XI. Felix Mendelssohn Bartholdy.

[199] Eine biographische Skizze.


Mendelssohn, einer der produktivsten, gelehrtesten, berühmtesten und glücklichsten Tonkünstler, die je gelebt, wurde den 3. Februar 1809 zu Hamburg geboren. Sein Vater, ein angesehener Banquier – Sohn des berühmten Philosophen Moses Mendelssohn – und seine Mutter, eine geborene Bartholdy, zeichneten sich Beide durch Geist, feine Bildung und Liebe zu den Künsten aus. Im dritten Lebensjahre des Knaben verließ die Familie Hamburg und wählte ihren bleibenden Aufenthalt zu Berlin. Dort gehörte Musik unter die Lieblingsgenüsse der Eltern. In ihrem Hause fanden alle bedeutenden einheimischen und fremden Künstler[200] überhaupt, sowie Tonkünstler insbesondere freundliche, gastfreie Aufnahme. Bald zeigte Felix besondere Neigung zur Musik und zugleich außerordentliche Anlagen dafür. Die Eltern thaten alles Mögliche, um beides zu unterstützen und zu fördern. Den ersten Unterricht auf dem Pianoforte empfing das Kind von der liebenden Mutter, aber so mild, leicht und spielend, daß Verdruß, durch Ueberanstrengung oder durch Härte und Ungeduld des Lehrenden, bei dem kleinen Schüler nicht entstehen konnte. Dann erhielt er für das Pianoforte den ausgezeichneten Lehrer Berger, für die Composition Zelter. Er machte im Mechanischen wie im Geistigen alle Erwartungen übertreffende Fortschritte, leistete als Kind, was viele Andere erst in Jünglingsjahren, und schuf als Knabe fast schon Manneswerke. Im sechzehnten Jahre hatte er eine Menge bedeutende Compositionen aller Arten, darunter vier Opern, geliefert.

Im Jahre 1825 führte ihn der Vater nach Paris zu Cherubini, um aus dieses Meisters Munde zu vernehmen, ob der Knabe wirkliches Talent für die Tonkunst besitze, und es der Mühe lohne, ihn auf der betretenen Bahn weiter zu führen! Solchen Vater zu haben, war wohl ein besonderes Glück. Hundert andere hätten mit ihrer Treibhauspflanze bei weit[201] geringerer Ausbildung längst Kunstreisen unternommen. Jener fragt bei einem Meister erst bescheiden nach Talent, nachdem das Genie sich schon in bedeutenden Leistungen offenbart hatte. Cherubini sprach aus und bestätigte, was nicht zu verkennen war, und ertheilte Felix einige Zeit Unterricht in den höhern kontrapunktischen Künsten, in denen der Knabe übrigens schon fast einheimisch war. Nach Berlin zurückgekommen, wurden die musikalischen Studien bei den frühern Meistern, kurze Zeit auf dem Pianoforte auch unter Moscheles, eifrig fortgesetzt. Dazu kamen die wissenschaftlichen Disciplinen, in welchen er dieselben reißenden Fortschritte machte. Unter seinem Hauslehrer Heyse übersetzte er die Andria des Terenz, welche so gut gerieth, daß sie gedruckt erschien. Später wurde er als Student auf der Berliner Universität immatrikulirt, besuchte die Vorlesungen fleißig, machte sein Studentenexamen, und hätte mit einer klassischen Bildung prunken können, wenn das in seinem Charakter gelegen hätte.

Mendelssohn hatte bis zum zwanzigsten Jahre ungefähr folgende Werke componirt: drei Quartette, für Pianoforte, Violine, Viola und Violoncell. Es verdient, bemerkt zu werden, daß sie alle drei in Moll-Tonarten geschrieben sind, nämlich in C-moll,[202] F-moll und H-moll. Diese Neigung zum Weichen wie in den Tonarten so in seiner Instrumentation macht den Grundcharakter der Mendelssohn'schen Musik aus. Nicht daß es ihm an Feuer, an Kraft und Schwung fehlte, aber doch erscheinen selbst seine stärksten Bilder immer in einem milden, edlen Charakter. – Nach diesen Quartetten kamen eine Sonate für Pianoforte und Violine, F-moll, eine zweite für Pianoforte allein, E-dur. Ferner eine Sinfonie in C-moll und eine in D-dur, eine Sinfonieouverture, verschiedene Opern, wovon die »Hochzeit des Camacho« auf der Berliner Bühne aufgeführt wurde, aber keinen besonderen Erfolg errang. Ferner erschienen zwei Hefte Lieder, jedes zwölf Nummern enthaltend, und die beiden Ouverturen zum Sommernachtstraum und zu Meeresstille und glückliche Fahrt, endlich noch mehrere kleinere Charakterstücke und Capriccios für Pianoforte.

Im Frühling 1829 hielt es der Vater an der Zeit, den Jüngling in die Welt hinaus zu schicken, um seine Selbständigkeit weiter zu entwickeln, und durch Anschauung fremder Länder und Sitten seinen Ideenkreis zu erweitern und zu bereichern. Felix ging nach London, wo er zuerst seine Ouverture zum Sommernachtstraum aufführte, und in mehreren Concerten[203] mitwirkte, doch zu seinem eigenen Vortheile keines gab. Von England aus besuchte er Schottland. Dort faßte er die Idee zu seiner Ouverture »Die Fingalshöhle«, welche er später in Berlin ausführte. Im folgenden Jahre, 1830, ging er nach Italien, das er in Gesellschaft mehrerer Maler, Hildebrandt, Sohn, Hübner, Bendemann u.A., durchreiste. In Rom componirte er Goethe's »Erste Walpurgisnacht«; dann den 115. Psalm und verschiedene Kirchenstücke, wie »Mitten wir im Leben sind« und drei Motetten für die Nonnen von Sta. Trinita; auch das erste Heft der Lieder ohne Worte. In Rom lernte er Hector Berlioz kennen. Im nächsten Jahre 1831 wendete er sich nach Neapel. Auf seiner Rückreise von Italien ging er durch die Schweiz nach Frankreich. In Paris führte er seine Sommernachtstraum-Ouverture auf, hätte aber daselbst bald das Ende seiner so rühmlich begonnenen Laufbahn gefunden. Er bekam einen Anfall von Cholera, den er jedoch glücklich überstand. Nach seiner Genesung ging er wieder nach London. Er gefiel sich dort mit am besten, denn nicht allein hatte er daselbst zuerst Anerkennung, sondern auch viele Freunde gefunden, worunter außer dem deutschen Meister Moscheles vorzüglich Klingemann, Secretär bei der Hannoverschen Gesandtschaft,[204] und Choreley, ein geistreicher Schriftsteller, gehörten.

Wie sehr er in London als Tonkünstler Geltung hatte und in Anspruch genommen wurde, geht aus seinem öfteren Auftreten hervor. Am 14. Mai kam seine Ouverture zur Fingalshöhle zum ersten Male im philharmonischen Concert zur Aufführung. Am 28. Mai spielte er ebendaselbst sein G-moll-Concert zum ersten und am 18. Juni zum zweiten Male. Am 1. Juni spielte er mit Moscheles in dessen Concert Mozart's Doppelconcert, und dirigirte seine Sommernachtstraum-Ouverture. Am 10. Juni spielte er in der Kirche zu St. Paul Fugen auf der Orgel. Am 21. Juni phantasirte er in einer Soirée bei Cartwright, nachdem Paganini gespielt hatte, über einen eben gesungenen Glee (geistlichen Gesang) von Horsley. Am 23. desselben Monats reiste er nach Berlin zurück.

Hier bewarb er sich um die erledigte Stelle eines Direktors der Singakademie, hatte aber eine Partei gegen sich, vielleicht seiner Jugend wegen, und sah Rungenhagen sich vorgezogen. Es bestätigte sich auch hier das Sprichwort mit dem Propheten im Vaterlande, und hätten ihn die Umstände gezwungen, seinen immerwährenden Aufenthalt in der Vaterstadt zu nehmen, sein Talent als Componist wäre schwerlich[205] zur gänzlichen Reise gekommen, gewiß wenigstens niemals seine außerordentliche Dirigentengabe. Das Ausland mußte den Berlinern erst lange seinen Werth zurufen, bis sie anfingen, daran zu glauben und Notiz davon zu nehmen. Wer mochte es ihm verargen, daß er später keine große Neigung empfand, dort zu leben, und Städte vorzog, die ihn eher und besser zu würdigen verstanden.

Was ihm Berlin versagte, fand er in Düsseldorf. Er wurde im Frühjahr 1833 zur Direktion des Musikfestes daselbst berufen. Dort fand er seine Freunde, die Maler der Düsseldorfer Schule, wieder, mit denen er Italien durchzogen, ein Umstand, der ihm jene Stadt besonders angenehm machte. Vorher ging er jedoch erst wieder nach London, wo er unter Anderm auch eine neue Sinfonie in A-dur aufführte, die indeß keinen besondern Anklang gefunden zu haben scheint, und ihm selbst später nicht genügt haben mag, da er sie der Oeffentlichkeit niemals übergeben hat. Darauf reiste er nach Düsseldorf zurück, um das Musikfest zu dirigiren. Wieder ging er dann in Begleitung seines Vaters nach London, um neue Compositionen von sich aufzuführen, eine Ouverture in C-dur u.s.w. Auch spielte er Moscheles die Ouverture zur schönen Melusine vor, die er, wahrscheinlich[206] in Düsseldorf nach einem Bilde, auf welchem Melusine um einen Thurm flattert, geschrieben hatte. Sie wurde zum ersten Male am 7. April 1834 im philharmonischen Concert aufgeführt, brachte aber keine besondere Wirkung hervor. Bei späterer wiederholter Aufführung gefiel sie besser. Wie bescheiden Mendelssohn über sich selbst dachte, geht aus einem Briefe an Moscheles zu dieser Zeit hervor. Er freut sich darin, daß Letzterem die Ouverture gefallen. Er bedürfe dieser Aufmunterung, da er immerfort an sich zweifle. Am 25. August 1833 reiste Mendelssohn von London ab, um für längere Zeit in Düsseldorf zu bleiben. Man wünschte ihn nämlich in dieser Stadt zu behalten, und trug ihm die Stelle eines städtischen Musikdirektors an, die für ihn erst geschaffen wurde und die er mit Freuden annahm, auf drei Jahre vorläufig. Er hatte als solcher den wöchentlichen Singverein, die Winterconcerte und die Musik in den katholischen Kirchen zu dirigiren. Es scheint sich jedoch im Anfang für die Concerte kein besonderes Interesse geregt zu haben, denn nur drei wurden vom November 1833 bis Mai 1834 gegeben. Die Schuld lag aber sicher nicht an Mendelssohn, da er stets die besten Werke zur Aufführung brachte, und selbst zweimal darin spielte.[207]

Hier entspann sich nun ein inniges Freundschaftsverhältniß zwischen ihm und Immermann. Letzterer hatte jenem den Text zu einer Oper nach Shakspeare's Sturm geschrieben, dem aber die dramatische sowohl wie lyrische Wirkungsfähigkeit abging und deshalb von Mendelssohn nicht componirt wurde, was indessen auf die Freundschaft Beider keinen Einfluß ausübte. Im Gegentheil schlossen sie sich immer enger aneinander.

Das Theater zu Düsseldorf befand sich zu dieser Zeit in einem sehr gesunkenen Zustande; der gebildete Theil des dortigen Publikums wünschte dessen Verbesserung, und glaubte in Mendelssohn, Immermann und Herrn von Uechtritz die Kräfte dazu gefunden zu haben. Es wurden im Frühjahr 1834 einige sogenannte Mustervorstellungen gegeben, Don Juan, der Wasserträger, welche Mendelssohn einstudirte und dirigirte; ferner Egmont und der standhafte Prinz, zu welchem letzteren Mendelssohn die nöthige Musik componirte. Diese befriedigten so sehr, daß man durch einen Aktienverein ein bedeutendes Kapital zusammenbrachte und die neue Bühne unter dem Namen Stadttheater in Düsseldorf errichtete. Uechtritz zog sich zurück, Mendelssohn und Immermann aber nahmen als koordinirte Intendanten, jener für die[208] Oper, dieser für das Schauspiel, theil. Am 28. October 1834 wurde die neue Bühne mit dem Prinzen von Homburg und einem festlichen, von Immermann gedichteten Vorspiel eröffnet. Am Schluß des letzteren erschien der Parnaß von Raphael als lebendes Bild, wozu Mendelssohn eine Musik componirt hatte.

Es mochten große Erwartungen gefaßt worden sein. Man hatte wahrscheinlich nichts Geringeres beabsichtigt, als die weimarische Periode unter Goethe und Schiller in Düsseldorf wieder aufleben zu lassen. Aber die praktische Gewandtheit und Erfahrung eines Goethe fehlte Mendelssohn wie Immermann. Ersterer hatte sich in den Engagements der Sänger vergriffen, Letzterer wollte das recitirende Schauspiel auf Kosten der Oper erheben. Die Täuschungen machten beide Männer mißmuthig, reizbar, sie schoben sich gegenseitig die Ursachen des Mißlingens zu, es entstanden harte Zusammenstöße, und die Folge war, daß sich Mendelssohn nach wenigen Wochen von dem Theater zurückzog, und die mit so glänzenden Aussichten begonnene Unternehmung im Frühjahr 1837 zerfiel. Immermann und Mendelssohn haben sich nie wieder gesprochen.

War dieses frühe Zerwürfniß ein Nachtheil für die dortige Bühne, so wurde es ein Vortheil für die[209] Concerte. Mendelssohn widmete sich denselben mit mehr Muße, mit verdoppeltem Eifer, und lernte hier und begann zu zeigen, was er später in Leipzig zur höchsten Vollkommenheit steigerte, sein außerordentliches Dirigententalent. Auch componirte er in dieser Zeit außer verschiedenen kleinern Werken den größten Theil seines Paulus.

So als Componist wie als Dirigent immer bekannter werdend, entstand in Leipzig der Wunsch, ihn für das Musikleben daselbst zu gewinnen. Man wollte eine Professur der Musik gründen, und trug sie ihm an. Er schlug sie aus, weil er sich nicht dafür geeignet hielt, nahm aber den Ruf als Musikdirector der Gewandhausconcerte von der dasigen Concertdirection an. Ende Juli verließ er Düsseldorf, den Vorbehalt in seinem Contracte benutzend, daß er schon nach zwei Jahren abtreten könne.

Von diesem Zeitpunkt an beginnt die schönste und einflußreichste Periode seines Lebens. Er blieb zu Leipzig, geringere Unterbrechungen ausgenommen, von 1835 bis 1844, und von 1845 bis an's Ende seines Lebens.

Am 4. October 1835 erschien Mendelssohn im ersten Abonnementconcerte des Gewandhauses als Musikdirector. Er wurde bei seinem Hervortreten[210] mit enthusiastischen Beifallsbezeigungen empfangen. Seine Ouverture »Meeresstille und glückliche Fahrt« leitete das Concert ein, und sogleich stellte sich heraus, was man an ihm gewonnen und in der Folge zu erwarten habe. Mehr noch als an seiner Ouverture zeigte sich dies an der Beethoven'schen B-dur-Sinfonie, die im zweiten Theile gegeben wurde, und die er auf das Sorgsamste mit dem Orchester einstudirt hatte. Diese Ausarbeitung aller Effecte nach des großen Meisters Intentionen, bis in die feinsten Schattirungen, solches Pianissimo, solche Crescendos und Decrescendos u.s.w. hatte man bisher noch nicht gehört. Ein neuer, höherer Geist, das erkannte man gleich, war eingezogen, und wie er es gehalten, was sein erstes Auftreten versprach, ist bekannt genug.

Ein trauriger Zwischenfall traf ihn bald nach seiner Ankunft in Leipzig. Er verlor seinen Vater im November. Dieser Verlust schmerzte den Sohn tief, denn er wußte, was er ihm zu danken hatte. Bei der dadurch nöthig gewordenen Anwesenheit zu Berlin traf er seinen Jugendfreund, den Violinvirtuosen und Componisten David, der aus Rußland zurückgekommen. Er brachte ihn mit nach Leipzig. David trat am 10. December zum ersten Male in dem Gewandhausconcerte auf, und erhielt kurz darauf[211] nach dem Ableben des Concertmeisters Matthäi dessen Stelle. Dies war ein weiterer günstiger Umstand für Leipzigs Musikleben. Was Mendelssohn als Dirigent, wirkte David als Concertmeister an der ersten Violine. Wenige mögen die Intentionen des Dirigenten so scharf aufzufassen, und so lebendig und bestimmt auf das Orchester überzuspielen verstehen, als David, und so ist es nicht zu verwundern, wenn zwei so jugendliche, feurige und durch die innigste Freundschaft verbundene Geister Resultate hervorbrachten, welche bis dahin in Leipzig noch nicht dagewesen waren.

Mendelssohn beschränkte das Repertoire nicht auf die besten Werke der neuesten Zeit, sondern führte in gleich vollendeter Weise auch die Schöpfungen älterer Meister, namentlich die besten Haydn'schen und Mozart'schen Sinfonien, wieder vor, was von dem größten Theile des Publikums dankbar anerkannt wurde. Dabei vernachlässigte er natürlich nicht die neuesten und schwierigsten. So wurde am 11. Februar 1836 Beethoven's zum Theil noch nicht begriffene neunte Sinfonie mit Chören nach sorgfältigster Einübung so ausgezeichnet ausgeführt, daß man nahebei ein ganz anderes Werk, als früher, zu hören glaubte. Die mancherlei mißlichen Stellen darin,[212] welche früher bei manchem Hörer fast Gelächter erregt hatten, erschienen jetzt in ganz anderem Lichte, und es zeigte sich an dieser Aufführung recht offenbar, wie sehr das Schicksal eines Tonwerkes von dem guten Willen und der geistigen Kraft des Dirigenten abhängt.

In diesem Jahre vollendete Mendelssohn seinen Paulus, der zuerst bei dem großen niederrheinischen Musikfeste in Düsseldorf am Pfingstsonntag den 22. Mai 1836 von Mendelssohn selbst aufgeführt wurde. Der Erfolg war glänzend, aber der Componist selbst noch nicht ganz zufrieden mit seiner Arbeit. Er nahm sehr viele Veränderungen damit vor, ließ zehn Stücke ganz weg, componirte ein neues dazu, so daß die Stimmen für fernere Aufführungen ganz unbrauchbar wurden. Auf seiner Rückreise von Düsseldorf dirigirte er für seinen kranken Freund Schelble den Cäcilienverein zu Frankfurt a.M. Bei dieser Gelegenheit wurde er bei dem reformirten Prediger Jeanrenaud eingeführt, und lernte in der jüngsten Tochter, Cäcilie, seine zukünftige Gattin kennen.

Ein interessantes Concert in Leipzig war das letzte des Jahres 1836. Man wußte, daß er unmittelbar nach demselben nach Frankfurt reisen werde, um seine Braut zu besuchen. Die Concertdirection hatte zum[213] Schlusse das Finale aus Fidelio gewählt, worin bekanntlich die Worte: »Wer ein holdes Weib errungen, stimm' in unsern Jubel ein« vorkommen. Mendelssohn wurde durch endloses Applaudiren zu einer freien Phantasie aufgefordert, und that es, indem er jenes Thema aufnahm, auf ergreifende Weise. Im Frühling 1837 vermählte er sich, machte mit seiner jungen Gattin eine Reise nach Düsseldorf, und ging dann allein nach England, wo er auf dem Musikfeste zu Birmingham seinen Paulus aufführte. Dieses Werk machte überall die größte Sensation. Es wurde binnen anderthalb Jahren 50 Mal in 41 Städten aufgeführt.

Im Frühjahr 1839 dirigirte Mendelssohn mit Julius Rietz, der nach jenem die Musikdirectorstelle erhalten hatte, gemeinschaftlich das Düsseldorfer Musikfest.

Zu dem vierhundertjährigen Jubelfeste der Buchdruckerkunst 1840 componirte Mendelssohn den Lobgesang, eine große Sinfoniecantate, welche am 25. Juni Nachmittags in der Thomaskirche vor einer äußerst zahlreichen Versammlung aufgeführt, und als eines seiner besten und eigenthümlichsten Werke erkannt und aufgenommen wurde. Im Herbst desselben Jahres führte er den Lobgesang in Birmingham auf.

Im Jahre 1841 erhielt er von dem König von[214] Preußen Friedrich Wilhelm IV. den Ruf nach Berlin als Kapellmeister mit einem ansehnlichen Gehalte. Aber da sich ein bedeutender Wirkungskreis, wie er ihn erwarten durfte, nicht bieten, und er nicht unthätig sein wollte, ging er sehr bald in seine frühere Stellung nach Leipzig zurück. Die Aufträge, welche er in Berlin erhielt, zu mehreren Stücken – Antigone, Athalia u.s.w. – die Musik zu schreiben, erfüllte er zwar, doch sind diese Arbeiten, so vieles Werthvolle sie auch haben, nicht unter seine besten zu zählen, und es ist, wenn man an Mendelssohn's glückliche, unabhängige Lage denkt, wohl anzunehmen, daß Aufgaben, die er sich nicht selbst gestellt, an Reiz für ihn verloren, und den Flug seiner Phantasie lähmten.

Zum zweiten Male übernahm er, wieder mit Rietz gemeinschaftlich, die Direction des Düsseldorfer Musikfestes, an welchem über 500 Sänger und Spieler mit dem Commandostab zu beherrschen waren. Nachdem er hier durch Aufführung seines Lobgesanges und Vortrag des Beethoven'schen Es-dur-Concerts für Pianoforte als Componist und Virtuos neue Lorbeern geerntet, reiste er, diesmal in Begleitung seiner Gattin, schon wieder nach London, wo er unter vielen andern Productionen in einem philharmonischen Concerte zum ersten Male seine A-moll-Sinfonie dirigirte.[215] Von England aus ging er nach Lausanne, um seinen Lobgesang aufzuführen, wozu man ihn eingeladen hatte. Er kam aber um einen Tag zu spät.

Nach mannigfacher weiterer Thätigkeit als Dirigent und als Schöpfer neuer Werke wurde der Versuch, ihn in Berlin zu fixiren, von Neuem aufgenommen. Er erhielt vom Könige von Preußen den Titel als Generalmusikdirector, und zugleich einen bestimmten Wirkungskreis angewiesen, indem er die Leitung der Kirchenmusik im Dom, sechs großer Concerte in der Singakademie und der Sinfonien der Berliner Kapelle übernehmen sollte. So verließ er denn, zum Bedauern seiner zahlreichen Verehrer, Leipzig, und zog nach Berlin. Für ihn als Dirigent der Leipziger Gewandhausconcerte trat Ferdinand Hiller ein. Doch wollte auch diesmal die Stellung in Berlin sich Mendelssohn's Thatentriebe nicht entsprechend gestalten. Außer der Direction der Sinfoniesoiréen scheint er nicht viel mehr gethan zu haben. 1844 im Sommer sehen wir ihn schon wieder in London. Wahrscheinlich bei seiner diesmaligen Anwesenheit wurde er auch zur Königin Victoria eingeladen, der er einige seiner Lieder, welche sie sang, accompagnirte.

Am 10. Juli reiste er wieder von London ab, dirigirte zu Zweibrücken das Pfälzische Musikfest, wo[216] sein Paulus am ersten Tage aufgeführt wurde, und ging nach Frankfurt und in das Bad Soden, zu seiner Familie. Dann reiste er nach Berlin, um sich gänzlich von seinen dortigen Verbindlichkeiten loszumachen. Er begehrte seinen Abschied, der ihm unter den ehrenvollsten Ausdrücken, unter Belassung seines Titels als Generalmusikdirektor und eines ansehnlichen Theils seines Gehaltes mit der einzigen Bedingung, daß er auf den besondern Wunsch des Königs zuweilen nach Berlin kommen, und Etwas von sich aufführen möge, ertheilt wurde. Man hatte nach Hiller's Abgang für die Direktion der Leipziger Concerte den jungen dänischen Komponisten Gade gewonnen. Mendelssohn ging nach Leipzig zurück und dirigirte mit jenem abwechselnd die Gewandhauskonzerte bis zu seinem Tode.

Seit Jahren schon hatte Mendelssohn in der Stille an seinem Elias geschrieben. In der Mitte des August 1846 nun reiste er nach England, und führte dieses Werk auf dem großen Musikfeste zu Birmingham auf. Es erregte einen unbeschreiblichen Enthusiasmus. – Im Jahre 1847 dirigirte er den Paulus am Charfreitag in der erleuchteten Paulinerkirche zu Leipzig. Dann ging er schon wieder nach England, um in der Exeterhall zu London auf Ersuchen[217] der Sacred Harmonic Society die Aufführung seines Elias zu leiten. Auch einer Aufführung desselben in Manchester wohnte er bei.

Auf der Rückreise traf ihn die Nachricht von dem plötzlichen Tode seiner Schwester Fanny, Gattin des Hofmalers Hensel zu Berlin. Sie besaß ein ausgezeichnetes Kompositionstalent, und hatte die Chöre aus dem zweiten Theile des Faust komponirt, die sie am Klavier selbst einstudirte. Mitten in dieser Thätigkeit sank sie, von einem Nervenschlage getroffen, entseelt auf ihrem Sessel zusammen. Dieser Todesfall erschütterte Mendelssohn auf's Tiefste, und es wird sogar erzählt, daß ihm von der heftigen Bewegung, in welche ihn die Nachricht versetzte, wahrscheinlich ein kleines Blutgefäß gesprungen, und das in das Gehirn eingedrungene Blut, welches ihm großen Kopfschmerz verursachte, die Ursache seines baldigen Todes geworden sei.

Schon früher hatte er zuweilen geäußert, daß er nicht alt werde. Seit dem Ableben seiner Schwester kamen ihm Todesahnungen öfter. Doch suchte er sich aufzuraffen, und da es im Anfange mit dem Arbeiten nicht recht gehen wollte, machte er mit seiner Familie eine Reise in die Schweiz, und hielt sich einige Zeit in dem reizend gelegenen Interlaken[218] im Berner Oberlande auf. Hier suchte er sich durch häufige Excursionen zu stärken, arbeitete dazwischen aber auch fleißig. Zwei Werke beschäftigten ihn vorzüglich, ein Oratorium »Christus« und eine Oper »Lorelei«, zu welcher ihm Geibel den Text geschrieben hatte. Am 18. September kehrte er nach Leipzig zurück. Am 9. October begleitete er einer musikalischen Freundin sein Lied »Vergangen ist der lichte Tag«, als er plötzlich unwohl wurde, und nach Hause und zu Bett gebracht werden mußte. Er erholte sich zwar wieder, aber nach einem Spaziergange, den er mit seiner Gattin am 28. October gemacht, traf ihn ein Nervenschlag, worauf er einige Zeit bewußtlos lag. Zu sich gekommen, klagte er über heftigen Kopfschmerz. Bei der Nachricht von der Gefahr, in welcher sein Leben schwebe, zeigte sich die tiefste Theilnahme in der ganzen Stadt. Am 3. November bekam er einen neuen Schlaganfall, der dem Kranken das Bewußtsein völlig raubte, und alle Hoffnung auf Rettung vernichtete. Am 4. November Abends nach 9 Uhr hauchte er sanft und schmerzlos seine edle Seele aus. Er war 39 Jahre alt geworden. Leipzig veranstaltete ihm eine ebenso großartige als rührende Todtenfeier. Ein zahlreicher Zug Leidtragender begleitete den Sarg vom Trauerhause aus[219] durch eine unübersehbare Menschenmenge in die erleuchtete Paulinerkirche, wo unter mehreren Stücken auch des Entschlafenen Chor aus dem Paulus »Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben« aufgeführt wurde, der einen unbeschreiblich tiefen Eindruck auf die Versammlung erzeugte. Abends 10 Uhr wurde die Leiche mit einem Extrazuge auf der Eisenbahn nach Berlin zu ihrer Ruhestätte abgeführt. Noch lange nach seinem Tode lieferten die Zeitungen aus allen Theilen Europa's, ja selbst aus Amerika, Berichte über Todtenfeiern, welche dem Entschlafenen gewidmet wurden.

Suchen wir nach dieser flüchtigen äußern Lebensskizze ein Bild seines innern Wesens als Künstler und Mensch zu gewinnen.

Mendelssohn hatte von der Natur außerordentliche Fähigkeiten, nicht blos für die Tonkunst, sondern für alle geistigen, ja körperlichen Thätigkeiten erhalten. Alles, was ihm gelehrt wurde, begriff er von frühester Jugend an mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit und Leichtigkeit, behielt er für immer in seinem eisernen Gedächtniß, vermochte er zugleich in gewandteste That umzuwandeln. So ist die große Summe seines Wissens und Könnens, seiner ausgezeichneten Bildung schon in den Jünglingsjahren,[220] und ist seine reiche Produktivität bei der verhältnißmäßig kurzen Lebensdauer zu erklären. Er verstand vollkommen Griechisch, Lateinisch, Spanisch, schrieb und sprach Französisch, Englisch und Italienisch. Er malte sehr gut, und skizzirte mit sicherer Hand nach der Natur. In allen körperlichen Uebungen excellirte er, als Schwimmer, Reiter, Turner, graziöser Tänzer. Und das waren Nebenfertigkeiten, die er im Fluge errang und sich aneignete! Denn die größte Zeit seines Lebens widmete er dem Studium und der Ausübung der Tonkunst. Was er in dieser geworden und geleistet, haben wir vorzüglich zu betrachten.

Sehen wir auf ihn zuerst als Komponist, so finden wir im Beginn seines Lebens eine auffallende geistige Aehnlichkeit mit Mozart. Dieselbe Reizbarkeit für Musik, dieselbe Lernbegierde und Begriffsfähigkeit, dieselbe frühe Gewandtheit in den gelehrten contrapunktischen Kombinationen, dieselbe nie rastende Schaffenslust und Produktivität, daneben dieselben reißenden Fortschritte als Virtuos. Dennoch wurde Mendelssohn unserer Zeit nicht, was Mozart der seinigen. Die Ursache ist leicht zu finden. Mozart kam in eine Entwickelungsperiode, Mendelssohn in eine entwickelte; jener wurde an einem neuen frischen Morgen der Kunst geboren, dieser trat in die[221] volle Sommergluth des Mittags; Mozart's außerordentlichen Kräfte wurden durch eine musikalische Revolutionsepoche noch mehr aufgeregt und angespannt, Mendelssohn's außerordentlichen Kräfte fanden eine ruhige, heraufgebildetere, befriedigtere Zeit vor, eine jener Epochen, wo der von längerem Bergaufsteigen etwas ermüdete Kunstgeist eine Weile ausruhen zu wollen scheint, um neue Kräfte zum Weiterklimmen zu sammeln. In Perioden letzterer Art können auch die besten Genien ihre Vorgänger höchstens erreichen. So auch Mendelssohn. Er erhob sich zu der Höhe seiner Zeit, aber eine Steigerung ausgenommen, wovon weiter unten, nicht über jene hinaus.

Man kann seine zahlreichen Werke in drei Klassen bringen. Zur ersten gehören diejenigen, welche sich dem Einflusse seines starren, steifen, in einer vergangenen Periode gefangenen, der neuen Anmuth und Schönheit nicht zugänglichen Lehrers Zelter noch nicht ganz zu entwinden vermochten. Zur zweiten die, welche gewohnte Arbeitslust, oder von außen gekommene Aufträge, nicht der innere Drang hervorbrachten. In die dritte Klasse endlich sind diejenigen Werke zu bringen, welche aus seinen erregtesten Stimmungen, aus der vollen Zusammennahme aller[222] in ihm lebenden Kräfte hervorgingen, wo die Poesie des Objekts oder seines Herzens in aller Fülle und Schönheit zur Erscheinung kam. Wir sagen Klassen, nicht Entwickelungsperioden. Denn letztere hat er in dem Sinne, daß seine Werke von gewissen Lebenspunkten aus erkennbar in andere Phasen getreten, eigentlich nicht gehabt. Man findet vielmehr einige von allen drei Arten zu jeder Zeit, die Kindheit ausgenommen.

Der ungünstige Theil der Zelter'schen Führung des Knaben und beginnenden Jünglings lag aber vornehmlich in der zu weit und vorherrschend getriebenen Beschäftigung mit den künstlichen Kombinationen des Contrapunktes, der Fuge, des Kanons u.s.w. Denn wenn auf der einen Seite nicht zu läugnen ist, daß die darin erlangte außerordentliche Fertigkeit ihm das Produciren erleichterte und dadurch die Lust daran erhielt und steigerte – wer gar zu schwer gebiert, kommt als Künstler selten weit – so muß doch andererseits auch zugestanden werden, daß durch so langes Denken in jenen älteren Formen und im gebundenen Stil der Fantasie ein Element eingemischt wurde, welches, trotz der gegenständlichen Anschauungskraft und Verwandlungskunst, in welcher sich Mendelssohn vor allen neben[223] und um ihn wandelnden Kunstgenossen auszeichnete, eben in seinen geringern Schaffensmomenten sich zuweilen mit herausdrängte, und solchen Werken von manchen Seiten den Vorwurf mangelnder Melodie zuzog. Vielleicht läßt sich aus derselben Ursache auch die vorzugsweise Hinneigung Mendelsohns zum Oratorium und zur geistlichen Musik überhaupt erklären. Wie dem sei: war sein Genius wirklich erregt, so verjagten dessen Flügelschläge die leichten Schattenwolken, welche aus einer vergangenen Zeit zuweilen in seine Fantasiewelt hereinschweben wollten, und er schuf dann jene Werke, welche denen der besten Meister ebenbürtig, aber zugleich mit durchaus eigenthümlichem Gedankenmaterial aufgebaut sind. Man wird in seinen besten Werken Nichts finden, was eine Reminiscenz genannt werden dürfte, und solches Hinschreiten mit durchaus eigenen Gedanken durch eine Zeit, die wenig eigene Gedanken mehr hat, die mit und ohne Bewußtsein und Willen meist nur Vorgefundenes und Eingesogenes wiedergiebt, will Etwas bedeuten.

Der Hauptcharakter seiner Werke besteht, wie schon oben angedeutet worden, in einer gewissen Weichheit, mit der alle seine Bilder, selbst die starken, gewaltigen, überzogen und verklärt sind. Er ist in[224] dieser Beziehung am Nächsten verwandt mit Spohr. Nur hat Mendelssohn mehr Feuer und Schwung, zuweilen auch mehr Humor. Die Instrumentirungsweise beider Meister namentlich ist sich sehr verwandt hinsichtlich des Sanften, Weichen, Feinen, Glatten und Edlen. Die schreienden Effekte der Blechmassen, womit einige Neuere das Ohr taub hämmern, sind Beiden ein Gräuel. Daher z.B. der seltene Gebrauch der Posaunen überhaupt bei ihnen, und die sparsamen Drucker derselben da, wo sie einmal angewendet. Mendelssohn hat, wie Beethoven in seiner letzten Lebensperiode erst, den polyphonen Satz von vorn herein am Meisten ausgebildet und gebraucht. Alle Stimmen sind selbständige Wesen, nöthige Nerven und Fasern des Organismus, nicht bloße zerlegte Akkorde als gewöhnliche und gebräuchliche Träger der Melodie. Und dabei besaß er die Kunst, mehrere solcher Stimmen zu vereinigen, ohne den Hörer zu verwirren – es kam immer ein einiges, klares Bild heraus.

Eine Neuerung jedoch hat er zuweilen in seinen Werken eingeführt, die wir keine günstige nennen können.

Wir meinen das hier und da sich kundgebende Streben, die Abscheidungen der Perioden gleichsam zu verstecken, in einander zu verwischen, so daß man[225] in solchen Fällen eine längere Reihe von Gedanken ruhelos vorüberziehen hört, ehe man einen Abschnitt entdeckt. Dies erschwert die Auffassung mancher seiner Tonbilder, wenigstens für den Anfang, sehr, und dürfte wohl als ein Abweg bezeichnet werden. Denn die Kunst wird mit dadurch zur Kunst, daß sie die zerstreuten Erscheinungen der Natur unter Einen Gesichtspunkt sammelt und in eine dem Ordnungssinn und Verlangen des menschlichen Geistes entsprechende symmetrische Folge bringt. Eben die zusammengeschlossenen, ineinander geschlungenen, und dadurch als solche nicht mehr zu erkennenden Theile soll die Kunst herstellen und im Verhältniß zum Ganzen ordnen und folgen lassen. Alle Künste streben nach solcher Ordnung, Scheidung, übersichtlichen Gruppirung der Theile, auch ist dies der Gang und das Streben der Tonkunst aus den früheren periodenlosen Gestaltungen gewesen, und namentlich durch Haydn, Mozart und Beethoven zu großer Formenklarheit gesteigert worden. Ein Abweichen von diesen in dem Wesen des menschlichen Geistes liegenden Bedingungen aller Kunstgestaltungsgrundsätze kann durchaus nicht als eine Steigerung der Tonkunst und des dadurch etwa gekommenen höheren Genusses an derselben dargethan werden.[226]

Selten oder vielleicht noch niemals hat ein Komponist so viele Nachahmer herangelockt als Mendelssohn, ein Beweis, wie viel Wirksames und Reizendes seine Schöpfungen auch für die Jugend enthalten. Aber der Kunst wird schwerlich ein Vortheil daraus erwachsen. Denn erstens ahmen jene am Meisten nach, was sie gar nicht nachahmen sollten, seinen verwickelten und ineinander geschlungenen Periodenbau, der, wohlgemerkt, bei Mendelssohn doch selten erscheint, und zweitens nehmen sie nicht blos seine Grundsätze, Maximen an, sondern auch seine Gedankenweisen mit; so gleichen sie Malerschulen, die des Meisters Bilder zeitlebens kopiren, zu eigenen und eigenthümlichen Kompositionen aber sich nicht losreißen und erkräftigen können.

Wenn des Künstlers beste Werke die sind, in welchen er sich, neben Erfüllung der echten Kunstbedingungen überhaupt, zugleich am unabhängigsten von allen anderen Meistern zeigt, so gebührt die meiste Ehre unter allen Mendelssohn'schen Werken seinen Ouverturen, namentlich denen zum Sommernachtstraum, zur Fingalshöhle und zu Meeresstille und glückliche Fahrt. In den Oratorien, Psalmen und geistlichen Kompositionen überhaupt folgt er seinen großen Vorgängern, Sebastian Bach und Händel;[227] in den Klavierkompositionen, Liedern u.s.w. bekundet sich ein eigenthümliches Talent, jene Ouverturen aber dokumentiren das Genie, das unabhängig, frei von jedem fremden Einflusse, seine eigene Idee ganz aus eigenem Fond schön, voll und klar herausbildet. Und in einer Gattung that er das, die von einem großen Theil der Kunstrichter bis zu seiner Zeit als unkünstlerisch geradezu verworfen wurde, – in der Gattung der sogenannten malenden Instrumentalmusik. Man behauptete nämlich, selbst einigen sich dieser Gattung zuneigenden Kompositionen Beethoven's gegenüber, die Instrumentalmusik könne und dürfe nur die unmittelbaren Erscheinungen des Gemüths, die Affekte, Gefühle, Leidenschaften des Menschen, nicht aber äußere Erscheinungen der Natur und des Menschenlebens mit schildern. Denn nur Gefühle könnten Gefühle erwecken. Mendelssohn glaubte aber, daß durch die reine Instrumentalmusik nicht blos die Gefühle, welche das Anschauen eines Gegenstandes erweckt, sondern der Gegenstand selbst mit in der Einbildungskraft reproducirt und verlebendigt werden könne, wenn nur eine geringe wörtliche Andeutung des letzteren beigegeben sei. Er schilderte daher z.B. in Meeresstille und glückliche Fahrt, im Adagio, nicht blos die Gefühle, die sich beim[228] Anblick des weiten ruhenden Meeres in dem Gemüthe erzeugen, sondern das weite ruhende Meer selbst mit und so fort Fahrt und glückliche Ankunft im äußern Bilde und in der innern Wirkung zugleich. Wer darf aber, jene Ouverturen hörend, sagen, sie sind keine echten Kunstwerke? So wurde ein anmaßender Ausspruch der Kritik niedergeworfen durch die That des schaffenden Genius.

Mendelssohn hat in allen Kompositionsgattungen bedeutende Werke geliefert, ausgenommen in der Oper. Er trat im 16. Jahre mit seiner »Hochzeit des Camacho« in Berlin hervor, ohne besonderen Erfolg. Eine so lange Zeit erfordernde Arbeit fast vergeblich unternommen zu haben, mochte ihn von ähnlichen Versuchen abschrecken. Auch bleibt in der That die Komposition einer Oper, in Deutschland wenigstens, selbst für das Genie immer ein höchst problematisches Unternehmen. Mit Sicherheit ist ihr Schicksal nie vorauszubestimmen. Dazu die Schwierigkeit, einen dramatisch ansprechenden und musikalisch günstigen Text zu erhalten! Später, als Mendelssohn's Ruhm gestiegen, mußte auch seine Scheu vor der Opernkomposition sich steigern, denn je mehr er gewonnen, um so mehr setzte er auf's Spiel. Aber der Gedanke schmerzte ihn doch, aus der Welt zu gehen, ohne[229] Lorbeern auch in diesem Felde errungen zu haben. Unablässig sah er sich daher nach einem für ihn passenden Texte um, und in »Lorelei« von Geibel glaubte er ihn endlich gefunden zu haben. Sonderbar bleibt es, daß er sich nun nicht mit allem Feuer, aller zusammengenommenen Kraft, wie ein solches Werk verlangt, darauf warf, daß er im Gegentheil nur langsam, von Zeit zu Zeit, daran arbeitete, und sich dazwischen – mit einem neuen großen Oratorium »Christus« beschäftigte. Konnte er eine gewisse Furcht vor der Oper nicht überwinden? Wollte er sie nur komponiren, ohne den wirklichen begeisternden Drang zu empfinden? war die Neigung zum Oratorium mächtiger in ihm? oder beabsichtigte er, für den Fall des möglichen Mißlingens ersterer, durch vielleicht gleichzeitiges Hervortreten mit letzterem sich auf mögliche Fälle zu decken? Wer kann das wissen! das Schicksal erlaubte ihm die Ausführung dieser großen Pläne nicht, und nur geringe Anfänge hat er davon hinterlassen. Wir haben vielleicht weniger den Verlust des Oratoriums als den der Oper zu bedauern. In jenem kennen wir ihn, in dieser hätte er jedenfalls ein bedeutendes, eigenthümliches Werk gebracht, ein Werk, wenn nicht allgemein einschlagend in den Sinn des Volkes, doch zündend in[230] den Geist der Künstler und namentlich der Kunstjünger, ein Werk gewiß, das sich gleich fern von den leichtfertigen Schmeichelkünsten der Italiener und Franzosen wie von den Spektakel- und Knalleffectopern der neueren Zeit gehalten haben würde.

Aber nicht im Gebiete der Komposition allein ragte Mendelssohn unter seinen Zeitgenossen hervor, auch in anderen Fächern der Tonkunst zeichnete er sich auf das Vortheilhafteste aus. Er war ein Virtuos auf dem Pianoforte im höchsten und schönsten Sinne des Wortes. Seine mechanische Fertigkeit mußte um so mehr Bewunderung erregen, je weniger Zeit er auf deren Ausbildung hatte verwenden können. Doch galt sie ihm als solche, an sich, gar Nichts. Um die Elasticität seiner Hände, die Geläufigkeit seiner Finger zu zeigen, setzte er sich niemals an das Instrument, und Nichts konnte ihn mehr verdrießen als das gewöhnliche Virtuosenlob. Er wollte überall nur den Geist der Komposition zur vollen Darstellung und Geltung bringen, und darin hat ihn Keiner jemals übertroffen. Wenn bei den meisten Virtuosenkünsten der neuesten Zeit nur das Auge und das Ohr und in der Regel nur beim ersten Mal erregt werden, so griff sein Spiel jedesmal in die Tiefen der Seele; daher hörte der Kenner, was[231] und wie er spielte, zum hundertsten Male mit demselben Genuß wie zum ersten Male. – Und wie sein Pianoforte- war auch sein Orgelspiel. Man glaubte einen Meister aus vergangenen Jahrhunderten zu vernehmen, dessen Geist nur in den heiligen Räumen der Kirche wohnte, dessen Kopf das ganze Leben hindurch über den tiefsinnigsten kontrapunktischen Kombinationen brütete, und der in freien begeisternden Improvisationen ausströmen ließ, was die Neueren mühsam auf dem Papier kaum zusammenzurechnen vermögen.

In diesen beiden Beziehungen, namentlich in der letzteren, haben ihn verhältnismäßig nur Wenige kennengelernt, und da solche Thätigkeiten nicht verkörpert hinterbleiben, wie Kompositionen, so hat die Geschichte sie um so treuer aufzuzeichnen.

Eben so bedeutend, wenn nicht noch bedeutender denn als Virtuos, war Mendelssohn als Dirigent. Natur, Erziehung und Studium hatten vereint gewirkt, ihn als ein Muster der Art hinzustellen. Seine edle Gestalt, sein feuriges, blitzendes Auge, sein scharfes Ohr, sein lebendiges Wesen, seine vielseitige Bildung, die Geistesgegenwart bei unvorgesehenen Fällen, die Gabe der Beredsamkeit, schlagender Ausdrucksweisen, nöthigenfalls imponirender Repliken,[232] sowie die tiefe Kenntniß und Durchdringung der Meisterwerke aller Zeiten, und endlich die frühe Uebung im Dirigiren großer Massen auf den zahlreichen Musikfesten – in letzterer Beziehung war er ein wirklicher Generalmusikdirektor nicht blos von Preußen, sondern von halb Europa – Alles zusammengenommen machte ihm möglich, zu erreichen, was Wenigen in solcher Vollendung gelingen wird. Dies hat er in vollem Maße gezeigt in den Gewandhauskonzerten in Leipzig, für die er das höchste Interesse faßte und bethätigte. Die Aufführung Beethoven'scher Sinfonien und anderer klassischer Werke sind weltberühmt geworden, und stellten Leipzig in musikalischer Beziehung auf einen Standpunkt, der weit über das hinausging, was man von einer Stadt ohne Hof, einer Handelsstadt, und von einem Privatunternehmen zu erwarten berechtigt sein dürfte. Als Dirigenten dieser Konzerte hat Leipzig an ihm einen unersetzlichen Verlust erlitten. – Auch zur Gründung eines Konservatoriums der Musik trug er Viel bei, und brachte es durch zahlreiche Schüler, welche sein Name und das durch ihn gehobene Leipziger Musikleben von allen Seiten und aus weiten Entfernungen herbeilockte, gleich in Flor.

Man hat Mendelssohn oft einen glücklichen Künstler[233] genannt, insofern ihm das Leben Alles in Ueberfülle entgegengebracht, was zu ungestörter Ausbildung seiner glänzenden Fähigkeiten nöthig gewesen. Er habe von Jugend auf keine Sorgen gehabt, sei mit Glücksgütern reichlich gesegnet gewesen, habe um die Gunst der Großen so wenig als um die des Volkes zu buhlen gebraucht, und seine glückliche Ausbildung sei daher kein Wunder, ja – kaum ein Verdienst. Aber hat er denn gelebt, oder die Kunst getrieben wie ein reicher Mann, wann und wie es ihm beliebte etwa, hier und da, in kurzen Zwischenräumen, nur als geistige Erholung von rauschenden Lebensfreuden und leiblichen Genüssen? Nein! Er betrachtete sich als im Dienst der göttlichen Kunst stehend, schuf unablässig, ließ sich von allen Seiten mit Aufträgen belasten, und arbeitete fleißiger, angestrengter als Manche, die es um des lieben Brodes und ihrer Familie willen nöthig hätten und nicht thun. Er war rastlos thätig, thätiger als vielleicht recht war, denn er muthete seinem zarten Organismus zu Viel zu, und rieb sich vor der Zeit auf, mit ziemlich sicherm Bewußtsein wahrscheinlich, wie manche Aeußerungen von ihm gegen vertraute Freunde beweisen.

Mendelssohn war sehr empfindlich gegen die Tageskritik; er erklärte sie in ihrem gegenwärtigen Zustande[234] für ein dem schaffenden Künstler schädliches Element, das ihn nur hemmen, irremachen, aber nicht fördern könne. Darum las er auch keine kritischen Journale. Er hatte einen wahren Abscheu gegen das ästhetische Geschwätz, wie er es nannte, und ließ sich mit bloßen Aesthetikern nie in Gespräche ein. Mit praktischen Tonkünstlern dagegen unterhielt er sich gern, über concrete Fälle besonders, über das Handwerk, und da flossen vortreffliche Bemerkungen aus seinem Munde, unmittelbare praktische Winke, in einfacher, lichtvoller Sprache.

Obgleich Musik das Hauptelement war, in dem er lebte, so nahm sein reger und vielseitig ausgebildeter Geist doch lebhaften Antheil an den Erscheinungen der Welt und des Tages. Poesie, gediegene in- und ausländische Literatur, Politik u.s.w. interessirten ihn höchlichst, und seine Unterhaltung über diese Gegenstände war stets geistreich und belehrend. Doch mußte er, wollte man ihn von solchen Seiten kennenlernen, erst aufthauen. Gegen Fremde zeigte er sich wohl zurückhaltend, zuweilen kurz und karg mit Worten. Das war aber bei den vielen Besuchen, die sich ihm von nah und fern zudrängten, nothwendig. Viele kamen, um ihn zu sehen zunächst, sodann aber auch, um ihren Geist vor ihm leuchten[235] zu lassen, und hätte er immer geduldig stillhalten und eingehen wollen auf solche Absichten, so wäre ihm wenig Zeit für seine Arbeiten übrig geblieben. Mit Freunden und wirklich bedeutenden Männern nahm er sich anders. Da öffnete er den reichen Schatz seines Innern, und man erstaunte, was er Alles wußte, und über was Alles er gedacht hatte.

Mendelssohn war reizbar und leicht zu verstimmen in fremder Gesellschaft, namentlich wenn man die Musik nur als Unterhaltung betrachten und etwa gar mit angenehmem Gespräch begleiten wollte. Er konnte dann wohl mitten in einem Stücke aufstehen, und ohne Weiteres seiner Wege gehen. Fand er dagegen wirkliche Liebe und Aufmerksamkeit, so sah man den gefälligsten Künstler von der Welt, der Stunden lang spielte, ohne zu ermüden.

Als Sohn, Gatte, Vater, Bruder und Freund war er musterhaft, liebevoll, der größten Aufopferungen fähig. Gegen fremde Künstler zeigte er sich neidlos. Kunstjüngern stand er bei mit Rath und That. Erst nach seinem Tode hat sich auch auf rührende Weise ergeben, wie wohlthätig er im Stillen gewesen. Es sind Fälle regelmäßiger bedeutender Unterstützungen vieler Armen an den Tag gekommen, von denen seine vertrautesten Freunde Nichts gewußt[236] haben. Manche Thräne heißer Dankbarkeit ist an seinem Sarge geflossen.

Mendelssohn war ein edler Mensch, ein fester, männlicher Charakter, ein treuer Priester seiner Kunst, für nachstrebende Kunstjünger in allen Beziehungen eines der schönsten Vorbilder, welche die Geschichte bis jetzt aufzustellen hat.[237]

Quelle:
Lobe, Johann Christian: Aus dem Leben eines Musikers. Leipzig 1859, S. 199-238.
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