Zweites Kapitel

[34] Nun war es mir wie ein Traum, daß große Herrschaften auf der Welt sind, und ich bin so arm zu Hause, daß ich nicht einmal eine Herberg und ebensowenig Geld und Hausrat habe; meine Schwestern konnten mir auch so wenig helfen, wiewohl zwo verheuratet waren: denn sie hatten selbst nichts, als jede einen Haufen kleiner Kinder und Ölträger zu Männern.

Mein übler Nachbar, der Hunger, fand sich auch bei mir wieder ein.

Ich redete oft mit meinen Spielkameraden, von welchen keiner aus dem Ort gekommen ist, von der weiten Welt; denn sie hielten mich schon für einen Gereisten, und ich erzählte ihnen von den großen Herrschaften, Tafeln und was ich immer gesehen habe.

Wie in der ganzen Welt bekannt, daß die unsterbliche Kaiserin Maria Theresia von allen ihren Untertanen nicht umsonst als eine wahre Mutter geliebt wurde, so hörte ich auch, daß sie die Tyroler absonderlich gern hätte. Tag und Nacht gingen mir dergleichen Gedanken, wie ich mich etwa bei ihr beliebt machen könnte, in meinem Gehirn herum.

Allein der Hunger tat weh, und ich mußte mich bestreben, daß zu essen bekam.

Ich ging deswegen unter meinen Befreunden bald zu diesen, bald zu jenen, aber die Freundschaft hatte bald ein Ende, und sie wurden meiner Visite gleich überdrüssig; ich mußte mich, um mich des Hungers zu erwehren, zum Schafhüten verdingen. Nun hütete ich am Riedberge, eben bei demjenigen Bauern, nämlich z' Örtler, wo ich das erstemal hätte hin sollen, die Schafe, und[35] bekam in der Frühe eine Suppe und ein Mus zu essen; auf Mittag gab man mir ein paar Hände voll Dämpfnudeln mitzutragen, welche allemal um zehn, längstens bis eilf Uhr schon verzehret waren. Fünfzig bis sechzig Schafe hatte ich zu hüten, und diese gingen im Gebirge so weit auseinander, daß ich den ganzen Tag Kreuz hin, Kreuz her, über Stöcke, Steine und gefährliche Gräben laufen und springen mußte, um keines davon zu verlieren.

Eine Tages, auf den Abend, legte ich mich in der Dämmerung sehr hungrig und abgemattet nach aller Länge auf den Wasen hin und überlegte das, was sich zeither mit mir zugetragen, wie auch meinen gegenwärtigen Zustand. Auf einmal hörte ich neben meiner im Gesträuß etwas dahertrappen und wurde also in meinem Nachdenken gestört. Futsch war ich auf und sah eine junge weiße Ziege mit einem Jungen. Ich schlich ihr durchs Gesträuch nach, ohne zu bedenken, wo wir waren, weil ich halt Milch bei ihr zu bekommen hoffte, um sie zu trinken und meinen Hunger damit zu stillen; ich erwischte sie auch wirklich bei einem hintern Lauf und hielte sie fest; die Ziege aber erschrak und machte mit mir, weil ich sie nicht entlassen wollte, einen Kapriol von zwölf Schuh hoch über einen Felsen, Stock und Stauden hinunter. Wie wir uns unterwegs getrennet haben, weiß ich nicht mehr. Ich lag auf einer Ebene, geschunden und zerkratzet am ganzen Leib, und sah die Ziege mit ihrem Jungen an einem andern Felsen klettern; mich lüstete aber nicht mehr nach ihrer Milch, sondern ich mußte darauf bedacht sein, auf welcher Seite des Felsens ich wieder zu meinen Schafen kommen könnte; trieb diese zusammen und nach Hause. In Zeit von vierzehn[36] Tagen gingen die Schafe auf die Alpe, und mein Verdienen nahm ein Ende.

Nun kam ich zu meinem alten Görgen und bat ihn wieder um die Herberge, welcher mich auch einnahm. Da schlief ich dann auf dem Solder unter dem Dach, hatte einen Teppich halb unter, halb über mich und ein Stück Holz unter dem Kopf. Endlich wurde ich krank; und das Häusl von meinen Eltern verkauften mein Bruder und sein böses Weib an meinen Schwager, welcher mich in meiner Krankheit abholte und mich in sein neuerkauftes Häusl ebenfalls unters Dach auf das Heu überlegte, wo ich auch besser ausruhen konnte.

Ich wurde (Gott sei Dank) wieder gesund und logierte noch bei meinem Schwager auf dem Heu.

Tausenderlei Gedanken von großen Herren, von Gnaden und Glück, von der guten Kaiserin, welches ich von den Leuten öfters sagen hörte, quälten mich Tag und Nacht, und war ohne Unterlaß damit beschäftiget.

Eines Abends ging ich wie gewöhnlich schlafen, da träumte mir ganz natürlich: ich wäre zu der guten Kaiserin gekommen, hätte meinen Hut unterm Arm, welchen sie mir voll Geld geschenkt und mir auch auf einen gewissen Flecken, wo eine alte Brechlstube gestanden, eine Wohnung und ein Brandweinhüttel bauen lassen.

Voll Freude erwachte ich, dankte meinem Schöpfer, sprang über die Stiege hinab und erzählte es meiner Schwester, welche just kochte; diese lachte mich aus, ich aber achtete es nicht und ging flugs, den Platz zu betrachten, welchen ich so fand, wie ihn mir der Traum geschildert hat.

Der Bauer, welchem dieser Platz zugehörte, hieß Anton Krapf, ein alter ehrlicher Mann, welcher eben einen[37] Steinwurf weit davon einen Zaun machte. Ich ging zu ihm hin und sagte: »Guter Toni, sei doch so gut und gieb mir das Plätzl, wo die Brechlstube steht, zu kaufen (welches etwa sechs bis sieben Schritte ins Quadrat ausmacht), die Kaiserin läßt mir ein Haus darauf bauen.« – »Woher weißt du dann das?« – »Es hat mir heute nacht so natürlich davon geträumt, daß ich glauben muß, es sei gewiß.« – »Armer Jung, du erbarmest mich, ich will dir ihn geben, du kannst dich darauf verlassen. Deine Eltern hab ich gut gekannt, waren auch brave Leute; ich hätte ihn zwar schon öfters verkaufen können, aber du sollst ihn haben.« – »Wie teuer?« – »Zween Gulden, ein Skapulier und ein Gläsl Brandwein.« – »Die Hand darauf! richtig.«

Wir gingen miteinander hinauf zu meinem Schwager, welcher mir die zween Gulden vorstreckte; ich bezahlte ihm damit den Platz, gab ihm auch das Skapulier und ein Fräckäl Brandwein.

»Gelt, Schwester, es wird wahr, was ich dir heut morgen gesagt hab? Itzt glaubst du es wohl? denn ich hab wirklich schon Grund und Boden, und durch unsern Herrgott und die Kaiserin bekomm ich auch ein Haus und werde noch reich; darnach will ich mir erst recht gute Schmalznudeln kochen und sie mir recht schmecken lassen.«

Zehnmal des Tags ging ich hin, meinen Platz zu besehen, legte mich darauf und sah mein künftiges Haus schon in Gedanken.

Ich hatte weder Rast noch Ruhe; ich mußte zu der Kaiserin meine Reise antreten, obschon alles meiner spottete und mich jedermann auslachte.

Endlich ward der Trieb so stark, daß ich mich nun wirklich[38] auf den Weg machte. Ich nahm in einem gemalten gläsernen Fläschl eine Maß Kirschengeist mit mir und wanderte im Gottes Namen durchs Tal hinaus, ohne einen Kreuzer Geld oder Zehrung, nach Innspruck zu, weil ich gehört hatte, daß dort große Herren wären, welche über alles zu befehlen hätten, so dachte ich mir, wird wohl auch die gute Kaiserin dort zu Hause sein. Ich kam den ersten Tag über acht Stunden weit, ohne einen Bissen geessen oder etwas getrunken zu haben, nämlich bis gegen Hall. Der Hunger plagte mich, und matt ward ich auch; da begegnete mir ein Herr in einer Chaise (wie ich es hernach erfragte, war es der Baron Crusina); dieser fragte mich: »Was fehlt dir, kleiner Duxer? und warum weinest du?« – »Narr! wenn dich so hungern tät wie mich, so würdest du auch nicht lachen.« – »Hungert dich denn stark?« – »Ja, ich habe heut noch nichts geessen.« – »Wo willst du dann noch hin?« – »Ich gehe zu der Kaiserin.« – »Was willst du dann bei ihr machen?« – »Ich hab da ein Fläschl Kirschenbrandwein, den gebe ich ihr, und sie läßt mir ein Häusl bauen.« – »Willst du mit mir auf mein Schloß, dort, so du siehst? Ich will dir zu essen geben, will dich über Nacht behalten, und du mußt mir noch mehr erzählen.« – »Wohl!«

Er nahm mich also zu sich in den Wagen, und wir fuhren hinauf ins Schloß unweit der Foldererbrücke.

Da wir ins Schloß kamen, empfing ihn seine Frau. »Schatz!« sagte er, »hier bring ich dir einen kleiner Duxer: er begegnete mir auf dem Wege und weinte aus Hunger; du mußt ihn recht füttern lassen.«

»Ja, mein Schatz! er ist ein hübscher Jung, er gefällt mir.« Und zu mir: »Du sollst gleich was bekommen,[39] Kleiner!« Sie nahm mich darauf bei der Hand und führte mich in das Zimmer. Auf dem Abend gingen sie zum Essen und nahmen mich zu sich an die Tafel, wobei ich herrisch gefüttert wurde, bekam auch Wein, und wir brachten den Abend mit verschiedenen Gesprächen zu; der Gärtner nahm mich sodann zu sich in das Bette, welches ich mir auch trefflich schmecken ließ.

Dem andern Tag stunden wir auf; ich gab ihnen beiden einen guten Morgen, küßte ihnen die Hände und bekam eine Milchsuppe zu einem Frühstück. Der alte Herr und die Frau unterhielten sich mit mir, fragten mich um alles aus; ich gab ihnen über alles meine Antworten und zeigte ihnen mein Brandweinfläschl. »Gut«, sagte er, »du bleibst noch ein paar Tage bei mir da; ich habe eine Schwester zu Hall im königl. Stift, ich besuche sie bald wieder, ich will dich mit mir nehmen, wer weiß, ob sie dich in dem Stift nicht annehmen, oder brauchen können.«

Ich war mit allem recht wohl zufrieden; denn ich sah, daß er alles sehr gut mit mir meinte.

Dem dritten Tag fuhr er wieder hinein und nahm mich mit sich in den Wagen. Als wir in das Sprachzimmer kamen, sah ich mit Verwunderung bei zehn schwarzgekleidete Weibsbilder, wie Jesuiten, und auf den Köpfen hatten sie Piretter. Es war die Gräfin Arko, als Oberste, die zwo Gräfinnen Fugger, des Barons Schwester, Fr. v. Stotzingen, Fr. v. Aufseß, Fräulein Severin und andere mehr.

Sie grüßten mich und redeten freundlich mit mir; durch dieses wurde ich beherzt zu reden und erzählte ihnen meinen ganzen Traum. Durch Rekommandation des Baron Crusina behielten sie mich endlich ganz in dem Stift, und ich schlief in der Schweizerei.[40]

Es gefiel ihnen meine Munterkeit, und sie sagten öfters zu einander: vielleicht könne aus meiner Einbildung und Vorhaben etwas werden; denn es kommen immerzu Herrschaften von Innspruck in die Visite zu ihnen, welche ihre Eltern, Verwandte oder Bekannte in Wien haben, und wenn sie mir etwas durch Rekommandation bei den Herrschaften helfen könnten, so wollten sie es herzlich gerne tun. Unter dieser Zeit wurde mir bei den h. Messen das Ministrieren und die übrige Verrichtungen in der Kirche aufgetragen. Ich mußte auch Kirschenbrandwein brennen, weil ihnen der meinige, welchen ich ihnen zu versuchen gab, sehr gut geschmecket hat.

Es verstrichen beinahe drei Monate, unter welchen mich die Fräulen öfters zu sich ins Sprachzimmer riefen, sich mit mir unterhielten und mich mit allerhand Sachen beschenkten. Bei mir war Tag und Nacht kein anders Gespräch als Kaiserin, Hut voll Geld, Brandweinhüttl, Haus bauen und so fort. Endlich kamen der Graf von Enzenberg, als Gouverneur, und Graf Leopold Künigl in die Visite; diesen zween Grafen erzählten die Fräulen von mir, mein beständiges Verharren auf meinem Vorhaben und daß ich deswegen gar keine Ruhe gäbe.

Die zween Herren lachten über mein Anliegen, versprachen mir aber doch eine Rekommandation mitzugeben. Die Gräfin Taxis war eine geborne Willtscheeg von Wien, und des Grafen Leopold Künigl sein Vater war Obersthofmeister beim Erzherzog Leopold. Der Prälat von Wildau hatte auch einen Bruder in Wien, Hrn. geheimen Rat von Spers; diese alle versprachen mir Rekommandationen und Briefe mitzugeben. Kurz, meine Reise wurde beschlossen. Die Frau Oberstin, Gräfin von[41] Arko, zahlte mir das Schiff, und die Stiftsfräulen legten mir eine Zehrung von 7 fl. zusammen.

Nun fuhr ich mit des Aschbachers Ordinari-Schiffe, welches alle Wochen nach Wien abging, ab. Unterwegs ging es mir ganz gut, denn ich hatte auf dem Schiffe auch gute Leute.

Wir kamen Anno 1757 im Monat September zu Wien an, und in der Rossau auf dem Schänzl landeten wir an; ich logierte auch in der Rossau bei der Waschhütte ein. Ich hatte noch 15 kr. im Gelde und einen ziemlich starken Hunger, aber es verstunde mich kein Mensch. Zum Glück sah ich auf dem Schänzl in einer Sudlhütte gekochte Knödl und ließ mir geschwind für 6 kr. davon geben, welche ich mit größter Lust verzehrte, worauf ich in meinem vorigen Logis mich schlafen legte.

Ich hatte wohl zwei Briefe bei mir, einen vom Graf Künigl an seinen Hrn. Vater, Obersthofmeister, und einen von dem Prälaten von Wildau an seinen Bruder, Hrn. v. Spers. Allein man kann sich leicht einbilden, wie es sowohl von Wägen als Menschen in Wien wimmelt, und wann ich jemand fragte, bekam ich allemal nur kurze Antworten.

Ich sah auch, daß allda die gemeinen Leute nach Herrschaften nicht viel fragten, weil man nicht weiß, wer beisammen in einem Hause wohnet; ich glaubte aber, es wäre wie bei uns im Tyrol, wo ganze Gemeinden aneinander bekannt sind und sodann, wenn man den Ort weiß, auch das Haus und den Menschen, den man verlangt, leicht erfragen kann.

Da aber, wenn man das Numero oder das Haus nicht weiß, erfragte man auch manchesmal nicht einmal den Papsten, voraus, weil mich niemand recht verstunde.[42]

So ohne Geld saß ich auf dem h. Dreifaltigkeitsplatze auf einem Stein. Nun hieß es nicht mehr Kaiserin, Hut voll Geld und Brandweinhüttel; sondern: o wärest du nicht vom Hause gegangen! und: wie kömmst du itzt wiederum heim? Ich weinte bitterlich.

Indem so tausend Menschen vorbeigingen, kam auch Graf Spauer aus Tyrol, Domherr von Salzburg und itzt regierender Bischof von Brixen. Dieser hatte die Gnade, mich zu fragen: »Wo kömmst du her?« – »Aus Tyrol.« – »Und was machst du hier?« – Ich zeigte ihm meine Briefe und erzählte ihm mein ganzes Vorhaben und Anliegen. Auf dieses nahm er mich mit sich in sein Quartier und ließ mich bei seinem Kutscher schlafen.

Den Tag darauf gab er mir zween Siebenzehner und ließ mich durch seinen Bedienten zum Hrn. von Spers führen. Ich gab ihm den Brief von seinem hochwürdigen Herrn Bruder; er hatte daran eine große Freude und behielte mich diesen Tag bei sich, fragte mich um alles aus, welches ich ihm alles aufrichtig erzählte. Den andern Tag führte mich dieser Herr selbst zur Gräfin Martinitz. Dieser war den vorigen Tag ihr Schoßhündl gebissen worden und befand sich sehr übel; das war ein Lamentabl; ich hatte ein kleines Büchsel Theriak bei mir, legte ihm davon ein kleines Pflästerl auf seine Wunde, und das Hündl kam schleunig zur Genesung. Nun war ich in der besten Rekommandation und wurde auch mit etwas beschenkt. Die Gräfin und der Herr von Spers ließen mich nachher in das Emanuelische Stift hinaus führen, wo in einem Saal viele junge Kavaliere versammelt waren, unter andern waren auch junge Grafen von Taxis und Tyrol zugegen.

Diese hatten die größte Freude, einen jungen weithoseten[43] Landsmann zu sehen. Ich bekam auch allda zu essen und zu trinken. Es kam einer gleich mit einer Geige, ich mußte vor ihnen tanzen, und die jungen Kavalier sprangen auch mit mir herum.

Es opferte mir ein jeder etwas in meine weite Hosen, so daß ich bei 5 fl. zusammbekam. Nun war ich schon reich. Itzt wurde ich von einer Herrschaft zur andern rekommandiert und kam auch zum Kardinal Migazzi zur Tafel, wo viele Herrschaften beisammen waren; ich bekam Essen und Trinken und etwas Geschenke.

An dieser Tafel war auch unter andern Herren der Graf Johann Kotegg, dortmaliger böhmischer Kanzler; dieser hatte so eine Freude an mir, daß er mir gleich erlaubte, auch zu ihm zu kommen und ihn zu besuchen; ich fragte geschwind: »Wo bist du zu Haus?« – »Frag du nur in der Josephstadt dem Koteggischen Grafen nach«, sagte er. Dem andern Tag kam ich zu ihm auf Mittag hin; der Portier meldete mich, man führte mich hinauf, und ich kam ins Tafelzimmer, küßte dem Grafen und der Gräfin die Hände und bekam an einem Nebentische zu essen und zu trinken; der Graf und die Gräfin unterhielten sich mit mir, und ich wurde ihnen so lieb, daß sie mir sogleich das Versprechen taten, mir alle Tage bei ihnen zu essen zu geben und daß auf dem Fenstergesimse für mich alle Tage ein Siebenzehner liegen würde. Aus Freude fuhr ich dem Grafen und der Gräfin von Freiem um den Hals, küßte sie und dankte ihnen. Sie versprachen mir auch zugleich, daß alles gut gehen werde, und erlaubten mir, ihn Vater und sie Mutter nennen zu dürfen.

Nun war ich ein neugemachter Grafensohn und kam wieder nichts in meinen Kopf als Kaiserin, Wien, Hut[44] voll Geld, Haus bauen und Brandweinhüttel: ich brachte in diesen Gedanken wieder etliche Tage zu, bis mein neuer Vater Gelegenheit bekam, mit dem Obersthofmeister beim Erzherzog, Graf Künigl, zu reden, unter welcher Zeit ich täglich und fleißigst beim Essen erschien, welches mir auch trefflich schmeckte, wofür ich der Herrschaft in solcher Zeit allerhand kurzweilige Unterhaltungen machte.

Es war, wie gemeldet, Anno 1757 im Herbst, als mich mein Vater nach Schönbrunn schickte, allwo dortmals der kaiserliche Hof war, damit ich mit Gelegenheit zum Graf Künigl kommen sollte. Wohl zehnmal kam ich zum Residenztor und allemal ging ich wieder zurück, weil zween Dragoner zu Pferd unweit dem Tore und zween schnauzbartigte Grenadier unter dem Tore gewachtet haben. Endlich fragte ich einen vorübergehenden Bedienten, ob ich nicht zum Graf Künigl kommen könnte; dieser sagte, ich sollte nur mit ihm gehen: linker Hand zu ebener Erde in der Residenz sei sein Quartier; er führte mich hin, ich gab einem Bedienten meinen Brief von seinem Sohn von Innspruck, dieser hieß mich warten. Endlich ließ mich der Graf zu sich kommen, nachdem er den Brief gelesen hatte. Ich küßte dem Grafen und der Gräfin gleich die Hände, sie behielten mich beim Essen und fragten mich unterdessen um alles aus; ich erzählte ihnen alles, meinen Traum auf dem Heu, meine Reise, mein Vorhaben, Kaiserin, Wien, Hut voll Geld, Brandweinhüttl und Haus bauen, wie auch mein ganzes bisheriges Geschick.

»Gut, mein Kind!« sagte die Gräfin, »du mußt aber Geduld haben und fleißig beten; wenn Gott will, kann alles geschehen.«[45]

Ich bedankte mich und ging wieder zurück nach Wien. Dem Tag darauf kam ich zu meinem Vater Kotegg, welchem ich alles erzählte; er hatte eine große Freude darüber und sagte: »Es wird gewiß alles gut gehen«. Ich lief alle Tage nach Schönbrunn und wieder zurück nach Wien, um allda zu schlafen, habe auch damals die Kaiserin das erstemal im Vorbeifahren gesehen.

Eines Tages sagte der Graf Künigl zu mir: »Jung, du mußt das aufschreiben, was du von der Kaiserin begehren willst.« Ich folgte seinem gutgemeinten Rat und schrieb auf einen Viertelbogen folgendes


Memorial

»Meine liebe gute Kaiserin, ich hab daheim in meinem Vaterland von den Leuten sagen hören, daß du ein so gutes Mensch bist, und mir hat bei meiner Schwester unterm Dach auf dem Heu geträumt, ich sei zu dir gekommen, und du habst mir einen Hut voll Geld geschenkt, und hast mir lassen ein Brandweinhäusl bauen. Ich bitt dich gar schön, sei so gut und tu es mir, ich will meiner Lebstag für dich beten.


Peter Prosch,

von Ried aus Tyrol.«


Der Graf Künigl nahm solches von mir, schaut es an und schob es lachend in seine Tasche, indem er sagte: »Ich will es Ihrer Majestät der Kaiserin mit nächstem übergeben.«

Ich ging wieder nach Wien zu meinem Vater Kotegg und machte meinen Rapport, wie es sich mit mir zugetragen, welcher sich erfreute und mir Glück wünschte;[46] ich ging darauf gleich wieder nach Schönbrunn, um mich in der Sache etwas mehrers zu erkundigen.

Bald hernach übergab der Graf Künigl bei der Mittagstafel der Kaiserin auf einem silbernen Teller mein Memorial, welche es gnädigst annahm, es lächelnd las und es dem Kaiser Franz übergab, sprechend: »Mein Schatz! sieh da die Natur und das aufrichtige Gemüt eines Tyrolers.« Der Kaiser las es, gab es auch weiter, und also kam es bei der ganzen Tafel herum, wo es nicht wenig von den Herrschaften bewundert und belacht wurde; die Kaiserin sprach darauf zum Graf Künigl: »Ich will den Jungen selbst kommen lassen.«

Zwischen Furcht und Hoffnung wartete ich die ganze Zeit zitternd unter der Haustür, um, wenn der Graf kömmt, zu hören, wie es gegangen ist.

Endlich kam der Graf; aber er machte vor mir ein trotziges Gesicht und sprach: »Es wird nichts daraus.«

Ich erschrak, tat einen lauten Schrei und weinte; der Graf sprach: »Nein, nein, mein Kind! die Kaiserin hat dein Memorial gnädigst angenommen und gelacht, auch zu mir gesprochen, daß sie dich selbst wollte kommen lassen. Es wird alles gut gehen, du mußt nur Geduld haben und, wenn die Kaiserin ausfährt, dich öfters sehen lassen.«

Nun war Viktorie; voller Freude lief ich zu meinem Vater Kotegg und wollte ihm alles erzählen; aber er wußte schon vorhin alles, denn er war selbst bei der Tafel gegenwärtig. Er sagte mir auch, daß die Kaiserin sehr gnädig gewesen sei und daß sie über meine Schrift recht gelacht habe; er tröstete mich auch und sagte: »Es wird alles gut gehen.«

Ich mußte wieder nach Schönbrunn, um, wenn die Kaiserin[47] ausfährt, mich sehen zu lassen; auf die Nacht kam ich wieder nach Wien zu schlafen. In der Frühe wieder nach Schönbrunn und auf die Nacht wieder nach Wien; und wenn ich manchesmal bei einem Lehnrößler hinterhalb aufzusitzen kam und eine Strecke lang fuhr, so bekam ich bisweilen von den Kutschern drei oder vier derbe Peitschenhiebe zur Belohnung fürs Aufsitzen, welche Belohnung mir auch nicht gefallen wollte.

Ich kam wieder nach Schönbrunn und aus Egard des Grafen durfte ich im Hof und im Garten überall herumgehen, ohne daß mich eine Wache oder sonst jemand aufhielte.

Die Kaiserin sah mich im Vorüberfahren öfters, und das alle Nacht nach Wien Laufen wurde mir zu oft.

Der kühle Herbst war da, barfuß war ich, ein rupfenes Hemd, eine lederne, etwa drei Finger breite Bauchbinde, weite Hosen, ein schlechtes Röckl und ein Hut waren meine Kleidungsstücke, welche, wie leicht zu schließen, für eine kühle Zeit viel zu gering waren. Nun fing mein Glauben auch an zu erkalten, ich dachte mir, daß ich ja wohl die Gnade mit der Kaiserin zu plaudern nicht haben werde, weil es so lange zugeht, da sie mich doch im Vorüberfahren schon öfters gesehen und mich doch nie zu sich kommen ließ.

Auf einem Abend ging ich noch einmal im Garten herum und gegen Maria Hietzing zu, da sah ich zu ebener Erde eine Türe halb offen stehen; ich schaute hinein und sah einen Waschkessel und nebenher ein schönes Bett mit einer ungarischen Decke. Ich sagte zu mir selbst: »Da gehst du zu Nachts her nachzusehen und wenn niemand darin liegt, so wird es für dich ein gutes Lager.« Wie ich mir selbst den Auftrag gemacht,[48] also hab ich ihn auch vollzogen. Ich ging um zehn Uhr zu Nachts hin, schaute hinein, und weil niemand darin war, zog ich mich ganz aus, legte mich darein und schlief herrisch.

Es kam auch die ganze Nacht niemand zu mir. Ich stund den andern Tag auf, kleidete mich an, machte die Tür wieder halb zu, wie sie zuvor war, ging sodann zum Graf Künigl und gab ihm einen guten Morgen.

Dieser fragte mich, warum ich heute schon so früh da wäre. Ich erzählte ihm alles, wie es sich zugetragen und wo ich bei der Nacht geschlafen habe. Er lachte und sagte: »Du hast viel Glück, daß du in der Residenz schlafen darfst und es kein Mensch nicht weiß.« Er sagte mir auch, es wäre das Zimmer, wo für Ihro Majestät die Kaiserin das Bad gesotten würde; der Mann, der das Bad zurichtete und hierüber die Aufsicht hatte, war zu Maria Hietzing verheiratet und ging schier alle Nacht zu Hause schlafen. Ich logierte also inkognito bei vier Wochen in diesem Zimmer, ohne bemerkt zu werden, weil ich allemal bei der Nacht hin und wiederum früh heraus ging. Das Essen hatte ich beim Graf Künigl und in der Residenz das freie Nachtlager: mithin ging es mir so ganz passabel. Ich lief auch unter der Zeit bisweilen nach Wien zu meinem Vater Kotegg, welcher mir allerhand Rat und Einschläge gab. Einsmals schickte mich der Graf Künigl mit seinem Büchsenspanner zum Kapelldiener und ließ mich rekommandieren, daß er mich öfters ministrieren lassen wolle, weil ich ein armer Knab wäre. Es geschah, und ich ministrierte täglich.

Quelle:
Prosch, Peter: Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tyrolers von Ried im Zillerthal, oder Das wunderbare Schicksal, Geschrieben in den Zeiten der Aufklärung, München 1964, S. 34-49.
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