufzten dort unter dem Joche der Dänen. Mein Bräutigam schrieb mir: »Wenn ich die Zeitungen lese, dann fühle ich so recht, wie ich an meinem Vaterlande hänge. Der Gedanke, hier in Untätigkeit zu bleiben, wenn der Kampf in Schleswig-Holstein beginnt, ist mir unerträglich. Gott sei Dank, daß Du es mir nachempfinden kannst und mir den gräßlichen Zustand der Untätigkeit nicht wünschest, wenn jeder brave Sohn für sein Vaterland eintritt.«

Dunkler und drohender stand die Kriegswolke über dem Holstenlande, und nun trat auch meines Bräutigams entscheidende Frage an mich heran: »Begreifst du, wenn ich Schritte tun will, um zu einem der Regimenter zu kommen, die mobil gemacht und in die Herzogtümer geschickt werden sollen?«

Ob ich es begriff! Ich hätte ja kein Soldatenkind, kein deutsches Mädchen sein müssen! Was für meine Person auf dem Spiel stand, daran durfte ich jetzt nicht denken, durfte meinem Verlobten keine Fesseln anlegen. In Gottes Hand stellte ich mein Liebstes und wollte ihm nur helfen, soviel in meinen Kräften stand, zur Verwirklichung seines Wunsches, den ich tief mitempfinden konnte. Das ist das Natürlichste von der Welt, wenn man sich eins weiß mit dem anderen, daß man dann auch in dessen Wollen und Streben aufgeht.

Mein Vater, dem mein Bräutigam seinen brennenden Wunsch mitgeteilt hatte, antwortete ihm:


Kolberg, den 26. November 1863.


Mein lieber guter Sohn!


Dein Brief hat mich nicht überrascht, ich habe einen ähnlichen Entschluß von Dir erwartet, er ist ganz in meinem Sinn. Höre nun die Worte eines Mannes, der zwei Jahre lang für Dein schönes Vaterland gefochten hat, dessen Blut für dieselbe Sache geflossen ist, und der mit Passion wieder hinginge – übereile nichts. Hin willst Du, und hin sollst Du auch, aber warte noch! Die ersten, die einrücken sollen, sind Hannoveraner und Sachsen. Kommt es wirklich zum Zusammenstoß, so genügen die natürlich nicht, und die preußischen Reserven müssen vor – ehe die nicht da sind, dürfte wohl kein Schuß fallen, und zum ersten Kampf willst Du ja doch nur hin, und nicht zu einer Kordonaufstellung.[52]

Ich habe im Kriegsministerium den Wunsch und die Bitte ausgesprochen, mit meinem Regiment nach Holstein geschickt zu werden. Du siehst, daß die alte Passion in mir noch nicht erstorben ist. Mit meiner Tochter habe ich die ganze Angelegenheit besprochen, sie vertraut ihrem Gott und hält Dich nicht zurück. Gott schütze Dich, mein lieber Sohn.

Dein Dich aufrichtig liebender

v. Wrangel.


Im Dezember wurden die Dragoner von der polnischen Grenze abgerufen und nach Swinemünde geschickt. Mehrere unserer Kriegsschiffe lagen dort, auch die Nymphe. Jetzt war auch alles entschieden, der Krieg stand vor der Tür. Mein Vater hatte mit meinem Großonkel über den Wunsch meines Bräutigams gesprochen. Der alte Herr fand das sehr begreiflich und erklärte: »Ich werde ihn in meinem Stabe mitnehmen.«

Als er nun das Oberkommando über die mobil gemachten preußischen Regimenter erhielt und seinen Stab zusammensetzen sollte, verließ ihn aber das Gedächtnis. Ihm war der Name meines Bräutigams entfallen, und als er sich tags darauf daran erinnerte und nun den Freiherrn von Liliencron in seinem Stabe zu haben wünschte, hieß es, daß es zu spät sei, da die Zusammensetzung des Stabes beschlossen wäre.

Aus dem Briefe des Grafen Kalnein 1864: »Am 24. Januar fuhr der Feldmarschall, der zum Oberbefehlshaber der verbündeten Armee gegen Dänemark ernannt war, abends 11 Uhr nach Hamburg. In Ludwigslust begrüßte ihn der damals regierende Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin persönlich auf dem Bahnhof (etwa 2 Uhr nachts) und bat den Feldmarschall, sich während des Feldzuges seinem Stabe anschließen zu dürfen, bei dem er dann auch einige Tage darauf eintraf. Gegen Morgen trafen wir in Hamburg ein und fanden dort schon den ganzen Stab des Oberkommandos. Abends hatte der Feldmarschall alle Herren seines Stabes beurlaubt, damit sie sich amüsieren sollten. Ich war an dem Tage Adjutant du jour und blieb daher zu Hause. Die Stube des Feldmarschalls und die meinige waren durch ein saalartiges Zimmer getrennt, aus dem eine Glastür auf einen Balkon nach der Straße zu führte. Unsere Zimmer lagen im ersten Stock. In einem der unteren Räume war eine Wache von etwa 20 Mann untergebracht. Als ich etwa um 7 Uhr abends in meinem Zimmer saß und schrieb, hörte ich lautes Sprechen und Johlen auf der Straße vor unserem Hotel (de l'Europe). Ich sah eine große Menschenmasse und dazu eine entrollte schwarze Fahne, auf der deutlich mit roter Schrift[53] die Worte standen: ›Nieder mit dem Verräter Wrangel‹. Da der Lärm immer ärger wurde, ging ich zum Feldmarschall, meldete ihm, was ich beobachtet, und bat ihn um Erlaubnis, die Wache heraustreten zu lassen. ›Laß nur‹, sagte er, ›das mach' ich allein.‹ Er trat mit offenem Waffenrock, ohne Kopfbedeckung, auf den Balkon, beugte sich über dessen Brüstung und sagte: ›Guten Abend, Hamburger, dank' euch, daß ihr mir begrüßt habt. Wir sind ja noch alte Bekannte vom letzten Krieg. Aber nun geht man nach Hause, es ist schon spät, und Eure Frauen warten mit dem Abendbrot. Grüßt sie doch sehr von mir. Und nun gute Nacht. Dank' euch nochmal!‹ – Die schwarze Fahne war längst verschwunden, und der Menschenhaufen rief: ›Hurra, Vater Wrangel!‹, wurde lichter und verschwand im Dunkel der Straßen. – Es hätte dem alten Herrn aber ebensogut ein Stein an den Kopf fliegen können.« –

Für meinen Bräutigam vergingen die nächsten Wochen in Hoffen und Bangen, in Jubel und Enttäuschung. Bei unserem täglichen Briefwechsel durchlebte ich alles mit ihm. »Wenn nur mein Vaterland vom Dänenjoch befreit wird«, schrieb er mir, »das muß mir die Hauptsache sein, mein Ich ist dabei vollkommen Nebensache.«

In den ersten Tagen des Februar überschritten die Truppen die Eider. »Gehen Sie mit Gott drauf!« lautete damals der Befehl des alten Feldmarschalls. Die Dänen räumten nun Missunde und das Dannewerk, und man nahm an, daß sie hinter den Düppler Schanzen Posto fassen würden. Mein Bräutigam schrieb: »Die Österreicher und Preußen werden einen Wettlauf anstellen, um die Dänen nicht auf die Inseln entkommen zu lassen. – Vor Swinemünde griffen jetzt sechs dänische Schiffe mit 200 Kanonen unsere zwei Schiffe an, die nur 40 Kanonen hatten. Zweieinehalbe Stunde dauerte der Kampf, dann zogen sich unsere Schiffe zurück, die Nymphe hatte stark gelitten, aber nur wenig Tote und Verwundete waren zu beklagen.« Zur Untätigkeit verurteilt, hatte mein Bräutigam das Seegefecht miterlebt und dabei doppelt empfunden, wie schwer es ihm wurde, tatenlos danebenzustehen, wenn für sein geliebtes Vaterland gekämpft wurde.

Ende des Februarmonats bekam er acht Tage Urlaub, und nun konnten wir zum ersten Male seit unserer Verlobungszeit wieder zusammensein. Jetzt war es nicht nur das sonnige Glück, das diese Tage erfüllte wie bei dem ersten Beisammensein. Nun wurde es auch das Hoffen und Bangen, das Denken und Sorgen um das meerumschlungene Land, das wir miteinander teilten, und das uns, wenn möglich, noch enger verknüpfte. Nur wenige Tage, nachdem mein Bräutigam nach Swinemünde zurückgekehrt war, kam seine Versetzung zu den 3. GardeUlanen[54] nach Potsdam heraus. Zugleich mit seinem ersten Briefe von dort, der mir von der freundlichen Aufnahme erzählte, die ihm von den Offizieren des neuen Regiments zuteil geworden war, langte bei mir seine Depesche an: »Freue Dich mit mir, ich bin Ordonnanzoffizier beim Großonkel geworden.«

Dem alten Herrn war es schmerzlich gewesen, daß er sein Versprechen, meinen Bräutigam betreffend, nicht hatte einhalten können. »Ein Wrangel bricht nicht sein Wort«, habe ich ihn so manchesmal sagen hören, und nun hatte er darauf gesonnen, wie er es doch noch einlösen könnte. Er wußte, daß mein Bräutigam als Schleswig-Holsteiner auch der dänischen Sprache mächtig war, und als er nun über die jütische Grenze kam, erbat er sich einen Dolmetscher und als solchen den Freiherrn von Liliencron, der als Ordonnanzoffizier in seinen Stab eingereiht werden sollte.

Kurze Notizen aus einzelnen Feldpostbriefen meines Bräutigams will ich folgen lassen, die entweder von den Begebenheiten auf dem Kriegsschauplatz oder von dem Großonkel handeln.

Nach Flensburg, wo das Hauptquartier Ende März war, ging nun der glückliche, neuernannte Ordonnanzoffizier. »Der alte Herr empfing mich gleich bei meiner Ankunft sehr liebevoll«, schrieb er mir, »und gestern, bevor ich mich bei ihm als du jour gemeldet hatte, kam er zu mir ins Vorzimmer, gab mir die Hand und fragte: ›Hast du gute Nachrichten, wie geht's meiner Adda?‹ Ich sagte, ich hätte auch Grüße für ihn von Dir, hätte sie aber nicht bestellen können, wenn er mich nicht anredete.

Damit aber war der Großonkel nicht einverstanden und meinte, es täte ihm doch sehr leid, daß ich ihm die Grüße nicht übermittelt hätte.

Augenblicklich ist der alte Herr mit Stiehle und dem österreichischen Generalstabsoffizier nach Översee gefahren und will sich das Schlachtfeld ansehen. Von der Tapferkeit des Leibregiments kann man nicht Rühmens genug machen. Es soll sich heldenmütig geschlagen haben, ungeachtet der fürchterlichen Verluste, die es erlitten hat. Der alte Herr hat sich neulich wieder so recht als der edle, wohlwollende Mann gezeigt, wie er es durch und durch ist, indem er dem jetzt ausgelösten Leutnant H., den die Dänen gefangen genommen hatten, einen so freundlichen Empfang angedeihen ließ.«

»29. März. Wir leben hier noch absolut friedlich in Flensburg. Wunderbar kontrastieren dabei die Nachrichten vom Kriegsschauplatz. Gestern war wieder ein größeres Gefecht bei Düppel, eine Rekognoszierung mit gleichzeitigem Vorschieben unserer Vorposten. Wir haben 200 Tote und Verwundete, darunter Offiziere, von denen 2 tot und[55] mehrere schwer verwundet sind. Einen empfindlichen Verlust haben auch die Garde-Husaren erlitten durch die Dänen, die plötzlich in der Nacht auf Jütland landeten. Wir sind den Danskes gegenüber jetzt in einer schlechten Lage, da sie über alles, was wir tun, durch ausgezeichnete Spione unterrichtet werden. Wann der Sturm auf Düppel losgeht, kann kein Mensch sagen. Der Großonkel soll im stillen die Hoffnung haben, daß er am 13. April ausgeführt wird. Du weißt, da ist sein 80. Geburtstag, und er hat ausgesprochen, daß er seinen Gott darum bäte, es möge ihm vergönnt sein, an dem Tage an der Spitze einer siegreichen Armee einen ehrenvollen Tod für König und Vaterland zu finden.«

»12. April. Zum morgenden Geburtstag des Onkels war manches geplant, unter anderm hatte der Kronprinz uns alle zur Tafel eingeladen. Der alte Herr hat aber alles ausgeschlagen, er sagt, dazu hätte er keine Kräfte mehr übrig, das griffe ihn zu sehr an. Was der Onkel aber alles leistet, ist wirklich unglaublich. Gestern war er in den Parallelen. Er stützte sich leicht auf seinen Begleiter und ging etwas ermüdet an den Trancheen entlang. Oberstleutnant Stiehle suchte einen Übergang, doch der alte Herr wartete das gar nicht ab, sondern sprang über den recht breiten Graben wie ein Hirsch. Früh sechs Uhr steht er immer auf, morgen will er schon um 6 Uhr nach Eckensund fahren mit Oberstleutnant Stiehle und seinen Adjutanten. Von da aus soll es zu Pferde nach Düppel gehen.«

»14. April. Gestern war der Geburtstag des Onkels. Er war richtig bei Tagesanbruch vom Hauptquartier weggefahren, hatte mit den beiden ihn begleitenden Herren in Eckensund sich zu Pferde gesetzt und war nach der Gammelmarkbatterie geritten, die die feindliche Schanze Nr. I mit ihrem Feuer bewarf. Der alte Herr empfing hier die Nachricht, daß der Sturm um einige Tage verschoben sei. Der vorderste Laufgraben ist nämlich zu einem auszuführenden Sturmangriff von den Schanzen zu weit entfernt, und es fehlt auch, zu einem sicheren Gelingen des Angriffs, noch an genügender Belagerungsartillerie. Darum muß, um diese herbeizuschaffen, erst eine neue, nähere Parallele eröffnet werden.

Der Onkel ritt von da durch Broaker nach den Trancheen von Düppel. Östlich der Spitzberge angekommen, ließen die Herren die Pferde stehen und gingen zu den Demontier- und Mörserbatterien, die in voller Feuerarbeit begriffen waren. Längere Zeit hielten sie sich in den Laufgräben auf. Der Onkel wollte weiter vordringen in die vorwärts gelegenen Parallelen, aber der dort anwesende General von Colombier hielt ihn davon zurück, weil die Dänen, durch die eifrigen Erdarbeiten aufmerksam gemacht, gerade heute ihr Gewehrfeuer auf jeden einzelnen Kopf, der sich[56] zeigte, richteten. Oberstleutnant Stiehle war besorgt um den Onkel und tauschte die Mützen, seine war dunkel und daher weniger auffallend als die des Feldmarschalls. Die Herren sollen sich lange da verweilt haben, dann ritten sie nach Kirchdüppel zu den Batterien des linken Flügels, die am Alsensund in Tätigkeit sind. Der Onkel befahl einige Zielobjekte, die auch entschieden getroffen wurden, denn aus den bezeichneten Gehöften stieg Rauch auf. Als der alte Herr dem guten Zieler aber einen Dukaten geben wollte, bat Hauptmann von Rüstow, das nicht zu tun, sondern ihm zu erlauben, dem betreffenden Mann das Goldstück erst später einzuhändigen. Es waren nämlich zwei früher so belohnte Artilleristen gleich darauf von den feindlichen Geschossen getroffen worden, und die Kanoniere sollten deshalb abergläubisch sein. Als der Onkel die Batterie verließ, mußte er über einen freien Platz etwa hundert Schritt gehen. Da wurden mehrere wohlgezielte Granaten nach ihm gesandt, die Geschosse schlugen jedoch etwa aus zwanzig Schritt seitwärts ein.

Leider habe ich ja diesen Ritt nicht mitgemacht, die Herren, die den Onkel begleitet, haben es mir heute erzählt. Ich war mit Deinem Vetter Wrangel, der während der Nacht den Dienst vor den Schanzen hatte, herausgeritten, um mit ihm bis zum Morgen dort zu bleiben. Mir wurde da ein Brief übergeben, den ich dem alten Herrn zustellen sollte. Ich suchte ihn draußen lange vergebens, endlich fand ich ihn und konnte ihm das Schreiben einhändigen. Er war ungemein freundlich und sagte mir, es wäre ihm so besonders lieb, daß wir uns an dem heutigen Tage noch sähen. Ich mußte ihn vom Pferde aus küssen und dann erhielt ich meinen Auftrag: ›Mein Sohn, reite nach Flensburg und bestelle, General Falkenstein soll des Königs Gesundheit ausbringen, und der Jüngste an der Tafel die meinige.‹«

Graf Kalnein schreibt über diesen Geburtstag: »Seinen 80. Geburtstag verlebte der Feldmarschall in Eckensund und quartierte sich dort bei einer alten Dame ein, bei der er schon im Jahre 1848 im Quartier gelegen hatte. Er nahm nur mich mit. Niemand sollte wissen, wo er an diesem Tage wäre. Ich mußte ganz im geheimen dort alles zu seinem Aufenthalt vorbereiten, und am Abend des 12. April begaben wir uns nach Eckensund. Wir nahmen des Feldmarschalls Jäger und meinen Burschen mit; ich hatte noch einen Koch, deren wir zwei beim Oberkommando hatten, nach Eckensund befördert. Wenn der Feldmarschall auch glaubte, daß niemand es wisse, wo er den 13. April zubrächte, so hatte ich dennoch, weil ich es für notwendig hielt, dem Chef des Stabes und Generalleutnant Vogel von Falkenstein des Feldmarschalls Absicht verraten, denn er vor allen Dingen mußte doch wissen, wo der Oberbefehlshaber sich[57] aufhielt. – Zum Mittagessen hatte ich durch den Koch, dessen Anwesenheit mein alter Herr nie erfahren, eine Torte backen lassen, um die rund herum ich eine dicke Schicht Sand, vom Kuchen durch Papier getrennt, legen ließ. In diese Schicht steckte ich 80 Lichter, die anzuzünden keine kleine Arbeit war. Wein hatte ich natürlich auch mitgenommen. Um den Teller des Feldmarschalls hatte die Wirtin einen Lorbeerkranz gelegt. Diese geringen Aufmerksamkeiten erfreuten den alten Herrn sehr und hoben wieder etwas seine Stimmung, die an diesem Tage eine recht wehmütige war. Er ging den ganzen Tag gar nicht aus, und auch ich durfte immer nur kurze Zeit bei ihm sein. – Am 14. ganz früh brachen wir nach Düppel auf, wohin er sich seinen Stab bestellt hatte. Dort ritt er die ganze Stellung der Belagerungstruppen ab.

An diesem Tage, dem 14., meldete sich beim Feldmarschall der bayerische General von der Tann, der in Berlin die Thronbesteigung des später so traurig geendeten Königs Ludwig II. gemeldet, und den unser König, um ihn ganz besonders zu ehren, auf den Kriegsschauplatz geschickt hatte, auf dem der General im Jahre 1848 als Kommandeur der Freischärler schon Lorbeeren geerntet hatte. Der Feldmarschall kommandierte mich als Ehrendienst zum General, und ich verlebte mit ihm und seinem Adjutanten, Rittmeister von Kiliani, mehrere sehr interessante Tage, sowie auch den 18. April, an dem wir beim Düppeler Sturm uns der Kolonne V anschlossen und mit ihr in die Schanze V drangen, natürlich zu Fuß, da man sich im Bereich der Schanze zu Pferde nicht zeigen durfte.«

Aus den Briefen meines Bräutigams: »17. April. Endlich komme ich dazu, etwas ausführlicher zu schreiben, lange Zeit habe ich nicht dazu, aber ich will sie nützen. Vorgestern war ich, wie Du weißt, nach Düppel gefahren, wo ich den Nachtdienst hatte. Wir waren mit Essen, Trinken, Decken, Mänteln usw. gut versehen, ließen alles im Wagen, der am Spitzberg auf uns warten sollte, und begaben uns in die Parallelen. Als wir gegen 8 Uhr zurückkamen und in unsern Wagen steigen wollten, war dieser fort. Da war nun nichts mehr zu machen, wir kauften Brot und ›Sanda Julia‹, wie sie es nannte, von einer Marketenderin, stärkten uns daran und fuhren dann mit einem requirierten Wagen wieder zum Spitzberg. Dorthin kam Prinz Friedrich Karl und sprach einige freundliche Worte mit uns. Nun galt es, sich zur Nacht einzurichten. Wir ließen uns etwas mit Stroh zuschütten und versuchten zu schlafen. Hier konnten wir doch gleich bei der Hand sein, wenn sich ein Gefecht entspann. Es kam aber nicht dazu. Unsere dritte Parallele wurde, ohne daß wir vom Feinde das geringste zu leiden gehabt[58] hätten, ausgehoben. Das Terrain zwischen der 2. Parallele und der Büffelkoppel bedachten die Dänen mit allen möglichen Geschossen, ohne einen Mann zu verwunden. Die Kugeln sausten und zischten ihre Kriegsmelodien, hinderten mich aber nicht, bis halb vier Uhr ruhig zu schlafen. Als ich erwachte, wurden die andern auch munter, und wir machten uns auf den Weg nach der 3. Parallele, die war derartig aufgeweicht, daß man sicher stecken geblieben wäre ohne hohe Stiefel. Die dänischen Geschütze schwiegen, dagegen begrüßten uns einige Schüsse aus Gewehren und Wallbüchsen.

Gegen 10 Uhr kamen wir wieder in Flensburg an, wo ich dem Feldmarschall sowie dem Kronprinzen persönliche Meldung bringen sollte. Dann wollte ich essen, schlafen, schreiben – aber es kam anders! Ich mußte noch nach dem Observatorium und kam erst um 1 Uhr heim.

Heute hielt der Feldmarschall eine herrliche Ansprache an uns, die aber Dienstgeheimnis ist, darum kein Wort darüber ....«

Am Tage darauf, am 18., die Depesche: »Gegen 3000 dänische Gefangene, an 30 Offiziere. Unser Verlust 5–600 Mann, viele Offiziere. Ich wohl und gesund. Der Angriff brillant, in einer Stunde bis zum Brückenkopf. Liliencron.«

Der Brief vom 18., der die Depesche ergänzte, lautete: »18. April. Wenn Du gleich schon durch mein Telegramm weißt, daß Gott mich gnädig behütet hat, mein geliebtes Mädel, so muß ich Dir doch noch Genaueres über den Tag schreiben. Wir Adjutanten und Ordonnanzoffiziere vom Stabe des Onkels hatten den Auftrag, uns nach vorn zu begeben, unter keinen Umständen mit zu stürmen, und dem Feldmarschall möglichst schnell Meldung zu bringen, wenn eine Schanze genommen wäre.

Ich stand in der 3. Parallele. Du kannst Dir denken, wie uns da Geschütz- und Gewehrfeuer um die Ohren flog! Nachdem Schanze V, für die ich besonders geschickt war, genommen wurde, konnte ich als Erster dem Feldmarschall die Meldung bringen, daß Schanze VI, V, II in unserer Hand wäre. Der alte Herr war glückselig, der Kronprinz und Prinz Karl auch, und sehr freundlich.

Ich war beim Hinjagen, um die Meldung zu bringen, in einem Hohlwege scharf gegen einen Prellstein geritten und hatte mir das Schienbein verletzt. Schlimm ist es nicht, Du brauchst nicht bange zu sein. Sie mußten mir nur von meinem Fuchs herunterhelfen, und dann hat – denke Dir, wie leutselig – Prinz Karl mir eigenhändig das Bein verbunden. Er meinte frohgelaunt, das sei nun sein erster persönlicher Johanniterdienst.

Nach kurzer Ruhe konnte ich mich wieder zu Pferde setzen, besuchte mehrere Schanzen und stärkte die Verwundeten mit Wein. Das war[59] eine wunderschöne Freude zu sehen, wie dankbar die Leute waren, zumal die Dänen, mit denen ich mich radebrechend unterhalten konnte. Habe gewiß an 75 Mann erquicken können. Bin sehr glücklich, daß unser Heer sich über die kühnsten Erwartungen herrlich benommen hat. Genaues weiß ich noch nicht über die Verluste und Gefangenen. Doch für heute Gott befohlen, mein geliebtes Mädel, Gott sei innig Dank, der uns so gnädig geholfen hat. Tausend Grüße von

Deinem frohen . . .«


»22. April .... Mittwoch gegen 3 Uhr ritten wir – der Feldmarschall, sein Adjutant, Graf Kalnein, Oberstleutnant Stiehle und ich, fort, nachdem der Onkel mir noch vorher eine Karte von Holstein geschenkt, was er in sehr feierlicher Weise getan hatte. Auf der Reise war der alte Herr die Liebenswürdigkeit selbst, in Kiel sollte ich entlassen werden, um nach Preetz zu fahren und dort ein paar Stunden bei meinen Eltern zu sein. In Rendsburg wurden wir – ja, Mädel, merke Dir's – wir von den militärischen Spitzen empfangen und wollten gerade fortfahren, als die telegraphische Nachricht kam, daß der König am anderen Morgen um 11 Uhr kommen würde. Da mußten wir heim, hatten aber bis 8 Uhr Zeit, die wir zum Besuchen der Lazarette und zum Besehen der erbeuteten Geschütze verwandten. Dann gingen wir auf den Bahnhof und stärkten uns. Das war auch von größter Wichtigkeit, um die nun kommenden Überraschungen glücklich zu überstehen. Die Türen öffneten sich und weißgekleidete Jungfrauen erschienen, die dem Feldmarschall einen Lorbeerkranz und uns drei anderen Blumensträuße überreichten. Unter dem Hurra der Damen fuhren wir um 8 Uhr zurück nach Flensburg.

Am anderen Morgen vor 11 Uhr versammelten sich die Prinzen und Stäbe am Bahnhof auf dem Perron. In einem Zimmer warteten die weißgekleideten Jungfrauen, in dem anderen die Bürgerdeputation. Vom Bahnhof bis zum Palais des Kronprinzen standen Posten von den 11. Ulanen und das Leibregiment.

Als der Zug kam, donnerten endlose Hoch- und Hurrarufe. Sobald der König ausgestiegen war, beugte der Kronprinz ein Knie vor ihm und küßte dem Hohen Vater die Hand. Majestät umarmte zu wiederholten Malen den Kronprinzen, der, noch einmal das Knie beugend, wieder die väterliche Hand küßte. Dann umarmte der König den Feldmarschall und die Prinzen. Majestät war so bewegt, daß dem Hohen Herrn die Stimme versagte. Es war ein so feierlicher Augenblick, wie Du es Dir kaum denken kannst.[60]

Nachdem Majestät dann die Truppen besichtigt und mit allen Dekorierten einzeln gesprochen hatte, fuhr der Hohe Herr zum Kronprinzen, wo er das Frühstück einnahm.

Gegen 1 Uhr erschien der König wieder, und nun begaben wir uns auf das Feld, auf dem die Truppen aufgestellt waren. Die tapferen Düppelstürmer ließen jubelnd ihren König leben, der bewegt und unendlich glücklich aussah. Es war ein erhebendes Gefühl, solche unvergeßlichen Augenblicke miterleben zu dürfen. Nach dem Vorbeimarsch ließ der König wieder alle Dekorierten vortreten und hielt ihnen eine längere Ansprache, dann ging es nach den Schanzen. Heute ist Majestät in Apenrade zur Besichtigung der Sturmkolonnen, es ist noch unbekannt, wann der Hohe Herr zurückkommt.

Über die Auszeichnung des Feldmarschalls, der den Mariatheresienorden erhalten hat und das Regiment, das der hochselige König von Bayern hatte, haben wir alle uns unendlich gefreut. Muß Dir noch sagen, daß Dein Vetter Wrangel, während ich mit dem Auftrag zu Falkenstein geschickt war, sich unterdessen bei einem stattgefundenen Infanteriegefecht ausgezeichnet tapfer und unerschrocken benommen hat, das wird Dich freuen. Am 18. war er der Zweite, der die Nachricht von der Einnahme der Schanzen brachte. Daß ich der Erste war, verdanke ich hauptsächlich dem Glück, daß ich einen Herrn traf, der mir sein Pferd lieh, um darauf nach dem Spitzberg zu reiten, wo mein Fuchs mich erwartete.« –

Um uns ein Wiedersehen auch in der Kriegszeit zu ermöglichen, sandte der Großonkel seinen Ordonnanzoffizier »Lilienstrempel«, wie er ihn meist nannte, weil er den ihm noch neuen Namen nicht recht behalten konnte, mit einem besonderen Auftrag nach Berlin, wo er sich bei Ihrer Majestät der Königin zu melden hatte. War das eine Freude! Wenn mein Bräutigam in den zwei Tagen auch dienstlich sehr in Anspruch genommen wurde, so war es doch ein glückseliges Wiedersehen, und das dankten wir dem geliebten Großonkel.

In aller Kürze will ich noch ein Wort über die Einnahme von Fridericia sagen. Graf Kalnein schreibt darüber: »Die Festung Fridericia wurde einen vollen Tag beschossen und unser Artilleriefeuer auch von dort erwidert. Der Feldmarschall war mit seinem Stabe zugegen, und zwar hielten wir uns in einem kleinen Gehöft auf. Der Feldmarschall stieg vom Pferde, ließ sich einen Stuhl bringen und beobachtete die Beschießung der Festung. Zur Nacht bezogen wir Quartier in einem Dorf weiter zurück. Tags darauf, als das Artilleriefeuer von Fridericia einige Zeit geschwiegen hatte, befahl mir der Feldmarschall, mit einem Offizier[61] unserer Artillerie und einigen Kürassieren von unserer Stabsschwadron einen Rekognoszierungsritt gegen, eventuell auch nach Fridericia hinein zu machen. Wir kamen unbehindert bis an das Tor, öffneten dasselbe mit Gewalt und ritten in die vom Feinde und auch von den meisten Einwohnern verlassene Stadt. – Ich ritt nun eiligst zurück und meldete dem Feldmarschall, was ich gefunden. Wir zogen dann mit großem Jubel in die Stadt ein und stiegen in der leeren Kommandantur ab. Es wurde dort in aller Eile ein Mittag hergerichtet, so gut es ging. Die Tür zum nächsten Zimmer stand offen, und man sah zweifellos in das unlängst von den Insassen verlassene Kinderzimmer. Denn es standen und lagen noch Spielsachen umher, die wohl vor kurzem noch von den Kindern des Kommandanten benutzt waren. – Ein wehmütiger Anblick! Die Truppen besetzten die Festung, das Oberkommando rückte gegen Abend ab.« –

Meines Bräutigams Brief aus Veile bringt noch etwas Weiteres über Fredericia, er erzählt: »Um 12 Uhr setzte sich das Oberkommando etwa eine drittel Meile vor Fredericia zu Pferde. Dicht vor der Stadt kam uns der Feldmarschall Leutnant von Gablenz mit dem größten Teil der höheren Offiziere und seinem Stabe entgegen. Bis 2 Uhr besahen wir die Werke. Die Dänen müssen riesig gearbeitet haben, alles war in bestem Zustande, einige Arbeiten freilich nicht ganz beendigt. Es hätte gewiß mehrere Wochen gedauert, ehe wir zum Sturm vorgehen konnten, der sicherlich unendlich viele Opfer gekostet hätte, deshalb können wir mit der Räumung sehr zufrieden sein. Den Grund, warum die Dänen Fredericia verlassen haben, kann man bis jetzt nicht finden. Es ist geschehen auf einen Befehl von Kopenhagen her, der in der Nacht vom Montag zum Dienstag anlangte, und denselben Tag haben die Dänen schon die Geschütze eingeschifft. Unbegreiflich bleibt es, warum sie sich nicht die Zeit nahmen, sämtliche Geschütze mitzunehmen, und 228 zurückließen. Um 3 Uhr war große Tafel beim Onkel, an der der Kronprinz mit seinem Gefolge, alle österreichischen Generale und viele andere Offiziere teilnahmen. Es war ein interessanter Tag.

Gestern soll übrigens in Fredericia großer Tumult gewesen sein, da die Stadt sich weigerte, die Kontribution von 50000 Talern zusammenzubringen. Welche Maßregeln jetzt angewandt werden, um die Summe zu erhalten, weiß ich nicht. Leider ist diese Kontribution notwendig, um uns für die gekaperten Schiffe schadlos zu halten, was auf keine andere Weise geschehen kann.

Beim Einzug in Fredericia war ein gewisses Gedränge in der Suite des Feldmarschalls nicht zu vermeiden, und dabei bekam mein Bein, das[62] seit Düppel noch nicht ganz taktfest ist, wieder einen kräftigen Stoß durch ein Zusammenreiten. Der Arzt besteht auf Schonung und Kühlen. Es hat aber nicht das geringste auf sich, ich habe ja nur Order von Dir, alles zu berichten.

Graf Kalnein hat mich oft besucht, er gefällt mir sehr, je mehr ich ihn kennen lerne. Er ist ein aufgeweckter Kopf, der viel gelernt und viel Interessen hat. Höchst amüsant kann er sein.

Ganz rührend gut ist der Onkel. Er wollte eben selbst nach mir sehen kommen, wie der Adjutant do jour mir sagte, aber ich meldete mich bei ihm als dienstfähig, nur noch nicht reitfähig. Es freute den alten Herrn, daß ich wieder auf den Beinen war. Ich mußte viel von meinem Aufenthalt in Berlin erzählen, von Dir und der lieben Mama. Er sagte: ›Sie hat mir auch geschrieben, die trautste Marjell, deine Adda, schreibt nur von dir, muß dir sehr lieb haben, mein Sohn, küsse mich.‹ Dann zeigte er mir das von Dir gearbeitete Tuch, das er täglich trägt, und läßt Dir sagen, zu Weihnachten möchtest Du ihm wieder etwas Hübsches arbeiten.

Du glaubst nicht, wie interessant der alte Herr heute bei Tisch erzählte. Er sprach so viel und so lebendig von früheren Zeiten, daß man es ordentlich mitzuerleben meinte. Es ist doch prächtig und bewundernswert, was der Feldmarschall für ein gutes Gedächtnis hat, nur neue Namen werden ihm schwer zu behalten. Auf diese Weise bin auch ich im Stabe zu dem Namen ›Lilienstrempel‹ gekommen, und noch einen zweiten herrlichen führe ich jetzt: ›Hatdusmerter‹. Das ist lustig, nicht wahr? Und weißt Du, wie ich dazu gekommen bin? Wenn der Großonkel die Lazarette besuchte, trat er auch immer an das Bett der verwundeten Dänen, nickte ihnen freundlich zu und wollte wissen, ob sie Schmerzen hätten. Das sollte ich fragen, und wenn ich mit meinem ›Hat du Smerter?‹ dann herausrückte, neckten mich die andern gewaltig und nannten es eine Phantasiesprache, vom Plattdeutschen hergeleitet. Du siehst, wie man zu Namen kommen kann, siehst aber auch, daß wir guter Dinge sind ....«

Über ein paar heitere kleine Erlebnisse berichtet Graf Kalnein noch aus jener Zeit. In seinem Briefe heißt es: »Eines Tages meldete sich bei mir, als das Oberkommando in Apenrade lag, ein englischer Zeitungskorrespondent, der vom Prinzen Friedrich Karl, weil er von dort aus recht wenig wohlwollende Artikel in seine englische Zeitung geschickt hatte, ausgewiesen war, der aber trotzdem von unserm Kriegsminister eine Empfehlung an den Feldmarschall erhalten hatte. Er bat mich, seine Aufnahme in unser Oberkommando beim Feldmarschall zu erwirken. Obgleich mir der Unfug, den er beim Prinzen Friedrich Karl getrieben, bekannt war, konnte ich doch die warme Empfehlung des Kriegsministers[63] nicht ignorieren. Ich begab mich zum Feldmarschall und meldete ihm den ganzen Sachverhalt. ›Sag' ihm, er soll heute bei uns essen.‹ Das war die ganze Antwort, die mich doch stark verwunderte. Als sich nun der Stab im Eßzimmer versammelt hatte und der Korrespondent auch erschienen, ging ich zum Feldmarschall, davon Meldung zu machen. Er trat in den Saal, winkte sich den Korrespondenten heran und sagte, auf ihn weisend, zu den anwesenden Herren: ›Das ist der Mann, der die niederträchtigen Artikel über unsere Armee nach England geschrieben hat. Jetzt werden wir ihn füttern, schreibt er wieder so niederträchtig, dann kriegt er nichts. Bitte, setzen Sie sich, meine Herren.‹ – Die Zeitung schlug fortan einen sehr freundlichen Ton an.

In einem Vortrag wurde dem Feldmarschall gemeldet, daß der in Rendsburg stehende Befehlshaber der sächsischen Regimenter, die damals, sowie auch hannöversche Truppen, in die Herzogtümer einmarschiert waren, aber nicht am Kampf teilnehmen sollten, von einem dort befindlichen Pulverturm, den wir notwendig haben mußten, Besitz ergriffen hätte und den dazu gehörigen Schlüssel nicht herausgeben wolle. Diese Frage war nun sehr schwer zu lösen, ohne die deutsche Waffenbrüderschaft zu verletzen. Nachdem nun der Feldmarschall die Offiziere seines Stabes, wie es seine Gewohnheit war, um ihre Meinung gefragt und niemand so recht ein und aus gewußt hatte, sagte er: ›Laßt ihm, er hat recht. Er behält den Schlüssel, ich mach' ein anderes Schloß.‹ – Damit war der gordische Knoten durchhauen.«

Als der Großonkel im Mai während des vierwöchigen Waffenstillstandes nach Berlin zurückkehrte und Prinz Friedrich Karl das Oberkommando übernahm, wurde mein Bräutigam für kurze Zeit noch zum Stabe des Prinzen Friedrich Karl geschickt. Doch Ende Juni kehrte er und die anderen Offiziere, die mit ihm vom Stabe des Feldmarschalls zum Prinzen kommandiert waren, zu seinem Regiment zurück. Meine Mutter und ich hatten in diesem vergangenen Jahre eine Art Zigeunerleben führen müssen. Das Regiment war von der polnischen Grenze nach Stettin, von da nach Kolberg und dann auf ein paar Wochen nach Stolp gekommen. Gleich darauf aber nach Spandau. Wir hatten meinen Vater immer begleitet, und nun auch in Spandau in ein paar Stuben Unterkommen gefunden. Dahin kam nun mein Bräutigam täglich nach dem Dienst herübergeritten, und abends begleiteten mein Vater und ich ihn zu Pferde noch eine Strecke auf dem Heimwege.

Im Gasthause hatte ich mich verlobt, im Gasthause in Berlin war Ende Juli meine Hochzeit, noch einmal als Regimentstochter im Kreise des Offizierkorps.[64]

Aus dem folgenden Jahre lasse ich noch einen Auszug aus dem Briefe des Grafen Kalnein folgen, der von dem Zusammentreffen des Großonkels mit der Kaiserin Eugenie handelt. Graf Kalnein schreibt:

»Im Sommer 1865 war ich mit dem Feldmarschall in Wiesbaden. In dem nahen Schwalbach hielt sich damals die Kaiserin Eugenie von Frankreich auf. Das hatte der Feldmarschall erfahren und erteilte mir den Auftrag, zu erfragen, ob er der Kaiserin seine Aufwartung machen könne. Ich fuhr daher nach Schwalbach und erkundigte mich bei dem dortigen Badekommissar, ob und wie dieser Besuch des Feldmarschalls zu ermöglichen wäre. Ich erhielt, wie es vorauszusehen war, den Bescheid, daß die Kaiserin ausnahmslos niemand empfinge. Sollte es aber dem Feldmarschall gelegen sein, die Kaiserin überhaupt nur zu sehen, so möge er sich um 12 Uhr mittags auf dem Wege von der Villa der Kaiserin zum Kurhaus aufhalten. Täglich um 12 Uhr ginge sie diesen Weg, um im Kurhaus zu baden. Sie wäre daran gewöhnt, daß sich dann auf diesem Wege sehr viel Publikum aufhalte, um sie zu sehen. Dies meldete ich dem alten Herrn, und schon tags darauf begaben wir uns nach Schwalbach und gingen von 3/4 12 Uhr auf dem bezeichneten Weg auf und ab. – Sehr pünktlich um 12 Uhr erschien dann auch die Kaiserin, begleitet vom damals regierenden Herzog von Nassau, einer Hofdame und einem Kammerherrn. Als die Kaiserin sich uns näherte, hob der Feldmarschall seinen Hut und grüßte: ›Bonjour, Majesté.‹ Die Kaiserin, die sich begreiflicherweise über diesen unvermuteten und ungewöhnlich lauten Gruß erschreckte, machte einen großen Bogen um den Feldmarschall herum und setzte ihren Weg fort. Nach kurzer Zeit aber sah sie sich nach uns um, fragte augenscheinlich den Herzog, wer der merkwürdige alte Mann sei, und schickte dann einen Kammerherrn, der dem Feldmarschall sagte, die Kaiserin würde sich sehr freuen, ihn um 1 Uhr, wenn sie das Kurhaus verließe, an dessen Eingang zu sehen. – Auf das pünktlichste fanden wir uns an dem bezeichneten Platz ein, und schon nach wenigen Minuten kam die Kaiserin mit ihrem Gefolge. Der Feldmarschall trat sofort auf sie zu und begrüßte sie mit hochgehobenem Hut und dem Ausruf: ›Majesté, vous avez commandé‹ und gleich darauf, auf mich deutend: ›C'est mon aide de camp, comte Kalnein.‹ Die Kaiserin, die damals noch eine jüngere Frau und sehr schön war, begrüßte uns mit der größten, huldvollsten Liebenswürdigkeit und forderte uns auf, sie auf ihrem Spaziergang zu begleiten. Dieser Spaziergang, den wir nur innerhalb der Kuranlagen machten, schien gar kein Ende nehmen zu wollen, und die Kaiserin empfand augenscheinlich das größte Vergnügen an der Unterhaltung mit dem Feldmarschall. Selbstverständlich[65] umgab und begleitete uns ein Schwarm Neugieriger, denn es war doch zu interessant, die Kaiserin von Frankreich in heiterer Unterhaltung mit dem alten Wrangel zu sehen. Endlich befanden wir uns an der Treppe der kaiserlichen Villa, und ich hoffte, diese immerhin ungewöhnliche Situation hätte jetzt ihr Ende erreicht. Aber nein, die Kaiserin forderte uns auf, sie in ihre Wohnung zu begleiten. Hier wurde in einem sehr einfach ausgestatteten Salon Platz genommen, und die Unterhaltung nahm ihren heiteren und gemütlichen Fortgang. Die Kaiserin erkundigte sich heimlich bei mir nach des Feldmarschalls Familien- und sonstigen Privatverhältnissen und fragte ihn dann nach seiner Frau, seinem Sohn, Enkel usw., worauf der alte Herr ganz überrascht ausrief: ›Sie weiß alles!‹ – Es kam auch zum Austausch von Photographien, wobei der Feldmarschall der Kaiserin zum Dank für ihr Bild sehr lange die Hand küßte und dabei immer ausrief: ›Mein Liebchen‹, was gar nichts schadete, da weder die Kaiserin noch jemand von ihrer Begleitung ein Wort Deutsch verstand. Freilich sah der Kammerherr etwas schokiert auf diese Szene. Nach einiger Zeit winkte die Kaiserin den Kammerherrn heran, flüsterte ihm etwas zu und dann kam letzterer zu mir und sagte, die Kaiserin wünsche, daß wir zur Tafel blieben, es würde gleich gegessen. Wegen der Toilette sollten wir uns keine Sorge machen, man speise hier stets im Promenadenanzug. Der Feldmarschall, der unsere geflüsterte längere Unterhaltung sah, rief: ›Was will er?‹ Ich erklärte ihm nun, um was es sich handle. Dann rief wieder die Kaiserin: ›Que veut-il donc?‹ Da mußte ich nun alles der Kaiserin erklären und schließlich allgemeines Amüsement und schallendes Gelächter. Darauf öffnete sich die Tür zum Nebenzimmer und wir schritten zur Tafel. Sehr einfach, wie im einfachsten Privathaus, Suppe, zwei Gänge, weißer Wein und sehr angeregte, heitere Unterhaltung. Bald nach Tisch zog sich die Kaiserin zurück, und wir bestiegen unseren Wagen und fuhren sehr befriedigt und beglückt nach Wiesbaden. – Der Feldmarschall hat noch mehrere Jahre mit der Kaiserin korrespondiert und ihr auch ab und zu sinnige Geschenke geschickt.«

Quelle:
Liliencron, Adda Freifrau von: Krieg und Frieden. Erinnerungen aus dem Leben einer Offiziersfrau, Berlin 1912, S. 51-66.
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