Aeußere Trauer. Damen ohne Begleitung. Visitenkarten.

Wielange trauert man um seine Schwiegermutter? – Wie ißt man Erbsen? – Wieviel Visitenkarten giebt man ab? usw. usw.

Kunterbunt durcheinander sind mehrfach derartige Anfragen an unser Blatt »Deutsche Warte« ergangen. – Nachfolgendes soll über den guten Ton handeln und besonders auf einzelne eingelaufene Anfragen antworten.

Wenn auch Vornehmheit des Charakters unvergleichlich höher steht wie jene äußere Vornehmheit, so ist diese letztere, die sich in tadellosem Benehmen, in guten Manieren kundgiebt, doch keineswegs zu unterschätzen.

Wer infolge seiner sozialen Stellung oder aus irgend anderen Gründen – z.B. angeregt durch eine keineswegs tadelnswerte Eitelkeit – das Bestreben hat, auch durch äußere Formen zu gefallen, den dürften diese Zeilen interessiren. Guter Inhalt wird noch mehr gewürdigt in schöner Schale, und ein edler Mensch wird durch ein vornehmes Aeußere sicher gewinnen, ja sogar sich oft erst dadurch zur verdienten Geltung bringen. Gerade betreffs äußerer Formen begegnet man oft ungemein schroffen und kleinlichen Urteilen seitens wirklicher oder vermeintlicher Kenner. »Mit dem Menschen kann man nicht zusammensitzen, der ißt mit dem Messer.« Mancher also Kritisirte ist vielleicht innerlich anständiger als der gestrenge Kritiker, wenn er auch unanständiger ißt.

Dies zum Troste für Diejenigen, welche sich für äußere Formen nicht interessiren können oder wollen. – Jetzt zu den einzelnen Anfragen: »Wielange sollte man trauern um einen nahen Verwandten, um die Ehefrau, einen Bruder oder eine Schwester? Welches ist der Traueranzug für einen Mann?« – Die Trauer im Herzen läßt sich weder kontrolliren noch kommandiren! Sie wird empfunden, und sicher von Manchem[2] länger und intensiver, der sie äußerlich in geringem Maße und kürzere Zeit markirt. Also die Anfrage betrifft natürlich nur die äußere Trauer. Um den Gatten oder die Eltern verlangt die Etikette mindestens eine Trauer von einem Jahr, um Schwester oder Bruder wohl mindestens eine solche von einem halben Jahr. Bei entfernteren Verwandten lassen sich selbst allgemein gehaltene Regeln schwer aufstellen. Je näher Jemand dem Verstorbenen gestanden, oder auch oft zu je größerem Danke er ihm verpflichtet ist, eine um so längere Trauerzeit des Leidtragenden wird man auch äußerlich für angemessen erachten. Aber man soll nie voreilig Jemanden verurteilen, der sich an die übliche Trauerzeit nicht bindet. Vielleicht glaubt er trotz wahrer innerer Trauer im Sinne des Verstorbenen zu handeln, wenn er weniger mit äußerlicher Trauer paradirt. Manchem mag wohl auch äußere Trauer nur dazu dienen, um bei seiner Umgebung den Verdacht eines nur geringen Quantums innerer Trauer nicht aufkommen zu lassen.

Die notwendigsten Trauerabzeichen des Mannes sind schwarze Florstreifen um Aermel und Hut; in zweiter Linie kommen dann schwarze[3] oder mindestens dunkle Krawatte und Handschuhe, und endlich, je nach den Beziehungen zum Verstorbenen oder je nach der seit dem Tode verflossenen Zeit, ein schwarzer oder mindestens dunkler Anzug.

Anfrage: »Wielange trauert man um seine Schwiegermutter?« Bevor ich eine ernste Antwort hierauf gebe, möchte ich berichten, daß ich weder Zeit noch Kosten gescheut habe, um auf diese Frage sofort persönlich zu antworten, ging diese Anfrage doch von meinem baumlangen alten Freunde R. aus. Meine gelbe Postkarte mit den Worten »Kleiner Schäker« als Antwort ist sicher eingetroffen; unsere Deutsche Post ist la die gewissenhafteste auf der ganzen Welt.

Die armen Schwiegermütter! Auch schon die lebendigen bedauere ich – wie setzen ihnen allein die »Fliegenden Blätter« zu! Eigene Erfahrungen habe ich noch nicht aufzuweisen; aber da ich es unternommen, über die Etikette zu schreiben, so glaube ich natürlich auch etwas davon zu verstehen und glaube speziell auch mit jeder Schwiegermutter auskommen zu können, sogar mit einer eigenen (in spe!). Mein Rezept würde sein: Bestimmtheit und Höflichkeit. Und zwar letztere in einer im Verhältnis zur ersteren[4] immer größeren Dosis. – Doch zurück zum Thema. Fassen wir die Anfrage ernst auf! Wenn man seine Frau lieb hat, so wird man schon ihretwegen um die Schwiegermutter trauern wie um seine eigene Mutter – wenn nicht etwa – doch halt! Kein Wort weiter! Erst wenn ich mal die Bekanntschaft meiner eigenen Schwiegermutter gemacht haben sollte, will ich mich über dies Thema weiter auslassen!

Anfragen: »Wie soll ein junger Mann, der täglich seine Lehrerin besucht, die Dame begrüßen? Soll er immer denselben Gruß oder überhaupt nichts sagen? Was soll man morgens, nachmittags und abends sagen? Wie soll man seinen Lehrer begrüßen? Ziemt es sich für zwei junge Damen, abends ohne männlichen Begleiter ins Theater zu gehen? Falls sich das nicht ziemt, wie sollen junge Damen dann ins Theater gehen, wenn sie keine männlichen Freunde haben?« Der Name des Fragestellers bleibt ja Amtsgeheimnis, also er möge mir nicht zürnen, wenn ich betreffs des ersten Teiles, der Begrüßungsfrage, als »Benehmigungs«-Ratschlag die Warnung ergehen lasse: Man sage nie und nimmer des Abends zu seinem Lehrer: »Guten Morgen, Fräulein X« und nie des Morgens zu[5] seiner Lehrerin: »Guten Abend, Herr Z.«; denn man könnte für krank oder mindestens zerstreut – ja unter Umständen für boshaft gehalten werden. Zum Beispiel, wenn der Lehrer etwa ein zartes, weibisches Aeußere, oder die Lehrerin etwa einen Schnurrbart hat!

Es ist der Etikette nicht zuwider, wenn zwei junge Damen ohne Begleitung ins Theater gehen. Besser wäre es freilich, wenn sie einen Dienstboten bis an den Eingang des Theaters mitnehmen könnten und auch von dort nach Schluß der Vorstellung abgeholt würden. Uebrigens soll die Etikette keine Kette, keine bindende Sklavenkette sein. Wäre ich eine, nur eine einzige junge Dame – im Gegensatz zum Wortlaut der Anfrage –, und fände ich keine Begleiterin, so würde ich eben allein ins Theater gehen. Ich würde dann auch bei gutem Wetter aus Versehen einen Regenschirm mitnehmen und seine Verwendbarkeit als Waffe bei etwaigen Belästigungen feststellen. Ein noch besseres Mittel gegen Belästigungen sind unauffällige Kleidung und noch mehr unauffälliges Benehmen. Ultima ratio ist unsere Schutzmannschaft und das Publikum. Letzteres ist natürlich um so hilfsbereiter, je mehr Hilfe eine Dame durch ihr[6] Benehmen und ihre Kleidung zu verdienen scheint. Eine Dame, im vornehmsten Sinne des Wortes, wird sich allerdings nie auffällig benehmen.

Anfrage:»Wenn eine Schauspielerin und Mitglied einer Sommerbühne, die mehrere Wochen in einer Stadt bleibt, von einer Dame daselbst, die ihr im Uebrigen fremd ist, aber großes Interesse für sie hat, Blumen bekommt, ist es da Sitte, oder würde es ihr geziemen, die Blumen anzunehmen? Wenn es ihr gestattet ist, wann und wie darf das geschehen?« Es würde vollkommen in der Ordnung sein, wenn sie in dem Falle einen Danksagungsbrief für die Blumen schickt, es würde im Allgemeinen nach den Regeln der Etikette unkorrekt sein, wenn sie eine solche Freundlichkeit nicht annimmt.

Natürliches Taktgefühl und der gesunde Menschenverstand sollen auch dafür maßgebend sein, wie man sich in Sachen der Etikette zu verhalten hat. Eine unnatürliche Handlungsweise ist auch unvornehm. Es ist aber unnatürlich, sich einer beabsichtigten Wohlthat gegenüber undankbar und ablehnend zu verhalten. Wenn aber besondere Gründe die Ablehnung eines Geschenkes geboten erscheinen lassen, so[7] soll man doch wenigstens die gute Absicht des betreffenden Gönners dankbar anerkennen.

Anfrage: »Ein Herr X. macht mit seiner Frau und Tochter bei einem Ehepaar Besuch. Was für Visitenkarten werden da abgegeben? Sollen die Karten von Herren und Damen in demselben Stile sein?« – Damen machen den Herren im Allgemeinen keine Besuche, also Frau und Fräulein werden nur je eine Karte für die Hausfrau abgeben, Herr X. dagegen zwei Karten für die Hausfrau und den Hausherrn. Für die Hausfrau können auch Herr und Frau X. eine gemeinsame Karte abgeben. Auf solchen gemeinsamen Visitenkarten ist es chik und – zumal bei häufig vorkommenden Familiennamen – auch praktisch, den Vornamen des Mannes anzuführen, also z.B. »Herr und Frau Rudolf Müller«. Natürlich ist, zumal hier in Berlin, dem Herrn und der Frau Rudolf Müller zu empfehlen, auch ihre Wohnung auf der Visitenkarte anzugeben. – Die Form der Karte darf bei Herren und Damen ein und dieselbe sein und kann auch grundverschieden sein. Wählt man verschiedene Form, so dürfte es wohl angemessen sein, wenn die Visitenkarte der Dame ein zierlicheres Format hat als dasjenige der[8] Karte des – allgewaltigen?! – Eheherrn. Ein Ehepaar nach dem Liede »Kleiner Mann hat 'ne große Frau, he, juchhe! usw.« wird schlechten Witzen vorbeugen, wenn es gleich großes Visitenkartenformat wählt. Ueberhaupt läßt sich wohl schwer sagen, welche Visitenkartenform modern ist. Man mache einmal in den Schaufenstern Unter den Linden Studien. Da findet man neben der kleinen zierlichen Karte des »Graf Stanislaus Jaromir Tschidin-Tschidilinski von Tschidinowskaja« eine dreimal so große Karte mit der Aufschrift »August Lehmann« in dicken Riesen-Buchstaben. Herr August Lehmann braucht deshalb noch kein Protz zu sein. Die Deutlichkeit der Schrift auf seiner Visitenkarte entspricht vielleicht seinem ehrlichen, klaren, ziel- und selbstbewußten Wesen, und Größe des Formates bevorzugt er, weil er seine Visitenkarte auch zu schriftlichen Mitteilungen verwendet. Wer für irgend eine Aeußerlichkeit einen logischen praktischen Grund hat, steht jedenfalls höher, als Derjenige, der etwas stumpfsinnig nachäfft, ohne zu wissen, weshalb und warum. Bei dem Nachäffen kann man auch reinfallen. Eines schickt sich nicht für Alle und nicht für Alles Mir fällt da[9] ein alter Witz ein: Frau A. erzählt der Frau B: »Wir waren heuer in Baden-Baden.« – Frau B. denkt, 's muß wohl sein sein, Badeorte immer doppelt zu nennen und erwidert mit Emphase: »Und wir waren in Ischl-Ischl!«[10]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 2-11.
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