Pedanterieen. Verbeugungen der Herren. Fremdes Ehepaar in Gesellschaft.

[137] In meiner letzten Plauderei erklärte ich, es sei für tanzende Herren schicklich, sich auf großen Bällen, wenn irgend möglich, den Eltern ihrer Tänzerin sofort nach Beendigung der betreffenden Tanztour vorstellen zu lassen. Ein mit den Worten »Ein Ballvater« unterzeichneter Leser macht dagegen in einer dankenswerten Zuschrift den vollauf berechtigten Einwand: »Da kommen die armen Mädels ja unter Umständen zu wenig zum Tanzen, wenn sie nach jeder Extratour ihre Eltern aufsuchen und ihnen ihren Tänzer vorstellen müssen.« – Auf grund dieser Zuschrift will ich mich schleunigst korrigiren. Dieses Vorstellenlassen wird man auf großen Festen in Rücksicht auf[137] die Tanzlust »der armen Mädels« oft ganz unterlassen oder nur vornehmen, wenn die Ballmutter oder der Vater sich in nächster Nähe befinden und zwar am besten während der Tanzpause.

Im Allgemeinen wird der Herr einer Dame nicht selbst seinen Namen nennen, sondern sich vorstellen lassen, weil dies eben feierlicher ist. Aber wenn man keine dritte Person zum Vorstellen hat, so ist es ganz natürlich, daß man die Dame einfach bittet, es selbst thun zu dürfen. Es wäre doch zum Beispiel kleinlich und thöricht, wenn ein Herr auf einem großen Tanzfest mit einer ihm fremden, aber augenscheinlich tanzlustigen Dame nur deshalb nicht tanzen wollte, weil gerade keine ihm bekannte dritte Persönlichkeit in der Nähe ist, die ihn der tanzlustigen jungen Dame vorstellen könnte. Da tritt man eben an die Dame heran, etwa mit den einfachen Worten: Ich würde gern mit Ihnen tanzen, gnädiges Fräulein, ich bitte mich selbst vorstellen zu dürfen, mein Name ist »M.« Steht die Dame mit einem Herrn zusammen, so ist es richtiger, auch wenn er Einem fremd ist, diesem seinen Namen zu nennen und ihn zu bitten, die Vorstellung vorzunehmen.[138] Man ist im Allgemeinen nicht mehr kleinlich im Vorstellen und betrachtet, zumal in größeren Gesellschaften, das Unterlassen des Vorstellens als eine verzeihliche Unachtsamkeit. Natürlich, je mehr Ansehen Jemand in der Gesellschaft genießt, mit um so größerem Rechte kann er Beachtung seitens der Anderen beanspruchen. Ist eine Gesellschaft zu groß, um sich Allen vorstellen lassen zu können, so wird man dies – nächst den Wirten – nur gegenüber den nächsten Angehörigen der Wirte thun und gegenüber denjenigen Personen, die in der betreffenden Gesellschaft die erste Rolle spielen oder zu denen man besondere Beziehungen hat oder endlich mit denen man eben gern bekannt werden möchte. Das ewige Vorstellen wirkt auf die Dauer ermüdend; wenn man z.B. Vielen hintereinander vorgestellt wird, so kann man deren Namen doch schwer behalten, das Vorstellen ist dann eben oft eine eigentlich zwecklose Formensache und ich halte es entschieden für praktisch, in einer großen Gesellschaft nach Verlauf einiger Zeit anzunehmen, daß man eben Allen vorgestellt ist. Sollte man im späteren Verlauf einer großen Gesellschaft Jemanden ansprechen und diesem[139] Jemand es an der Nase ansehen, er führt im Geiste Buch darüber, wer ihm vorgestellt ist, und ist man nicht ganz sicher, es gethan zu haben, so kann man ihm ja in bescheidenem, höflichem Ton erklären: »Ich bin nicht ganz sicher, ob ich mich Ihnen schon bekannt gemacht habe« usw. Ein Mensch von Selbstbewußtsein sollte sich die kleinliche Sorge sparen, ängstlich darüber zu wachen, ob auch Keiner ihm die äußerliche Ehrung des Vorstellens vorenthält. Einer hochstehenden Persönlichkeit wird man sich thunlichst besonders vorstellen lassen und nicht auch zugleich der Umgebung dieser Persönlichkeit. Wenn A. den B bittet, ihn einem größeren Kreise auf einmal vorzustellen, so genügt es, wenn B. nur den Namen des A. nennt. Da es für A. doch schwer ist, viele Namen auf einmal zu behalten, so verlangt es verständigerweise die landesübliche Etikette keineswegs, daß B. auch die Namen aller übrigen Personen aufzählt, denen er den A. vorstellt. B. wird etwa sagen: »Gestatten Sie, meine Damen und Herren, daß ich Ihnen Herrn A. vorstelle!« Und dann darf der sprachliche Teil dieser Zeremonie beendet sein. Herr A. wird sich langsam mehrfach verneigen und[140] zwar in der Reihenfolge und in der Tiefe seiner Bücklinge auf die gesellschaftliche Berechtigung der einzelnen Personen auf größere oder geringere äußere Ehrung Rücksicht nehmen. Also vor der Dame wird die Freiübung »Kopf vorwärts beugt« etwas tiefer ausgeführt, als vor dem Herrn. Innerhalb jeden Geschlechtes ist natürlich das Lebensalter und die Höhe der Berufsstellung – bei Damen außerdem die wichtige Frage »ob Frau, ob Fräulein« und bei Frauen die Berufsstellung des Ehegatten – entscheidend für die Tiefe, bis zu welcher der Vorgestellte sein Haupt langsam herabneigt. Langsam herabneigen und langsam das Haupt wieder heben! Um Himmels willen nicht ruckartig den Kopf in der Richtung nach vorn und unten stoßen und ruckartig wieder zurückschnellen, wie eine Henne, die ein Haferkorn aufpickt! Das macht einen ungewandten, ängstlichen Eindruck. Sich langsam verbeugen macht einen formensicheren, selbstbewußten Eindruck, es ist auch deshalb praktisch, weil man dabei sein Gegenüber beobachten kann, wie es die ihm erwiesene Ehrung aufnimmt. Beobachtet man bei Beginn seines Bücklings an seinem Gegenüber einen ungerechtfertigt hochmütigen Gesichtsausdruck[141] – bei jungen, sehr verwöhnten Damen nennt man das »schnippisch« – dann wird man sich eine noch tiefere Neigung des Kopfes unter Umständen schenken. Es macht einen sklavischen, dürftigen Eindruck, in seinen Ehrerbietungsausdrücken zu freigebig zu sein gegenüber Jemandem, der dieselben scheinbar nicht würdigt. Dann lieber als Quittung für den vom Gegenüber markirten Hochmut den eigenen Kopf weniger tief nach unten neigen und dafür beim Heben des Kopfes lieber etwas mehr zurück und nach oben fahren und dadurch andeuten, »Hochmut imponirt uns nicht, hochmütig sein können wir selbst, wenn wir wollen.« Ein hochmütiges Wesen soll oft den Schein einer größeren Berechtigung zum Stolz erwecken, als thatsächlich vorhanden ist. Manche denken, vornehme, hochstehende Personen sind meist reservirt und kühl; also je unfreundlicher Du bist, um so mehr imponirst Du! Vielen imponirt das ja auch sicherlich; aber an der Meinung Derjenigen, denen das ganz und gar nicht imponirt, sollte Einem mehr liegen.

Wie in sprachlichen Ergebenheitsausdrücken – also brieflich oder mündlich –, so soll man auch in den körperlichen Ehrerbietungsbezeugungen,[142] wie bei Verbeugungen, nie zu überschwänglich sein, schon um sich gegebenen Falles noch überbieten zu können. Wenn ein strebsamer Gerichtsassessor vor dem Landgerichtspräsidenten wie ein Taschenmesser zusammenknickt, wie soll er sich dann angesichts eines Oberlandesgerichtspräsidenten bei Bücklingen gebärden – ja, vor dem Justizminister muß er dann mindestens Kopf stehen.

Zwei Anfragen: »Man hat seine Visitenkarte abgegeben, muß man sich auch noch durch Namensnennung vorstellen?« Das Natürliche ist auch das Vornehmere. Wenn man allein Besuch macht oder wenn ein Herr und eine Dame oder ein Offizier und ein Zivilist zusammen Besuch machen, so ist ja keine Verwechselung möglich, und man hat sich ja durch die vorher abgegebenen Visitenkarten vorgestellt. Also eine mündliche Namensnennung ist dann überflüssig und unangebracht. Was Anderes ist es, wenn z.B. zwei Referendare A. und B. ihre Visitenkarten zugleich abgeben und Beide noch fremd sind; dann wird natürlich der Aeltere – sagen wir der Referendar A. – das Geheimnis enthüllen müssen, wer von ihnen Beiden A. und wer B. ist, und etwa im[143] Empfangszimmer folgende kurze Rede halten: »Mein Name ist A.« – und auf seinen Kollegen zeigend – »Herr B.« Zugleich erfolgen dann die Verbeugungen, erst vor der Hausfrau, dann vor der erwachsenen Tochter und zuletzt vor dem Hausherrn. Ein gewandter Hausherr wird den eintretenden Herren A. und B. entgegengehen, sie begrüßen und nach Entgegennahme ihrer eben beschriebenen Vorstellung beide Herren sodann seinen Damen durch Namensnennung präsentiren, selbstverständlich im vorliegenden Falle nur die Namen der Herren nennen. Hoffentlich sind die Referendare A. und B. nicht so kurzsichtig, um nicht von selbst zu erkennen, wer Mutter und wer Tochter ist. In anderen Fällen wie dem vorliegend gedachten wird der Hausherr, Herr C., natürlich praktischerweise die Herren orientiren, z.B. etwa mit den Worten: »Wir haben Besuch von unserer Nichte, Fräulein D.!«

Auf die zweite Anfrage: »Was sagt man dem die Thür öffnenden Dienstboten?« kann ich nur antworten: Man sagt Nichts oder höchstens »Danke«; Letzteres, wenn man ein besonderer Menschenfreund ist und das nicht in betracht[144] zieht, daß der Dienstbote Einem ja keine freiwillige Aufmerksamkeit erweist, sondern einfach den Anordnungen seiner Dienstherrschaft gemäß handelt.

Einer ferneren Anfrage gilt Nachfolgendes: Herr und Frau A. leben seit Kurzem in Berlin. Sie haben bei Herrn und Frau B., veranlaßt durch beiden Ehepaaren gemeinsame Freunde, ihre Visitenkarten abgegeben und auch als Quittung deren Visitenkarten erhalten. Man traf sich gegenseitig nicht zu Hause. Herr und Frau A., vom Ehepaar B. zu einer größeren Gesellschaft geladen, treten in die ihnen gänzlich fremde Gesellschaft ein. Gewöhnlich tritt der Hausherr jedem neu erscheinenden Gast – namentlich wenn derselbe von einer Dame begleitet ist – entgegen. Herr A. wird sich ihm vorstellen und etwa sagen: »Mein Name ist A., ich habe mit meiner Frau Ihrer gütigen Einladung Folge geleistet« oder, wenn er kein Freund von usuellen Phrasen ist, vielleicht noch besser und ganz einfach: »Wir sind Herr und Frau A.« Der Hausherr, Herr B., wird der Frau A. seinen Arm anbieten und sie zu seiner eigenen Frau führen und derselben Frau A. und Herrn A. vorstellen. Die weitere Vorstellung[145] übernimmt nun gewöhnlich der Herr oder die Frau des Hauses oder eine von ihnen damit beauftragte Person. Ist die Gesellschaft sehr groß und können sich die Wirte nicht für jeden ihrer Gäste weiter interessiren, so wird sich das Ehepaar A. auf folgende Weise bekannt machen. Herr A. wird an verschiedene, bereits vor ihm anwesende Herren herantreten etwa mit den Worten: »Mein Name ist A., darf ich Sie meiner Frau vorstellen und dann bitten, uns den hier in Ihrer Nähe befindlichen Damen vorzustellen!« Den vor ihm erschienenen Herren wird sich Herr A., wenn es nicht im Verhältnis zu ihm besonders hochstehende Personen sind, selbst vorstellen oder sich im Ramsch – d.h. mehreren zugleich – vorstellen lassen. Frau A. muß nur darauf bedacht sein, sich den Frauen oder älteren Fräuleins – in einer sehr großen Gesellschaft nur den besonders angesehenen oder denen ihrer nächsten Umgebung – vorstellen zu lassen. Dahingegen müssen Herren und jüngere Fräuleins als die nach der herrschenden Ansicht Tieferstehenden selbst die Initiative ergreifen, sich der Frau A. präsentiren zu lassen, auch wenn dieselbe später gekommen ist. Sind dem als Gäste eintretenden Ehepaar[146] A. der Herr und die Frau des Hauses nicht erkennbar, so wird sich eben Herr A. dem ersten besten Herrn vorstellen und ihn nach Herrn und Frau B. fragen und seine Frau zu ihnen führen.

Mehrere Anfragen betreffen den Handkuß. Der Herr darf den Versuch machen, jeder verheirateten Frau oder jeder älteren, unverheirateten Dame, die ihm die Hand reicht, auch die Hand zu küssen. Er darf den Versuch hierzu machen! Das heißt, mit derselben vornehmen Ruhe, mit der sich ein gewandter Herr verbeugen wird, soll er auch die Hand einer Dame zu sich emporheben oder sich auf die ihm gereichte Hand herabneigen, um der Dame, die den Handkuß nicht will, es zu ermöglichen, unauffällig und langsam ihre Hand wegzuziehen. Die erste Vorbedingung zum Handkuß ist für einen Herrn die, daß ihm die Dame überhaupt die Hand reicht! Grade in den vornehmsten Kreisen sind die Damen weniger zimperlich darin, einem Herrn, den sie für gesellschaftlich gleich erachten, die Hand zu reichen, sogar schon beim ersten Vorstellen.[147]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 137-148.
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