Aeußere Bedürfnisse.

[37] Zu den unerläßlichen Bedürfnissen der Natur gehören Schlaf, Essen und Trinken, und wir dürfen auch körperliche Bewegung hieher setzen.

Der Schlaf ist eines der wohlthätigsten Geschenke der Natur. Die Welt und wir selbst würden uns bald[37] höchst langweilig und einseitig werden, wir würden sehr bald uns selbst und andere unerträglich finden, die Freude würde uns keine Freude mehr sein, wenn wir keinen Schlaf hätten; Eintönigkeit schritte durch das ganze Leben. So aber giebt uns jeder Tag eine neue Welt, der Schlaf ist der Ruhepunkt für unsere Freuden und Leiden; mit neuer Stärke gehn wir am Morgen an das Tagewerk, eine neue Lust tanzt um die Lebensfreuden, neue Stärke fühlen wir durch ihn, den Lebensstürmen zu trotzen.

Die Zeit des Schlafes sei die Nacht; da ruht die ganze Natur, alle Geschäfte liegen; diese Zeit ist dazu angewiesen. Der Schlaf vor Mitternacht ist der beste. Es beruht dieses nicht blos in der Einbildung, in der üblichen Redensart; die Aerzte beweisen es. Der Einfluß des Sonnenlaufs, des Mondlaufs auf den menschlichen Körper ist nämlich dargethan, und die Sonne wirkt fieberhaft auf uns, je mehr sie dem Nadir, ihrem Mitternachtsstande gegen uns sich nähert; Ruhe um diese Zeit ist daher dem Körper zwiefache Ruhe, die Anspannung des Wachens zwiefache Anspannung, Ueberspannung. Des Mittagsschlafes bedürfen wir nicht; dem spanischen, dem italiänischen Klima ist die Siesta nothwendig, sie ist allgemein eingeführt, und alle Geschäfte ruhen um diese Zeit. Bei uns ist das nicht eingeführt, und wir stören unser Geschäftsleben durch den Mittagsschlaf. Wenn es mit unsern übrigen Verhältnissen vereinbar ist, thun wir aber wohl, gleich nach der Mahlzeit nicht an ermüdende, oder an unfreundliche Arbeiten zu gehn. An erstere um deswillen nicht, da wir dadurch[38] die Aufnahme der ersten Verdauung stören, an letztere um deswillen nicht, da wir, zumal bei schwachem Magen, Gefahr laufen, noch mehr Unfreundlichkeit zu dem schon unangenehmen Geschäft mitzubringen, indem die Dünste des gefüllten Magens auf Laune und Kopf wirken.

Die Stundenzahl, welche dem Schlaf gewidmet wird, sey bei dem noch nicht ausgewachsenen Menschen Acht, bei dem Erwachsenen Sechs.13 Alles mehrere, als wenigere ist schädlich. Oeconomisch müssen wir mit den Stunden des Schlafes umgehn, denn die Gewohnung des zu vielen Schlafes raubt uns ein großes Theil des kurzen Lebens. Man berechne, daß ein ausgewachsener Mensch in vierzig Lebensjahren täglich neun Stunden schläft, und ein anderer in eben so viel Zeit nur sechs Stunden, so hat letzterer über acht Jahre mehr gelebt.

Daß der zu viele Schlaf Gewohnheit, Faulheit, und dem Körper sogar nachtheilig sei, können wir bald an uns selbst wahrnehmen, wenn wir nur wollen. Der Geist nämlich bedarf so gut einer Ruhe, als der Körper, und wiegt den letztern ein. Daher ist der erste Schlaf der festeste. Hat aber der Geist geruhet, so wird das, was wir Traum nennen – denn ein Schlaf ohne Traum ist Tod – lebhafter; der Geist will wieder in die Functionen des Lebens treten, den Körper wecken, er kämpft mit dem Trägheitsstoff der physischen Natur, und ein[39] solcher fernerer Schlaf ist für den Körper nicht die Erquickung der Ruhe, und dieses Ringen ist abspannend für die Geisteskräfte.

Sehr bewährt ist das Sprichwort: Morgenstunde hat Gold im Munde. Das Frühaufstehn führt uns zu einer bessern Eintheilung unserer Zeit, wir sind mit uns selbst einig, alles um uns her haben wir in Ordnung gebracht, wenn das Gewühl des Tages beginnt und mit frischer Ueberlegung, frischer Besonnenheit treten wir auf. Die allgemeine Erfahrung bestätigt die großen Vortheile des Frühaufstehens. Wenn man uns von einem Menschen sagt, er habe sich daran gewöhnt, früh aufzustehn, so verbinden wir gleich die Idee damit, er müsse ein ordnungsliebender, besonnener Mann sein, der mit seinen Geschäften wohl Haus zu halten weiß. Man will das Arbeiten bei Licht des Morgens den Augen nachtheilig finden, indem die Pupille durch den Schlaf zusammengezogen sei, und nun durch die Anstrengung bei Licht zu schnell und streng erweitert werde; allein ist das Abendlicht den Augen nicht wohl noch nachtheiliger, indem die Sehnerven durch die Anstrengung des Tages schon ermüdet, abgespannt sind? –

Das Schlafzimmer sei reinlich, luftig werde es am Tage erhalten, es sei wo möglich geräumig. Die frische Luft nimmt den nachtheiligen, mephitischen Schlafdunst fort, durch die Geräumigkeit des Zimmers wird verhindert, daß während der Nacht die Luft, welche wir wieder einathmen, nicht zu stark mit jenen, nachtheilig auf die edlen Theile wirkenden Dünsten geschwängert wird, und das Zimmer reinlich zu erhalten, und nett[40] zu wählen, muß uns selbst angenehm sein. Denn es ist dies ja die Stelle, auf der wir am längsten verweilen, und wir sehen gleich mit mehrerer Heiterkeit um uns her, wenn wir an einem freundlichen Ort erwachen; jeder wird auch die Bemerkung an sich gemacht haben, daß der erste Eindruck nach dem Erwachen gewissermaßen dem ganzen Tage für uns einen Character giebt, daher denn auch die übliche Redensart: er ist verkehrt aufgestanden! Ein scharfsinniger Beobachter, Lichtenberg, sagt: der Mensch hat andere Ideen wenn er liegt, als wenn er steht. Wir glauben, in diesem Augenblick diese Bemerkung anführen zu müssen, um darauf aufmerksam zu machen, daß es in aller Hinsicht nicht gut sey, noch lange im Bette liegen zu bleiben, wenn man aufwachte. Die Gedanken, welche uns da durch den Kopf gehn, sind selten die besten; wir befinden uns in diesen Augenblicken außer Verbindung mit der wirklichen Welt.

Die üblichen Federbetten, in welche man sich vergräbt, wie der Dachs in den Bau, mögten wir wohl gern verbannt wissen, und an ihre Stelle Matratzen und Kopfkissen von Pferdehaar, Moos oder Spreu und wollne Decken setzen, wenn wir nicht dadurch der bequemlichen Faulheit der Siebenschläfer, und den Besorgnissen der Aerzte den Krieg ankündigten. Allein unsere Vorfahren wußten in einem noch rauhern Klima nichts von unserm weichen Lager, waren gesunder und nicht solche Langeschläfer, als wir in dem bequemeren Lager es geworden sind.

Große Geister lieben gewöhnlich die Nachtwachen, so wie denn überhaupt der große Geist eine Ueberspannung[41] der Natur ist; gute practische Köpfe ziehen die Morgenstunden vor, und es muß uns mehr daran gelegen sein, für einen guten practischen Kopf zu gelten. – Bei dem Menschen regiert gewöhnlich am Morgen, nach dem Schlaf, mehr der Kopf, vor dem Schlaf, mehr das Herz. Man könnte diesen Satz vielleicht dadurch beweisen, daß bei vorherrschender Stärke der Kopf, bei dem Gefühl der Ermattung das Herz geltender ist. Begehrst du daher etwas von eines Mannes Kopf, so wähle den Morgen; willst du etwas von seinem Herzen, so wähle den Abend zu deiner Bitte.

Das Essen und Trinken ist das zweite unerläßliche Bedürfniß der Natur. Wenn der Mensch keinen Magen hätte oder haben müßte, so würde er ein Gott oder ein Teufel sein; der Magen ist das Hypomechleon zwischen beiden. In dieses Bedürfniß hat die Natur so vielen Reitz gelegt, daß man bei einem großen Theil der Menschen mit Recht sagen kann, der Bauch ist ihr Gott.

Es gab und giebt noch ganze Völkerschaften, welche eine, zwei, höchstens drei Speisen kennen, und auch in Deutschland ganze Gegenden, wo in den Dörfern Jahr aus, Jahr ein der Bauer nichts genießt, als grobes Brodt, Milch und Obst. Dagegen ist aber auch die verfeinerte Kochkunst, besonders in Frankreich, zu einem Studium geworden; man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, daß ein großer Herr, wenn es ihm sonst Vergnügen machte, sicher eine Wette darauf eingehn könne, daß er alle Tage, sein ganzes Leben hindurch, ein neues Gericht essen wolle, und es hat bereits solche[42] vornehme Leckermäuler gegeben, welche für jede Art der Speisen sich einen besondern Koch hielten. Unsere Literatur ist bereichert durch Taschenbücher für Leckermäuler, und Kochbücher werden in den Buchhandlungen von vielen emsiger gesucht, als Erziehungs- und Erbauungsschriften. Beide leben, und leben auch wohl beide gesund, jener Bauer bei seiner einfachen Kost, und der Lucull der seinem kananäischen Mahl. Wofür werden wir uns nun zu bestimmen haben; sollen wir sehr einfach in unserm Mahl seyn, oder sollen wir die Freuden einer gut besetzten Tafel vorziehn?

Der Mittelweg ist hier wieder, wie fast überall, der beste. Wenn es mit unsern öconomischen Verhältnissen nicht in Widerspruch steht, ist es thörigt, allzu einfache Kost nur genießen zu wollen. Es giebt uns bei andern den Anstrich des Gesuchten, des Auffallenden, des Geitzes, und entfernt dadurch das Vergnügen gastfreundschaftlicher Geselligkeit von unserm Tisch, indem ein jeder sich gedrückt fühlt, und glauben muß, wir geben ihm nur ungern auch die magere Kost. Wir verachten auch dadurch die Gaben Gottes, die er in so reichem Maaß uns darbietet, und warum sollen wir uns nicht einen Genuß mehr bereiten, da, wo dieser Genuß übrigens in andern Verhältnissen uns nicht stört? Der Bauer mag bei grober Arbeit auch mit grober Kost bestehn können; bei einem mehr geistig wirkenden, regeren Leben, wo die Kräfte der Seele mehr angestrengt werden, und dieses den Körper sehr wohl empfinden lassen, wird auch für uns eine leichtere, mehr in sich selbst kräftige Nahrung er fordert, wenn nicht nach und nach[43] Schlaffheit, Abspannung, drückende Aengstlichkeit und Hypochondrie sich einschleichen soll. Die feinern Speisen sind auch die leichtern Speisen. Grobe Kost belastet den Geist. Der Wechsel und die Reichhaltigkeit der Speisen schützt auch vor einer Fäulniß der Körpersäfte, welche bei immer gleicher Nahrung sich leichter entwickelt.14

So wie der Mensch vor der ganzen Thierwelt den Vorzug hat, daß er unter dem Aequator sich wohl befindet, und die fernsten Inseln des Eismeeres, wo alles Leben ausgestorben zu sein scheint, aufsucht, so hat er auch das Geschenk mehr bekommen, daß er im Thierreich und im Pflanzenreich zugleich seine reichhaltigen Nahrungsstoffe findet. Wie wir in den Speisen aus dem Pflanzenreich und aus dem Thierreich das Verhältniß stellen sollen, dieses scheint die Natur durch das Verhältniß unserer Mahl- und Fleischzähne angegeben zu haben.

Die wahren Lebensphilosophen alter und neuer Zeit verschmähen die Freuden der Tafel nicht, und wir dürfen ihnen sicher folgen, vorausgesetzt namlich, daß Mäßigkeit den Vorsitz hat, und daß die Mahlzeit uns mehr Mittel als Zweck sei. Mit Heiterkeit müssen wir uns zu Tische setzen, und gesellige Freude würde das Mahl. Für sich allein zu essen, ist nur eine halbe Mahlzeit.[44] Selbst die geselligen Thiere nehmen mehr und mit mehrerm Wohlbehagen zu sich, wenn sie in Mehrzahl an das Futter kommen. – Man wird bei Tische nicht älter! Dieses Sprichwort kann man allerdings beherzigen, aber man soll es nicht übertreiben, und die Tafelstunde zu lange hinhalten. – Der Wirth kann füglich nicht zum Aufheben der Tafel das Signal geben; der Gast muß bemerken, wenn der Wirth dies wünscht, und sind es mehrere Gäste, so hat der, welcher bei der Mahlzeit den Vorrang hatte, zu bestimmen.

Eine Hauptmahlzeit nur zu nehmen, ist gesund; die Mittagsstunde muß nun einmal in dem gewöhnlichen bürgerlichen Leben dazu bestimmt sein, denn sie ist die allgemeine Pause in den Geschäften. Die Abendmahlzeit sei einfach, wenn wir den Schlaf und die Heiterkeit für den folgenden Morgen uns nicht stören wollen. – Es ist nichts unanständiger in Gesellschaft, als das unappetitliche Essen, das Schlingen und das Mäkeln; man habe daher bei dem Mahl immer Acht auf sich selbst, und vergesse darüber die Fortsetzung der Unterhaltung nicht. – Es giebt manche Menschen, die man gern essen sieht, man bekommt selbst mehr Eßlust, wenn sie die Speisen zu sich nehmen; sie essen mit Lust und mit Manier.15

Man gebe Acht darauf, welche Speisen uns bekommen und welche nicht; denn jeder kann nicht jedes vertragen, und da nun einmal der Geist des Widerspruchs[45] die Welt regiert, so reitzen uns oft die Speisen am mehrsten, welche eine üble Wirkung auf uns machen. Daher müssen wir außer der Mäßigkeit auch die Enthaltsamkeit üben. Uebertriebene Aengstlichkeit darin aber quält uns selbst, und sie darf in Gesellschaft gar nicht geäußert werden, indem wir die Eßlust anderer dadurch stören.

Vertraun dazu, daß die Speise uns bekomme, ist die halbe Verdauung, und übertriebene Aengstlichkeit macht uns eingebildet krank. So wenig vortheilhaft es ist, wenn es von jemandem heißt, er kann sich im Essen nicht mäßigen; eben so empfiehlt es nicht, wenn die Leute sagen: er glaubt einmal wieder zu viel gegessen zu haben, und setzt Arzt und Apotheker in Bewegung. Für gewöhnliche Fälle sind die Natur und Aufmerksamkeit auf uns selbst die besten Aerzte, und die Meinung des Appollonides, eines berühmten griechischen Arztes, ist so übel nicht, daß er die Ehre, einen Kranken gesund gemacht zu haben, gern mit der Natur theilen wolle, und daß er so viele unerfahrene Aerzte kenne, daß die menschliche Gesellschaft gewonnen haben würde, wenn man es untersagt hätte, Arzneikunde zu treiben.

Eine gute Mahlzeit, und die Mahlzeit zu bestimmter Stunde, muß uns aber nie Bedürfniß werden. Wir laufen dadurch Gefahr, Geschäfte zu versäumen, die gute Mahlzeit zum Zweck zu machen, und Mißbehagen zu empfinden und empfinden zu lassen – was sehr übel ansteht, – wenn wir diese gute Mahlzeit nicht haben können; dieser Fall kann aber doch häufig eintreten; denn das Sprichwort sagt: Backen und Brauen geräth[46] nicht immer, und – Sprichwort, wahr Wort! sonst würde es nicht anerkannt, nicht zum Sprichwort geworden sein. Eigensinnig im Hause alles nach seinem Geschmack zubereitet zu verlangen, wird leicht eine Verwöhnung für die Gesellschaft und quält unsere Haus- und Tischgesellschaft, und es empfinden zu lassen, wenn eine Speise mißglückte, ist noch mehr als kindisch.

Auch als Mann etwas von der Kochkunst zu verstehn, ist sehr gut. Auf Reisen, in schmutzigen Herbergen, kann es uns frommen; dem Soldaten ist es im Felde nützlich, und im Hause kann es uns dazu dienen, daß das Hausgesinde uns nicht so leicht ein X für ein U vormachen darf, indem wir ein Wort mitsprechen können. Weiter dürfen wir aber auch nicht gehen; hinter einen sogenannten Topfkucker lacht das Gesinde, und zwar mit vollem Recht, her. Manche Männer verfallen denn auch in den Fehler, daß sie in Gesellschaft, besonders mit Frauen, gern von Speisen, von Lieblingsgerichten, von deren Zubereitung u.s.w. sprechen. Dadurch stimmen sie sich zu sehr herab, laden den Verdacht des Leckermauls auf sich, oder daß die Mahlzeit die Spindel sei, um wel che sich ihre ganze Lebenswirksamkeit drehe, und sie erscheinen als weibisch; für den Mann giebt es wohl andere Gegenstände der Unterhaltung.

Wenn wir gesagt haben, daß die Freuden der reicher besetzten Tafel dem zu gönnen sind, der mit seiner Kasse auch in gutem Einverständniß darüber ist, so müssen wir uns aber doch sehr hüten, darin nicht zu weit zu gehen; und das geschieht sehr leicht, besonders wenn[47] wir eines guten Magens uns erfreun, und es gern sehen, daß es andern bei uns schmeckt. Aus ersterm entsteht bald ein Leckermaul und die Gewöhnung des zu starken Essens, denn es ist dieses in der That nur Gewöhnung (goulu und friand) und aus letzterm entsteht das Verlangen, den Ruf zu haben, daß wir einen fürtrefflichen Tisch führen, ein Ruf, den unsere Gesellschafter sehr gern immer mehr nähren, bis wir uns täuschten. Sie ließen es sich bei uns wohl schmecken, so lange wir gaben und geben konnten. Treten für uns mißliche Umstände ein, dann zucken sie die Achseln und ziehen weiter, wie die Heuschrecken. Schon in Rom war die Brut der Sybariten bekannt genug. Man muß in aller Hinsicht sich verwahren, den Schmarotzern sein Ohr zu leihen. Durch jenen Ruf verlieren wir auch einen großen Genuß, denn andere nehmen Anstand, uns zu einem blos freundschaftlichen Mahl einzuladen, indem sie fürchten, daß wir unbefriedigt von der Tafel aufstehen, und was ist angenehmer, als diese freundschaftlichen Mahle! – Das »Entbehre und genieße!« sei unsere Regel bei diesem Bedürfniß der Natur!

Eine Verwöhnung im Essen, indem wir vielleicht früherhin in Verhältnissen lebten, wo ein reich besetzter Tisch zu der Tagesordnung gehörte, Verhältnisse, die jetzt für uns nicht mehr sind, z.B. wenn der gräfliche Hauslehrer eine Pfarrstelle bekommt, oder der Secretair des Ministers mit dem magern Gehalt eines Kollegienraths sich begnügen muß, kann leicht dahin leiten, außer dem Hause das zu suchen, was das Haus nicht gewähren kann, und wir laufen Gefahr, selbst wenn wir es[48] auch nicht sind, zu dem verachteten Haufen der Sybariten geworfen zu werden, die den emporgekommenen Lieferanten, den reichen Wucherer als ihren Mäcen vergöttern, wenn er nur ihre Schmeichelworte mit einer guten Mahlzeit lohnt. – Für den Magen, für die Zukunft, gegen die Gewöhnung ist es gleich gut, im Wohlleben selbst sich zuweilen freiwillig ein halbes Fasten aufzulegen.

Doch, der Magen ist gefüllt, oder überfüllt, wir sind gesättigt oder übersättigt; Ekel und Uebelbefinden rächt das Uebermaaß im Genuß der Speise; schlimmer ist es mit dem Trinken, wo es kein Ziel im Uebermaaß augenblicklich giebt.

Wenn wir ganz nach der Natur lebten, so bedürften wir nur des Wassers, der Milch und des frischen saftigen Obstes, um den Durst zu stillen, und den Speisen eine Verbindung zu geben. Das ist ja aber bei dem künstlichen und verkünstelten Menschen bei weitem nicht genug! Er bereitet sich Getränke, die lieblich schmecken sollen, ja er setzt sogar den lieblichen Geschmack bei Seite, wenn die Getränke nur Reitz und Feuer geben oder betäuben. Daher die vielen geistigen Getränke! Eine auffallende Erscheinung ist es, daß die geistigen Getränke bei allen Völkern schnell Eingang gefunden haben, und daß sie, einmal eingeführt, nur durch die Erfindung stärkerer Getränke zurückgesetzt werden. Seit die wilden Völkerstämme Indiens den europäischen Branntwein kennen gelernt haben, ist ein Gefäß, mit diesem Getränk gefüllt, die beste Lockspeise, daß sie Vater und Vaterland verrathen, und ihre Schätze den[49] fremden Schiffern darbringen; der Osmanne, der keinen Wein trinken darf, umgeht das Religionsgesetz, und betäubt sich in Opiaten; Volkserzieher und Sectierer mußten das Heiligste dazwischen stellen, um ihre Pflanzung vor der Epidemie der geistigen Getränke zu schützen, aber auch der eifrigste Israelit trinkt einen Spiritus, den sein Gesetzgeber noch nicht kannte; der strengste Katholik bringt ein künstliches Feuer in die Fasten. Die Völker unter nördlichen Himmelsstrichen ziehn die brennenden, schnell berauschenden Getränke, die südlichern Völker die gewürzhaften, hitzigen, betäubenden vor.

Man sollte beinahe glauben müssen, daß bei diesem allgemeinen Begehr danach starke Getränke ein Bedürfniß der menschlichen Natur wären, allein das ist in der That nicht der Fall. Denn, wäre es Bedürfniß, so würde die Natur für deren Dasein gesorgt haben; sie sind aber alle künstlich, durch menschliche Erfindung zubereitet, und frühere Generationen waren stärker, gesunder und unternahmen Riesenarbeiten, ohne eine zweite, eine erkünstelte Kraft zu bilden. Die Entbehrlichkeit der geistigen Getränke liegt daher zu Tage; doch würden vielleicht, die Faul- und Nervenfieber nicht gerechnet, Volksempörungen entstehn, wenn ein Regent die Bekehrung mit der Beraubung der Mittel anfangen wollte, wenn er die Brauereien und Brennereien vernichten, die Einfuhr verbieten ließ. Die jetzige Generation ist einmal von der Manie ergriffen und um die künftige Generation zu schützen, hätte man allenfalls dem Volke glaublich machen sollen, daß denen, welchen die Kuhpocken[50] eingeimpft worden, der Wein und Branntwein ein wahres Gift sei.16

Den ersten Reitz zu dem Genuß geistiger Getränke giebt die dadurch erfolgende, wohlthuende Anspannung, das gleichmäßig höhere Streben der Seele, das Aufrütteln aller Körperkräfte. Es ist dadurch dem Menschen gleichsam eine Folie untergelegt, durch welche er aus der flachen Alltäglichkeit heraustritt, sich selbst mehr fühlt und die engen Sorgen und Mühen des Lebens in ein rosenfarbenes Licht gehüllt sieht. Sein Herz ist erweitert, er gewinnt Selbstvertraun. Die Unterhaltung wird lebhafter, freundschaftlicher, und alle kleine Gefahren des Anstoßes gleiten an ihm vorbei. Aber warum muß er, um in diesem behaglichen Zustande sich zu fühlen, erst jene Folie sich suchen? Mit Kraft und Willen kann er in sich selbst sie auffinden, ohne zu jener die Zuflucht zu nehmen. Doch, diese wohlthuende Anspannung gewinnt er leichter durch das geistige Getränk, warum sollte er also damit nicht fortfahren? So entschuldigt er sich. Auf jede Anspannung erfolgt aber Abspannung, und um diese zu vernichten, unschädlich zu machen, muß wieder fortgefahren werden. Wenn heute schon zwei Gläser Wein die kleine Anspannung gaben, so wirken in einigen Monaten nur vier Gläser dasselbe, denn zwei Gläser waren schon Gewohnheit geworden,[51] also keine Anspannung mehr. So schreitet man immer gemach in arithmetischen Progressionen fort. Das Bedürfniß ist da, der Zustand der Abspannung wird unerträglich, da er die Welt und uns selbst nicht in dem helleren Lichte zeigt, und dazu kommt, daß der Magen nun laut den Tribut fordert, indem das feine Salz, welches in dem geistigen Getränk liegt, den Reitz zu immer mehrerem Genuß giebt.17 Endlich setzt der leichte Wein zu viel Phlegma ab, die feineren Weine sind zu kostbar, hin und wieder ein Glas Liqueur hinzugefügt, bringt dieselbe Wirkung hervor; auch hierin wird fortgeschritten, und so entsteht denn allmählich der Trinker, der Zecher, der Schlemmer, der Säufer. Aus dem Reitz ist die Gewöhnung, aus der Gewöhnung eine der gehässigsten, unheilbarsten Leidenschaften geworden.

Bei allen andern Leidenschaften helfen Vorstellungen in Perioden der Ruhe; bei dem Säufer nicht. Denn in dieser Periode der Ruhe ist er selbst, der Schlemmer, so erschlafft, so stumpfsinnig, daß nichts auf ihn wirkt, und wenn die Selbstbetrachtung ein Wort reden will, so übertäubt er ihr widriges Mahnen dadurch, daß er sich leichtlich wieder in einen Zustand versetzen kann und wirklich setzt, der ihn augenblicklich über die Alltagsmenschen erhebt, und ihn die Sorgen[52] vergessen macht, zumal der verwöhnte Körper gebieten diesen Zustand wieder fordert. Die besseren Menschen haben sich allmählig von ihm zurückgezogen, selbst zum Gemeinen herabgesunken, befindet er sich auch nur in gemeiner Gesellschaft wohl, alle Geisteskräfte erlahmen und der ausgebrannte Körper nimmt mit dem ausgebrannten Geist ein schmähliges Ende.

Wie viele unzählige Beispiele haben wir nicht hiervon in unserer Erfahrung schon gemacht! Aber alle diese an andern gemachte Erfahrungen sind oft nicht vermögend, uns selbst nicht dem Strom der Zeit preis zu geben. Es giebt viele Menschen, welche schon mit Recht beschuldigt werden, daß sie sich dem Trunke ergeben haben, und die dennoch mit aufrichtiger Ueberzeugung andere laut darüber tadeln, daß sie Säufer sind, – ein Beweis dafür, wie unbemerkt diese Leidenschaft sich einschleicht, und wie unbesiegbar sie ist, wenn sie einmal Wurzel faßte.18

Ist die Vernunft noch nicht ganz durch den Sinnenreitz, durch den Taumel des Genusses ihrer Stimme beraubt, so wird mit jedem Morgen wohl der Vorsatz gefaßt, allmählig den Trunk sich abzugewöhnen, aber fast mit jedem Abend ist der Vorsatz gebrochen, und so verfließt[53] Tag auf Tag, und die Leidenschaft wird immer unheilbarer. Wir sehn auch, daß Menschen mehrere Jahre hindurch zu der nüchternen Besonnenheit zurückkehrten, und doch zuletzt ein Opfer der nur unterdrückten, nicht getödteten Leidenschaft wurden. Ist der Entschluß der Entsagung im Zustande der Besonnenheit gefaßt, so hilft das allmählige Abgewöhnen zu nichts; die Verführung ist einmal da, der Reitz ist schon zu groß geworden. Sogleich, auf einmal muß jener männliche Entschluß ausgeführt werden, die unbedingte Entsagung muß dem Kämpfenden wie ein ewiges Gesetz der Natur dastehn und sollte er auch darüber in eine Krankheit verfallen, sollte diese Krankheit auch zum Tode führen! Besser, sogar ehrenvoll für ihn, er stirbt in diesem heldenmüthigen Kampf, als daß er nachher wieder eine gewisse Beute der Verworfenheit wird.

Es giebt Menschen, welche sich selbst und uns glauben machen wollen, daß sie keine Trinker sind. Sie sagen: meine Natur kann das vertragen; bei der Quantität, bei welcher andere schon taumeln, bin ich noch ganz nüchtern. Sie täuschen aber nur sich selbst und auch das kaum, uns aber gewiß nicht. Gewöhnlich geben sie diese Versicherung nur in dem Zustande der Anspannung ab, indem jeder Trinker gern glauben machen will, als habe er nicht getrunken; doch eben diese Anspannung in Verhältniß gestellt gegen unsere Nüchternheit, überzeugt uns von ihrem Zustande.19 Diese Art[54] Menschen trinken mäßiger, aber sie trinken oft, um in der Anspannung zu bleiben, welche sie zu den Geschäften des Lebens tauglich macht, und welche sie auch mit Besonnenheit zu verrichten scheinen. Aber auch sie gehen schon der ganzen Verworfenheit entgegen; denn entweder die Natur ist eisenfest, so siegt der durch die alcalischen Salze erregte Reitz, und sie trinken erst zu Zeiten, dann gewöhnlich ein mehreres, oder ihre Natur ist nicht stark, so können sie, wie man sagt, nichts mehr vertragen, und wollen und müssen doch trinken, und so kommen sie betrunken in das Geschäftsleben.

Eine sehr üble Anwendung von der Wirkung des Weingeistes auf die Seelenkräfte machen auch die, welche, um an ein mißliches Geschäft zu gehn, oder wenn sie dem Minister vorgestellt werden sollen, oder wenn sie einen hartherzigen Gläubiger bewegen, oder in einem unangenehmen Termin auftreten sollen,20 ein Glas mehr als gewöhnlich trinken. Sie legen sich dadurch das unwürdige Geständniß ab, daß sie aus sich selbst die Kraft, das Vertraun, die Selbstständigkeit, die Furchtlosigkeit, welche zu dem Act gehören, nicht entwickeln mögen, daß sie keine Lust haben, in sich selbst die reichen Quellen zu öffnen, welche Muth, Festigkeit, überhaupt eine erhöhete Natur geben, und durch jenes künstliche Reitzmittel laufen sie nicht nur Gefahr, gerade bei[55] dem wichtigen Geschäft sich nicht so zu nehmen, als sie sich nehmen wollten und sollten, indem diese erzwungene Darstellung ihrer selbst ihnen eine fremde Natur unterlegte, sondern sie gewinnen auch, wenn sie dieses Mittel öfter anwenden, sobald sie in mißlichen Verhältnissen in der Welt sich zeigen müssen, bald den Ruf, daß sie einen Trunk über den Durst nehmen, ein Ruf, den sie zuletzt auch verdienen.

Noch andere gewöhnen sich absichtlich beinahe, aus Verzweiflung den Trunk an. Sie sind in dem ehelichen Verhältniß nicht glücklich, sie können mit dem besten Willen, mit der größten Anstrengung nicht zu einem genügenden Amt gelangen, sie sehen den Verfall ihres Vermögens, sie leiden mit der Noth der Ihrigen, ohne helfen zu können, sie sehen keine gute Bahn vor sich, sie sind ihres guten Namens beraubt, sie sind zu feige zum Selbstmord und doch zu wenig entschlossen, ein elendes Leben ertragen zu wollen, und aus Wuth reißen sie den Becher der Betäubung an den Mund. Diese Menschen sind für sich selbst die beklagenswerthesten, für andere sogar gefährlich; denn diese Verzweiflung, mit der sie den Becher an den Mund setzten, hört mit dem Taumel nicht auf; sie sogen noch mehreres Gift damit ein, und schreckliche Thaten sind schon dadurch geschehen! Jeder Bekannte, Verwandte oder Freund eines solchen Menschen muß es sich zur Pflicht machen, sogleich ihn zurück zu reißen, dieweil es noch Zeit ist; denn unvermeidbar und unabsehbar ist das Unglück, welches der Ergebung zum Trunk aus Ueberdruß und Verzweiflung folgt. – Vernunft, Religion, Philosophie,[56] Hoffnung, Fatalismus sollen die Schutzwehren, die Stützen dieser Niedergedrückten sein, und sie werden noch Menschen finden, die sie in ihrem Unglück, selbst wenn es schwer, selbst verschuldet war, achten. Doch jene entsetzliche Wahl des Trunkes muß auch die letzte Spur des Mitleides von ihnen entfernen und sie sterben unbedauert.

Von dem Hang zum Trunk, von der Leidenschaft des Säufers ist sehr wohl zu unterscheiden der periodische Rausch. Der beständige Trinker er scheint uns stets in einer Anspannung, und bei geringerer Aufmerksamkeit auf ihn sollte man seinen Zustand fast für natürlich halten, indem er die Vernunft noch zusammen zu halten weiß, und erst in einem spätern, ihn noch erwartenden Grade zu viehischer Bewußtlosigkeit herabsinkt. Der periodische Rausch eines Menschen ist uns aber sogleich auffallend, weil dieser Berauschte nicht mehr der Mensch ist, wie er gewöhnlich uns erscheint. Er ist für gewöhnlich nüchtern, hat keinen besondern Reitz, noch keinen Hang zum Trinken; aber er liebt muntere Gesellschaft, er hat leichtes Blut, reitzbare Nerven, die Gesellschaft reißt ihn so hin, daß er nicht auf sich achtet, er weiß nicht, wie der beständige Trinker, wie viel er vertragen kann, und wird berauscht.

Wenn auch deine Freunde darüber scherzen und das verzeihlich finden, so hüte dich doch wohl auch vor einem solchen Rausch. Du unterhieltest dadurch einen Theil der Gesellschaft, durch Herabsetzung deiner Selbstheit, Neckerei und Schadenfreude versucht daher, ihn wiederkehren zu machen, du bist ein Gegenstand des[57] Spottes geworden; ein solcher Rausch ist oft auch von einer Offenherzigkeit begleitet, welche von nachtheiligen Folgen ist; der ernste Mann trauet dir nicht mehr ganz, weil er sieht, daß du dich zu weit vergessen kannst, und du selbst läufst Gefahr, da allmählig Reitz zu bekommen, wo einmal, ein paarmal, nur Unaufmerksamkeit auf dich selbst dich hinriß.

Den Character eines Menschen aus dem Rausch erkennen zu wollen, ist thörigt; denn im Rausch ist der Mensch nicht mehr derselbe, nicht mehr der Vernunftmensch; die Vernunft hat sich in ihr innerstes Gemach zurückziehn müssen, und sie ist es doch, welche dem Character seine Bestimmung giebt. – Man sagt, er hat einen guten Rausch, er hat einen bösen Rausch; beides muß uns gleich warnend sein; der gute Rausch macht zu unbesonnen, zu offenherzig; der böse Rausch zu jähzornig, zu streitsüchtig, und beides wird nüchternen Sinnes zu spät bereuet. Aus dem bösen Rausch auf einen bösen Menschen schließen zu wollen, ist eben so falsch, da, wie gesagt, der Mensch im Rausch nicht der natürliche Mensch, nicht der Vernunftmensch ist. Oft ist auch die Art des Getränkes das Entscheidende, ob es ein guter oder ein böser Rausch sein soll. Der leichte Champagnerrausch setzt den Göttern gleich, Portwein oder Aehl (Ale) machen auch den friedfertigsten Menschen zänkisch, oder er muß weinen, er weiß selbst nicht warum. – Wenn wir jemanden, des Gottes voll, dahin taumeln sehen, können wir in der Regel wissen, wovon er zu viel getrunken hat. War es Bier, so turkelt er mit vorwärts gehängtem, allzuschweren Kopf gerade[58] aus; war es Branntwein, so steht der Kopf fest, und er kreuzt mit den Füßen nach beiden Seiten; war es Wein, so ist der Kopf mehr hervor gerichtet, bewegt sich bestimmt, schnell links und rechts, und die Schwachheit der Füße, die das Bachusfaß nicht tragen wollen, ist geschickter versteckt. Die beiden äußern sichersten Zeichen, zu bemerken, ob jemand überspannt worden sey durch den Trunk, sind die schwimmenden Augen und die schwere Zunge. Aus dem Innern ergeben sich diese Zeichen durch übergroße Freundschaftlichkeit, Offenherzigkeit und manche Arten von Renomisterei.

Kriegerische Nationen finden den Trunk weit verzeihlicher, als diejenigen, welche die Künste des Friedens bauen. Der Krieg selbst ist ja ein Rausch und mögen allerdings bei den Ermüdungen der Märsche, bei den Nachtwachen in unfreundlicher Witterung, bei den Krankheiten in den Lägern, geistige Getränke ein nothwendiges Uebel für den Soldaten sein, und eine weniger feindliche Wirkung auf den Körper machen; doch zu erklären, daß man den Branntwein als Mittel gebrauchen müsse, um den Muth des Soldaten zu entflammen, das würdigt den patriotischen Willen der Armee, würdigt den guten Zweck des Krieges, würdigt die Tapferkeit des Einzelnen herab. Freilich bediente eine gebildete Nation neuerer Zeit sich dieses Mittels, aber ihre berauschten Kriegsknechte stürzten auch in der unterhaltenen, von oben herab unterstützten Trunkenheit, gleich wilden Horden der Südmeers- Insulaner, in die Länder, und das Volk steht gebrandmarkt in den Büchern der Geschichte da! Mag nun aber auch der Anführer,[59] – und commandiere er auch nur ein unbedeutendes Detachement – den Trunk dem gemeinen Soldaten vergönnen müssen; er selbst muß der nüchternste Mensch von der Welt sein. Er bekomme den Ruf, daß er trinkt, und er wird nie zu hohen militairischen Würden gelangen. Die wahre Tapferkeit ist ein Kind der Ruhe, der Ueberlegung; man kann den berauschten Tollkühnen wohl zu Unternehmungen, die ihn selbst einer großen Gefahr aussetzen, und deren Mißlingen dem Ganzen keinen Schaden bringt, gebrauchen, aber der höhere Rang der besonnenen Führer wird ihn nie schmücken. –

Bei anhaltenden Arbeiten im bürgerlichen Leben, bei dem Nachtwachen, wenn der Körper oder der Kopf nicht mehr fort will, nimmt man geistige Getränke zu Hülfe, um das Feuer anzuschüren; hier sind sie ein wahres Gift für den Körper, für die Geisteskräfte. Sie überspannen beide, und die nachherige Abspannung ist um so größer, und hat, bei öfterm Versuch dieses Mittels, Erschlaffung, gänzliche Abspannung zur Folge. Welche gewagte Mittel bei eintretender Krankheit muß dann nicht auch der Arzt da anwenden, wo die gewöhnlichen Reitzmittel der Medicin nicht mehr wirken!21

Die schädlichen Folgen, welche der Hang[60] zum Trunk und die spätere Leidenschaft desselben für den Menschen selbst, und in seinem Verhältniß gegen andere hat, sind nicht zu berechnen. Er selbst zerstört muthwillig seinen Körper und führt ihn einem frühzeitigen Tode entgegen, er wird unsauber, unreinlich, seine Körperkräfte erlahmen, seine Geisteskräfte verwirren sich und schwinden, eine nach der andern, er sinkt gemach in den Zustand der Dummheit, seine guten Gefühle werden abgestumpft, die wahre Ehre ist ihm keine Ehre mehr, er wird gemein, der Sinn für Häuslichkeit, Gattenliebe und Gattentreue ist nicht mehr da, die niedrigste Wollust ist ihm ein viehischer Genuß, er ist Tyrann im Hause, der Wohlstand flieht, die Armuth zieht ein, draußen ist er ein cynisches Schwein, ein Schreckbild den Erwachsenen, ein Spielball den Gassenbuben; von allen Freuden der Welt ist er hinweggegeißelt, von allen Thüren wird er zurückgewiesen, kein Vertrauen mag man zu ihm fassen, kein Amt ziert ihn mehr, denn er kann keinem mehr vorstehen, man kann ihm nichts mehr anvertrauen, da er auch das kleinste Geheimniß nicht verschweigen kann, sein Wort gilt nicht mehr, seine Versicherungen werden überhört, seine Gaben werden zurückgewiesen; so taumelt er und wankt, und wankt, und fällt; keine Thräne fließt an seinem Grabe.

Der Rettungsmittel für den, welcher schon in die Leidenschaft des Trunkes verfallen ist, giebt es wenige; denn der Zustand der Bewußtlosigkeit, oder der, wo die Vernunft in Fesseln liegt, ist fast permanent oder oft wiederkehrend; alle Gefühle sind schon abgestumpft, und was bei andern, stets nüchternen Menschen,[61] einen widrigen Eindruck macht, ist für ihn eindruckslos; und dazu kömmt, daß mit der wachsenden Leidenschaft auch das Bedürfniß des Körpers wächst. – Ein wesentliches Rettungsmittel ist Veränderung des Ortes. An einem fremden Orte ist der Trinker von seiner liederlichen Gesellschaft entfernt, (wer schon für sich allein, im Stillen durch geistige Getränke sich zu betäuben anfing, ist fast ganz unrettbar verloren!) und er kann hier mit leichter Mühe einen neuen Menschen anziehn, hier, wo er seinen guten Ruf bei seinem Erscheinen erst feststellen, nicht, wie in dem verlassenen Ort, wieder gewinnen soll; letzteres ist weit schwerer, oft unausführbar, und verzweifelnd kehrt der Ermüdete zu den reitzenden Sünden zurück. Eben so, wie Müssiggang, Mangel an Beschäftigung häufig den Anfang zu dem Trinker macht und ihn in die lustige Gesellschaft der Zechbrüder in die Weinhäuser führt, eben so ist anhaltende, in nothwendigen äußern Verhältnissen auferlegte Beschäftigung ein Rettungsmittel. Ueberhaupt ist eine engere Verbindung mit der Geschäftswelt ein Rettungsmittel. Den Sinn für Häuslichkeit, für den kleinen Freudenwechsel im Hause suche man neu zu erwecken, man fülle auch jede Viertelstunde der Muße aus, man schaffe sich, wie man zu sagen pflegt, eine Puppe, ein Steckenpferd an, man ehre die Wissenschaften, denn wer sie ehrt, den ehren sie wieder; man beschränke den gellschaftlichen Kreis so viel als es möglich ist, und man glaube nie, wenn man auf diesem Wege der Rückkehr ist, daß man schon wirklich geheilt sei; darum stehe die Besonnenheit immer zur Seite, man vermeide jede[62] Gelegenheit, welche einen Rückfall fürchten lassen könnte, und man habe ja nicht die Keckheit, Versuche machen zu wollen, ob man nun auch wirklich fest sei. In dieser Keckheit liegt schon die Lust, wieder sündigen zu wollen, und jedes verwegene Selbstvertraun wird uns schädlich.

Da wir nun wissen, wie verführerisch der Genuß der geistigen Getränke ist, und wie zerstörend, unheilbar die Neigung, der Hang wird, so müssen wir auf Vorbeugungsmittel denken. Das Beste davon ist ohnstreitig, es sich zum Gesetz zu machen, durchaus gar keine geistigen Getränke zu sich zu nehmen. Schon dem Knaben muß es begreiflich gemacht werden, daß diese künstlichen Zubereitungen des rohen Stoffes wider die Natur sind, also gewöhnlich gebraucht, der Gesundheit schaden, und nur zu den Officinen der Apotheken, zu der Aufsicht der Aerzte gehören. – Man nehme an Trunkenen, die ein, die menschliche Würde entehrendes Scheusal sind, ein warnendes Beispiel, und man beobachte im Stillen einen Trinker, um an ihm zu bemerken, wie er von Stuffe zu Stuffe immer tiefer sinkt. – Man sorge für seine Gesundheit, vermeide jede Ueberladung, erhalte die Frische des Körpers und der Lebenssäfte durch eine gute Diät, und das Bedürfniß, zu trinken, Reitzmittel zu gebrauchen, um der erschlafften Natur wieder aufzuhelfen, wird sich nicht melden. – Man suche in sich selbst den Fond von Heiterkeit, munterer Laune, Kraft, Muth und Entschlossenheit, um der Folie des Weingeistes zu dem gesellschaftlichen Vergnügen, zu den mißlichen, unangenehmen Geschäften nicht zu bedürfen[63] man wähle seinen Umgang nicht unter den Kupfergesichtern mit den schwimmenden Augen und mache ein Kreutz vor dem Schilde eines Zechhauses; man überzeuge sich davon, man philosophire es sich selbst vor, daß ein Bedürfniß, welches wir nicht kennen, kein Bedürfniß für uns, eine Lust, die wir nicht kennen, keine Lust ist; man hüte sich wohl, Versuche mit sich zu machen, um nachher einen Triumph in der Standhaftigkeit finden zu können: denn diese Standhaftigkeit, der man sich rühmen will, wird bald von der auflauernden, überraschenden Verführung verhöhnt; man beschäftige sich in Stunden der Muße lieber in dem Hause, als außer dem Hause, ohne deshalb eine sogenannte Hausunke zu sein, und man kehre immer freudiger in das Haus zurück, als man die Gesellschaft verließ; in Gesellschaft und für die Gesellschaft versäume man den Umgang mit den Frauenzimmern nicht,22 ohne deshalb den Umgang mit Männern ganz zu vernachlässigen und als Weiberknecht sich schelten zu lassen, – sie aber hassen den Trunk der Männer und unter ihnen und mit ihnen ist man vor den Zechgelagen geschützt; – alle diese Regeln und Anmahnungen halten von den Pforten des Bachustempels[64] zurück, in dessen Innern so leicht der liebenswürdige freie Naturmensch, der hinein ging, in ein cynisches Schwein umgewandelt wird, als solches wieder heraustaumelt, die edle Natur entwürdigt, und dem Spott und der Verachtung der Menge sich preis stellt.

Es giebt aber viele Menschen, welche die Sünden ihrer Väter mit sich herum tragen, welche eine reitzlose schlaffe, asthenische Natur haben, und besonders je mehr die Jahre zunehmen, desto mehr der äußeren Reitzmittel bedürfen. Sie müssen trinken, sie sollen trinken, denn die Aerzte wollen es so haben, weil schon die Väter und Großväter Schlemmer waren, weil sie in den frühesten Jahren schon trinken mußten, und sie befinden sich wohler nach dem Genuß. Diese müssen aber durchaus beständig die Vorschrift des Arztes vor Augen haben, sie müssen den Wein nur als Arzenei betrachten, sie müssen sich einbilden, sie trinken eine Arzenei, und nicht zum Wohlgeschmack, und sie dürfen das Maaß dieser Arzenei durchaus ohne den Willen des Arztes nicht steigern. Freilich muß man auch hierin behutsam sein, denn es giebt manchen Arzt, der den nicht wirklich Kranken sondern nur Kränkelnden nach seiner eignen Fülle der Gesundheit, nach seinen starken Nerven beurtheilt und der meint, was er vertragen kann, das könne auch jener vertragen, so wie denn die Manie des Reitzes auch unter eine gewisse Klasse von Aerzten gefahren ist, die ihre Kranken fast in allen Fällen betrunken machen.23[65]

Es giebt aber auch Gelegenheiten, wo wir das Gemeinschaftliche stören, oder als geziert oder verhöhnend erscheinen würden, oder wo man uns damit necken könnte, daß wir eine versteckte Krankheit bei uns trügen, wenn wir gar nicht mittrinken, zutrinken, oder Bescheid thun. In diesen Fällen muß man denn allerdings eine Ausnahme machen, indeß diese Ausnahme muß nur so weit gehen, daß wir unsern guten Willen zeigen. Der vernünftige Mann wird es billigen, daß wir nur den guten Willen zeigten, und daß die Tafelrunde der Zecher deshalb uns tadelt, wenn wir nicht mit ihnen Stich halten, kann uns nicht nur gleichgültig sein, es ist sogar ein Lob für uns; wer wünscht, es jedem recht machen zu wollen, ringt nach einer Unmöglichkeit, quält sich selbst, und ist ungewiß, unbeständig. Uebrigens aber muß man fernerhin solche Gesellschaften mit dem dum me vestigia terrent! zu vermeiden suchen.

Zu den äußern unerläßlichen Bedürfnissen der Natur gehört nun auch Bewegung, Beschäftigung des Körpers. Viele Menschen, besonders die Stubensitzer glauben, sie haben der Natur den nothwendigen Tribut gezollt, wenn sie eine halbe Stunde in der Stube auf und nieder gehen, oder bei außerordentlich schönem Wetter[66] es wagen, ein Viertelstündchen vor dem Thore sich umzuschauen, oder sie meinen schon Bewegung genug gehabt zu haben, wenn sie das Steinpflaster nach dem Kollegienhause hin täglich zweimal treten; noch andere, die an eine sitzende Lebensart gebannt sind, übertreiben die Art der Bewegung darin, daß sie in Zwischenstunden das Holz für die ganze Haushaltung klein schneiden, oder im Garten ein Stück Land umgraben, oder Wasser in Menge aus dem Brunnen ziehn, und dergleichen schwere Arbeiten mehr verrichten; – beide Theile befriedigen aber das Erforderniß nicht recht.

Bewegung muß der Mensch haben, wenn nicht Fäulniß der Säfte, Stockung des Blutes, Beschwerde im Unterleibe, und die daraus zuerst und zunächst erscheinende üble Laune und dann die Hypochondrie Platz gewinnen sollen. Zeit zu der, dem Körper nothwendigen Bewegung hat jeder Geschäftsmann, von denen wir hier besonders reden. Diese Bewegung geschehe in der freien Luft; sie ist ein wahres Bad für den Körper, und frischt ihn an. Man kann bald die Bemerkung an sich machen, daß diese Bewegung in freier Luft an einem stürmischen Tage, wo der Wind uns durchstreift, den Körper stärkt, und ihm wohler bekommt, als das stille, ruhige Wetter. Daher finden wir auch, daß die Bergbewohner ein freieres, leichteres Gemüth haben, und bei vielen Bädern thut die, den ganzen Körper durchströmende Bergluft mehr, als die Heilquelle selbst. In dem schottischen Hochlande und an den Alpen, wo der Wind immer rauscht, findet man die ältesten Menschen. Selbst in übler Witterung werde die Bewegung nicht ausgesetzt;[67] vergönnen wir uns eine Stunde mindestens dazu, und wenn die Geschäfte es zulassen, die Zeit gegen Abend, oder vor dem Mittagsmahl; lassen wir die Geschäfte und Sorgen für diese Zeit ruhen; sie sei uns eine freudige Beschäftigung, wenn sie eine wahre Würze für den Körper werden soll. – So viel Angenehmes einsame Spatziergänge haben, so vereiteln wir doch dabei einen großen Theil des Zweckes der Bewegung, indem wir uns in Gedanken vertiefen, oder wohl gar Grillen fangen; das Blut fängt also nicht an, so leicht sich zu bewegen, als es soll; daher die Spatziergänge mit den Seinigen, oder in anderer munterer Gesellschaft vorzuziehen sind. – Da sehn wir denn wohl einen Menschen im Geschwindschritt vorbei eilen, als wenn er den ewigen Frieden bringen wollte; er läuft eine Ecke in das Feld hinein, und dann eben so schnell in sein Studierzimmer zurück; ist das aber die mäßige, unserer übrigen Lebensart angemessene Bewegung? – Gewiß nicht! Die wesentlichste Aufmerksamkeit muß man bei dem Zweck der Bewegung darauf richten, daß auch der Geist seine freie, ungebundene Erholung bekomme, und dem Psychologen ist es ein erfreuender Anblick, wenn Stubengelehrte, ernste Geschäftsmänner u.s.f. bei Landparthien ihre Eigenthümlichkeit ganz vergessen und wie Kinder umherspringen können. – Viele sitzen auch eilf Monate am Arbeitstische fest, und reisen dann einen Monat in das Bad, um die Bewegung nachzuholen; doch die Natur des Menschen ist eigensinnig; was man einmal bei ihr versäumt, wo man es mit ihr verdorben hat, da giebt sie das Nachholen schwerlich zu. Ueber den Einfluß[68] einer täglich wiederholten mäßigen Bewegung auf den Körper und über die daraus dem Gemüth zustießenden guten Wirkungen haben schon große Weltweise weitläufige Abhanlungen zu schreiben nicht für unwerth gefunden; Plato lehrte in der Academie im Spatzierengehen, und Griechen und Römer sorgten für große, öffentliche, mit bedeckten Gängen begränzte Plätze, damit auch bei unfreundlicher Witterung dem zu äußerm und innerem Wohlsein für nothwendig erachteten Erforderniß genügt werden könne. Mögte doch auch in unserm, der menschlichen Natur mehr widerstrebenden Norden, ernstlicher für die Grundlage der Erhaltung dieser Natur für die richtige Bewegung gesorgt werden!

Man sagt von Menschen: sie sind schwer aus dem Hause zu bringen! Gewöhnlich sind das die bequemen Menschen, die lieber zu Hause sitzen bleiben, ehe sie sich dazu überwinden können, sich in die Kleider zu werfen, wenn sie sich auch wohl gestehn müssen, daß sie gern mit ausgingen. Daher haben wir schon es anempfohlen, gleich nach dem Aufstehn sich völlig anzukleiden, damit man, wie der Soldat im Kriege, immer marschfertig sei. Oft sagen auch wohl solche Menschen: wozu soll ich ausgehen? Ich habe ja einen geräumigen, luftfreien Garten am Hause. Man darf ihnen aber erwiedern: den Garten kennst du bis auf jeden Maulwurfshügel; draußen aber bekommst du neue Gegenstände zu sehen, die dich zerstreuen, Gesicht und Herz erweitern sich in der weiteren Ansicht der Natur, der Wechsel ist in der physischen, wie in der moralischen Welt nöthig. – Zuweilen sind diese auch solche Männer,[69] die in einem kleinen Hader mit ihrer Mitwelt leben, und die da fürchten, auf einem Spatziergange diesem oder jenem zu begegnen, dem sie nicht begegnen wollen. Allein gerade diesen ist es eine unerläßliche Pflicht, sich aus dem Hause zu reißen, denn wir sagen ihnen hiermit, sie sind auf dem sichersten Wege, menschenscheu oder menschenfeindlich zu werden. Haben sie etwas vor mit Einzelnen, so können sie ja die Sache ihren Gang gehen lassen und müssen darum nicht eine üble Meinung gegen alle Menschen fassen; haben sie sich selbst etwas vorzuwerfen, weshalb sie glauben in dem Gerede zu stehen, so ist zwar das Gefühl, welches sie aus eignem Willen von der Gesellschaft zurückzieht, zu schätzen, allein eben dieses Gefühl schützt sie davor, nicht mit Unverschämtheit, mit Frechheit unter den Menschen wieder aufzutreten, und auftreten müssen sie, wenn sie dem Gerede nicht noch mehr Raum geben wollen; sie müssen sich selbst zeigen, und die Verleumdung hat ausgeredet, denn sie fürchtet allemal den Mann selbst. Man braucht eben keine freche Stirn zu haben, um seinen Platz in der Welt zu behaupten; aber leider ist für die Verhältnisse des bürgerlichen Lebens, für den, welcher von diesem Leben abhängig ist, eine etwas dreiste Stirn, ein Hinwegsetzen über die Urtheile des großen und kleinen Pöbels nöthig, um sich erst furchtbar, dann geltend zu machen. – Diese Gewöhnung, nicht gern außer dem Hause zu sein, stört auch viele gesellige Freuden; wir denken dann immer, wenn wir einmal ausgetrieben wurden, an das Haus zurück, wir nehmen nicht Theil, werden einsylbig, die Gesellschaft behagt[70] uns immer weniger, und wenn wir denn doch hin und wieder unter die Menschen müssen, sind wir absprechend, anmaßend, eigenwillig, eigensinnig, weil wir daheim daran gewöhnt waren, der Herr im Hause zu sein.

Spatziergänge, das Zusammentreffen der Menschen auf Spatzierplätzen ist auch für jeden erheiternd, belehrend. Die andern Leutchen kramen auf diesem Marktplatz ihr bestes aus; sie bringen ihre Sontagslaune mit, und wir sehn und hören da so manches, was unsere Menschenkunde bereichert, was als drollig erscheinend, unsere Lachlust erregt, was den Character der Allgemeinheit näher bezeichnet, und alles dieses geht uns auf einsamen Spatziergängen, oder bei dem Holzhauen im Hause verloren.

Man empfiehlt als die beste Art der körperlichen Bewegung das Reiten, da es den Körper gleichmäßig, ohne besonderes Anstrengen einzelner Theile bewegt. Die Sache mag, medicinisch betrachtet, richtig sein, und empfehlen wir daher auch im Bürgerleben dem, der es haben kann, das Halten eines Reitpferdes zu seinem Vergnügen. Indeß warnen wir hierbei, besonders jüngere Männer, vor der Pferdeliebhaberei. Sie ist eine sehr leicht verführende, aber auch sehr kostspielige Modethorheit; ein Pferd ohne Fehler haben zu wollen, heißt eben so viel, als ein Mensch ohne Fehler sein zu wollen, oder einen solchen zu kennen; das Stallmeistern der Pferde überlasse man den Stallmeistern von Profession, und der beständige Tauschhandel mit Pferden hat schon manchem, außer einer schönen Geldsumme, einen Arm oder ein Bein gekostet. Diese Modethorheit mit[71] in Gesellschaft zu bringen, ist noch abgeschmackter, und doch findet man häufig Gesellschaftskreise, wo die ganze Unterhaltung um das Pferdekapitel sich dreht, wo man auch sogar den gutwillig zuhörenden Damen versichert: die Fanny habe eine gute Kruppe, der Hector trage à merveille, und die Meinung der école vétérinaire gehe dahin, daß Joli nicht buchlahm sei, sondern einen Sehnenklapp habe.24

Nun aber kommen Perioden, wo man die Bewegung durch Spatziergänge, Spatzierritte u.s.w. einstellen muß; der Winter ist da, oder die Witterung ist zu unfreundlich, und doch fühlen wir das Bedürfniß der Bewegung. Außer dem Hause kann da auch der Mann in Amt und Würden, vorausgesetzt, daß der Ort nicht gar zu kleinstädtisch ist, daß er nicht fürchten darf, zu unanständige Gesellschaft anzutreffen, und daß sein Amt, z.B. das Amt eines Richters, eines Pfarrers, ihn nicht nöthige, behutsamer zu sein, öffentliche Billards und verdeckte Kegelbahnen aufsuchen; beide gewähren eine gute Art von Bewegung, und sind unschädliche Gesellschaftsspiele.25 – Im Hause ist denn[72] schon mißlicher, und da mag denn eigne Erfindung nach Lage der Umstände einem jeden die Bewegung gewähren. – In Frankreich war es schon unter Ludwig XIV. Sitte, daß die Söhne der Vornehmern, auch die, welche zu künftigen, öffentlichen Aemtern bestimmt waren, nebenbei eine Profession erlernten, oder eine Kunst besonders üben mußten. Nicht allein, daß dadurch die Jugend von Unbesonnenheiten in den Zwischenstunden des Unterrichts abgehalten wird, so stärkt auch diese körperliche Arbeit den Körper, bleibt in spätern Jahren ein beschäftigendes Spiel, und ist sogar bei dem Sturz der Familie, bei Staatsumwälzungen eine Stütze. Mancher emigrirte französische Graf, Baronet und Marquis futterte sich und seine Familie in Deutschland mit Drechseln, Zimmern, Tischlern u.s.w. durch, und wenn wir z.B. in der Jugend nebenbei auch bei einem Zimmermann, Drechsler, Tischler in die Lehre gingen, so kann uns diese Kenntniß in spätern Jahren im Hause eine körperliche Bewegung, eine angenehme Beschäftigung gewähren, und außerdem einen Unterricht, welcher uns der Anmaßung der Gewerksmeister mindestens gleich stellt.

Kleine Lustreisen hin und wieder sind die wohlthuendste körperliche Bewegung. Sie zerstreuen, lehren andere Menschen, andere Gegenstände aller Art kennen, und selbst die Luft, das Wasser eines andern Orts giebt eine dem Körper wohlthuende Störung des Gewöhnlichen. Fußreisen ohne einen bestimmten Plan sind besonders zu empfehlen; auf ihnen findet sich gewöhnlich der Frohsinn der Gesellschaft und das Anziehende der Gegenstände von[73] selbst. Wohl zu warnen ist aber, daß solche phantastische Fußreisen nicht zur Ausschweifung übergehen; denn alles Uebermäßige liegt außer der Regel, die Regel selbst aber in der Mitte, und ihr Stützpunct ist: die Mäßigung!

Quelle:
Nicolai, Carl: Über Selbstkunde, Menschenkenntniß und den Umgang mit den Menschen. Quedlinburg, Leipzig 21818, S. 37-74.
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