Siebentes Kapitel

[75] Mein gutes Glück, das ich in diesem Jahre mit meinem kleinen Schiff gehabt hatte, machte mich, wenn auch nicht übermütig, doch zuversichtlich. Ich war ein junger Mensch und wollte mich noch besser in der Welt versuchen, um es desto gewisser in der Welt zu etwas zu bringen. Meinem Absehen nach mußte ich ein neues und größeres Schiff haben, womit ich mich in die Nordsee und über den Kanal hinaus wagen dürfte, anstatt bloß in der Ostsee wie in einer Entenpfütze umher zu leiern. Nebenher verließ ich mich auch wohl auf mein Geschick, womit ich mir das Glück, auch wenn es mir den Rücken kehren wollte, wohl zu erzwingen gedachte. Leider hatte oder achtete ich damals die Erfahrung noch nicht, daß zum Laufen kein Schnellsein hilft, und sollte es erst noch mit einem Schaden lernen.

Überhaupt habe ich es erst spät begriffen, daß lediglich alles vom Glück abhängt und dieses durch Fleiß und Geschick allein sich nicht erzwingen lassen will. Wohl aber hätte ich es an meinen eignen dummen Streichen (woran ich es leider! nie habe fehlen lassen) abnehmen können, daß diese den Dummbart oft dem Glücke weiter in den Schoß führen, als ein andrer mit seinen weisesten Überlegungen auszureichen vermag. Doch will ich damit nicht gesagt haben, daß man den letztern mit Vorbedacht aus dem Wege gehen solle. Muß man in der Ausführung ja doch immer noch dem lieben Gott die größere Halbschied überlassen. –

Kurz, ich verkaufte meinen kleinen und glücklichen Postreiter, setzte mir es in den Kopf, ein funkelnagelneues Schiff von etwa achtzig Lasten auf den Königsberger Stapel zu setzen und war den größten Teil des Jahres 1763 mit dem Ausbau desselben beschäftigt, ohne den Ort zu verlassen. In das nämliche Jahr traf auch der unglückliche große Brand in Königsberg, wobei der Löbenicht, Sackheim und ein Teil vom Roßgarten in Feuer aufgingen. Als der erstgenannte Stadtteil so plötzlich und an allen Orten zugleich in Flammen stand, befand ich mich mit wohl noch tausend andern Menschen auf der Holzwiese dicht am Pregel, dem Löbenicht gegenüber. Hier bemerkten wir auf der Ladebrücke hinter dem Hospital arme, gebrechliche Bewohner desselben, welche darauf ihre letzte, kümmerliche[75] Zuflucht gesucht hatten. Denn hinter ihnen standen ihre Zellen samt der Hospitalkirche in lichtem Brande, zur einen Seite nicht minder der Mönchhof und zur andern neben der Brücke ein großer Stapel Brennholz, so daß den Unglücklichen nur übrigblieb, sich in den Pregel zu stürzen oder ihr Schicksal auf jener Ladebrücke abzuwarten.

Schon aber schien die Flamme sie auch in diesem letzten Bergewinkel ereilen zu wollen! Wir sahen deutlich von jener Seite, wie bereits einigen Lahmen und Krüppeln die Kleider auf dem Leibe angeglommen waren, während andre, die noch etwas berühriger waren, Wasser schöpften und damit ihre Unglücksgefährten wiederholt übergossen, um sie vor dem Verbrennen zu retten. Sie konnten dies auch um so füglicher, da zugleich ein starker Orkan aus Norden wütete (der eben den Brand so unaufhaltsam verbreitet hatte) und wodurch auch das Stromwasser so aufgestauet wurde, daß es fast die Höhe der Brücken erreichte.

Hier sollte und mußte nun in so dringender Gefahr den armen Leuten unverzüglich geholfen werden! Fahrzeuge waren in der ganzen Gegend nirgends abzusehen. Ich lief indes über die Kuttelbrücke nach dem Hundegat, sprang in ein Boot, das zu einem dort liegenden Schiffe gehörte, und da zum Glück ein Ruder drinnen lag, so war ich mit Hilfe des starken Windes binnen fünf bis zehn Minuten wieder an der Ladebrücke. Man denkt sich es leicht, wie ich hier von den armen Menschen bestürmt wurde. Immer wollte einer vor dem andern aufgenommen sein, und mir blieb endlich nichts übrig, als eilig mit dem Boote und den zuerst Eingesprungenen abzustoßen, wenn nicht alles auf der Stelle mit und unter mir versinken sollte. Ich brachte indes meine Ladung nach der Holzwiese in Sicherheit, und so gelang es mir in dreimaligem Hin- und Herfahren, sie alle glücklich aus der Klemme zu schaffen.

Als ich jedoch mich der Brücke nochmals näherte und den Platz wohlbedächtig mit meinen Blicken musterte, während bereits die Laufbretter hier und da die Flammen durchzüngeln ließen, nahm ich fünfzehn oder zwanzig Schritte von mir entfernt etwas wahr, das sich brennend auf dem Boden bewegte und anfangs von mir für ein glimmendes Bette gehalten wurde, das der Sturmwind vor sich her wälzte. Als ich aber die Brücke bestiegen hatte und es in der Nähe untersuchte, fand ich, daß es eine alte Frau war, die, wie ich späterhin erfuhr, an einer Seite des Leibes völlig vom Schlage gerührt worden. Ich hob sie auf, um sie nach meinem Fahrzeuge zu tragen; allein der Qualm und Gestank der schwelenden Kleider stieg mir so unerträglich zu Kopf und Brust, daß ich von meinem Vorhaben abstehen mußte. Doch ergriff ich die Unglückliche an Hand und Fuß; zerrte sie so – wenngleich ein wenig unsanft, nach dem Boote und brachte sie hinüber, wo sie mir von vielen umstehenden Menschen abgenommen wurde.

Gleich darauf stieß ich wieder ab, um womöglich irgendeinen Bedrängten in dieser Not retten zu helfen, und kam an das Löbenichtsche Schlachthaus, das[76] gleichfalls in hellem Feuer stand, und wo noch, wie ich durch die niedergebrannten Planken wahrnehmen konnte, eine Menge ausgeschlachteten Viehes umherhing. »Mein Gott! dachte ich – wie vielen hundert Menschen könnte das noch zur Erquickung dienen, denen das Unglück heute nichts als das liebe Leben gelassen hat!« Ein großer, fetter Ochse, der der Treppe nach dem Wasser am nächsten hing, fiel mir besonders in die Augen. Ich schnitt ihn ab, wälzte ihn hinunter und schleppte ihn hinter meinem Fahrzeuge her an das jenseitige Ufer, wo ihn mir ein Reiter abnahm und vollends auf das Trockne brachte. Wo er weiter geblieben und wem er zugute gekommen ist, weiß ich nicht.

Indem ich mich nun aufs neue nach der Löbenichtschen Seite hinüber machte, stieß ich dort auf eine korpulente Frau, die ihre Hände nach mir aufhob und rief: »O Schifferchen, erbarme Er sich! Helf' Er! Rett' Er! – Das da ist mein Haus, was mit den andern im Brande steht, und mein Mann ist ausgereist auf den Viehhandel. All meine Leute haben mich verlassen, und was Er hier um mich liegen sieht, habe ich mit meinen eigenen Händen aus dem Feuer gerissen.« – Dabei wies sie auf einen Berg von Betten, Kleidungsstücken und dergleichen.

Ich ließ mich nicht zweimal bitten; wir warfen beide Hals über Kopf von den Sachen bunt durcheinander in das Boot, so viel es nur fassen konnte, und nun schlug ich ihr vor, diese Ladung an das jenseitige Ufer hinüberzuschaffen, dann aber wiederzukommen und sie selbst mit dem Rest in Sicherheit zu bringen. Das war aber keine gute Disposition, wie ich sogleich inne ward, als ich die Holzwiese erreichte; denn hier gab es zwar hundert geschäftigte Hände, die mir die geretteten Sachen abnahmen; als ich mich aber auch danach umsah, ob sie auch in gute Verwahrung kämen, lief der eine hierhin, der andere dorthin; dieser zog mit einem Bette ab, jener mit einem Laken oder einem Arm voll Kleider, und als ich das letzte Stück aus den Händen gab, hatte sich bereits die ganze Ladung verkrümelt.

»Frauchen!« sagte ich bei meiner Wiederkehr – »das sieht betrübt mit Ihrem Eigentum aus! – Ich fürchte, Sie kriegt in Ihrem Leben keine Faser wieder davon zu sehen. Soundso ist mir's damit gegangen.« – Die Unglückliche weinte und seufzte. Indes schleppten wir noch einen schweren Kleiderkasten an und ins Boot und was sie noch von Gerätschaften geborgen hatte. Sie selbst trug ich trotz ihrer Wohlbeleibtheit, indem ich bis an den halben Leib durchs Wasser watete, gut oder übel ebenfalls hinein und fuhr ab. Unterwegs gewann sie wieder etwas Mut und Redseligkeit. Sie nannte mir ihres Mannes Namen (den ich aber wieder vergessen habe) und daß er ein Branntweinbrenner gewesen, samt ihren andern häuslichen Umständen. Die ganze Brandgeschichte vom ersten Feuerlärm an und ihren Schreck und was sie und ihre Nachbarn gedacht und gesagt und vermutet – das alles bekam ich anzuhören, und wahrscheinlich noch[77] sehr vieles mehr, wenn wir nicht schon früher bei der Holzwiese angelangt gewesen wären.

Hier ward das unordentliche Getümmel der räuberischen Dienstfertigkeit um die arme Frau fast noch ärger als bei meiner ersten Landung. Endlich drängte man mich ganz von ihr ab, und ich sah sie nur noch aus der Ferne auf ihrem Kasten sitzen, um wenigstens diesen zu behaupten. Wieviel ihr von dem übrigen geblieben oder wiedergebracht worden, weiß Gott; denn meine Augen haben sie nachdem in dem weitläufigen Orte niemals wieder gesehen.

Für diesmal wollte ich nun sehen, was in einer andern Gegend, auf der Sackheimschen Seite, passierte. Nicht lange, so traf ich abermals mit einer alten Frau zusammen, die am Wasser stand und mir entgegenschrie: »Ach Herzensschisserchen, goldnes! Hierher, zu mir hin! Ich will Ihm auch gerne einen Sechser geben.« – Ich mußte lachen, so wenig mir es bei der allgemeinen, grausamen Not auch lächerlich ums Herz war. – »Nun, und wo soll ich hier denn angreifen?« – »Ach du mein Gottchen; diesen Kasten hier, wenn Er mir den doch nach der Holzwiese schaffen wollte. Mein ganzes, armes Hab und Gut steckt zu sammen drinnen! Ich bin eine geschlagne Frau, wenn ich den missen soll!«

Nun freilich, da mußte schon Hand zum Herzen getan werden! Sie übergab mir eine lange, schmale Kiste, die mir nun zwar bei dem flüchtigen Blick, den ich mir darauf zu werfen abmüßigte, keine sonderlichen Schätze zu bergen schien, aber doch unter gemeinschaftlicher Daranstreckung unsrer Kräfte glücklich ins Boot geschoben und, weil sie darin der Länge lang keinen Platz fand, mit Mühe querüber ins Gleichgewicht gerückt wurde, wiewohl das Fahrzeug, da sie hochstand, heftig damit schwankte. Auch ging es mit der Fahrt noch immer gut genug, bis wir auf Stromesmitte auch in den Bereich des Sturmwindes gerieten, welcher uns dergestalt packte, daß sich das Boot ganz auf die Seite legte und Wasser schöpfte. Was ich immer tun mochte, dem Übel abzuhelfen, blieb vergeblich, und unsere Gefahr zu sinken, ward mit jedem Augenblick dringender. »Aber, liebe Frau, was hat sie denn in dem unbeholfenen verwetterten Kasten?« fragte ich endlich mit einiger Ungeduld. – »Ach, mein ein und alles! Meine Hühner und Enten, womit ich handle, und die mir Eier legen.« – »Ei, so hole denn der Henker lieber den ganzen Kram!« schrie ich giftig, – »als daß wir hier unsere Haut darum zu Markte tragen!« –, und damit schob ich den Kasten sein säuberlich über Bord und ließ ihn treiben, wohin er wollte. Nun aber erhub sich über mich ein Sturmwetter von ganz anderer Att, und ich kriegte Ehrentitel zu hören, wie ich sie mir nimmer vermutend war. Aber wie sollte ich es anders machen? Das Boot stand am Umkippen und war schon hoch voll Wasser gelaufen.[78]

Wir waren darüber beinahe bis an den Sackheimschen Baum getrieben. Ich machte mich also eilig von meiner lästigen Begleiterin los, stieg an Land, befestigte das Fahrzeug und half anderweitig bei dem Feuer bergen und retten, wo und wie ich immer vermochte. Darüber blieb ich nun von meiner eignen Schwelle entfernt vom Sonntag abend, da das Feuer anging, bis Dienstags nachmittags, wo endlich seine zerstörende Wut sich legte. Während dieser entsetzlichen Frist kam ich verschiedentlich mit Bekannten aus unserm Stadtende, am Lizent und der Gegend umher, zusammen. Da ward denn immer die erste angelegentliche Frage, wie es in der Nachbarschaft stehe, freudig beantwortet: »Gottlob! Wir haben bis jetzt keine Not vom Feuer, wohl aber vom Sturm hohes Wasser in Straßen und Häusern, daß man überall darin mit Kähnen umherfahren kann.«

Ein ähnlicher Orkan stieg einige Zeit nach jenem unvergeßlichen Unglück so gewaltig auf, daß alle Schiffe, mit denen der Pregel vom grünen Baume an bedeckt war, sich teils einzeln von ihren Befestigungen am Bollwerk losrissen, teils untereinander abdrängten, und selbst die mitten im Strome geworfenen Anker dagegen nicht aushielten. Die Verwirrung und das Gedränge ward mit jedem Augenblick größer. Endlich packte sich alles an der grünen Brücke in eine dichte wüste Masse zusammen; die Masten stürzten über Bord, und die Bugspriete knickten wie Rohrstengel. Der Schade war unermeßlich, und als man endlich wieder zur Besinnung kam, hatte man sich billig zu verwundern, daß nicht alles und jedes zugrunde gegangen.

Gleichwohl betraf dieses Schicksal unter andern auch einen ledigen Bording von fünfzig Lasten, der zwischen den andern Schiffen so eingeklemmt ward, daß er endlich als die geringere Masse von ihnen niedergedrückt und dergestalt völlig in den Grund versenkt werden mußte, daß keine Spur von ihm zu erblicken war. Dies Gefäß gehörte einer Witwe Roloff, meiner guten Freundin und Gevatterin, zu, die in ihrer Not und mit weinenden Augen auch zu mir kam, ob ich ihr in ihrem Unglück nicht helfen könne. Ich versprach mein möglichstes, und sobald nur der Sturm sich abgestillt hatte, und die Schiffe sich wieder auseinander gewirrt, traf ich Anstalten, den Bording mit Winden und Tauen aus dem Grunde wieder emporzuheben, was mir denn auch mit vieler Mühe und Arbeit gelang, so daß das Fahrzeug auf eine sichere Stelle gebracht und der erlittene Schaden ausgebessert werden konnte. '

Einige Zeit nachher, als ich noch an meinem Schiffe baute, kam eines Tages das Geschrei zu mir auf die Baustelle: auf dem Pregel am grünen Krahn stehe ein holländisches Schiff mit hundertzwanzig Lasten Hanf geladen in lichtem Brande. Sofort machte ich mich samt all meinen Schiffszimmerleuten, deren jeder mit seiner Axt versehen war, auf den Platz und sah, wie das Feuer klafterlang gleich einem Pferdeschweif hinten durch die Kajütporten emporflackerte. Alle, Menschen, soviel sich deren bereits herbeigemacht hatten, waren damit beschäftigt,[79] Löcher in das Verdeck zu hauen und von oben hinab Wasser in den brennenden Raum zu gießen. Offenbar aber gewann dadurch der Brand nur um so größern Zug und war auf diese Weise mitnichten zu dämpfen.

Ein so widersinniges Verfahren konnte ich nicht gelassen mit anblicken und das nur um so weniger, da mir das schnelle und sichre Mittel beifiel, dem weitern Unglück auf der Stelle zu steuern, wenn nämlich das Schiff ohne langes Säumen zum Untersinken gebracht werden konnte. So packte ich denn flugs den Schiffer am Arm und schrie ihm zu: »Ihr arbeitet Euch ja damit zum Unglück, daß Ihr dem Feuer noch mehr Luft macht. Versenken müßt Ihr das Schiff! Hört Ihr? Versenken! Was da lange Besinnens!«

Es lief aber alles verwirrt durcheinander, und kein Mensch konnte oder wollte in dem Tumult auf mich hören. Da griff ich einen von meinen Schiffszimmerleuten auf, sprang mit ihm in das Boot, welches zum brennenden Schiffe gehörte und demselben zur Seite lag und zeigte ihm eine Planke, dicht an und über dem Wasser, wo er in Gottes Namen ein Loch durchs Schiff hauen sollte. »Das laß ich wohl bleiben!« war seine Antwort – »ich könnte schlimmen Lohn dafür haben!«

Dieser Widerstand erhitzte mich noch mehr. Ich riß ihm die Axt aus den Händen und bedachte mich keinen Augenblick, ein ganz hübsches Loch hart überm Wasserspiegel durchzukappen. Als ich den guten Erfolg sah, legte ich mich auf den Bauch und hieb immer tiefer einwärts, bis endlich das Wasser stromweise da durch und in den Schiffsraum drang. Das eben hatte ich gewollt, und nun eilte ich spornstreichs aus dem Boote auf das Verdeck, wo sich hundert und mehr Menschen drängten, und schrie: »Herunter vom Schiff, was nicht versaufen will! In der Minute wird's sinken!«

Anfangs hörte man mich nicht; da ich es aber immer und immer wiederholte und zugleich auch das Schiff begann, sich stark auf jene Seite zu neigen, so kam auf einmal der Schrecken unter die Leute; alles lief nach dem Lande in banger Erwartung, was weiter geschehen würde. In der Tat legte sich das Schiff so gewaltig seitwärts, als ob es umfallen wollte; aber im Sinken selbst richtete es sich plötzlich wieder empor und fuhr so, geraden Standes, plötzlich bis an die Gaffelklaue in die Tiefe, die hier zur Stelle wohl sechsunddreißig bis vierzig Fuß betragen mochte.

Das Feuer war gedämpft. Eine stille, dumme Verwunderung folgte. Aber plötzlich auch ward jedes Gaffers Mund wieder rege und laut, und jeder fragte in die Wette: »Wer hat das getan? Wer hat das Schiff in den Grund gehauen?« Jeder hatte aber auch gleich die durcheinander geschrieene Antwort bei der Hand: »Nettelbeck! Ei, das ist ein Stückchen von Nettelbeck!« – Nettelbeck aber kehrte sich an nichts, ging ruhig nach Hause und war in seinem Herzen überzeugt, daß er recht getan habe.[80]

Gleich des andern Tages, vormittags neun Uhr, trat in voller Angst mein Schwiegervater zu mir ins Haus, und fuhr auf mich ein: »Nun haben wir's! Ein schönes Unglück habt Ihr angerichtet mit dem in Grund gehauenen Schiffe! Da sind eben drei Kaufleute und der holländische Schiffer samt einem Advokaten auf der Admiralität und klagen wider Euch auf vollen Ersatz alles Schadens. Nun sitzt Ihr in der Brühe!« – Und noch hatte er seine Hiobspost kaum geendet, so war auch schon der Admiralitätsdiener zur Stelle, der mich auf den Lizent gleich in dieser nämlichen Stunde vor das Admiralitätskollegium beschied. »Die sind rasch dahinter her!« dachte ich bei mir selbst, und mir ward doch nicht ganz wohl dabei zumute.

Als ich ankam, fand ich es ganz so, wie mir's mein Schwiegervater verkündigt hatte. Mir ward ein schon fertiges Protokoll vorgelesen, des Inhalts, daß ich es sei, der unberufenerweise das Schiff zum Sinken gebracht und dadurch einen Schaden von soundso viel Tausenden angerichtet habe. Ich sollte jetzt die Wahrheit dieser Angaben anerkennen, von der Ursache Rede und Antwort geben und allenfalls anführen, was ich zu meiner Verteidigung vorzubringen wüßte.

Hm! das stand ja so gar verzweifelt noch nicht, wenn mir noch Einrede und Verteidigung zugestanden wurde! – »Tausend Augen« – sagte ich – »haben es mit angesehen, wie das Schiff hinten hinaus in hellem Feuer stand, und je mehr Luftlöcher die Leute ins Verdeck hieben, desto mehr Nahrung gaben sie dem inwendigen Brande; hätte das nur noch eine halbe Viertelstunde so fortgedauert, so nahm die Flamme dergestalt überhand, daß es kein Mensch auf dem Schiffe mehr aushalten konnte, und dieses mitsamt der Ladung preisgegeben werden mußte. Allein wenn und während es nun in voller Glut stand – wie sollte es da fehlen, daß nicht auch die Taue mit verbrannten, an denen es am Bollwerk befestigt lag; daß die flammende Masse stromabwärts und unter die vielen an dern dort liegenden Schiffe trieb und diese mit ins Verderben zog? – Ja, was leistete uns Bürgschaft, daß dieser Schiffsbrand nicht ebensowohl auch die dicht am Bollwerk befindlichen Speicher und die unzähligen, vor denselben aufgefahrenen Hanfwagen ergriff und daß darüber nicht ganz Königsberg in Rauch und Asche aufging? – Jetzt ist großes und gewisses Unglück mit um so geringerm Schaden abgewandt, als Schiff und Ladung wohl noch meist zu bergen, sein werden. Ich bin daher auch des guten Glaubens, daß ich in keiner Weise strafbar gehandelt, sondern nur meine Bürgerpflicht geleistet habe.«

Der Direktor, Herr Schnell, diktierte diese meine Verantwortung selbst zu Protokoll, und der Advokat ermangelte nicht, dagegen allerlei Einrede zu tun. Danach ward ich abermals befragt, ob ich weiter noch etwas zu meinen Gunsten vorzubringen habe? – »Nicht ein Wort!« erwiderte ich – »meine Sache muß für sich selber sprechen.« Die Verhandlung ward zu Papier gebracht, und dies[81] mußten alle Parten unterzeichnen. Dann wurden wir bedeutet, einstweilen unsern Abtritt zu nehmen, weil unser Handel klar genug sei, um noch in dieser nämlichen Sitzung zum Spruche zu kommen.

»Desto besser!« dachte ich – »wenn nur die gestrengen Herren drinnen auch Vernunft annehmen wollen!« und über diesem »Wenn« kam es denn doch bei mir zu einem Herzpochen, daß mir diese halbe Stunde Verweilens zu einer sehr bänglichen machte. Wer weiß, ob es meinen Gegenparten viel besser erging. – Endlich hieß es, daß wir wieder vortreten möchten: und nun gab man uns sogleich auch die gefällte Sentenz zu vernehmen, deren Inhalt der Hauptsache nach etwa dahin lautete:

»Die Admiralität erkenne, daß der Schiffer Nettelbeck vollkommen recht und löblich gehandelt, indem er durch schnelle Versenkung des in Rede stehenden, brennenden Schiffes größeres Unglück von dem Handelsstande und der Stadt abgewandt. Nächstdem aber behalte sich das Kollegium vor, ihm dessen Zufriedenheit und Dankbarkeit durch feierlichen Handschlag zu bezeugen. Falls auch der Gegenpart mit diesem Erkenntnis zufrieden sei, solle derselbe gleichmäßig mit der dargebotenen Hand sich bei beregtem Nettelbeck bedanken, daß er Schiff und Ladung vor noch größerem Schaden bewahrt habe.«

Nach geschehener Vorlesung stand der Direktor, Herr Schnell, von seinem Sitze auf, schüttelte mir treuherzig die Hand und sagte: »Ich tue das als Erkenntlichkeitsbezeugung im Namen aller Schiffer, die auf dem Pregel liegen, und im Namen der Stadt, die durch Ihren Mut und Ihre Besonnenheit einem großen Unglück entgangen ist. Sie sind ein wackerer Mann!«

Kaufleute, Schiffer und Advokat sahen einander an und gaben etwas verlegene Zuschauer bei dieser Szene ab. Endlich traten sie einer nach dem andern zu mir und gaben mir ihre dankbare Hand. Die Vernünftigeren unter ihnen gaben zu gleicher Zeit zu verstehen, sie wären nur darum zur Klage wider mich geschritten, um sich bei ihren Assüradeurs, Reedern und Korrespondenten wegen des Vorgangs mit dem Schiffe hinlänglich zu decken.

Schon waren wir im Begriff, aus der Gerichtsstube wieder abzutreten, als der Direktor mich zurückrief und anhub: »Schiffer Nettelbeck! Wie ist's? Haben Sie nicht in vorigem Jahre der Witwe Roloff ihren im Pregel versunkenen Bording glücklich wieder in die Höhe gebracht? – Ich dächte, Sie wären ebensowohl der Mann dazu, Ihr Kunststück auch an diesem Schiffe hier zu wiederholen?« – »Meine Herren!« sich zu den Kaufleuten wendend – »Sie sollten sich diesen Vorschlag überlegen, was meinen Sie?«

Alsobald legten mir die Gefragten die Sache andringlich vor. »Je nun«, erwiderte ich – »vieles in der Welt läßt sich machen, wenn es mit Vernunft und Geschicklichkeit angegriffen wird. Wir beide, der Schiffsherr und ich, wollen hingehen, untersuchen und das Ding an Ort und Stelle reiflicher überlegen. Läßt[82] sich was beginnen, so wollen wir in Gottes Namen Hand ans Werk schlagen.« – Sogleich auch machten wir uns auf den Platz; aber alsbald auch ward mir's klar, daß der Schiffer eine Schlafmütze war, von dem ich keinen erklecklichen Beistand erwarten durfte. Lieber also ließ ich ihn ganz aus dem Spiele, ging zu meinem guten, ehrlichen Freunde, dem Schiffszimmermeister Backer, und bat ihn, daß er mir bei meinem Vorhaben helfen möchte. Der war auch zu allem bereit und willig, und so schritt ich denn getrost an die Ausführung.

Nach dem Plane, den wir entworfen hatten, erbat ich mir von ein paar guten Freunden zwei Fahrzeuge zu meiner Verfügung, wobei denn natürlich alle Gefahr und der Ersatz des etwa zugefügten Schadens auf meine Rechnung ging, für den Gebrauch derselben aber eine billige Vergütung bedungen wurde. Indem ich nun diese Bordinge zu beiden Seiten des versenkten Schiffs postierte und meine Winden und Hebezeuge darauf anbrachte und in Bewegung setzte, ging die Arbeit rasch und glücklich vonstatten. Wir hoben die ungeheure Last unter dem Wasser aus dem tiefen Grunde so weit in die Höhe, daß man bereits auf das Verdeck, etwas mehr als knietief treten konnte, und ich binnen kurzem den Augenblick erwartete, wo dasselbe vollends emportauchen würde.

Jetzt aber plötzlich stockten alle meine Maschinen, und keine Kraft derselben war stark genug, das Schiff auch nur um einen einzigen Zoll höher zu bringen. Ich hatte die beiden Bordinge durch die Winden dergestalt anstrengen lassen, daß sie vorne mit dem Bordrande dicht auf dem Wasser lagen, während die Hinterteile sich tief bis zum Kiel in die Höhe kehrten. Brach jetzt irgend etwas an den Tauen, die unter dem Schiffe durchgezogen waren, so waren Unglück und Schaden, die dann entstehen mußten, gar nicht zu berechnen. In dieser peinlichen Lage mußten demnach vor allen Dingen noch ein paar Ankertaue unter den Schiffskiel gebracht werden, in denen es nunmehr mit vollerer Sicherheit hing, und nun galt es um ein Mittel, es noch um soviel zu erleichtern, damit nur die großen Luken auf dem Verdeck nicht mehr vom Strome überflossen würden und die anzubringenden Pumpen dann freies Spiel gewännen.

Da sich jedoch der Schiffskörper um keine Linie mehr rücken lassen wollte, so fiel ich darauf, ich müßte jene Luken um so viel erhöhen, daß sie über dem Wasserspiegel emporragten. Das war zu bewerkstelligen, wenn ich ebensoviel Kasten oder Verschläge von wenigstens zwei Fuß Höhe und gleichem Umfang mit den Luken dergestalt wasserdicht auf denselben und dem Verdeck befestigte, daß sie gleichsam einen Brunnenrand vorstellten. Was nun aus diesen Kasten geschöpft wurde, war dann ebensogut, als sei es aus dem Raume geschöpft, in welchem auf diese Weise das Wasser endlich doch notwendig abnehmen mußte. Dann aber hob sich das Schiff von selbst, ohne daß es ferner meiner Maschinen bedurfte.

Kaum war dieser Gedanke zur Welt geboren, so ließ ich mir einen Zollstock[83] geben, um unter dem Wasser das genaue Maß der Luken in Länge und Breite zu nehmen, rief meine Leute zu mir nach der Baustelle und gab ihnen an, was zu tun sei. In Zeit einer Stunde (während welcher alles in höchster Erwartung dessen stand, was werden sollte) kam ich mit den fertigen Kasten und meinen Arbeitsleuten zurück, und hatte die Freude zu sehen, daß jene vollkommen wohl anschlossen. Um mich jedoch dessen noch völliger zu versichern, riß ich mit dem Zirkel die Biegung der Schiffsdecke unterm Wasser an dem Rande der Kasten sorgfältig vor, ließ soviel, als danach nötig war, heraushauen, und konnte nunmehr mein Werk, da kaum noch einiges Wasser durchsickerte, für gelungen halten.

Hunderte von müßigem Pöbel standen als Zuschauer am Bollwerk. Ich wandte mich zu ihnen und rief: »Heran mit Eimer und Gerät, wer Luft hat, mit Wasserschöpfen jede Stunde einen halben Gulden zu verdienen!« – Ho, das war, als hätte ich sie zur Hochzeit gebeten! Es stürzten gleich so viel Arbeiter herbei auf das nasse Verdeck, daß sie um die Kastenränder nicht alle Raum zum Hantieren hatten. Ich ließ sie ihr Wesen treiben und stieg derweilen ins Boot, um mit dem Bootshaken das Loch unter Wasser aufzusuchen, welches meine Hände hineingehauen hatten. Dann aber sah ich mich nach einem Sacke um (oder war es ein Stück altes Segeltuch; ich weiß es nicht!), um jenes Loch zu stopfen und dadurch neuen Zufluß zu hindern.

Bei jedem Schopf, den so viele Eimer zugleich taten, wurden vielleicht fünfzig und mehr Kubikfuß Wasser erst aus den Kasten, dann tiefer aus dem Schiffsraume hervorgefördert, so daß bald die Arme der Arbeiter es nicht füglich erreichen konnten. In eben dem Maße nun, als durch diese Erleichterung das Schiff wieder an eigener Hebekraft gewann, erlangten auch die beiden Fahrzeuge, zwischen denen es in der Schwebe hing, ihre verlorene Wirksamkeit wieder. Sie hoben sich vorn wieder, und so, mit einem Ruck, brachten sie nun das Schiff glücklich in die Höhe, daß es durch sich selber flott wurde und das Verdeck über Wasser zu stehen kam.

Jetzt konnten auch die Hanfgebinde an den Lastbändern aus dem Raume hervorgelangt werden. Mit der erleichterten Ladung aber trat auch immer mehr und mehr Bord hervor, bis endlich auch mein gehauenes Loch über dem Wasser zum Vorschein gelangte und sonach mein Werk für abgetan gelten konnte. Ich schlug also ein Kreuz darüber und ging, weil ich mich trefflich abgemattet fühlte, in des Herrn Namen nach Hause, während mein Freund Backer und der Schiffer das übrige besorgen mochten.

Einige Tage darauf ward ich abermals vor die Admiralität gefordert. Ich fand dort die Herren Kaufleute, die mir vorerst ihren Dank für mein glücklich gelöstes Versprechen bezeugten, dann aber auch sich für meine angewandte Bemühung mit mir abzufinden wünschten. Auf meiner Rechnung, die ich ihnen des Endes einreichte, standen bloß die beiden Bordinge, die ich gebraucht hatte,[84] jeder mit zwanzig Talern angesetzt, samt einer Kleinigkeit für Abnutz an Tauen, Winden und anderen Gerätschaften, die denn auch sogleich und ohne allen Anstand bewilligt wurden. Da ich indes, was mich selbst betraf, keine Forderung machen wollte, so boten sie mir ein Douceur von hundert Gulden preuß., samt zehn Pfund Kaffee und zwanzig Pfund Zucker. Ich nahm, was mir gegeben wurde, und schenkte davon fünfundzwanzig Gulden für die Armen, um ihnen auch einmal einen guten Tag zu machen.

Zu Ostern 1764 war ich endlich auch nach vieler Mühe und Sorge, mit deren einzelner Aufzählung ich den Leser nicht belästigen will, mit meinem Schiffbau im reinen. Das Gebäude und alles, was dazu gehörte, war nun wohl ganz nach meinem Sinn geraten; aber Luft und Freude konnte ich dennoch nur wenig daran haben. Denn wie so ganz anders waren die Zeiten geworden, seit ich in vorigem Jahre den Kiel dazu legte, und jetzt, wo es glatt wie ein Aal vom Stapel lief! Mit den guten Zeiten für die Reederei hatte es ein plötzliches und betrübtes Ende genommen. Ich will nicht sagen, daß ich auf lauter solche Frachten wie jene nach Riga zu vierzig Rubel die Last gerechnet hätte – denn dann wäre ich ein barer Tor gewesen – allein noch im Jahre zuvor standen die Frachten auf Amsterdam zu fünfundvierzig holländischen Gulden, und jetzt, wo beim Frieden in allem Verkehr eine Totenstille eintrat, galt es Mühe, eine Fracht dahin um elf Gulden zu finden. Erst im Oktober ward mir's so gut, auf den genannten Platz für sechzehn Gulden abzuschließen.

Während nun mein Schiff in der Ladung begriffen war, kam ich eines Tages von der Börse, um am Borde mit eigenen Augen nachzusehen. Das Schiff hatte sich etwas vom Bollwerk abgezogen, dennoch dachte ich, den Sprung wohl hinüber zu tun, traf es aber so unglücklich, daß ich über ein Ankertau, welches längs dem Verdecke lag, stolperte und mir den rechten Fuß unten aus dem Gelenke fiel. Da lag ich nun und mußte nach Hause getragen werden! Das Bein schwoll an; ich konnte bald kein Glied mehr rühren, und während daran gezogen, gesalbt und gepflastert wurde, hatt' ich die grausamsten Schmerzen auszustehen. An ein Mitgehen mit meinem Schiffe, wie ich es willens gewesen, war nun gar nicht zu den ken. Aber wen nunmehr in meine Stelle setzen?

Zum Steuermanne unter mir hatte ich einen gewissen Martin Steinkraus angenommen, der zwar bereits selbst ein Schiff geführt, aber dabei eben keine Ehre eingelegt hatte. Er war gleich mir ein geborener Kolberger und mir von meinen übrigen Landsleuten halb wider meinen Willen angebettelt worden. Jetzt, da ich im Bette lag, ward ich abermals mit guten Worten und eingelegten Fürbitten von allen Seiten dermaßen bestürmt, daß ich mich endlich in einer unglücklichen Stunde betören ließ, diesem Menschen mein Fahrzeug auf die vorhabende Reise als Schiffer anzuvertrauen. An guten Ermahnungen und Instruktionen, wie er sich in vorkommenden Fällen verhalten, wie er sich helfen und wirtschaften[85] sollte, ließ ich es auf keine Weise ermangeln. Auch gab ich ihm sofort zweihundert Gulden bar in die Hände, um sich damit in Pillau frei in See zu bringen.

Desto verwunderlicher deuchte mir's, daß, als er kaum von Königsberg abgegangen und drei Tage vor Pillau gelegen, das Kontor von Seif & Komp. daselbst mir eine Anweisung von zweihundert Gulden präsentieren ließ, welche mein Schiffer bar auf meine Rechnung bezogen hatte. Gleich darauf war er in der Mitte Novembers in See gegangen. Späterhin kamen noch verschiedene ähnliche Assignationen zusammen im Belauf von etwa dreihundert Gulden zum Vorschein, die er zum Teil bar aufgenommen, zum Teil auf allerlei Schiffsbedürfnisse verwandt hatte, als ob er ganz mit leerer Tasche von mir gegangen wäre.

Alles dieses gestattete mir kaum noch einigen Zweifel, daß dieser Mensch es auf Betrug und Hinterlist mit mir abgesehen habe. Hätte ich noch daran zweifeln mögen, so mußten mir vollends die Augen aufgehen, als ich, nachdem er anfangs Dezembers den Sund passiert war, durch das Haus von Dorß eine neue Assignation, lautend auf fünfundachtzig Taler dän., empfing, die doch nur für Sundzoll und aufgelaufene Kosten verausgabt sein konnten, ungeachtet ich aus Erfahrung wußte, daß ein Schiff von der Tracht wie das meinige dort nur zwölf bis fünfzehn Taler dän. zu zahlen haben könne.

Im Januar 1765 liefen Briefe aus Gothenburg an mich ein mit der Hiobspost: Schiffer Steinkraus sei dort eingelaufen, habe die Einleitung zu einer Haverei gemacht und zu dem Ende gleich anfänglich zweitausend Gulden aufgenommen. Im Februar wiederum Briefe aus Gothenburg: Schiffer Steinkraus habe sich genötigt gesehen, die zur Ausbesserung nötigen Gelder bis auf sechstausend Gulden zu vermehren und sich auszahlen zu lassen!

Jetzt ward mir der unsaubere Handel denn doch zu arg und zu bunt! Wollte ich nicht mit dem Stabe in der Hand mein Eigentum mit dem Rücken ansehen, so mußte ich eilen, dem unverschämten Räuber durch meine persönliche Gegenwart einen Zügel anzulegen. In dieser Absicht ging ich im März mit Schiffer Martin Blank als Passagier nach Amsterdam ab, wo ich meinen Urian entweder schon zu treffen oder doch zu erwarten gedachte. Er hatte aber gar nicht die Eile gehabt, die ich bei ihm voraussetzte; sondern erst in den letzten Tagen des Aprils, nachdem ich schon mehrere Wochen nach ihm ausgesehen, ließ mir Schiffer Johann Henke von Königsberg, der eben auch im Hafen lag, sagen: Steinkraus sei soeben angekommen und habe mit dem Schiffe vor der Laage geankert. Jetzt verlor ich keinen Augenblick, mich nach der Wasserseite zu begeben. Je üblere Dinge ich ahnte, um so sorgfältiger hatte ich auch meine Maßregeln überlegt und mit meinen dortigen Korrespondenten, den Herren Kock und van Goens, die erforderlichen Abreden genommen.

In der Ferne sah ich mein Schiff liegen, das mir durch die arglistige Bosheit eines Taugenichts so teuer zu stehen kommen sollte. Ich ließ mich durch einen[86] Schutenfahrer an den Bord desselben übersetzen, fand aber beim Hinaufsteigen auf dem Verdeck keine lebendige Seele. Voll Sinnens ging ich auf demselben einige Minuten lang umher, und indem ich mir Masten, Taue, Segel, Anker – alles die alten, wohlbekannten Gegenstände! – genauer darauf ansah, konnte ich mit steigender Verwunderung immer weniger begreifen, was denn mit den aufgenommenen ungeheuren Summen daran verändert oder gebessert worden.

Endlich kam der Schiffsjunge aus dem Kabelgat zum Vorschein und machte trefflich große Augen, als er seinen Herrn und Meister so unverhofft erblickte. Ich säumte nicht, den Burschen in ein näheres Verhör zu nehmen, und nun erzählte er mir denn halb aus Treuherzigkeit, halb aus Furcht, mehr als mir lieb war und ich zu wissen verlangte. Sein Schiffer samt den übrigen Leuten hatte sich sogleich nach der Ankunft im hellen Haufen ans Land begeben. Der neue Steuermann (denn der von Königsberg mitgegangene war – ein Unglück mehr für mich! – in Gothenburg gestorben) befand sich nur noch allein an Bord und verzehrte in der Kajüte sein Mittagsmahl. Dort suchte ich ihn mir auf, gab mich als seinen Reeder zu erkennen und wechselte einige gleichgültige Worte mit ihm, bevor ich nach dem Lande zurückfuhr. Er war auf keine Weise der Mann dazu, mir die nähere Aufklärung, die ich brauchte, zu geben.

Da es nun aber einmal auf eine Überraschung abgesehen sein sollte, so postierte ich mich dem Schiffe gegenüber am Bollwerk und beschloß, hier geduldig zu warten, bis mein guter Freund, der dort notwendig passieren mußte, in eigener, werter Person zum Vorschein kommen würde. Nach etwa zwei Stunden Harrens, die mir lang und sauer genug wurden, erschien auch ein Trupp ganz wilder und besoffener Matrosen, in denen ich unschwer mein Volk erkannte, und hinter ihnen her taumelte in keinem besseren Zustande der Schiffer Steinkraus – beide ohne auf mich zu achten – an mir vorüber. Mein schmerzliches Erstaunen brauche ich nicht zu beschreiben; denn dies lustige Leben schien ihrer aller gewöhnliche Tagesarbeit zu sein. Wie mußten die mit meinem anvertrauten Gute gewirtschaftet haben!

Ich folgte ihnen und wartete bis zu dem Augenblick, wo sie sämtlich in die Schaluppe steigen wollten, um nach dem Schiffe überzusetzen. Hier klopfte ich dem Schiffer unversehens auf die Schulter und rief: »Willkommen in Amsterdam!« – Er blickte hinter sich, ward starr wie eine Bildsäule und auch so blaß, als er mich endlich erkannte. Ich änderte indes nichts in meiner höflichen Gelassenheit, wie bitter mir's auch ankam, meinen gerechten Groll zu verbeißen; denn ehe ich gegen ihn losfuhr, wie er's verdient hatte, mußte ich mir erst seine Gothenburger Havereirechnung haben vorlegen lassen, um zu wissen, ob und wie diese gegen meine Assekuradeurs zu rechtfertigen wäre, die in Amsterdam zur Stelle waren und auf mein Schiff achttausend Gulden holl. gezeichnet hatten.[87]

Jene Haverei aber betrug, soviel mir vorläufig bewußt war, noch etwas mehr sogar als diese Summe.

Ich setzte mich nun schwerlich als ein sehr willkommener Gast mit in das Boot und begleitete ihn an Bord. Unmittelbar darauf holten wir das Schiff in die Laage zu den übrigen vor Anker, wo es nach meinem Wunsche neben dem vorbenannten Henke zu liegen kam. Dies gab mir die Bequemlichkeit, mich entweder an meinem eigenen Borde oder bei diesem meinem Freunde in der Nähe zu verweilen und gute Aufsicht zu halten, während die Ladung gelöscht und das Schiff bis auf den untersten Grund leer wurde. Hier vermißte ich denn nun zunächst achtzig Stück eichene Planken, die ich in Königsberg zum Garnieren des Schiffsbodens mitgegeben hatte. Wo konnten die geblieben sein? Ich erhielt die Auskunft vom Schiffer, daß sie in Gothenburg zugleich mit der übrigen gelöschten Ladung ans Land gekommen und dort ohne sein Wissen und Willen vom Schiffsvolk von Zeit zu Zeit über Seite gebracht und heimlich verkauft worden. Das Volk hinwiederum wälzte alle Schuld von sich ab und behauptete, der Schiffer selbst habe die Planken verkauft.

Nicht besser stand es um einen Schiffsanker von achthundert Pfund, der mir auf meinem vorigen Schiffe und bei einer früheren Reise am Bollwerk zu Pillau in einem Sturme zerbrochen worden. Da die beiden Stücken in Königsberg nicht wieder zusammengeschmiedet werden konnten, so hatte ich sie dem Steinkraus mitgegeben, um dies in Amsterdam bewerkstelligen zu lassen. Aber auch dieser Anker war abhanden gekommen, und bei näherer Untersuchung ergab sich's, daß mein getreuer Stellvertreter das größere Stück desselben und die Matrosen das kleinere an Mann zu bringen gewußt und das Geld unter sich geteilt hatten.

Nunmehr kam auch die Reihe an die Durchsicht der Gothenburger Papiere, die Haverei betreffend, und da standen mir denn wahrlich die Haare zu Berge! Alles befand sich in der greulichsten Unordnung, als ob es mit rechtem Vorbedacht verwirrt worden sei, um jede klare Einsicht unmöglich zu machen. Ich wußte nimmermehr, wie ich meinen Assekuradeurs diese Rechnung vorlegen sollte, ohne daß sie dieselben von Anfang bis zu Ende für nichtig erklärten. Selbst meinen Schuft, wie er's verdient hatte, beim Kopfe nehmen zu lassen, war nicht ratsam, wenn ich jene Versicherer nicht selbst in Alarm setzen wollte, über gespielten Betrug bei der Haverei zu schreien und mich für meine eigene Person in das böse Spiel zu verwickeln.

Allein desto sorgfältiger mußte ich auch zu verhindern suchen, daß der Bube, der all seine bösen Schliche sich immer mehr entdecken sah, nicht heimlich das Weite suchte. Ich hatte ihn also bei Tag und Nacht als meinen Augapfel zu hüten und durfte ihn gleichwohl mein Mißtrauen nicht merken lassen. Nichtsdestoweniger mußte sich's fügen, daß, als ich zwei Tage später mit ihm die Börse besuchte, wo es wie bekanntlich immer ein dichtes Gewimmel gibt, er mir unter[88] den Händen entschlüpfte. Die Börsenzeit ging zu Ende, aber Steinkraus war nicht zu sehen! Meine schwache Hoffnung, daß er sich an Bord begeben haben könnte, spornte mich ihm dahin nach, aber sie schlug fehl, wie mir geahnt hatte. Er war und blieb für mich verschwunden!

War meine Lage vorhin schon kritisch gewesen, so schien sie nunmehr durch dies Entlaufen vollends rettungslos für mich zu werden. Ich hatte meinen Assekuradeurs des Schiffers Havereirechnung notwendig vorlegen müssen, bei welcher sie, auch wenn alles in bester Ordnung war, dennoch nur zu guten Grund hatten, den Kopf zu schütteln und sich zu besinnen, ob sie zur Zahlung einer so enormen Summe verpflichtet wären. Jetzt, da jener sich unsichtbar gemacht hatte, wiesen sie jede Anforderung auf das bestimmteste zurück und verlangten, daß ich ihnen vor allen Dingen den Schiffer, der die Haverei gemacht hätte, zur Stelle schaffte, damit er selbst Rede und Antwort gäbe; denn mit ihm und nicht mit mir hätten sie es zunächst zu tun. »Mein Gott!« entgegnete ich – »wenn er nun aber ins Wasser gefallen und ertrunken wäre?« – »Das könnte nur ein Kind glauben«, war ihre höhnische Antwort, »und es schiene nun nicht, daß sie nötig haben würden, um dieser achttausend Gulden willen den Beutel zu ziehen.«

Dagegen war nun diese Summe auf das Schiff wirklich verbodmet und die gesetzliche Zeit bereits verflossen. Der Bodmereigeber verlangt sein vorgeschossenes Geld, welches die Versicherer mit hinlänglichem Fug sich zu zahlen weigerten. Ich befand mich im entsetzlichsten Gedränge; denn was blieb mir übrig, als den Verkauf meines Schiffes geschehen zu lassen, damit die Bodmerei gedeckt werden könne? – Es schien unmöglich, daß noch irgend etwas mich armen, geschlagenen Mann aus diesem Unglück herausrisse!

So saß ich nun eines Tages im größten Herzenskummer in einem Weinhause, wo vor mir auf dem Tische ein holländisches Zeitungsblatt lag. Im trüben Sinnen nahm ich es gleichsam unwillkürlich zur Hand, aber ich wußte selbst nicht, was ich las, bis meine Augen auf eine Anzeige fielen des Inhalts: »Es sei zu Schlinger-Want (ohngefähr eine Meile von Amsterdam, jenseits des Y) ein ertrunkener Mann gefunden worden«, dessen Kleidung und übrige Kennzeichen zugleich näher angegeben wurden. Der Prediger des Orts, von welchem er dort begraben worden, forderte hier die etwaigen Angehörigen dieses Verunglückten auf, der Kirche die wenigen verursachten Begräbniskosten zu entrichten.

»Himmel!« dachte ich bei mir selbst, »wenn dieser Ertrunkene vielleicht dein Steinkraus sein sollte!« – Tag und Zeit und manche von den angegebenen Merkmalen trafen mit dieser Vermutung gut genug zusammen. Zwar konnte ich an seinem bösen Willen, mir zu entlaufen, nicht zweifeln; allein wie, wenn ihn nun sein erwachtes Gewissen zu einer raschen Tat der Verzweiflung getrieben oder wenn Gottes rächende Hand ihn schnell ereilt – wenn er in der Hast, sich den Blicken aller Bekannten zu entziehen, sich unvorsichtigerweise aufs Wasser[89] gewagt und sich seinen Untergang selbst geholt hätte? – Immer schien mir sein Tod unter diesen Umständen ein Glücksfall, und wie gern glaubt man, was man wünscht. – Es kostete mir also auch wenig Mühe, mich zu überzeugen, daß hier von niemand anders, als von meinem entwichenen Schiffer die Rede sei, und dieses Glaubens bin ich auch noch bis zur heutigen Stunde, da ich nie wieder in meinem ganzen Leben auch nur die entfernteste Spur seines Daseins aufgefunden habe.

Ließ sich nun auf diese Art erweisen, daß der Mann, mit welchem meine Assekuradeurs einzig und allein ihren streitigen Handel ausmachen konnten und auch wollten, nicht mehr unter den Lebendigen war, so mußten sie auch seine Rechnungen annehmen, wie sie da lagen und standen, oder den klaren Beweis über die Betrüglichkeit derselben führen, was ihnen schwer, wo nicht unmöglich fallen durfte. Ich als Reeder hingegen war nun befugt, mich buchstäblich an meine Police zu halten und auf volle Entschädigung zu dringen. In der Form war dann das Recht auf meiner Seite; nur ob auch dem Wesen nach: – darüber hatte ich bei mir selbst einige Bedenklichkeiten, die ich nicht sofort loswerden konnte. Daß der Steinkraus bei der Haverei mit Lug und Trug umgegangen sein müsse, schien, wenn auch nicht klar erweislich, doch nur zu glaublich. Meine eigene Hand und Gewissen war gleichwohl rein und frei von jeder, auch nur der entferntesten Teilnahme an jeglichem hier stattgefundenen Unrecht. Hatte ich seiner Ehrlichkeit nicht selbst mein Gut und Vermögen – vielleicht nur zu treuherzig! – anvertraut? War ich nicht selbst von ihm schändlich betrogen, hintergangen und übervorteilt worden? Konnte ich ausmitteln, wie groß oder klein der Betrug sein möchte, den er in Gothenburg gespielt? Und wem konnt' und sollt' es dennoch zukommen, den Schaden desselben zu tragen?

Es mag vielleicht Moralisten geben, die imstande sind, Haare zu spalten und Recht und Unrecht auf der Goldwaage abzuwägen. Ich gestehe, daß ich dies in meiner Einfalt nicht vermag und auch damals nicht vermochte; – ja, damals vielleicht noch weniger, da Glück und Fortkommen in der Welt an meinem Entschlusse hingen und mein Gemüt ungestüm bewegt war. Doch wollt' ich keinen Schritt in dieser Sache tun, ohne mich mit meinem wackern und verständigen Freunde, dem Schiffer Johann Henke, beraten zu haben. Auch er schüttelte dabei anfangs den Kopf und äußerte mancherlei Bedenken, bis ich ihm meine Gründe und meinen Glauben auseinandersetzte, wo er mir denn endlich beifiel und seinen treuen Beistand verhieß. Das Urteil eines so rechtlichen Mannes war bei mir von entscheidendem Gewichte.

Wir entschlossen uns demnach, sofort in meinem Boote nach Schlinger-Want hinüberzufahren und den Ortsprediger aufzusuchen. Indem ich diesem nun das Zeitungsblatt, welches ich früher zu mir gesteckt hatte, vorzeigte, machte ich ihm meine Anzeige, daß jener ertrunkene Mann nach den angegebenen und von mir[90] noch näher bestimmten Kennzeichen mein Schiffer gewesen und wie ich in der Absicht käme, ihm die aufgewandten Begräbniskosten dankbarlich zu vergütigen. Diese letzteren nun, welche einundzwanzig Gulden betrugen, wurden sofort entrichtet und freundlich angenommen, wogegen ich eine Quittung in Form eines Totenscheins erhielt und nunmehr getrost meines Weges ging.

Gleich am andern Tage nun wandte ich mich auf der Börse an meinen Schiffsmäkler, Herrn Schwartwant, durch dessen Vermittlung mein Geschäft mit den Assekuradeurs bisher war betrieben worden. »Nun sehen Sie, wie richtig meine Vermutung eingetroffen ist«, sagte ich, indem ich ihm meinen Schein vorzeigte. – »Der Steinkraus hat wirklich seinen Tod im Wasser gefunden. Sein Sie nun von der Geneigtheit, den Herren davon Eröffnung zu tun und anzufragen, was sie nunmehr in der Sache tun oder lassen wollen?« – Das ganze Gesicht des Mannes nahm sofort eine fröhliche Miene an. »Ich gratuliere Ihnen, lieber Kapitän Nettelbeck«, rief er mit einem Händedruck. – »So mißlich Ihr Spiel bisher stand, so halte ich es doch von jetzt an gewonnen.«

Nun ging er stehenden Fußes, um die beiden Herren Versicherer im Börsengewühl aufzusuchen, während ich ihm von fern folgte. Bald auch stieß er auf einen von ihnen, dem er mein Dokument mitteilte, indem er es mit einem angelegentlichen Vortrage begleitete. An der ganzen Phnsiognomie und Gebärdung des andern nahm ich wahr, wie ihn diese Nachricht überraschte, aber auch, daß er wohl geneigt sein möchte, gelindere Saiten aufzuziehen. Dies bestätigte mir der Mäkler bei seiner Zurückkunft, indem er mir den Vorschlag brachte, morgen auf der alten Stadtherberge einer anzustellenden Konferenz beizuwohnen, wozu ich mir dann einen Assistenten mitbringen möchte.

Zu diesem Beistande konnte ich wohl keinen erfahrnern und geachtetern Mann erkiesen, als meinen alten Patron, den Kapitän Joachim Blank, mit welchem ich vormals wiederholte Reisen nach Surinam gemacht und der sich jetzt hier zur Ruhe gesetzt hatte. Er fügte sich auch freundlich meiner Bitte, und so erschienen wir zur bestimmten Zeit am bemeldeten Orte, während auch meine Gegenparten beiderseits samt einem andern Schiffskapitän und einem Advokaten zugegen waren. Nach einigem Hin- und Widerreden und Streiten kam es denn auch endlich zu einem Vergleich, dessen Billigkeit wir samt und sonders anerkannten und guthießen. Ich ließ nämlich die Hälfte meiner Forderung nach und zeichnete viertausend Gulden Bodmerei auf mein Schiff, wogegen meine Herren Assekuradeurs die andere Hälfte mit gleicher Summe an die Bodmereigeber in Gothenburg abzuzahlen über sich nahmen.

So kam ich bei diesem schlimmen Handel noch glücklich genug mit einem blauen Auge davon, behielt mein Schiff als freies Eigentum unter den Füßen und konnte damit fahren nach Luft und Belieben, um meine Scharte wieder auszuwetzen. Letzteres beschloß ich denn auch auf der Stelle, indem ich mir vornahm,[91] mit Ballast nach Noirmoutiers abzugehen, dort eine Ladung Salz für eigene Rechnung einzunehmen und hiernächst in Königsberg loszuschlagen. Zum Ankauf jener Ware wollten mir meine Amsterdamer Korrespondenten, die schon genannten Herren Kock und van Goens, gegen Bodmerei auf Schiff und Ladung die Gelder in Frankreich formieren.

Ehe ich jedoch zum Werk schreiten konnte, hatte ich zuvor noch reine Rechnung mit meinem Schiffsvolk zu machen, welches außer dem neu hinzugekommenen Steuermann und einem Jungen aus sechs Matrosen bestand. Dies verwilderte Gezücht hatte nicht minder gottlos gelebt und hausgehalten als der nichtsnutzige Schiffer selbst, und weil auch er in keinen reinen Schuhen steckte, hatte er es ihnen nicht abschlagen dürfen, während der Reise Vorschuß über Vorschuß an sie zu zahlen. Dabei waren auch hierin seine Papiere so konfus, daß ich danach den eigentlichen Betrag ihrer aufgenommenen Gelder auf keine Weise ausmitteln konnte. Auf jeden Fall aber waren sie so beträchtlich, daß sie dieselben in Jahren und Tagen nicht wieder abverdienen konnten.

Hier blieb mir nun nichts übrig, als bald den einen, bald den andern besonders vorzunehmen, sie durch gute Worte treuherzig und kordat zu machen, und dann wieder auch durch unversehene Zwischenfragen in die Klemme zu nehmen, so daß stets ein Spitzbube den andern verriet. Allein ebensowenig als sie gegen mich reinen Mund gehalten, konnte es unter ihnen selbst auf die Länge ein Geheimnis bleiben, wie ich es darauf anlegte, ihnen hinter die Schliche zu kom men. Sie hielten es dennoch nach einer gemeinschaftlichen Beredung für das geratenste, mir allesamt auf einmal zu entlaufen, und diesen Vorsatz führten sie auch des andern Tages richtig aus; doch nicht, ohne daß ich es sogleich erfahren und auch den Ort am Lande entdeckt hätte, wo sie sich aufhielten.

Dieser Nachricht zufolge verfügte ich mich augenblicklich mit den zu mir genommenen Gerichtsdienern dahin und traf auch glücklich das ganze Nest beisammen, wo sie denn mit Gewalt aufgehoben und an Bord meines Schiffes begleitet wurden. Am besten hätte ich freilich getan, sie laufen zu lassen; allein so wenig sie auch übrigens taugten, so waren sie doch erfahren und tüchtige Kerle zur Arbeit, die hier in der Geschwindigkeit nicht wohl durch andere zu ersetzen waren. Zudem hoffte ich, daß, wenn ich mich ihrer nur bis zur wirklichen Abfahrt versichern könnte, ich sie wohl wieder zu Zucht und Ordnung herumbringen wollte.

Mit diesem Plane beschäftigt, nahm ich also einige Matrosen von den neben mir liegenden Schiffen für Tagelohn zuhilfe, um sofort die Anker zu lichten und von Amsterdam nach der Bucht bei Dirkerdam abzusegeln, die etwa eine Meile von dort entfernt liegt. Hier warf ich aufs neue Anker, entließ meine gemieteten Matrosen und hoffte, daß ich's nunmehr den meinigen schwer genug machen könnte, von Bord zu kommen, um ihretwegen auch in meiner Abwesenheit wohl[92] sicher zu sein. Denn ich konnte es nicht vermeiden, für meine Person des nächsten Tages noch einmal nach dem verlassenen Hafen zurückzukehren, um neben meiner Ausklarierung noch eine Menge anderweitiger Geschäfte zu besorgen und einen Lotsen mitzubringen.

Vor der Abfahrt nahm ich mit meinem Steuermanne die nötige Abrede und übergab ihm mein verdächtiges Volk in besondre, sorgfältige Aufsicht. Das Boot ließ ich aufs Deck setzen und anschließen, damit sich dessen niemand bedienen konnte, und mein Stellvertreter sollte nicht vom Deck weichen und die Nacht kein Auge schließen, um überall gleich bei der Hand zu sein, bis ich mit dem frühen Morgen mich wieder am Bord zeigen würde. Dann versammelte ich die Ausreißer und stellte ihnen Himmel und Hölle vor und wie schändlich sie handeln würden, Vater und Mutter und Freunde auf Nimmerwiedersehen im Stiche und sich zu Hause nie wieder dürfen blicken zu lassen. Zugleich versicherte ich ihnen, daß meinerseits alles Vorgegangene vergeben und vergessen sein und selbst ihre vom vorigen Schiffer empfangene Vorschüsse in den Schornstein geschrieben sein sollten. Das alles schienen sie auch zu Herzen zu nehmen und versprachen mir mit Hand und Mund, eine gebührliche Aufführung.

Nunmehr rief ich eine vorbeifahrende Schute an, die nach Amsterdam ging, und ließ mich von derselben an Bord nehmen. Es war nachmittags um drei Uhr, und des nächsten Morgens um acht Uhr befand ich mich nach beendigten Verrichtungen bereits wieder auf dem Rückwege und im Angesicht meines Schiffes. Es nahm mich sofort wunder, daß ich kein Boot auf demselben erblickte. Ebensowenig sah ich eine menschliche Seele auf dem Verdeck. Ich sprang endlich selbst hinauf, und mit steigender Bestürzung fand ich die Türe der Kajüte von außen mit einem Brecheisen gesperrt. Auf mein Rufen keine Antwort! Nun riß ich die Türe mit Gewalt auf, und da lag denn mein Steuermann mehr tot als lebendig auf dem Boden längs ausgestreckt!

Stöhnend erzählte mir dieser, was während der Zeit meiner Abwesenheit vorgegangen. Gleich nach meinem Abgange hatte er an dem Zusammenstecken der Köpfe und dem heimlichen Flüstern unter den Leuten deutlich wahrgenommen, daß sie etwas im Schilde führten. Endlich waren sie zu ihm herangetreten, um ihm zu erklären, daß sie mit dem Boote an Land zu gehen verlangten; wollt' er sich's beikommen lassen, bei den Vorüberfahrenden durch Geschrei um Hilfe Lärm zu machen, so gedächten sie ihn über Bord zu werfen und wie einen Hund zu ersäufen. Gleichwohl hatte er mit Abmahnen, Drohen und endlich mit lautem Rufen über zugefügte Gewalt getan, was seine Pflicht von ihm forderte, war aber auch augenblicklich von den Bösewichtern ergriffen, geknebelt, gestoßen, geschlagen und mit verstopftem Munde trotz allem Sträuben in die Kajüte gesperrt worden, worauf sie sich des Bootes bemächtigt und sich damit in alle Welt davongemacht hatten.[93]

In dieser ganzen Zeit nun hatte der arme zerschlagene Mann vor Schmerz und Ermattung sich kaum zu regen vermocht, und auch jetzt hielt er nur mit Mühe den Kopf nach oben. Wie mir selbst dabei zumute war, mag man sich leicht vorstellen. Das Schiff hier auf offener Reede vor Anker und genötigt, sich mit jeder Flut und Ebbe um denselben zu schwingen; kein Volk an Bord, der Steuermann krank und keines Gliedes mächtig; meines Bootes beraubt und das Schiff von den Flüchtlingen, nebst ihren eigenen Sachen von verschiedenem kleineren Gerät, ja sogar von Kessel und Pfannen rein ausgeplündert! Es gehörte eine standhafte Fassung dazu, sich sogleich in dies neue Unglück zu finden!

Was war gleichwohl zu tun? Ich mußte mich entschließen, das Schiff unter der unzulänglichen Aufsicht eines einzigen kranken Mannes zu lassen und sowohl ihm selbst ärztliche Hilfe als mir eine neue Mannschaft zu verschaffen. Also ging mein Weg zur Stelle nochmals nach Amsterdam, wo ich andere sechs Matrosen und einen Jungen, wie sie mir zuerst in den Wurf kamen, heuerte, dann einen Lotsen nahm und einen Wundarzt aufkriegte, der mir den Steuermann verbinden und bepflastern und den Ausspruch tun sollte, ob dieser die Reise ohne Lebensgefahr werde mitmachen können. Nachdem ihm jedoch der Doktor die Glieder etwas zurechtgesetzt und ihn mit Medikamenten reichlich versehen hatte, war derselbe der Meinung, es würde weiter keine Gefahr haben, wenn er sich nur schonen wolle, und so nahm jener seinen Abzug.[94]

Quelle:
Nettelbeck, Joachim: Eine Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgezeichnet. Meersburg, Leipzig 1930, S. 75-95.
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Ausgewählte Ausgaben von
Eine Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgezeichnet
Joachim Nettelbeck, Burger Zu Colberg (3); Eine Lebensbeschreibung, Von Ihm Selbst Aufgezeichnet
Bürger zu Kolberg: Eine Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgezeichnet

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