V.

Vom J. 1827 bis [1837]

[142] Da sowohl ich für das Erzbistum von Erlau als auch mein Nachfolger für das Patriarchat von Venedig die Bestätigungsbulle von Rom abwarten mußten, von einem baldigen Konsistorium noch nichts verlautete, so blieb ich bis zum Monat März um so lieber in Venedig, da die Wege durch Kärnten und Steiermark wegen des häufigen Schnees fast unfahrbar waren, und ich indessen die obgedachte Kommission wegen Zurückstellung des Armenfonds wirksamer betreiben und die Übersiedlung nach meinem neuen Bestimmungsorte bestmöglichst besorgen konnte. – Unter den wenigen Habseligkeiten, die ich dahin absandte, denn die von mir angeschafften Möbeln ließ ich als Fundus instructus zurück, war eine beiläufig aus hundertneunzig Stücken bestehende Sammlung von gewählten Originalgemälden größtenteils aus der venezianischen Schule, die ich mir während der sechs daselbst verlebten Jahre angeschafft hatte. Was damit weiter geschah, wird später unten folgen. Auch wollte ich mit dem Administrator der Patriarchalgüter noch vor meiner Abreise zu einem genauen Rechnungsabschlusse kommen. Da sich dann bis zu Ende des J. 1826 über zwölftausend Franken noch an sicher einbringbaren, bei den Pächtern ausstehenden Resten und an solchen, die sie erst im Laufe des folgenden Jahres zu bezahlen hatten, auswiesen, so habe ich davon zehntausend Franken an den Fond der Pubblica Beneficenza, zweitausend dem Defizienten-Priesterhause und einige hundert Franken dem Patriarchalseminär zu Anschaffung von Büchern geschenkt, die dann später sicher abgeliefert worden sind.

Um dann die Trennung von so vielen werten Menschen und durch vieles Abschiednehmen für mich und andre weniger ergreifend zu machen, machte ich allgemein bekannt, daß ich zwar nächstens wegen vieler obliegenden Geschäfte nach Wien reisen, wo aber die päpstlichen Bullen nicht bald erfolgten und der Patriarchalsitz noch unbesetzt bliebe, so würde ich zurückkehren, um in der Karwoche die nötigen Funktionen zu verrichten und das Osterfest daselbst zu feiern. So unglaublich dies den meisten schien, so ist es dennoch geschehen! Ich fuhr im Monat März nach Wien, verweilte aber daselbst nicht lange, denn da ich von dem päpstlichen Nuntius erfuhr, daß wegen Unwohlsein des Hl. Vaters (Leo XII.) das nächste Konsistorium bis auf den Monat Mai hinausgeschoben werden dürfte, so war ich zur Rückreise der Funktionen wegen nach Venedig bereit. Der Kaiser äußerte unter anderem, es sei zwar schön, daß ich das tun wolle, aber er in meiner Stelle würde nicht mehr zurückreisen! Fragen[143] konnte ich nicht, wie er es meine, und somit ist mir seine Äußerung ein Rätsel geblieben. Einesteils wurde mir diese Rückreise dadurch angenehm, daß mein vieljähriger Freund, Mathias Paulus Steindl, Suffraganbischof an der Metropolitankirche zu St. Stephan in Wien, auf meine Einladung sich entschlossen hatte, mit mir zu reisen, um das Meer, Triest, Venedig und den schönsten Teil von Oberitalien von Vicenza angefangen bis Trient und dann Tirol und Salzburg zu sehen. Er war einer der edelsten Menschen, mit denen ich je Umgang gepflogen hatte!

Mittwochs gegen Mittag kamen wir in Venedig an, und abends begannen die Vigilien der Karwoche. Am Gründonnerstag geschahen die Weihe der heiligen Öle und die Fußwaschung, am Freitag die üblichen Funktionen, und am Ostersonntage hielt ich zum letzten Mal das Hochamt bei einer feierlichen Kirchenmusik, bei welcher sich besonders meine Sänger ausgezeichnet hatten. Hier finde ich es nötig, zu den Venediger Erlebnissen noch etwas nachzutragen.

Als ich im J. 1821 nach Venedig kam, so fanden sich bei der Kapelle der St. Markuskirche noch ein paar alte Kastraten vor, deren Stimme mir besonders bei dem Gottesdienst unerträglich war. Das Gubernium war selber in Verlegenheit, die sogenannten Voce bianche, Diskant und Altstimme, aufzutreiben und forderte mich auf, durch Abhaltung einer Kommission, die aus dem Delegaten (Kreishauptmann), dem Direktor der Kapelle, ein paar Regierungsbeamten und Musikern bestand, etwas Zweckmäßiges in Vorschlag zu bringen. Ich vernahm sie zuerst, und da hieß es dann, es müßten zwei Lehrer für den Gesang, einer für Klavierspiel, einer für Violine und dann andre für die Blasinstrumente wie bei dem Musikkonservatorium in Mailand aufgenommen werden. Auf die Frage, woher den Fond dazu nehmen, nachdem die Kasse der Markuskirche selben nicht bezahlen könnte, verstummten alle, und nun rückte ich mit meinem Plane heraus. Ich sagte ihnen, daß in Österreich, auch in Böhmen und Mähren ein jeder Dorfschullehrer die Schulknaben mit einer Violine hinter ihnen stehend im Gesang unterrichtete, von welchen dann manche, die sich durch schöne Stimme auszeichnen, entweder in Stiftskirchen oder im Konvikte zu Wien, ja sogar bei der Hofkapelle daselbst Anstellung fänden. In Venedig sei alles Erforderliche dazu bereits vorhanden, es gebe zahlreiche Knaben in dem Findel- und Waisenhause, die vom Staate verpflegt und gekleidet werden. Es handle sich also dahier nur darum, daß etwa 12 Knaben, die gute Stimmen und Anlage versprechen, aus ihrer Zahl ausgeschieden würden, die dann durch einen guten Gesanglehrer, z.B. durch den bei der Markuskapelle angestellten ersten Tenoristen, gegen Bezahlung von wenigstens tausend Franken gehörig unterrichtet dem vorliegenden Bedürfnisse bestens entsprechen könnten. Meine[144] Kommissionsherrn saßen vor Staunen erstarrt; ich aber machte meinen Vorschlag an das Gubernium. Die Anwendung der Knaben und der Gesanglehrer wurden bewilligt, und in kurzer Zeit ergab sich ein glänzendes Resultat, wovon die Venezianer sich gar nichts hätten träumen lassen. So oft in der Folge ein musikalisches Hochamt gehalten wurde, waren alle Galerien der Markuskirche von Herren und Damen besetzt, die so schön singenden Chorknaben zu hören.

Als ich im J. 1821 auf der Reise nach Venedig in Laibach bei der Mittagstafel neben dem Kaiser saß, gab er mir noch zuletzt mit leiser Stimme einige Ratschläge, die ich oben S. 156 berührte, und über deren Erfolg ich hier Bericht erstatten will.

Der erste war, ich solle für unverbesserliche Priester, die dem Volke nur zum Skandale dienen, ein Korrektionshaus errichten. Nach sorgfältiger Umschau fand ich die kleine Insel San Clemente, die kaum eine Viertelstunde hinter jener von San Giorgio Maggiore entfernt liegt, vollkommen dazu geeignet. Das vormalige Kamaldolenserkloster daselbst mit einer hübschen Kirche, dem Klostergebäude und einem weitläufigen Garten waren noch ziemlich wohl erhalten, eine Mauer läuft rings an der Lagune herum, und vorne an dem Landungsplatze ward in neuerer Zeit ein Depot für Salpeter und ein Häuschen für die etwa aus sieben Mann bestehenden Militärwache, die jeden dritten Tag von Venedig aus gegen andere abgelöset werden, erbaut. Dieser letztere Umstand der Sicherheit diente ganz besonders zu dem beabsichtigten Zwecke; die Gebäude bedurften nur weniger Reparaturen; einen Vorsteher des Hauses fand ich an dem in Pension lebenden vormaligen Prior des Klosters, der durch seinen Ernst, Kenntnisse und Frömmigkeit ganz geeignet war, den Sträflingen zum Seelenarzt zu dienen, und ich eröffnete die Anstalt noch in demselben Jahre. Nur drei Individuen aus der ganzen Zahl des zahlreichen venezianischen Klerus mußte ich gleich anfangs dahin relegieren – in den folgenden Jahren nicht einen einzigen mehr. Später wurde diese Anstalt für eine gemeinsame aller Diözesen der venezianischen Provinz erklärt, im Fall sie nötig hätten, davon Gebrauch zu machen.

Das andre, was der Kaiser von mir verlangte, war, daß ich mich für den Generalvikar von Treviso J[appelli], den er zum Bischof daselbst ernannt habe, den aber der Hl. Vater aus unbekannten Ursachen nicht bestätigen wolle, bei diesem verwenden möge. In Venedig angekommen hörte ich sowohl bei dem Gubernium als auch bei der Oberpolizeidirektion nur Lobenswertes und nahm fast eine Entrüstung wahr, daß er nicht bestätiget werde. Ich schrieb dann an den Hl. Vater; gestand ihm offen, daß ich vom Kaiser selber dazu aufgefordert sei, dessen Anhänglichkeit und Verdienste um den Hl. Stuhl ihm ohnehin bekannt wären, legte die Zeugnisse bei, mit welchen mich J[appelli][145] reichlich versehen hatte, und bat ihn mit den eindringlichsten Worten, er möge diese Angelegenheit nochmals aufnehmen und allenfalls mit Zuziehung einiger Kardinäle darüber entscheiden. Statt eines Verweises, den ich wegen der letzteren Bitte erwartet hatte, schrieb mir der Hl. Vater voll Güte, er habe nochmals alles und selbst, wie ich es wünschte, mit Zuziehung mehrerer Kardinäle reiflich erwogen, aber auch diese hätten ihm beigepflichtet: »Manendum esse in decisis«. (Es solle bei der früheren Entscheidung bleiben). Dann forderte er mich auf, den Kaiser dahin zu vermögen, daß er sich damit beruhigen wolle. J[appelli] wurde mit einem bedeutenden Jahresgehalt seiner Dienstleistung in Treviso enthoben und starb nach einigen Jahren in Venedig. Ein paar Jahre später sagte mir der Kaiser, als ich in Schönbrunn zu ihm kam: »Sie, wegen des J[appelli] hat der Papst doch Recht gehabt; es war nicht ohne ...« – Oh, göttliche Vorsehung, dachte ich mir, wie weise ist die Anordnung Deiner heiligen Kirche, daß der Oberhirte derselben über die vorgeschlagenen Bischöfe ob ihrer Würdigkeit in letzter Instanz zu entscheiden habe!

Endlich riet mir noch der Kaiser, ich möchte als Klostergeistlicher mir von Rom die Dispensation und die Erlaubnis, testieren zu können, erwirken, damit mir die Hände frei blieben, für gute Zwecke verfügen zu können, was mir der Hl. Vater sogleich bewilligte, auch jenes, daß ich den höheren Titel: Patriarch mit jenem des Erzbischofs der Ordnung gemäß führen möge.


Noch ehe ich Venedig ganz verließ, wohnte ich dort einer merkwürdigen Teichjagd in den Lagunen im Dezember 1826 bei.

Wem meine »Lieder der Sehnsucht nach den Alpen« nicht unbekannt geblieben sind, der wird dort gesehen haben, daß ich die üblichen Jagden im Hochgebrige auf Bären, Hirsche, Auerhähne und Gemsen nicht nur vom Hörensagen gekannt, sondern selber Teil daran genommen haben müßte, und so war es auch, denn über sieben Jahre als Kämmerer zugleich Forstdirektor im Stifte Lilienfeld hatte ich in den weitläufigen Forsten desselben über sieben Revierjäger zu gebieten, deren Beschäftigungen, Holz und Jagd, gleichsam mit zu meinem Berufe gehörten, in welchen ich mit ihnen nach allen Richtungen teilnehmend bekannt werden mußte. Ohne selbst ein leidenschaftlicher Jäger zu sein, wohnte ich doch jährlich allen Hauptjagden bei und gab auch im Monat August auf den Alpenhöfen auf Hirsche und im Spätherbst in den Niederungen auf Füchse Unterhaltungsjagden, zu welchen aus der umliegenden Gegend die Liebhaber geladen wurden. Sehr oft ging ich auch in den Abendstunden in einem der vielen Täler ganz allein mit meinem Jagdstutzen auf den Anstand,[146] um die Hirsche bei der Sulz zu erlauern, wozu öfters viel Zeit und Geduld erfordert wurde.

Nicht nur die obenbezeichneten Hauptjagden im Hochgebirge kannte ich aus eigener Erfahrung, sondern auch die minderen auf Hasen, Rebhühner und anderes Gevögel. Doch noch eine ganz eigene ihrer Art sollte ich erst als Patriarch von Venedig kennen lernen, die ich als interessant genug meinen Lesern mitzuteilen gedenke. –

Bekanntlich liegt die Lagunenstadt in einem viele Stunden weit- und breiten Landsee, den hauptsächlich das durch die Höhen des Lido und den Riesendamm, Murazzi genannt, seit Jahrhunderten bestehenden Häfen eindringende Meerwasser in den hinter selben sich ausbreitenden Niederungen bilden, denn auch einige Flüsse, als der Po, die Brenta usw. strömen in selben ein und durch die Hafenmündungen wieder in das Meer hinaus. Hinter diesem großen Lagunensee liegen noch sehr viele kleine eine Stunde und drüber im Umkreis, die von der Lagune mit Wasser versehen, aber dem festen Lande näher und höher gelegen hie und da so seicht sind, daß man sie durchwaten kann. Sie werden von den Venezianern Valli, Täler, genannt und nicht mit Unrecht, da sie sich in den Wiesengründen vertiefen, die reichliches, mit Schilf vermengtes Heu liefern, nebst der Fischerei im Spätherbst (November und Dezember) zur Wildentenjagd dienen und größtenteils von den Eigentümern an Jagdliebhaber und Ökonomen verpachtet sind. Auch sind fast an einer jeden derselben mitunter recht artige, mit einem Stockwerk versehene Häuser gebaut, bei welchen sich im Erdgeschoß Küche und Speisesaal und im oberen viele kleine Zellen vorfinden, in welchen außer einem Feldbett, einem Tischchen und ein paar Stühlen nichts weiter Raum fände, und welche durch den Dielenboden aus dem wohlgeheizten Speisesaal hinlänglich erwärmt den Gästen sehr willkommen sind.

Einer dieser Pächter hatte mich und den Hofrat Grimm, Direktor der Geh[eimen] Kanzlei des Erzh. Rainer, Vizekönig des lombardo-venezianischen Königreiches, zu einer solchen Jagdpartie eingeladen, und da mir selber der Erzherzog zuredete, ich möchte diese Gelegenheit, sie kennen zu lernen, nicht versäumen, so fuhren wir an einem Nachmittag in einer offenen Barke quer durch die Lagune gegen die Mündungen der Brenta hinab und kamen nach mehreren Stunden, da es schon ganz finster geworden war, an Ort und Stelle an. Ich wurde in den Speisesaal geführt, wo ich bald in nicht geringes Staunen geriet, denn als die anderen Gäste – bei zwanzig an der Zahl – nach und nach eintraten, so glaubte ich mich plötzlich nach Kamtschatka versetzt. Ein jeder hatte eine große Pelzmütze, solchen Rock und Stiefel an und um den Hals ein großes Shawl-artiges Tuch geschlungen – lauter Herren, die sonst auf dem Markusplatz in ganz anderen Kleidern einherzugehen[147] gewohnt sind. Bei der Abendtafel ging es ganz lustig zu; es mangelte nicht an Cipro-, Malaga- und Champagner-Wein und reichlichen, wohlgekochten Speisen. Auch pflegt der Venezianer bei solcher Gelegenheit voll witziger Einfälle zu sein.

Schon vor fünf Uhr morgens wurden wir geweckt und auf sehr kleine, schmale Schiffchen verteilt, in welchen wir stehend durch Schilf und Geröhr nach der Valle hinausfuhren. Es war ganz eigens zu hören, wie die Schiffchen die zarte Eisdecke, die sich über Nacht auf den ganzen Teich gelegt hatte, spielend durchbrachen und durch ein leises Gekrach unsere Ohren mehr ergötzten als schreckten. Erst als der finstere Dezembermorgen zu grauen begann, sah und erkannte ich das ganz Eigentümliche dieses mitten im Wasser errichteten Jagdreviers; es ist, als ob der Venezianer, der mitten in den Gewässern wohnt, auch seine Jagdlust darin befriedigen sollte.

In einem weiten Halbkreis und durch gehörige Ferne voneinander getrennt sind auf kräftige Piloten acht bis zehn Eimer haltende, oben offene Fässer, Botti, ein paar Schuhe über der Wasserfläche aufgezapft, in welche sich die angekommenen Schützen verteilen und mit ihrem Schußbedarf und einigen Jagdflinten, die sehr lange Läufe haben, mittels eines von außen angebrachten kleinen Schemels hinabsteigen. Gewöhnlich befindet sich in einem jeden Fasse nur ein Schütze – mir als einem Neuling wurde ein Gefährte zugeteilt.

Das erste ist, daß man seine Jagdflinten auf dem Rand des Fasses vor sich hinlegt und dann sich auf eine kleine Bank niedersetzt, um das nahende Geflügel nicht zu verscheuchen. So verschwanden dann die großen Pelzmützen alle auf einmal, das mir, da es nach jedem Flug wiederholt ward, vielen Spaß machte.

Ganz an der äußersten Spitze des Halbkreises befindet sich der Rufer, eine Art Schützenmeister, dessen Aug und Ohr hinlänglich geübt ist, die Schützen mit kurzen, für einen Fremdling unverständlichen Worten, wie die Gondolieri in Venedig ihr stali und sa premi gebrauchen, die Himmelsgegend anzudeuten, aus welcher die ziehenden Scharen kommen. Sobald des Rufers Schrei geschehen ist, ergreift jeder seine Flinte und schießt dann aus den hoch oben in den Lüften flatternden Scharen ein oder mehrere Stücke Wildenten, Wasserhühner und anderes Geflügel in den Teich herab, wo sodann ein paar abgerichtete Hunde sie zusammenlesen und schwimmend nach einem bestimmten Ort tragen. Man kann sich leicht vorstellen, welch fröhliches Gelächter – mitunter auch Gespött und Bravo's diese lebhaften Italiener unter sich verbringen. Auch ich schoß ein paar Vögel herab; mein Begleiter ließ aber gleich seinen Tadel vernehmen, daß ich zu rasch in die Scharen dreingefeuert habe und ihnen mit meiner Flinte nicht langsam genug nachgefahren sei, wo dann die Beute[148] gewisser ist; aber solches läßt sich nur durch öftere Übung erlernen. Die Jagd dauerte bis nach 10 Uhr vormittags, dann begaben wir uns nach dem Schützenhause zurück und nach einem eingenommenen Frühstück heim nach Venedig, wo ich wohlbehalten und vergnügt über diese neue Unterhaltung gerade zum Mittagstisch gegen 5 Uhr abends ankam. Erst dort erfuhr ich, daß wir an diesem Tage hundertzwanzig Vögel geschossen hatten.


Reise nach Erlau 1827.

Nach einigen Tagen nahm ich dann endlichen Abschied von meinem mir so liebgewordenen Venedig. Es ist mir unmöglich zu schildern, welche Wehmut über Padua, Vicenza und Verona hinaus, ja bis an die Tiroler Grenze meine Brust beklemmt hatte. Mein Reisegefährte, Bischof Steindl, äußerte öfters, hätte er meine Stellung daselbst früher erkannt, so würde er besonders wegen der Liebe des mir so anhänglichen Volkes aus allen Ständen mir das fernere Dortbleiben zur Pflicht gemacht haben. Doch das war vorbei!

Besonders ergriff ihn am Abend vor meiner endlichen Trennung von Venedig das folgende Ereignis. Wir saßen in meinem Zimmer bei einem von einem Schirm umhüllten Lampenlichte auf dem Kanapee beisammen und besprachen die eben berührten Gegenstände. Da trat gegen neun Uhr noch der Arciprete von San Pietro di Castello und Ehrendomherr von San Marco, Miani, herein und setzte sich auf dem dargebotenen Stuhl vor uns nieder. Er entschuldigte sein spätes Kommen damit, daß er erst am heutigen Abend erfahren habe, ich wolle schon am folgenden Morgen von Venedig für immer scheiden, ob es denn wirklich also sei? Ich bejahte es mit der Äußerung, daß ich auch gegen die Wünsche meines Herzens der neuen Bestimmung folgen müsse, die mir der Kaiser ganz ohne mein Zutun zugewiesen hat. Nun brach er in häufige Klagen aus, wie viel die Diözese von Venedig dadurch verliere, und wie viele Vorteile ihr noch zuwachsen konnten, wenn ich noch länger oder auf Lebenszeit auf dem Patriarchenstuhl geblieben wäre. Endlich begann er seine gesenkte Stirne öfters auf und ab bewegend: »Ich kann wohl sagen, der Patriarch Pyrker habe mir den Mund geöffnet.« (Eine bei dem päpstlichen Stuhle übliche feierliche Amtshandlung, wo der Hl. Vater den neukreierten Kardinälen in der Konsistorialsitzung die geschlossenen Lippen mit dem Zeigefinger berührend den Mund schließt und nach einigen Tagen auf gleiche Art wieder öffnet, d.h. ihnen das Recht erteilt, bei den abzuhaltenden Konsistorien mit den übrigen[149] Kardinälen ihre beratende Stimme abgeben zu können). Wir fragten ihn beide verwundert, was er denn mit diesen Worten sagen wolle? Er erzählte nun, in welche Verlegenheit er, der vorher nie gepredigt hatte, gekommen sei, als ich so streng und standhaft auf Abhaltung der Predigten oder Homilien bei dem jedesmaligen sonn- und festtäglichen Pfarrgottesdienste gedrungen habe. Das erste Mal sei es ihm ganz mißglückt, denn obgleich er beim Frühgottesdienste, wo es im Spätherbst noch dunkel in der Kirche war, den ersten Versuch habe machen wollen, so habe ihn, als er nach dem abgelesenen Evangelium sich von dem Altare, wie ich es gestattete, zu dem Volke wandte, um seine gut einstudierte Homilie vorzutragen, plötzlich eine solche Angst befallen, daß er sich zitternd wieder umwendete, die Messe weiter lesend zu vollenden. Doch den nächsten Sonntag, sagte er, sei es ihm schon besser gegangen und nach jeder Wiederholung wieder besser so, daß das Volk ihn jetzt sehr gerne höre, und er selber die größte Freude an dem Predigen habe. Also könne er wohl sagen: »Che il Patriarcha Pyrker m'abbia aperto la bocca!« Wir kamen alle drei in eine ganz heitere Stimmung darüber; doch als er sich jetzt empfahl und mir zum Abschied weinend die Kniee umfassen wollte, da riß ich ihn an meine Brust, drückte ihm einen heißen Kuß auf den Mund und dankte ihm für all das Wohlwollen, das er mir jederzeit bewiesen hatte. Daß der gute Bischof Steindl sich ganz gerührt und schweigend in seine Schlafkammer zurückzog, ist leicht zu erachten!

Über Trient, Innsbruck und Salzburg, nachdem sich mein Begleiter nach Wien zurückkehrend in Lofer von mir getrennt hatte, kam ich anfangs Mai nach Gastein, verweilte einige Wochen in dem Wildbade und begab mich dann nach Wien, wo ich bis Anfang September blieb, da ich mir so manches wieder, dessen ich in Venedig nicht bedurfte, z.B. Staatswägen und Pferde und namhaften Hausbedarf aller Art beischaffen mußte. In Hinsicht der Pferde widerfuhr mir ein bedeutendes Unglück. Ich hatte acht schöne Wagenpferde, deren sechs zum Einzug in Erlau erforderlich waren, aus dem Fürst Trautmannsdorfischen Gestütt in Böhmen erkauft und sie in Wien abrichten lassen. Auf dem Wege nach Erlau in dem Dorf Gö döllő hinter Pesth [brach] zur Nachtszeit Feuer im Stalle aus, und es verbrannten drei aus jenen acht Pferden, so daß zu dem Sechserzug eilig ein anderes erkauft werden mußte. Dieses Unglück kam nicht allein, denn vierzehn Tage vor meinem Einzug in Erlau brannte ein bedeutender Teil der Stadt ab. Dies konnte als eine üble Vorbedeutung gelten, so wie sieben Jahre vorher auf der Reise nach Venedig der Sturz mit dem Wagen und das gebrochene Schlüsselbein als solche gelten sollte, aber wahrlich nicht galt, denn stets werde ich die Zeit, die ich in Venedig verlebte, zu den glücklichsten meines Lebens zählen. So[150] war auch der Brand von Erlau kein so bedeutender Schaden für die Bewohner, denn die meisten jener Häuser waren assekuriert, und die Stadt gewann durch die neuen Bauten ein viel freundlicheres Aussehen.

Der Einzug in Erlau geschah am 17-ten September, und den folgenden Tag war die Installation sowohl in der Kathedralkirche als auch in dem Saale des Komitatshauses – dort in dem erzbischöflichen Amte und hier in der Würde des Obergespans des Heveser und des vereinigten äußeren Szolnoker Komitats, welche bei diesem erzbischöflichen Sitze fast seit dem Ursprung des Königreiches erblich ist. Der königliche Installationskommissär in diesem weltlichen Amte war Graf Anton Cziráky, Oberster Landrichter des Königreichs, ein ausgezeichneter Staatsmann und juridischer Schriftsteller, und die Feierlichkeiten alle überaus glänzend wegen der Menge der zuströmenden Gäste, deren über achthundert gezählt wurden, gingen glücklich zu Ende.

Erlau war zur Zeit der schweren Türkenkriege eine bedeutende Festung, die unter ihrem tapferen Verteidiger, Dobó, Suleymans Belagerungsheere lange widerstand; selbst die Frauen jener Zeit werden gerühmt, zur Verteidigung derselben mutig beigetragen zu haben. Dann wurde sie später erobert, von den Türken mehr als achtzig Jahre besessen und verfiel endlich nach ihrer Vertreibung im J. 1696 immer mehr und mehr, bis sie eine Ruine ward.

Vierzehn Tage nach meinem Einzug gedachte ich schon, diese mitten in der Stadt auf einer merklichen Anhöhe gelegene Ruine zu einem freundlicheren Punkte umzugestalten; ich ließ den Schutt zur Gleiche bringen und mit Erde belegen, die verfallenen Ringmäuer in der Folge zum Teil neu aufführen, die anderen ausbessern, eine große Anzahl Bäume pflanzen und auf dem höchsten Punkte drei Kreuze errichten, wodurch sie zu einem gerne besuchten Andachtsort als Kalvarienberg und zugleich wegen der anmutigen Aussicht ringsumher zu einem sehr beliebten Spaziergange ward. Zugleich legte ich dem großen erzbischöflichen Garten anstoßend einen neuen in englischer Form an, wo auch wie auf dem Kalvarienberge im Winter große Bäume mit den Ballen der Wurzeln verpflanzt ihm schnell ein fertiges Ansehen gaben.

Zu den Bauten der ersteren Jahre gehören auch noch die Erbauung eines zwischen der Kathedralkirche auf einer und dem Lyceum auf der anderen Seite gelegenen neuen Flügels der erzbischöflichen Residenz, die auch statt des gewesenen Schindeldaches ganz mit Schieferplatten gedeckt ward; in jenem ließ ich die von Venedig mitgebrachten Gemälde ausstellen. Bald folgte auch der Bau eines schönen Badehauses an denen noch von den Türken her berühmten 25 Grade warmen mineralischen Quellen, dann zweier Gasthäuser in Kerecsend und Maklár und vier großer,[151] jeden auf 1200 Stück berechneter Schafställe in vier verschiedenen Gegenden der erzbischöflichen Ökonomie.


J. 1828.

In diesem Jahre begann ich, wie in der Zipß und in Venedig, sogleich wieder die kanonische Visitation meiner Diözese, und zwar zuerst in dem entferntesten und beschwerlichsten Teile derselben, nämlich im Szabolcser Komitate, wo seit sechzig Jahren keine solche unternommen ward und wo auf hundertfünfzigtausend Reformierte (helvetischer Konfession) nur etwa fünfzigtausend Katholiken gerechnet werden. Den ganzen Monat Juni und zwei Wochen im September und Oktober brachte ich auf derselben im fortwährenden Reisen von einer Pfarrei zur andern zu und hatte Groß und Klein über dreißigtausend Personen gefirmt. Diese Visitation gewährte mir sowohl in Hinsicht der Seelsorger als auch der Gemeinden große Freude. Auch die Akatholiken, Laien und Pastoren, erwiesen mir allenthalben durch Läuten ihrer Glocken und begrüßende Anreden ausgezeichnete Ehre, die ich dann jedesmal zum Mittagessen laden ließ und sie auch besuchte.

Da ich schon öfters von der kanonischen Visitation der Pfarreien gesprochen habe, so will ich hier einiges davon melden, damit man sich auch anderwärts von jenen in Ungarn eine Vorstellung machen könne. Die dabei beobachtete Ordnung war beiläufig folgende. Der Tag und die Zeit meiner Ankunft, gewöhnlich nachmittags, war vorläufig angekündigt. Die Gemeinde mit dem Pfarrer und dem Schullehrer, der die in Reihen geordneten Schulkinder unter Voraustragung zweier Kirchenfahnen anführte, an der Spitze erwartete mich draußen vor dem Dorfe, und gewöhnlich harrten dort auch schon die Geistlichen der Akatholiken in ihren langen Talaren, um mich mit einer Anrede zu begrüßen. Sobald ich den Allversammelten dort nahe kam, so stieg ich aus dem Wagen, wurde mit dem Rokett (kurzem Chorhemde) und der violetten Mozetta angetan und zog nun mit der Prozession unter dem Geläute der Glocken und dem lauten Gesange des Volkes in die Kirche ein. Vor allem wurde der Friedhof begangen und das übliche Gebet für die Verstorbenen verrichtet; dann das Tabernakel mit den heiligen Gefäßen, so auch in der Sakristei die Kelche (gehörig vergoldet?), Wäsche, Paramente, Tauf-, Sterb-und Trauungs-Register untersucht und endlich dem Volke für den folgenden Tag die Stunde der Kirchenfunktionen angekündigt. In dem Pfarrhof begann darauf die ernste, oft sehr anstrengende Verhandlung; denn mit den anwesenden Komitatsdeputierten, einem[152] Stuhlrichter (vermutlich vom alten Herren-Stuhl, wo Zivil- und Kriminalfälle abgehandelt wurden, also genannt) und einem Geschworenen, so auch dem betreffenden Herrschaftsbeamten, dem Domherrn a latere, dem Dechant, dem Ortspfarrer und einigen Ausschußmännern der Gemeinde setzte ich mich an den Arbeitstisch, und nun wurden die Anteacta, d.h. das letze kan. Visitationsdekret (Urkunde) Punkt für Punkt durchgegangen: die Einkünfte, Äcker, Wiesen, Weiden, Stolgebühren usw. des Pfarrers, Schullehrers, Meßners und Küsters revidiert und mit dem allfälligen Zuwachs von Seiten der Herrschaft oder der Gemeinde, um welchen ich mich meistens mit Erfolg verwendet hatte, gerichtlich und ämtlich verzeichnet. Dies dauerte gewöhnlich bis 9, auch bis 10 Uhr abends; dann folgte ein kurzes Nachtessen und die Ruhe. Morgens etwa um sieben Uhr las ich in der vollen Kirche die Messe, während – oder nach welcher der Pfarrer oder sein Kaplan in meiner Gegenwart predigen mußte. Der Predigt folgte die Prüfung von Klein und Groß aus der Christenlehre, vor welcher ich gewöhnlich eine kurze Anrede an das Volk hielt, und endlich die Firmung, die ich erteilte, und meistens erst nach zwölf Uhr in den Pfarrhof zurückkehrte. Noch vor Tische vernahm ich die Gemeinde über des Pfarrers Verhalten, Lebensweise und Amtsverwaltung, und setzte mich mit meinen oft sehr zahlreichen und von mir traktierten Gästen zum Mittagessen, nach welchem wieder in die nächste Station weitergefahren und heute so wie gestern vorgegangen wurde. – Es waren nur noch zehn Pfarreien visitiert zu werden übrig; aber ich mußte mein apostolisches Geschäft mit Ende Juni unterbrechen, weil ich vom König als königlicher Kommissär beordert ward, den ung. Hofkanzler, Grafen von Reviczky, im Borsoder Komitate als Obergespan zu installieren. Ich kehrte also schnell nach Hause und trat dann, als der von Wien kommende neu ernannte Obergespan angelangt war, die Fahrt nach Miskolcz, dem Hauptorte des Borsoder Komitats, an. Die bei solcher Gelegenheit vorkommenden Festlichkeiten könnte man füglich Monstre-Meetings nennen. Es dürfte vielleicht nicht uninteressant sein, hier einiges darüber zu vernehmen. Diese vorhabende Installation veranlaßte um so größere Demonstrationen, da der kön. ung. Hofkanzler als solcher auf einem der höchsten Stufen der Macht und des Ansehens steht, auf welcher er durch das ganze Land nach allen Richtungen hin entscheidend wirken kann, und es ist leicht zu erachten, daß man von solcher Gunst und Vorteil zu erlangen strebe!

Zahllos waren schon tags zuvor während unsrer Fahrt von der Grenze des Komitats angefangen die Banderien (berittene Edelleute) und bei einer jeden neuen Abteilung derselben die Anreden und Begrüßungen; aber das glänzendste und zahlreichste war vor Miskolcz selbst, wo wir gegen Abend anlangten, von[153] distinguierten Edelleuten und auch Magnaten unter Anführung des ersten Vizegespans – der dann später selber Graf und Obergespan wurde – aufgestellt. Ich saß an der Seite des zu installierenden Obergespans als kön. Kommissär rechts in seinem von sechs Pferden gezogenen Galawagen und mußte all die Ehrenbezeugungen mit ihm teilen. Am folgenden Tage geschah die Installation im großen Saale des Komitatshauses. Die erste Anrede an ihn und die Stände hielt ich – die andere er an mich und jene, worauf noch viele andre folgten. Nachdem ich ihn im Namen des Königs zum wirklichen Obergespan des Borsoder Komitats ausgerufen und ihm den Kalpag auf das Haupt gesetzt hatte, so wurde er von vier Oberstuhlrichtern in einem Armsessel sitzend unter großem Jubel in die Höhe gehoben. Er legte dann den Eid in meine Hände ab, und die Funktion war geendet. In meinem Quartier angekommen mußte ich noch vor Tische dreiunddreißig Deputationen (über zwanzig schickten die Komitate, die anderen waren teils vom Klerus, teils von Städten und Magnaten vereint) empfangen und ihre Begrüßungen anhören und sie beantworten. Es war keine Kleinigkeit! Nach dem großen Diner gab es Pferdewettrennen, Theater, Illumination und zum Beschluß ein Ball.

Nach diesem allem fuhr ich nach Gastein, die dortigen Bäder zu gebrauchen und von dort nach dem Brandhof in der Steiermark, einer Besitzung des Erzherzogs Johann, der mich dorthin geladen hatte, die von ihm erbaute hübsche Hauskapelle und seine darin enthaltene Gruft am 24. August einzuweihen. Nach dieser mit der Predigt, die der Fürstbischof von Seckau hielt, vier Stunden lang dauernden Feierlichkeit, bewirtete er uns, seine hundert Gäste, unter welchen sich Hohe und Niedere, mehrere Adelige, Prälaten, Dechante, Pfarrer, Beamte, Hammerwerksinhaber, Amt- und Landleute, sogar Holzhauer und Älpler befanden, in einem draußen im Hofraum ländlich dekorierten Pavillon. An Toasten, erhebenden Gesängen und verteilten Gedichten fehlte es dabei nicht. Nach Tische wurden wir alle in seinen Vorsaal zu kommen gebeten. Dort verlas er eine Urkunde, worin es unter anderm hieß: Nachdem er aus Gottes Gnade an diesem Orte die Ruhe seines Gemütes wiedergefunden, so habe er aus Dankbarkeit ihm zu Ehren diese Kapelle erbauen lassen und seinen vieljährigen Freund, den Patriarch-Erzbischof von Erlau, Joh. Ladislaus Pyrker, ersucht, selbe am Feste des hl. Bartholomäus als am heutigen 24. August einzuweihen. Er dankte darauf uns allen, die wir dabei erschienen, in den rührendsten Ausdrücken und forderte uns (mich zuerst) auf, selbe zu unterschreiben. Der Eindruck war außerordentlich – kein Auge blieb trocken, als wir uns entfernten.

Kaum war ich heimgekommen, so begab ich mich wieder nach dem Szabolcser Komitate, die kan. Visitation der noch übrigen[154] zehn Pfarreien daselbst Ende September und Anfangs Oktober zu vollenden.


J. 1829.

Wie diese vollbrachte ich auch jene im Borsoder als dem zweiten zur Erzdiözese Erlau gehörigen Komitate im Sommer des J. 1829, und die Zahl der Gefirmten war jener im obigen gleich. Sie hatte wie jene für die Kirchen, Seelsorger, Lehrer und Kirchendiener, deren Lage zu verbessern war, die gleichen erfreulichen Resultate. In den Wintermonaten stellte ich dann jedesmal die sich darauf beziehenden, als öffentliche Aktenstücke geltenden Dekrete aus (eine erstaunliche Arbeit in dreifacher Abschrift), wodurch die kan. Visitation in Ungarn auch vor dem weltlichen Forum gesetzliche Kraft erhält.

Im Laufe des Jahres errichtete ich auch in Erlau wie in der Zipß mit denselben Modifikationen eine Präparanden-Anstalt für angehende Dorfschullehrer, nebst dem eine Zeichnungsschule für die Erlauer Jugend, und beide gedeihen vortrefflich. Das Beste, was ich hienieden das Glück hatte zu Stande zu bringen, mag wohl die Errichtung der beiden Präparandien sein, da nach Verlauf von zweiundzwanzig Jahren aus der Zipßer und Erlauer mehrere hundert gebildete Dorfschullehrer hervorgegangen und angestellt worden sind. Dem Himmel sei Lob und Dank dafür!


J. 1830.

Nachdem ich in diesem Jahre die kan. Visitation auch im Heveser, dem dritten zur Erzdiözese gehörigen Komitate, dessen Hauptsitz die erzbischöfliche Stadt Erlau ist, doch nur in jenen Teilen, wo meine Vorfahren seit vielen Jahren keine gehalten haben, vollendete, so war auch hier dieser wichtigen Pflicht meines oberhirtlichen Amtes genug getan und von guten Folgen begleitet.

Gegen Ende Juni fuhr ich nach Hofgastein und habe in diesem Jahre dort das erste Mal die Bäder gebraucht, nachdem der Kaiser im J. 1828 (23. August) die Herableitung des Badewassers auf meinen Vorschlag genehmigt hatte. Anfang August kehrte ich wieder heim.

Doch der Landtag war für dieses Jahr wegen der Krönung des Kronprinzen Ferdinand (nun Kaiser) zum jüngeren König von Ungarn in Preßburg angesagt. Ich reisete über Gran, Neuhäusel und Neutra, welche Gegenden ich noch nicht kannte, dahin. Im letzteren Orte bei dem dortigen Bischof eingekehrt zog ich mir ein dreitägiges Fieber, das mit heftigen Magenschmerzen vereint war, zu. In Preßburg an einem Samstag angelangt mußte ich mich sogleich zu Bette legen. Was mich dabei am meisten quälte, war, daß ich von dem Palatinus zum Präses und Orator der großen, aus sechzig Mitgliedern bestehenden Landtagsdeputation,[155] die den Kaiser und den zu krönenden jüngeren König von dem an der Grenze Österreichs liegenden Lustschlosse Schloßhof Sonntag über acht Tage feierlich einladen sollte und mir nun die Gelegenheit, bei dem Landtage in einer so schönen Funktion zum ersten Mal aufzutreten, entrissen werden würde. Da jener bestimmte Sonntag ein von Fieberanfall freier Tag war, so fuhr der Arzt meinen dringenden Wünschen nachgebend in einem geschlossenen Wagen selber mit mir hin. Ich hielt meine zur feierlichen Einladung bestimmten Anreden, aber in einem Zustande, daß ich öfter wähnte, vor Schwäche niedersinken zu müssen. Gleich darauf verfügte ich mich zum Kaiser, wo er und die Kaiserin mir entgegen eilten und meine Hände ergreifend fragten, was mir denn fehle, denn ich sehe schrecklich aus! Ich empfahl mich und fuhr, ohne das gewöhnliche große Diner abzuwarten, nach Preßburg zurück und legte mich sogleich wieder nieder. Drei Wochen dauerte dieser jammervolle Zustand, und später zeigte sich ein neues Übel – ein furchtbarer Schwindel, der wahrscheinlich von großen Dosen von Chinin, mit welchen mich der Arzt zur Fahrt nach Schloßhof stärken wollte, veranlaßt wurde, denn so konnte ich meine Anreden, so schwer es mir fiel, dennoch halten; aber der Schwindel verlor sich erst spät nach meiner Heimkunft in Erlau auf den Gebrauch homöopathischer Mittel.

Während des Landtages geschah die feierliche Krönung des jüngeren Königs Ferdinand, wobei ich mit dem Primas Regni sowohl in der Kirche als auch bei der Eidesleistung auf dem öffentlichen Markte sein Assistent war; wir ritten ihm in vollem, reichen Kirchenornate mit der Infel auf dem Haupte zur Seite, und uns folgten fünfzehn Diözesanbischöfe alle im selben Ornate zu Pferde nach. Bei der kaiserlichen Mittagstafel, wozu wir beide Assistenten geladen waren, sagte mir die Königin-Witwe von Bayern, die mir nach dem Tode des guten König Max ein paar sehr herzliche Briefe geschrieben hatte, vielleicht hätte sie der Anblick eines in solchem Ornate zu Pferde sitzenden Bischofs lächeln gemacht; aber siebzehn Bischöfe im vollen Glanze so vorüberziehen zu sehen, hätte sie, die doch viele Prunkzüge gesehen, mehr als irgend etwas früher ergriffen.

Nach Tische nahm mich der Kaiser bei Seite und – dankte mir, daß ich seinem Sohne sowohl bei der Funktion in der Kirche als auch während des Rittes durch die Straßen mit so vieler Sorgfalt beigestanden wäre. Der gute Kaiser!

Heimgekommen vom Landtag dachte ich ernstlich daran, den Bau einer neuen Kathedralkirche zu Stande zu bringen. Gewohnt in Venedig durch eine längere Zeit die herrlichsten Kirchen vor Augen zu haben, war mir der Anblick der kleinen, einer Dorfkirche ähnlichen Metropolitankirche mehr und mehr peinlich geworden.[156]

Bei dem Abzuge der Türken (J. 1696) waren alle früher bestandenen, so auch die alte, ehrwürdige, in gotischer Form, wie es ein erst unlängst vom Schutt befreiter Pfeiler beweist, gebaute Kathedralkirche, die samt der Bischofs- und Domherrenwohnungen auf dem Festungsberge stand, zerstört. Die neue, von geringem Umfang, wurde in Eile auf dem Platze, auf welcher jetzt die neueste steht, erbaut und erregte fast in jedem meiner seitherigen Vorfahren den Wunsch, etwas Würdigeres an deren Stelle zu setzen. Besonders ging der dritte vor mir, Graf Karl Esterházy, der auch das prachtvolle Lyceum erbauen ließ, mit diesem Gedanken um; allein der Tod verhinderte ihn an der Ausführung desselben. Nach den vorhandenen Zeichnungen wäre aber nichts außergewöhnliches zu Stande gekommen. Indessen wurde von einigen unter jenen eine Summe nach der anderen als Fond dazu bestimmt, der obgleich beträchtlich durch die Finanzoperation im J. 1811 auf die Hälfte jenes Betrages herabsank, der nach dem ersten Überschlag meines Architekten zur Erbauung der beabsichtigten neuen Kathedralkirche erfordert wurde. Dieser Architekt war Joseph Hild in Pesth, der sein Fach mehrere Jahre hindurch auch in Rom studiert hatte und sich bereits durch die Aufführung der schönsten Gebäude der Stadt Pesth als vorzüglich geeignet bewährt hatte. (Ich halte ihn für den ersten Baumeister der neueren Zeit – von Palladio angefangen, der mit einem besonderen Schönheitssinn begabt nichts als Schönes schafft. Nun arbeitet er an der Vollendung der von einem anderen begonnenen Graner Kathedralkirche, an welcher die Kuppel von 240 Fuß Höhe bereits eingewölbt und eingedeckt ist). Ich legte die von ihm entworfenen Pläne zu Ende des J. 1830 meinen Domkapitularen vor und erhielt von ihnen die Zusage, daß sie sich herbeilassen würden, die Hälfte der noch erforderlichen Baukosten mit mir zu bestreiten. (Indessen muß ich hier im voraus bemerken, daß ich bis jetzt – 1845 – weit mehr als doppelt so viel als sie beitrug, und die Baukösten jene des Überschlages auch um das Dreifache überstiegen haben). – Gleich im Winter ließ ich die frühere Kathedralkirche niederreißen und die Fundamente der neuen ausgraben, wodurch nach einem Mißjahre den ärmeren Bewohnern der Stadt ein wohltätiger Erwerb geboten ward. Am 22sten März des J. 1831 begann der Bau der neuen Kathedrale – an welchem Tage ich den ersten Stein (nach früher abgehaltenen Andacht in einer stellvertretenden Kirche) in die achtzehn Fuß tiefen Fundamente senkte. Ich muß hier, um mich in Hinsicht der Geschichte des Baues kurz zu fassen, vorläufig melden, daß dieser große Bau zum Staunen aller, die es hören, im Herbste des J. 1836 bis nahe zur Vollendung gedieh, denn die Kirche war in ihren Haupt- und Nebengebäuden nicht nur eingewölbt und gedeckt, sondern auch innen und außen verputzt; innen einstweilen einfach ausgemalt,[157] mit weiß[en] und roten marmornen Quadratplatten gepflastert und mit den nötigen Bänken, Türen und Fenstern, Kanzel und Altären versehen; so auch außen über dem Portikus mit herrlichen Statuen und von innen mit Basreliefs und schönen Altarblättern geschmückt, denn zu allem diesem habe ich gleich bei dem Beginn des Baues Hand anlegen lassen. Die Kirche ist durchaus von festem Stein, in neuem edlen Stil (greco-latino) gebaut und dürfte unvergleichlich schön genannt werden selbst von jenen, die ganz Italien durchreist haben. Ihre Länge mißt mit Inbegriff des Portikus 300 Fuß, ihre äußere Breite 120, die Höhe des Hauptschiffes 72, jene der Kuppel 120 und der beiden Türme 168 Fuß. Zu dem Portikus führt eine 60 Fuß breite Treppe in zwei Abteilungen, deren jede 13 Stufen zählt, hinauf und zwei 12 Fuß hohe Statuen die Aposteln Peter und Paul vorstellend stehen unten an der ersten auf hohen Postamenten. Das Haupt- oder mittlere Schiff wird von den zwei Seitenschiffen durch 28 runde Säulen korinthischer Ordnung, deren Höhe von 51 und Durchmesser 5 Fuß [abgeteilt]. Auf der Attique von 90 Fuß Höhe stehen drei Statuen, Glaube, Hoffnung und Liebe [von] 18 Fuß Höhe, und etwas tiefer links und rechts zwei Engeln von 15 Fuß Höhe von dem ausgezeichneten venezianischen Bildhauer, Marco Casagrande, von welchem als Zögling der dortigen Akademie der Präsident derselben, Graf Cicognara, öfters sagte, daß er, wenn ihm Arbeiten aufgetragen würden, selbst den berühmten Canova übertreffen würde, aus festem Stein gemeißelt; so auch zwölf Basreliefs in der Kir che und acht andere aus hartem Gips geformt. Die Statuen sind von vorzüglicher Schönheit, so auch einige von diesen. Nicht minder verdienen volles Lob die sechs neuen Hauptgemälde in der Kirche, jenes am Hochaltar von Joseph Danhauser von Wien, und fünf andere an den Seitenaltären von den Künstlern Malatesti, Schiavoni, Grigoletti und Busato von Venedig, gemalt, zwei ältere sind von Kracker, einem Maler von Erlau in früherer Zeit verfertigt. Der Hochaltar, dann die vier Seitenaltäre und einer in der Marien-Kapelle sind von schönem grauem Marmor, die teilweise aus der alten Kathedralkirche aufbehalten worden sind. (Von der Konsekration der Kirche am 1-sten Mai 1837 weiter unten).


J. 1831.

Im Monat Juni dieses Jahres brach die Cholera aus Galizien über Ungarn herein. Noch war sie nur an der [galizischen] Grenze, und man vermutete gar nicht, daß sie sich so schnell und so weit verbreiten sollte, als sie hernach später Ungarn vor allen[158] andern Ländern so schrecklich heimsuchte. Ich brach gegen Ende Juni von Erlau auf, um wie gewöhnlich über Wien nach Gastein zu reisen. Kaum war ich aber in der Hauptstadt Österreichs angekommen, als die Nachricht mittels Staffette dahinkam, daß jene Seuche längs der Theiß an fünf Ortschaften des Hevescher Komitats ausgebrochen sei. Wohl waren Stimmen zu hören, die mir Glück wünschten, ihr auf gute Art entkommen zu sein, aber ich fühlte, was mir die Pflicht gebot, und begab mich sogleich wieder nach Erlau zurück. In der Rückreise erstaunte ich, welche Veränderungen sich seit einigen Tagen ergeben hatten. Schon an der Grenzbrücke in Bruck an der Leitha standen mit bloßen Säbeln und Flinten bewaffnete Bürger und Bauern, welche nach dem Sanitätszeugnis und den Pässen fragten und furchtsame Gesichter schnitten. Ich hatte Mühe, ihnen begreiflich zu machen, daß ich erst vor vier Tagen hier nach Wien durchgereiset sei, wo sich noch keine Spur jenes Übels zeige, und von dort heimkehrend demselben entgegengehe. Nach ihrer dortigen Aufstellung muß ich der erste Reisende gewesen sein, den sie zu befragen hatten. Weiter abwärts bis Ofen standen vor mehreren Ortschaften solche Bauernwachen hinter quer über die Straße gezogenen Stangen in Ermanglung anderer Waffen mit eisernen Heugabeln versehen und ließen Richter oder Dorfnotär wegen Besichtigung des Reisepasses kommen. Sie entschuldigten sich mit den erhaltenen Befehlen; ich aber belobte ihren Eifer, obschon ich mich mehr und mehr bis heim überzeugte, daß solche Anstalten nur Angst und Schrecken und damit unter dem Volke die traurigsten Wirkungen zur Folge haben. Die Stadt Erlau war auch bereits zerniert, aber erst nach vierzehn Tagen ergaben sich dort die ersten Sterbefälle. Bald erfuhr ich, daß einer meiner Pfarrer in Bábolna an der Theiß, mit Namen Morvay, ein Mittel anwende, seine Pfarrkinder von der Cholera zu befreien. Sogleich beauftragte ich ihn, mir sein Verfahren dabei schriftlich zu übersenden. Auf seine Heilmethode, schrieb er mir, sei er durch Zeitungsartikel, besonders einen aus Riga gekommen, wo es hieß, die Erkrankten würden gerettet, wenn sie bei der Kälte, die sie gleich anfangs befällt, in Schweiß gebracht werden könnten. Ich ließ seine Vorschrift alsobald in ungrischer und deutscher Sprache abdrucken, sandte davon an die Statthalterei in Ofen und an die Hofkanzlei in Wien einige Exemplare und erhielt dafür die lebhaftesten Danksagungen. Bald stand die Kunde davon in den in- und ausländischen Zeitungen; überall wurde sie durch den Druck vervielfältiget, und Erzherzog Johann allein ließ über sechzehntausend Exemplare davon in der Steiermark verteilen. Morvay's Verfahren dabei war in kurzem folgendes. Da man in ungrischen Dörfern nichts von Badewannen weiß, große Waschzuber aber, in welchen die Wäsche abgebrühet wird, sich in jedem Hause vorfinden, so mußten in diese ein paar glühend gemachte[159] Mauerziegel, auf welche Kampfer-Spiritus oder Essig und Branntwein gegossen und der Kranke auf einen Schemel gesetzt ward, gelegt werden, worauf er mit Kissen und Federbetten dicht umhüllt wurde und meistens in wohltätigen Schweiß kam. Gewöhnlich ließ er aber den Kranken, bei welchem die Anzeichen der Cholera, Schwindel, Ermattung, Abweichen usw. sich einstellten, sogleich in ein warmes Bett legen, die Nasenlöcher ausgenommen dicht verhüllen und ihm Umschläge von Krauseminze, Salbei, Kamille, breitblätterigen Wegerich etc. (Herba Menthae crispae, Herba Abrotani, Herba Salviae, Fol. Malvae vulg.) mit heißem Wasser abgebrüht und zwischen zwei Tücher gelegt, deren eine Seite mit siedendem Wein benetzt wurde, ihm auf den Magen legen. Zum Trunk ward ihm ein Absud von Minze, Holunderblüte und Kamillen gereicht und das tödlich kalte Wasser ihm fern gehalten. Bei sich einstellender Eßlust erhielt er eine warme Suppe und Gerstenabsud zum Trinken. Auch hat er mit gutem Erfolg besonders zuletzt Dunstbäder und auch das Baden der Kranken angewendet, wobei die zarten Zweige der Akazie klein gehackt und gespalten und der Absud in den Waschzuber gegossen ward, worin der Kranke auf einem Stuhl sitzend die Füße auf einen Schemel stellte und wohl zugedeckt in Schweiß gebracht ward. Bei sich einstellenden Krämpfen ließ er mit warmem Essig, Kampfer und Weingeist die Hände, Füße und den ganzen Leib des Kranken reiben und ihm Krauseminzen-Tee zum Trinken geben. Bei einem solchen Verfahren starben von hundertzwanzig Cholerakranken in Bábolna nur einundzwanzig und unter diesen größtenteils alte Leute, die sich seiner Behandlung nicht unterwerfen wollten, und Kinder, deren unkluge Mütter sie ihr aus falschem Mitleid entzogen.

Um so günstige Erfolge bewirken zu können, verfiel er auf ein ganz besonderes Mittel. Wie gesagt, waren die Abwehranstalten das Furchtbarste bei diesem Übel. Sobald es hieß, in diesem oder jenem Hause sei ein Cholerakranker, so wurden mit Heugabeln bewaffnete Männer vor die Haustüre gestellt und niemand mehr aus- oder eingelassen; auch die Art, die Leichen auf die Begräbnisplätze hinauszuschaffen, hatte für das Volk etwas Schaudererregendes; daher geschah es denn oft, daß man die Kranken verleugnete und sie dann unter dem Dachboden, in Kellern und in einem Winkel der Scheunen versteckt tot gefunden wurden. Er bestellte nämlich ein paar bejahrte Weiber, die in den Häusern forschend herumgehen und die Erkrankten anzeigen mußten. Für einen jeden solchen erhielten sie dann von ihm eine kleine Belohnung im Gelde und am Ende bei bewiesenem größeren Eifer auch einige Metzen Korn zur Belohnung. Der bei weitem wichtigste Vorteil, der die Bekanntmachung des Morvay'schen Verfahrens[160] zur Folge hatte, war aber der, daß unter dem gemeinen Volke die Vorspiegelungen von vergifteten Brunnen und dem Streben der Herrschaften, ihre Untertanen aus dem Wege zu räumen, schnell ein Ende nahmen, denn da allenthalben das Mittel an der Hand war, sich und den Seinen zu helfen, so fand man jene in keiner Hinsicht mehr begründet. Leider hatten sie in denen Galizien zunächst liegenden zwei Komitaten abscheuliche Szenen hervorgebracht, und viele Hinrichtungen folgten ihnen. Bald wäre das in seinem Erwerb gehemmte Volk auch in Erlau zu Exzessen geschritten, wenn ich nicht mittels Estafetten durch wiederholte Vorstellungen höheren Ortes die Auflösung des Kordons bewirkt hätte. Sobald dies geschah, ging wieder jeder froh an seine Arbeit, und von neueren Opfern der Seuche war nichts weiter zu hören. In Erlau selber gab es auf eine Bevölkerung von beiläufig zwanzigtausend Seelen nur etwa zweihundert Sterbefälle, obschon in dem Hevescher Komitat, in welchem die Stadt liegt, von hundertsechzigtausend über siebzehntausend Menschen an dieser Seuche gestorben sind. Dem um seine Pfarrgemeinde und überhaupt um die Menschheit hochverdienten Pfarrer Morvay erwirkte ich von dem sel. Kaiser die große goldene Ehrenmedaillie, die ich ihm bei der Generalkongregation des Komitats mit einer angemessenen Rede als Obergespan feierlich an die Brust heftete; auch verschaffte ich ihm unter dem Patronate des Domkapitels eine einträglichere Pfarrstelle. Ich selber befand mich während dieser ganzen traurigen Epoche wohl und ließ an der neuen Kathedrale unausgesetzt fortarbeiten.


J. 1832.

Auf meiner Rückreise von Gastein traf ich in dem Markte Werfen mit dem Kaiser und der Kaiserin, die auf einer Reise aus Tirol durch [den] Pinzgau herüber kamen, zusammen und wurde sogleich zur Mittagstafel geladen. Vor Tische forderten mich beide auf, die hart am Markte auf einem steilen Hügel sehr romantisch gelegenen Veste Werffen mit ihnen zu besichtigen, was dann auch geschah, und der Kaiser gab zur Erhaltung derselben den anwesenden Beamten die nötigen Befehle. Unter der fürsterzbischöflichen Regierung diente sie in der letzteren Zeit zu Gefängnissen. Nun befindet sich ein Invalide als Wächter daselbst und läutet mit der großen Glocke, die in einem luftigen Turm hängt, jeden Donnerstag früh, mittags und abends zum Ave Maria.

Nach Tische geschah es, daß ich das in Hofgastein von mir erkaufte und hergestellte Haus (s. oben S. 192) als ein Badehaus für das k.k. Militär in Antrag brachte. Der Kaiser fuhr mit der Rechten lächelnd auf mich los und rief: »Ich danke Ihnen, daß Sie für meine armen Soldaten bedacht waren.« Die mit allerhöchster Genehmigung versehene Schenkungsurkunde wurde mir[161] später von dem k.k. Hofkriegsrat mit einer ehrenvollen Zuschrift zugesendet. Die Kaiserin aber nahm mich bei Seite und sagte mir mit etwas bekümmerter Miene: »Ich weiß, daß Sie ein paar Tage vor dem Tode des Herzogs von Reichstadt in Schönbrunn bei ihm waren; hat er seinen religiösen Pflichten als Sterbender genug getan?« Ich wisse es nicht, war meine Antwort. Die Sache verhielt sich so. Ich wurde aufgefordert, bei der feierlichen Taufe eines Prinzen des Erzherzogs Franz Karl in Schönbrunn als k.k. Geheimrat gegenwärtig zu sein, da eben wenige in Wien anwesend waren. Während der Taufhandlung lispelte mir der Obersthofmeister des schwerkranken Herzogs von Reichstadt, F.M.L. Graf von Hartmann, in die Ohren, ich möge diesen besuchen – er habe ein gar großes Vertrauen zu mir. Gleich den folgenden Tag fuhr ich zu ihm nach Schönbrunn hinaus und fand an der Türe des Prinzen eben den Obersthofmeister mit einem seiner Kammerherren, die mir vor dem Eintritt sagten, ich möchte von seinem Aussehen nicht erschrecken und ihn nicht viel sprechen lassen, sondern selber das Wort führen. Die erstere Mahnung war wohl gegründet, denn ich mußte mich erst fassen, als er mich neben sich auf das Kanapee niedersitzen hieß, und ich die ersten teilnehmenden Worte an ihn richtete. Dieser junge Mann, der Sohn des Kaisers Napoleon, schon in der Wiege zum König von Rom ernannt, mit Orden von fast allen europäischen Fürsten geziert und als der Erbe unzweifelhafter Größe und erhabener Geschicke gepriesen, saß nun bleich und abgezehrt – ein Bild des Todes – vor mir! Den Eingang zu einer kurzen Unterredung zu finden, erinnerte ich ihn, daß ich ihn in seinem siebzehnten Jahre, wo er seit dem letzten Besuche, den ich ihm machte, so schnell gewachsen war, und ihm die Ärzte zur Stärkung das kalte Baden angeraten hatten, gewarnt habe, dabei nicht zu viel zu tun, denn wahrscheinlich habe er sich dadurch sein gegenwärtiges Brustübel zugezogen. Er aber erwiderte lebhaft, bei ihm fehle es nicht in der Brust, wie die Ärzte fälschlich wähnten; seine Krankheit, die Flechte, stecke wie bei seinem Vater im Magen, davon hoffe er nun ganz befreit zu werden, und freue sich, bald nach Ischl reisen zu können. Heftiges Husten unterbrach seine Worte. Ich faßte darauf seine Hand und sagte, gehört zu haben, daß er, lebhaft wie er immer war, jetzt auch bei dieser Krankheit sehr ungeduldig sei; Geduld aber und ruhige Fassung auch die Wirkung der Arzneien erleichtern würden. Bei dem Worte Geduld sah er mich herumgewendet lächelnd an und sagte: »Geduld haben? Das wäre jetzt eine Kunst!« Dabei lachte er hohl und tief, was auch bei Kaiser Napoleon charakteristisch gewesen sein soll. Bei einem neuen Anfall seines Hustens stand ich auf, er aber drückte meine Rechte an seine Brust und sagte zum Abschied: »Sie waren stets mein Freund – ich danke Ihnen für den heutigen Besuch –[162] leben Sie wohl!« Ich befürchtete, durch längeres Verweilen neue Anfälle hervorzurufen, und trat eilig zur Türe hinaus. Dort fragten mich die beiden Herren voll Hast, was der Prinz gesprochen habe? Ich erzählte ihnen jedes Wort, was wir beide gesprochen hatten. Bei dem Worte »Flechte« sahn sie sich lächelnd an und sagten: »Das ist nun einmal seine fixe Idee!« Sie schienen noch weiteres hören zu wollen, ich aber empfahl mich und ging tief bewegt fort. In dem großen Saale des Schlosses ging ich einige Mal mit gesenkter Stirne langsam auf und ab. Manches ihn betreffende schwebte aus vergangenen Zeiten an meiner Seele vorüber. Ich hatte ihn seit seinem vierten Jahre an, wo ihn seine Mutter mir in Schönbrunn vorstellte, gekannt und ihn seitdem bei meinen häufigen Reisen nach Wien sehr oft besucht. Matthäus von Collin, Bruder des Dichters des »Regulus«, selbst ein geschätzter Dichter und mein Freund, war einer seiner Lehrer und erzählte mir selbst in seiner Gegenwart manches von seinem Benehmen, so von seiner Neigung für das Militär, wo er oft bei dem Trommelschlag unten in der Hofburg Mühe habe, ihn von dem Fenster zurückzuhalten; daß er nicht gerne anhaltend lerne (wie sein Vater), außer wenn Geschichte vorgenommen wird und wenn darin Erzählungen von Kriegsszenen und Schlachten vorkommen. Ergötzlich war es mir zu hören, wie er in seinem siebenten Jahre vernehmend, daß die Kaiserin seiner aus Italien kommenden Mutter bis Wiener Neustadt entgegenfahre, ihn mit Ungestüm gefragt habe, warum denn nicht auch sein Vater mitkomme? Verlegen, was er ihm auf diese Frage antworten solle, verwies er ihn an seinen Großvater, den Kaiser, er möge ihn darüber befragen; das würde er auch tun, rief er, und drang darauf, daß er ihn sogleich zum Großvater hinüberführen solle. Collin trat vorher ein und meldete dem Kaiser, was der Kleine vorhabe. »Nun gut«, sagte jener, »er soll nur kommen, ich werde ihm schon antworten.« »Die Mutter kömmt, warum nicht auch mein Vater?« – rief er fast zornig, als er zu ihm hinsprang und ihm die Hand küßte. »Warum dein Vater nicht kömmt,« sprach der Kaiser, »das wirst du gleich hören. Dein Vater war schlimm, deswegen haben wir ihn eingesperrt, und wenn du auch schlimm bist, so wirst du ebenfalls eingesperrt werden!« – Der Kleine ging ganz betroffen und schweigend mit seinem Lehrer zurück. Später, als der Knabe bereits dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, fragte ich jenen, ob er von dem Geschick, das seinen Vater betroffen, unterrichtet sei? Er wisse alles, gab er zur Antwort; der Kaiser habe befohlen, ihn über alles, was darauf Bezug habe, zu unterrichten; aber sonderbar genug, er habe nun schon seit einer Reihe von Jahren nicht die geringste Erwähnung davon gemacht und halte seine Gesinnung darüber in sich verschlossen zurück. Daß ihn übrigens der Kaiser sehr lieb hatte, habe ich nicht nur gehört, sondern mich davon im Schloß[163] Persenbeug mit eigenen Augen überzeugt. Vielleicht dürfen obenstehende Notizen anziehend sein von einem Kinde, von welchem zur Zeit, als die Bourbonen auf eine kurze Zeit wieder zur Herrschaft gelangten, ein französischer Stabsoffizier sagte: »Man gebe mir diesen Knaben, ich nehme ihn in die Arme und einen Tambour neben mich und führe ihn im Triumph nach Paris auf den Thron seines Vaters.« Wirklich soll ein Versuch gemacht worden sein, ihn heimlich zu entführen, weshalb er von Schönbrunn in die Stadt nach seinen Gemächern in der kaiserlichen Burg gebracht worden ist. So lauteten damals die allenthalben wiederholten Gerüchte. Später dürfte er in Frankreich die Veranlassung zu vielen Bewegungen geworden sein, weswegen sein Tod in der Blüte seiner Jahre den unerforschlichen Ratschlüssen der Vorsehung anheimzustellen ist.

Die Veranlassung, an dieser Stelle von ihm zu sprechen, gab die obige Frage, welche die Kaiserin im Markte Werfen an mich richtete. Sooft ich in der Folge über diese und das Betragen der beiden Herrn an der Türe des Kranken nachdachte, kam mich jedesmal eine Unruhe, wohl aus Reue an, vielleicht etwas Wichtiges, Pflichtgemäßes versäumt zu haben. Denn ich glaubte, dieses folgendermaßen entziffern zu können. Weder sie noch der Arzt (was leider so oft der Fall ist) wagten dem kranken Prinzen zu bedeuten, daß es an der Zeit sei, sich mit den Sterbesakramenten versehen zu lassen, und dies umso weniger, da er sie in seiner Ungeduld vielleicht öfters hart anfuhr und immer von der Gewißheit sprach, nun bald nach Ischl reisen zu können. So gründeten sie ihre Hoffnung etwa auf den Besuch, den ich dem Kranken zu machen gebeten ward. Hätten sie mir das, bevor ich zu ihm eintrat, auch nur durch ein paar Worte eröffnet, so würde ich nichts angelegentlicheres gehabt haben, als ihn auf eine gute Art dazu vorzubereiten, denn wie konnte ich zweifeln, daß in dieser Hinsicht der Burgpfarrer oder einer der Hofkapläne, welchen dort die Seelsorge obliegt, das Nötige bereits würden getan haben, und eine fremde Einmischung nur unlieb aufgenommen worden wäre? Darum bestand auch im Augenblicke des Scheidens mein ganzer geistlicher Zuspruch darin, daß ich ihm Vertrauen auf den lieben Gott empfahl und ihm verhieß, für ihn zu ihm beten zu wollen. Der Gedanke, daß ich dem jungen Manne, der wie eine zerknickte Blume das Haupt trübselig hängen ließ, vielleicht eine frohe Aussicht in die Ewigkeit hätte zeigen können und es zu tun unterlassen habe, erfüllte mich jedesmal mit tiefer Betrübnis. Auch habe ich es nie erfahren können, ob er versehen worden ist oder nicht. –

Im Monat Dezember fuhr auch ich auf den bereits früher ausgeschriebenen Landtag, dessen Dauer sich leider bis in das vierte Jahr hinausdehnte.
[164]

J. 1833

Dieses Jahr ließ sich gleich anfangs übel für mich an. Gleich (bis) die ersten Tage im Monat Jänner trat ich aus einer sehr stark geheizten Stube im Erdgeschoß in die streng-kalte Luft hinaus und fühlte bald, daß ich mir einen starken Katarrh zugezogen habe. Nach einigen Tagen stellte sich ein heftiges Schleimfieber ein, in welchem ich bis zum einundzwanzigsten Tage als jenem der erwarteten Krisis unaussprechlich gelitten habe, sie ist eine von den qualvollsten Krankheiten! Selbst in der Rekonvaleszenz konnte ich lange nicht zu Kräften kommen und dennoch fuhr ich während dieser vom Landtag aus gesendet mit einer großen Deputation, deren Redner und Präses ich war, nach Wien, um dem König zu seiner Wiedergenesung Glück zu wünschen. Nebst der Rede an ihn in lateinischer Sprache hielt ich eine deutsche an die Kaiserin-Königin und vier andere ebenfalls in lat. Sprache an den jüngeren König und Kronprinzen Ferdinand und die Erzherzoge Franz-Karl, Karl und Ludwig. Bei der Mittagstafel im Rittersaal hatte ich auf dem ersten Platze die Toaste auszubringen. Der König erschien dabei.

Die Landtagsverhandlungen nahmen ihren gewöhnlichen schleppenden Gang. Am 22-ten Oktober sollte eine sogenannte Restauration des Komitats, d.h. die Wahl aller Beamten desselben, welche alle drei Jahre gesetzmäßig angeordnet ist, in Erlau vorgenommen werden, und ich fuhr als Obergespan deshalb nach Hause. Einige Fraktionen, die weder den von einem großen Teil der Wähler (bis) gewünschten Vizegespan noch einen Abgeordneten zum Landtag aus der Reihe der Hevescher Adeligen, sondern die Wahl eines als Hauptliberalen bekannten früheren Deputierten des Borsoder Komitats für den jetzigen Landtag durchsetzen wollten, gingen in ihrer Vermessenheit so weit, daß sie ein Haus, in welchem eine bedeutende Zahl von der Gegnerpartei in später Nacht sich bereits zur Ruhe begeben hatte, förmlich stürmten und in dem entstandenen Kampf einige um das Leben brachten. Als ich dies am Morgen des zur Restauration bestimmten Tages erfuhr, die Faktionen überdies den zur Wahl bestimmten Komitatssaal gewalttätig besetzt und allerhand Unfug verübt hatten, so widersetzte ich mich standhaft allen ihren Forderungen, erklärte die ganze vorzunehmende Amtshandlung für aufgeschoben und ließ die Wähler nach Hause gehen. Jene zogen erst am dritten Tage ab, worauf die in Schrecken gesetzte Stadt wieder beruhigt ward. Auf die von mir Allerhöchsten Ortes gemachte Anzeige ward ein königlicher Kommissär abgesendet, der nach den gemachten genauen Erhebungen einen Bericht erstattete, welcher die Anordnung eines Kriminalprozesses gegen die Schuldigen und ihre Bestrafung[165] durch längeren Arrest zur Folge hatte. Obschon ich zu jenen betrübenden Auftritten nicht die geringste Veranlassung von meiner Seite gab, so ward doch seit jener Zeit der Entschluß in mir fest, jener meinem Gemüte ohnehin nicht zusagenden politischen Wirksamkeit zu entsagen und einen Stellvertreter in dem Amte des Obergespans zu begehren, sobald der Landtag sein Ende erreicht haben würde. Dieses wurde für den 2-ten Mai des J. 1836 angesagt, und nach jener Zeit ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen.


J. 1834.

Außer der Teilnahme an den Landtagsverhandlungen hatte ich mich heuer in Hofgastein während der Kurzeit mit einem neuen Hausbau beschäftigt. Als ich im J. 1832 das erste für das k.k. Militär abgetreten hatte, blieb mir rückwärts demselben ein halbes Joch betragender Ackergrund und nebenan ein hübsches Gärtchen noch übrig zum Eigentum, und ich beschloß, dort ein neues, nach der Zeichnung des Architekten Hild ein Stockwerk hohes, sehr hübsches und mit einem eigenen Bade versehenes Haus zu erbauen, welches ich, da es im folgenden Jahre auch mit den inneren nötigen Einrichtungen versehen war, bezog und ein paar Jahre hindurch benützte. Doch in der Notwendigkeit, ein neues Amt- und Wohnhaus für den dortigen k.k. Pfleger erbauen zu müssen, äußerte die Landesregierung den Wunsch, daß ich zu solchem Behufe jenes Haus abtreten sollte, obgleich ich einige hundert Gulden weniger dafür erhielt, als ich zur völligen Herstellung desselben verwendet hatte, so ging ich den Vorschlag doch gerne ein, da ich damit Hofgastein verschönert habe und ich für die Kurzeit jedes Mal anständige Wohnung im Markte hatte. Der Ackergrund sowohl als auch das Gärtchen ist dem Amtshause zu eigen geblieben. Das letztere bildet den Vorgrund dazu. In diesem Jahre besuchte ich zum ersten Mal das Bad in der Fusch. Hievon bald mehr.


J. 1835.

Endlich ist dieses Jahr angebrochen, in welchem ich das Teuerste, was meinem Herzen auf Erden war, verlieren sollte! Bald nach dem 20. Februar lauteten die Nachrichten von der eingetretenen Krankheit des Kaisers immer bedenklicher, und ich fuhr daher von Preßburg nach Wien und ließ mich jeden Tag ein paar Mal über sein Befinden erkundigen. Noch am 1-sten März abends um neun Uhr ging ich selber zu der Hauptstiege in der Burg hin, wo ein Offizier der Burgwache den Nachfragenden Auskunft zu erteilen pflegte. Er sprach an die andringenden Scharen wiederholt, das Fieber habe etwas nachgelassen, und S.M. hofften,[166] eine ruhigere Nacht zu haben. Ach, am Morgen hieß es: Er ist nicht mehr! Um zwei Uhr nach Mitternacht am 2-ten März ist der gütigste, gerechteste, edelste Kaiser Franz I. gestorben! (Die Zahl 2 herrschte in mehreren Momenten seines Lebens vor: am 12-ten Februar war er geboren, im J. 1792 bestieg er den Kaiserthron des Deutschen Reiches, und nun endete er am 2-ten März um 2 Uhr nach Mitternacht sein Leben! Auch für mich wurde die Zahl 2 bezeichnend: Im J. 1772 ward ich am 2-ten November um 2 Uhr nach Mitternacht geboren, im J. 1792 trat ich in das Stift Lilienfeld als Mitglied desselben ein, im J. 1812 wurde ich zum Prälaten desselben gewählt, endete im selben Jahre meine »Tunisias« – schrieb im J. 1822 meinen »Rudolph von Habsburg«, ward im J. 1820 Patriarch von Venedig und J. 1827 Erzbischof von Erlau, und im J. 1842 habe ich mein Eintritts-Jubiläum in dem Stifte Lilienfeld feierlich begangen. Ich führe dies als etwas Eigenes an, ohne die mindeste Wichtigkeit darein zu legen).

Der Begräbnisfeierlichkeit wohnte ich bei; es war dabei eine große, innige Trauer auf allen Gesichtern zu lesen, und doch schien sie mir noch nicht tief genug zu sein; die meisten kamen mir wie gleichgültig vor! Mein Leid war unaussprechlich! Er gab mir Wohlstand, Würden und Auszeichnungen, auf die ein Mensch in meiner Lage gar nie rechnen konnte – ein Mehr konnte es für mich nicht mehr geben. Nichts dergleichen machte meine schon lange vorher versiegten Tränen wieder und heißer fließen; aber sein durch eine lange Reihe von Jahren unverändertes Wohlwollen und seine ausgesprochene Liebe für mich waren mein unersetzlicher Verlust – und nie werde ich aufhören, ihm meine dankbare Verehrung zu weihen!

Schon hatte mich vorher zu Anfang Februar ein trauriges Geschick getroffen. Ich hatte während des Landtags auf dem Platz der Barmherzigen Brüder meine Wohnung an einer Seitengasse, die abwärts ging und wo eine beständige Zugluft herrschte, und mein Arbeitszimmer gerade an der Ecke derselben. An einem heiteren Morgen im Februar gedachte ich, einen Spaziergang zu machen und während dem mein Zimmer zu lüften. Als ich nun den einen inneren Fensterflügel öffnete und jene des Vorfensters mit dem eisernen Hacken an die äußere Mauer befestigte, traf die linke Seite meines unbedeckten Hauptes ein plötzlicher Windstoß so stark, als ob jemand mit der flachen Hand auf selbe geschlagen hätte. Bald merkte ich, daß etwas Widriges geschehen war, und ging, um mich in Schweiß zu versetzen, den an die Stadt grenzenden Berg aufwärts, der sich dann auch häufig einstellte, nur an der besagten Stelle nicht. Nach einigen Tagen wurde ich taub am[167] linken Ohre. Man wendete Einspritzungen, Ziehpflaster und dergleichen an; doch begann ich erst nach Monaten wieder ordentlich zu hören, was deutlicher gesprochen ward, bis sich endlich die Taubheit ganz verlor. Die halte ich für eine mögliche Veranlassung des großen Unglücks, das mich in den nächstfolgenden Jahren mit dem Gesichtsschmerz – Prosopalgia Fothergilli, Tic douloureux – betroffen hat. Das Übel konnte sich vom Haupte in die linke Wange herabgesenkt haben. Weiter unten bald von einem anderen vermuteten Grund desselben. Von diesem schrecklichsten aller körperlichen Leiden hörte ich vor mehreren Jahren in Gastein den Domherrn und vormaligen Professor in München, Westenrieder, der als hochgeschätzter Historiker allgemein bekannt ist und der über dreißig Jahre bis an sein Ende mit demselben Übel und zwar im furchtbarsten Grade behaftet war, als von einer mir ganz unbekannten Sache das erste Mal sprechen. Dort ahnte ich es noch nicht, daß auch ich in Bälde ein Leidensgefährte von ihm sein würde! In seinen Werken befindet sich auch die Beschreibung desselben unter dem Titel: »Geschichte meines Trismus etc.«, die wahrhaft schaudererregend ist.

Bevor ich heuer die Gasteinerbäder gebrauchte, ging ich auf wiederholtes Zureden eines leidigen, sonst kenntnisreichen Ratgebers in die Fusch, um dort von der wegen Heilung von Magenbeschwerden gerühmten Mineralquelle versuchsweise einige Tage hindurch zu trinken. Auch M. Vierthaler rühmt sie in seiner Reise durch Salzburg etc. wegen der selben Wirkung an. Sie findet sich im Pinzgau über dem Fuschertal auf einer romantisch gelegenen Alpenhöhe dem elftausend Fuß hohen Wiesbachhorn gegenüber und hat eine Kälte von sechs Grade über Null. Nur zehn Tage, aber nach der Vorschrift fast den ganzen Tag über habe ich davon getrunken und fand mich, als ich darauf nach Gastein hinüberfuhr, im Bade nicht so behaglich wie sonst und empfand ein gewisses Prickeln auf der Zunge und auf den Lippen, das über zwei Monate lang andauerte. Von der Wiederholung jener Trinkkur und mutmaßlichen Folgen derselben weiter unten ein Mehreres.

Von Gastein nach Preßburg zurückgekehrt wohnte ich den Herbst und den Winter über den Landtagssitzungen bei, ohne daß ich weitere Beschwerden von obgenannten Störungen des gewöhnlichen Wohlseins empfunden hätte.


J. 1836.

Nach dem Schlusse des Landtages fuhr ich um die Mitte des Monats Mai heim nach Erlau und von dort nach Besorgung der notwendigsten Geschäfte gegen Ende Juni abermals nach Gastein, wo ich seither jedesmal von meinem Nervenleiden Erleichterung fand. Vielleicht zu meinem großen Unglück begab ich mich aber wieder früher nach der Fusch, trank dort vierzehn Tage lang von[168] der kalten Mineralquelle und badete mich auch nach dortigem Brauch täglich nur einige Minuten, nachdem sie am Feuer laulichwarm gemacht ward. Ich fühlte mich dort wunderbar gestärkt, so daß ich ein paar Tage vor meiner Abreise einen steil sich erhebenden Berg in zwei Stunden nach auf strebend erstieg, um dort einen alten Senten zu sprechen, der in jüngeren Jahren den elftausend Fuß hohen Berg, Wiesbachhorn genannt, erstiegen haben soll. Er war starr vor Staunen, als er mich mit meinem Begleiter, einem stämmigen bayerischen Offizier, in seiner so selten gestörten Einsamkeit auf sich zukommen sah. Nach der Frage, wie wir doch auf diesem Wege zu ihm hinaufgekommen seien, wies er lächelnd auf mich und sagte, mir sehe man keine Ermüdung an, aber diesem da (dem bayer. Offizier, der vor Schweiß troff und atemlos dastand) ist der Gang schon schwerer geworden. Nachdem er uns vor seiner Alpenhütte mit Milch, Butter und schwarzem Brot gelabt hatte, eröffnete ich ihm den Grund unseres seltsamen Besuches, nämlich von ihm die Kunde von seiner Ersteigung des Wiesbachhorns zu vernehmen, und ich hörte dann, daß er vor etwa vierzig Jahren (er schien ein siebziger zu sein) mit einem seiner Kameraden den ersten Versuch doch auf dem unrechten Wege gemacht habe, den Gipfel des Berges zu erreichen, aber ihm schon nahe durch plötzlich eingefallenes Schneegestöber gezwungen worden sei, mit ihm über die nur mit wenigem Schnee bedeckten Gletscherschichten in häufiger Lebensgefahr wieder zurückzugehen. Indessen seien sie ein paar Jahre später so glücklich gewesen, ihr Ziel zu erreichen, wo sie sich bei einer milden Luft, wie sie dem nahen Regenwetter voranzugehen pflegt, oben niedersetzten und ruhig umhersahen, während ein Schmetterling und eine Biene (er nannte sie Abfalter und Beindl) umherschwebend sich endlich auf ihre Hüte niedergelassen hätten. Welch staunenerregender Flug! Meine aus der Vorliebe für die Höhen der Bergriesen entstandene Neugierde war befriedigt, und wir kehrten herzlichen Abschied von dem Alten nehmend wieder zurück.

Nach dem Gebrauche des Fuscher Mineralwassers fuhr ich nach Gastein hinüber und fühlte mich bald wieder unwohl. Meine Zähne waren stumpf geworden, als ob ich unreifes Obst gegessen hätte und blieben es während der ganzen Badekur und auf der ganzen Reise bis nach Wien, wo ich sogar Zahnschmerz in der rechten oberen Kinnlade, den ich bis dahin gar nicht kannte, bekam. Auch stellte sich dort und auch zu Hause bald häufiger Schleimauswurf ein, bis ich endlich – mich dünkt am 13-ten Oktober – den ersten Anfall von dem furchtbaren Tic douloureux – meiner Meinung nach als Folge der Trinkkur an der überaus kalten Quelle in der Fusch – hatte! Ich war vor Schreck außer mir, denn ich wußte nicht, was mir widerfuhr! Wohl hatte ich durch acht Tage zuvor wie leise Nadelstiche an der inneren Seite[169] der linken Wange verspürt; aber nun dieses wilde, plötzlich eingetretene elektrische Zucken, Bohren, Stechen und Reißen wie mit glühenden Zangen – ja, wer könnte diesen Schmerz mit Worten beschreiben; es wäre unmöglich, und ich will es auch nicht unternehmen, so wenig als die unzähligen Mittel aufzuzählen, die man seit zehn vollen Jahren innerlich und äußerlich vergeblich angewendet hat; viel narkotisches Zeugs allo-und homöopathisch, gelinde und scharfe Einreibungen, Acupunctur, Eis wiederholt aufgelegt, ebenso mancherlei Pflaster, kalte Waschungen, Elektrisieren, Galvanismus, Eisenmagnet, elektro-magnetische Rotationsmaschine, Jod – endlich auch einmal Magnetismus und selbst sympathetische Mitteln, die noch am wenigsten genierten! – Es blieb nichts übrig, als sich geduldig in sein Schicksal zu ergeben und die einstige Befreiung davon dem Willen des Herrn anheim zu stellen.

Mein heißestes Bestreben war nun, im Spätherbst und den kommenden Winter hindurch alles aufzubieten, um die innere Ausstattung der neuen Kathedralkirche bis zum Frühjahr 1837 und insbesondere bis zum 7-ten Mai, dem Titularfest Johann des Evangelisten, welcher Tag zur Einweihung derselben bestimmt war, zu Stande zu bringen. Noch waren die korinthischen Kapitelle an die Säulen zu heften und die Säulen selbst, achtundzwanzig an der Zahl, zu marmorieren. Um dieses desto sicherer zu bewerkstelligen, verfiel ich auf den ganz eigenen Gedanken, diese großen Räume nach der einfallenden Kälte den ganzen Winter über zu heizen. An dem Querschiffe links und rechts von der Kuppel, da die Kirche ein lateinisches Kreuz bildet, sind Gebäude angefügt, links die Pfarrsakristei mit nötiger Heizung und Schornstein und rechts ein Magazin für verschiedene Kirchengeräte und ein besonderer Aufgang auf die Dachböden. In diesem Magazin ließ ich von Ziegeln einen Heizofen errichten, von der Türe aber angefangen bis zu jener der Pfarrsakristei einen auf langen Stämmen liegenden zwei Fuß hohen und breiten Kanal ebenfalls von Ziegeln mauern, der oben mit Eisenblech bedeckt war – etwa so, wie die unterirdischen Kanäle in den Glashäusern zu finden sind. Mit einer halben Klafter täglich verwendeten Scheiter von Zerreichen wurde, da Rauch und Flamme durch den Kanal zog, die Temperatur der Kirche so mild, daß die Arbeiter mit abgelegten Oberkleidern fortarbeiten und die Stucco's gehörig trocknen konnten.

Noch gehört in den Verlauf dieses Jahres die Schenkung meiner bedeutenden Bildergalerie, die ich vor dem Schlusse des Landtags an das Nationalmuseum in Pesth machte. – In der Rhein- und Moselzeitung Nr. 228 vom 1-sten August 1836 las ich später darüber folgenden Artikel:


»Der Erzbischof von Erlau, Joh. Ladislaus Pyrker, hatte sich während der sechs Jahre, die er als Patriarch der Venediger Kirche[170] vorstand, mit großer Vorliebe für die Malerei eine Sammlung von 150 bis 160 Stück ausgezeichnet schöner Originalgemälde größtenteils aus der venezianischen Schule verschafft und dieselben in Erlau in einem eigens dazu erbauten Lokale aufgestellt. Als nun in einer der letzten Sitzungen des im Monat Mai d.J. (1836) geschlossenen Landtags die versammelten Landstände zur Erbauung eines National-Museums in Pesth, in welchem die bereits vorhandenen Effekten auf eine anständigere Weise aufgestellt würden, fünfmalhunderttausend Gulden C.M. bewilligt hatten, so erhob sich der Patriarch-Erzbischof und trug jene Gemäldesammlung für das National-Museum zum Geschenke an. Dies wurde mit großem Jubel aufgenommen, und die Notiz davon einem eigenen Gesetzartikel einverleibt.«


J. 1837.

Einweihung der neuen Kathedralkirche

Am 6-ten Mai strömten von allen Seiten Gäste höheren und geringeren Standes und zahlloses Volk herbei, um an dem folgenden Tage, der Johann dem Evangelisten an der Pforte heilig ist, der Einweihung der neuen Metropoliten-Kirche beizuwohnen. An jenem tobten furchtbare Stürme und Regengüsse herab, so daß noch viele Menschen gehindert wurden, auf der Theiß herüberzusetzen; doch am 7-ten lag der schönste blaue Himmel kühl und lieblich über der ganzen Feierlichkeit verbreitet. Die Einweihungszeremonie nebst Hochamt und Predigt, die der rühmlichst bekannte Herr Csanáder Bischof Joseph Lonovics (ein Priester der Erlauer Diözese und von mir zum Domherrn usw. vorgeschlagen) hielt, dauerte wegen der großen Ausdehnung der Kirche sieben Stunden, und trotz des ernsten Leidens, das mich im Oktober v.J. befiel, brachte ich sie mit der Hilfe Gottes glücklich zu Stande. Es waren dabei sieben Diözesan- und drei Titularbischöfe, dann mehrere Äbte und geistliche Vorsteher, so auch die Präsidenten der Landesstellen in Ofen, zahlreiche Deputationen der benachbarten Komitate usw. gegenwärtig. Das k.k. in Erlau garnisonierende Militär war auf dem großen Platze vor der Kirche aufgestellt, und weit über zehntausend Menschen harrten des Augenblicks, wo sie nach der ersten Abteilung der Zeremonien in die Kirche dringen konnten, dem Gottesdienste beizuwohnen. Es war ein herrlicher Anblick unter dem Säulendache des Portikus über die sechsundzwanzig sechzig Fuß breiten Stufen der Treppe nach der Menge hinabzuschauen, die dem Rufe oben auf dem Hauptgesimse: »Venite adoremus!« (Psalm 94) mit freudigem Herzen folgte. Die auf diese Feierlichkeit geprägte schöne Denkmünze enthält auf der vorderen Seite das Äußere der Kirche en relief mit der Inschrift: »Ecclesia Metropolitana Agriensis – Honoribus D. Joann. Ant. Port. Lat. D.« – und auf der Kehrseite: »Decursu[171] Unius Lustri Exstructa MDCCCXXXVI. Consecrata Nonis Maii MDCCCXXXVII. Patr. AEppo. J.L. Pyrker«.


Da der im J. 1821 gleich im Beginn meiner Übersiedlungsreise nach Venedig erfolgte Sturz mit dem Wagen nebst dem Schlüsselbeinbruch auch andere oben erzählte Leiden zur Folge hatte, so kam nun, seit einiger Zeit immer lästiger werdend, noch ein neues zum Vorschein. Bei dem Umwerfen muß meine rechte Seite zu sehr zusammengebogen und dabei die Leber durch die unterste Rippe gequetscht worden sein. Im Verfolg anhaltender Beobachtungen fand mein Arzt, daß bei mir eine Lebergeschwulst vorhanden sein müsse und zur Abwendung derselben die Trinkkur in Karlsbad das wirksamste Mittel wäre. Ich entschloß mich daher ungesäumt, die Reise dahin anzutreten, und kam am 20-ten Juni daselbst an. Es war für mich höchst interessant, die beiden fruchtbaren und durch Gewerbsfleiß ausgezeichneten Provinzen Mähren und Böhmen, jene über Znaim und Iglau und diese über Časlav, Kolin und Prag bis Karlsbad zu durchreisen. In dem weiten, von entfernteren Bergen begrenzten Tal von Kolin angekommen fühlte ich das Herz stärker schlagen, mir brannte der Kopf und ich hatte nicht Augen genug, in jener Gegend alles sogleich zu fassen. Plötzlich stand mein alter, nun schon hingeschiedener Vater vor meines Geistes Augen, wie er uns, seinen Kindern, damals noch selber frisch und kräftig eines Abends erzählte, daß er im Beginn des siebenjährigen Krieges in der Schlacht von Kolin zum ersten Mal in das feindliche Feuer gekommen sei, wie dort in den Reihen Roß und Reiter zitterten, so daß die Erde unter den Hufen der Rosse zu beben schien, als die preußischen Kolonnen über die Höhen herabzogen, und die erst grünen Abhänge weithin in dunkles Blau sich hüllten. Ja, sagte er, laut lachend, wenn ein Krieger, der sich in solcher Lage zum ersten Mal befand, auch später sagt, er habe da gar keine Furcht gehabt, dem glaubt er nicht. Der erste Mut kömmt erst, wenn die Kugeln pfeifen, Kanonen donnern, ringsum Wut und Geschrei erschallt und man gedrungen wird, sich um sein Leben zu wehren. Ich hätte was darum gegeben, wenn mir jemand die besagten Höhen hätte bezeichnen können, denn die Schlacht selbst rollte sich in düstern Bildern vor mir ab, als ob ich dabei gewesen wäre.

Prag mit ihren achtzig Türmen, zahlreichen Kirchen und prächtigen Palästen in beiden am Ufer der Moldau gelegenen Stadtteilen, welche die weitgerühmte Brücke verbindet, machte auf mich einen sehr lebhaften Eindruck, der sich bei jedem wiederholten Besuch derselben auf gleiche Art erneuerte. Auch ward mir dort das Glück, mit mehreren vortrefflichen Menschen in freundliche nähere Berührungen zu treten, welche dauernd wurden und[172] für mich nicht wie sonst gewöhnliche neue Bekanntschaften, die bald wieder vor uns verdämmern, es auch bleiben werden.

Karlsbad erfreute sich dieses Jahr einer, wie es gewöhnlich heißt, sehr glänzenden Badesaison. Ich traf dort die Königin von Württemberg, Erzherzog Johann mit seiner Gattin, den regierenden Herzog von Coburg-Gotha, den Herzog von Altenburg mit Familie, so auch den Landgrafen von Hessen-Philippsthal mit den seinen, den Grafen Löwenhjelm, Minister von Schweden, mehrerer russischer Großen gar nicht zu gedenken. Gegen Ende meines Aufenthaltes daselbst, wie es auch sonst im Monat August der Fall ist, kamen sehr interessante, gelehrte und andere Personen aus ganz Deutschland hin, wie Oberschulrat und Dichter Furchau von Stralsund, General Rühle, Präsident von Kleist und Oberbaurat Schinkel von Berlin etc., deren Bekanntschaft gemacht zu haben mir sehr wert war. Sowohl die Königin als auch die beiden Herzoge und der Landgraf luden mich sehr freundlich auf einen Besuch ein, als sie hörten, daß ich nach vollendeter Kur von Karlsbad über Dresden, Leipzig, Jena, Weimar, Gotha und Coburg, Frankfurt a.M. und Mainz bis Köln und zurück über Stuttgart durch die Schweiz nach Mailand und Venedig und von dort erst nach Hause reisen wolle. In solch ehrenvoller und angenehmer Umgebung verflogen die bestimmten vier Wochen sehr schnell, und die Trinkkur schlug mir so gut an, daß es mir am Ende derselben schien, als sei ein klemmender Eisenreif aus der rechten Weiche des Bauches genommen worden. Aber was man hoffte, die Befreiung von meinen Gesichtsschmerzen, erfolgte nicht; sie waren in diesem Jahr zuweilen sehr heftig.

Gegen Ende Juli reiste ich von Karlsbad ab, um nun meine vorgehabte weitere Reise zu beginnen, und kam am folgenden Tage in Teplitz an, wo ich einen Tag zu verweilen gedachte. Dieser berühmte Badeort war eben sehr beliebt, da sich auch der verstorbene König von Preußen dort befand. Die Gegend von Teplitz hat viel anziehendes; allein Karlsbad in einer weiten Gebirgsschlucht, mit ihren Nadelwäldern, bergigen Spaziergängen, ihrer guten Bevölkerung und ihren Quellen, die mir so heilsam wurden, endlich auch der mehrwöchentliche Verkehr mit so vielen mir liebgewordenen Menschen stand mir noch zu lebhaft im Gedächtnis, als daß ich mich anderswo so heimisch gefühlt hätte wie dort. Am folgenden Tage, der ein Sonntag war, ging ich mit einigen Bekannten in dem Fürst Clary'schen Schloßgarten, wohin sich alles gegen die Mittagszeit hin drängt, lustwandelnd auf und ab und als ich in der großen Allee hinabging, kam der Obersthofmeister des Königs, mit dem ich früher einige Worte gewechselt hatte, auf mich zu und sagte mir, S.M. säße dort auf einer Bank und würde mich mit Vergnügen empfangen. Da ich jenem zuvor[173] ganz kurz gesagt hatte, den König zur Zeit des Kongresses schon beim Hofe in Wien bei Gelegenheit des ersten glänzenden Hofcercle's als Prälat von Lilienfeld gesehen und gesprochen zu haben, so empfing mich der König, als ich vor ihn trat, mit dem freundlichen Gruße: »Wir sind schon alte Bekannte« und sprach nichts weniger als einsilbig wie sonst ziemlich lange mit mir und lud mich zum Abschied ein paar Mal nach Berlin ein, wo ich viel Merkwürdiges sehen würde. Als ich mich dem Torweg des Schlosses näherte, vernahm ich, daß auch der von mir so hochverehrte Gelehrte Alexander von Humboldt (dessen Bruder Wilhelm ich vor mehreren Jahren in Gastein kennengelernt hatte und der mit mir als ein großer Sprachforscher wegen einer gerühmten ungrischen Grammatik in Briefwechsel gestanden hatte) sich im Gefolge des Königs dort befinde. Ich dachte ihm sogleich einen Besuch zu machen; da hieß es, er sei ausgegangen, doch kam er im selben Augenblicke auf mich zu, entschuldigte sich, daß er eben zur Mittagstafel des Königs eilen müsse, und versprach, mich gleich nach Tische im Gasthof zu besuchen, was dann auch geschah. Ich hatte eine große Idee von dem Reichtum an Wissen dieses Universalgenies, doch was ich jetzt während einer Stunde aus seinem Munde hörte, erhöhte sie noch weit mehr. Unter anderem fragte er mich, wie es mit dem astronomischen Turm des Lyceums in Erlau stehe, welches einige gute ältere Instrumente besitze, aber an neueren keinen Zuwachs erhalten habe – sogar das wußte er! Dabei ist er eben so heiter als liebenswürdig im Umgange und weiß sich alle Menschen zu verbinden.

Auch besuchte ich an demselben Nachmittag das naheliegende Cisterzienser-Kloster als jenes meiner ehemaligen Mitbrüder in Ossegg und fand dort an dem Herrn Abten als auch an den übrigen Mitgliedern desselben sehr ehrenhafte Männer. Die Gegend dort ist auch ausgezeichnet schön.

Am Morgen meiner Abreise von Teplitz näherte ich mich bald den klassischen Stellen aus dem großen Befreiungskampf vom J. 1813, den Schlachtfeldern von Kulm, Arbesau und Nollendorf, wo jetzt zwei Denkmäler (eine dem russischen Heerhaufen unter General Ostermanns Anführung von der österr. Regierung, und die andere dem Feldherrn Hieronymus Colloredo von seinen Waffenbrüdern zu Ehren gesetzt worden sind) die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich ziehen. Gewiß war der dort errungene Sieg von höchster Wichtigkeit und Ostermann ein nie genug zu rühmender Feldherr, denn hätte er nicht voll eisernen Mutes, der ihn auch den rechten Arm kostete, mit seinen achttausend Kriegern dort kämpfend ausgeharrt, bis ihm die österreichischen, preußischen und russischen Truppen zu Hilfe kommen, die französischen werfen und den General Vandamme gefangennehmen konnten, so wäre dieser und nach ihm Napoleon[174] mit großer Macht in Böhmen eingedrungen, und die Folge davon zuerst für Österreich, dann für Deutschland schrecklich gewesen. Ostermann, den ich seitdem im Herzen trug, sah ich zur Zeit des Kongresses, wo den fremden Monarchen zu Ehren in der kaiserlichen Reitschule eine große musikalische Produktion gegeben wurde; er erschien des rechten Arms beraubt mit seinem ihn stets begleitenden Arzte in der Loge, und alle Augen wandten sich nach ihm, unzählige Hände ragten empor, und einhelliges Vivatrufen jubelte ihm entgegen. Später sagte mir dieser, daß er in Folge der Amputation trübsinnig geworden sich jetzt seufzend nach ihm gewendet ausgerufen habe: »Sehen Sie, wie man mich hier zum Besten hat!« Da möchte man wohl auch nach Schiller ausrufen: »Das ist das Los des Edlen auf dieser Erde!« Versteht sich, zuweilen!

In dem schönen Dresden angekommen, verfügte ich mich abends zu dem Bischof Mauermann, päpstlichen Vikar für die sächsischen Lande, und traf bei ihm den Monsignore Capaccini (jetzt Kardinal), einen munteren, lebhaften, wohl auch pfiffigen Italiener und nach seinen späteren Missionen einen anerkannt geschickten Staatsmann. Bei dem Abendessen, zu welchem Bischof Mauermann mich lud, zeigte er von Anfang bis zu Ende eine unerschöpflich heitere Laune, und seine Gespräche waren höchst interessant. Nach demselben aber nahm er mich bei Seite und ersuchte mich, da er hörte, daß ich bis nach Köln am Rhein zu reisen gedenke, dem dortigen Erzbischof, Droste v. Vischering (Clemens August) zu sagen, Seine päpst. Heiligkeit hießen alles, was er ihm vorstellte, gut, er möchte nur demgemäß verfahren; später würde er von Berlin, wohin ihn Aufträge führten, selber nach Köln kommen und das weitere mit ihm mündlich verhandeln. Den folgenden Tag wurde ich in Abwesenheit des Königs von der Königin zur Mittagstafel nach Pillnitz geladen. Es freute mich sehr, die Königin, die ich noch als Prinzessin Marie in Tegernsee (siehe J. 1825) kennenlernte und den Prinzen Johann, von dem ich früher seine treffliche Übersetzung des 1. Gesanges der »Divina Commedia« von Dante gesendet erhielt, sehen und sprechen zu können. Sie luden mich für alle künftigen Besuche nach Dresden auf gleiche Weise ein. Die Bekanntschaft Ludwig Tiecks, des kön. Bibliothekars v. Falkenstein, und des Künstlers Vogel von Vogelstein, waren dort ein werter Gewinn für mich. Freiherr von Gablenz, der Kommandant in der Stadt Dresden, ein Bekannter von Karlsbad her, hat mir auch viele Freundlichkeit erwiesen, dem ich es an seinem Sohn, Offizier in der öster. Armee, zu erwidern suchte.

Nachdem ich die größten Meisterwerke Raphaels in Rom und Florenz gesehen hatte, brannte ich schon lange vor Begierde, die[175] Krone der Dresdener Galerie, die Madonna del Sisto, schauen zu können; es war auch das erste, was ich von dem Wärter forderte, er möge mich schnell in das Raphael-Zimmer führen, doch muß ich gestehen, daß ich schon beim Eintritt betroffen stille stand und verwundert nach ihr hinblickte. Einmal war es schon unentsprechend, daß dort fünf Bilder von Correggio und noch andere von andern Meistern ausgestellt wurden. Das Bild sollte allein ein ausschließliches Lokale für sich haben, dann könnte dies mit Recht das Raphael-Zimmer heißen. Das Bild selber betreffend sah ich bald mit einem in Venedig vielfach geübtem Auge, daß es durch die Restaurierung außerordentlich gelitten habe, denn das, was, wie man zu sagen pflegt, von des Künstlers letzter Hand wie ein leiser Hauch aufgetragen wird, die Lasur, ist dadurch ganz verlorengegangen; nur an der ausgestreckten Hand und dem Zeigefinger des knieenden Papstes, die wie gemeißelt aus dem Bilde hervorragen, ist noch das Originalkolorit zu sehen, welches nun im Ganzen weder jenem an der Madonna di Foligno und der Verklärung Christi in Rom noch jenem an dem jugendlichen Johann des Täufers in Florenz gleichgestellet werden kann.

Vor Leipzig traf ich auf ein ungewöhnliches Gewühl von Menschen, von welchen viele in eine gewisse Richtung hin und zurück gingen. Im Gasthof erfuhr ich dann, daß man eben die erste Probefahrt auf der Eisenbahn gen Dresden gemacht habe, welche auf einer Strecke von zwei Meilen erst unlängst fertig geworden ist. Am folgenden Morgen ging ich zuerst in die katholische Kirche zum Gottesdienst; aber wie beklommen war meine Brust, als ich gleich beim Eintritt darin herumsah und mich statt in einem dem hohen Zweck entsprechenden Gebäude in einem kellerartigen niederen Gewölbe befand, das sich vor mir düster dahinzog. Doch auch dieses wurde der armen Gemeinde nicht lange vergönnt, denn man rüttelte an dem Turme, in welchem es sich befand, durch angeordnete Bauten so lange, bis die Glaubensgenossen jener, welche die nun im Besitze der Protestanten befindliche schöne St. Nikolai-Kirche gebaut hatten, sich auch von dort zurückziehen mußten. Erst vor kurzem wurde nach vielen schweren Kämpfen eine neue kath. Kirche in Bau genommen. Überhaupt herrscht nicht leicht anderswo so viel Intoleranz und Haß gegen die katholische Kirche wie in den ob ihrer Aufklärung und hoher Intelligenz sich rühmenden sächsischen Ländern! –

Bald nach dem Mittagessen besuchte ich in einem Turme der Pleißenburg die Sternwarte, wo mir der wohlunterrichtete Diener das im J. 1813 so merkwürdig gewordene Schlachtfeld nach allen Richtungen beschrieb, wo die französische Armee stand, von wo die Alliierten heranrückten, wohin zu der Rückzug des Feindes geschah usw. und zur besseren Verständigung waren auch gute Fernrohre vorhanden. Das sogenannte Denkmal des Oberfeldherren [176] Fürsten von Schwarzenberg, dessen hohe Verdienste in dem großen Befreiungskampfe noch zu wenig anerkannt und beschrieben sind, wies sich auch in einiger Entfernung; am folgenden Tage fuhr ich nahe daran vorüber und fand, daß es aus zwei großen übereinander im Viereck gelegten Steinblöcken, von welchen der obere ein Würfel im verjüngten Maßstabe ist, bestehe und wahrscheinlich den Platz bezeichne, wo einst ein würdiges errichtet werden soll. Noch sah ich die neue Buchhändlerbörse, Auerbachs Haus und Keller, wo ich sogar eine Faust-Dose kaufte, dann den Kirchhof St. Johann mit Gellerts Grabmal und anderen; die Aula der Universität, wohin mich der im Kirchhof unter einer Laube sitzende Prof. Krug – ein mürrischer Alter – wies, und erging mich auch in den schönen Alleen um die Stadt herum, welche sich sowohl durch eine größere Volkszahl als auch lebhafteren Verkehr vor Dresden auszeichnet.

Auf der Reise nach Sachsen-Altenburg kam ich nach Weißenfels; bewegt gedachte ich Adolf Müllners, der einst in seinem gewohnten Mutwillen die Rezension eines meiner poetischen Werke persiflierte, mich aber bald darauf durch ein Entschuldigungsschreiben über die Ursache seines Vorgehens zu verständigen suchte. Müllners »Schuld« wird unter den neueren dramat. Werken mit Recht der vorzüglichste Platz angewiesen. Von jenen und ähnlichen lit. Klopffenstereien habe ich mich stets ferne gehalten.

Meine Ankunft war für diesen Tag erwartet, denn an der Straße stand ein Diener in Galalivree und führte mich geraden Weges in das Schloß hinauf, wo mich der Herzog sehr freundlich empfing, zuerst in die für mich bereiteten Zimmer und dann in dem Schloß herum bis zu einem unteren großen, gewölbten Saale führte, wo mir der bereits harrende Aufseher die dort enthaltenen Raritäten zeigen sollte, und die aus vielen älteren Waffen, Hausgeräten, Familienwappen und besonders sehr vielen Gegenständen, die auf den famosen Prinzenraub Bezug hatten, bestanden. Über diese war der gute Mann, der nach Art der Cicerone alles mit monotoner Genauigkeit her rezitierte, unerschöpflich. Der Herzog erschien wieder und zeigte mir die hübsche, alte, gotische Schloßkapelle und noch manches andere in dem Umfang des Schlosses, bis die Stunde des Mittagessens herankam, vor welchem er sich auf einen Augenblick entfernte und dann samt der Herzogin und drei sehr schönen Prinzessinnen in vollem Staat, so auch der ganze Hofstaat, Herren und Damen, in solchem erschien, so daß bei dreißig Personen an der Tafel saßen; die Hofkapelle spielte während derselben Stücke aus den beliebtesten Opern auf.[177]

Nach Tische in das nächste Appartement zurückgezogen stellten sich ein paar der jüngeren, sehr artigen Hofdamen mit mir an eines der Fenster und erklärten, daß sie meine Glaubensgenossinnen seien, daß aber die Lage der bei hundert Seelen zählenden Katholiken dahier in religiöser Hinsicht sehr traurig sei, indem sie keinen eigenen Seelsorger hätten, und nur einer der Pfarrkapläne von Leipzig des Jahres einmal zu Ostern herauskomme, die österliche Andacht mit ihnen zu verrichten, und dann wieder hin – so wie her – auf Kosten der kleinen Gemeinde, die auch den Saal zu jener Andacht besorgt, geführt heimkehre, so daß nach dieser Lebende und Sterbende das ganze Jahr hindurch des religiösen Trostes entbehren müßten. Sie baten mich, bei dem Herzog ein gutes Wort für sie einzulegen, der jetzt lächelnd näherkam und mich fragte, was ich über die Herzensangelegenheit der beiden Damen, meinen Glaubensgenossinnen, zu bemerken hätte? Ich trug ihm tiefgerührt alles, was ich eben gehört hatte, vor und bat ihn zum Schluß, daß er als Landesherr in dieser Hinsicht zum Heil der kleinen kath. Gemeinde, die doch auch aus treuen Untertanen bestehe, huldvoll einschreiten möge. Er eröffnete mir gutmütig, daß ihm ein sehr beschränkter Ziviletat (wo ich nicht irre, aus achtzigtausend Talern bestehend) von den Ständen zugemessen sei; daß diese obigen Punkt betreffend äußerst mißtrauisch, denn Proselitenmacherei fürchtend, einen jeden Schritt von ihm ungeneigt aufnehmen würden, und fragte mich am Ende, ob nicht in katholischen Ländern durch Subskriptionen das Gewünschte erzielt werden könnte. Ich versprach, daß ich heimgekehrt einen Versuch machen würde, und sandte wirklich im nächstfolgenden Jahre dem Vorstand der dortigen kleinen kath. Gemeinde, Hofinspektor Binner, über achthundert Taler teils aus eigenem und teils aus Beträgen einiger meiner Herrn Kollegen. Auch die regierende Kaiserin, wie auch die Kaiserin-Mutter, mit der ich im Rückweg davon sprach, schickten namhafte Beiträge, so daß Inspektor Binner, der im folgenden Jahre zu mir nach Karlsbad herüberkam, bereits über viertausend Taler in seiner Rechnung als Empfang auswies, und ich freute mich innig, zu diesem glücklichen Erfolg den ersten Antrieb gegeben zu haben. So viel mir bewußt ist, hat später auch der König von Bayern den Altenburger Katholiken in der Diözese von Bamberg Sammlungen zu jenem Zwecke zu machen erlaubt, und sie haben wohl ein sogenanntes Pfarrhaus und darin einen zu gottesdienstlichen Verrichtungen bestimmten Saal, aber eine Kirche und Schule, gegen welche der Herzog sich feierlich erklärte, haben sie nicht. Ich stand mit ihm ein paar Jahre hindurch wegen obiger Angelegenheit in häufigem Briefwechsel und hoffte auch die vormals katholische kleine Spitalskirche für die kath. Gemeinde durch sein Einschreiten zu erhalten, aber vergeblich,[178] denn sie wurde zu einer Verschönerung der Stadt zu einer anderen Verwendung für nötig befunden! Der Bischof Mauermann, der Bruders eines Vorgängers, hat die Veranstaltung getroffen, daß einer der Pfarrgeistlichen von Leipzig, wo ich nicht irre, jeden Monat nach Altenburg komme, den Gottesdienst für jene abzuhalten.

Kurz vor Tische kam der Oberstallmeister des Herzogs, der früher einige Jahre hindurch als Offizier in der österr. Armee diente, mit einem großen, aus Karlsbad datierten Brief zu mir. Er war von dem dortigen Militärkommandanten, Major Grafen von Gorcey geschrieben. Dieser brave, besonders für seine Dienstkameraden besorgte Mann, kam ein paar Tage vor meiner Abreise zu mir, zu einem wohltätigen Zweck wie gewöhnlich einen Beitrag von mir zu erhalten. Er hatte nämlich, wie er mir sagte, schon seit zehn Jahren sich an die Behörden bittlich aber ohne Erfolg gewendet, daß für die armen Offiziere, die wegen teurer Miete von der in Leberleiden so nötigen Trinkkur keinen Gebrauch machen könnten, von dort aus ein Ärarialgebäude hergestellet werden möge. Daher unternahm er es, durch Sammlungen bei einheimischen und auswärtigen Kurgästen und durch Veranstaltung von zweckdienlichen Tanz- und musikalischen Unterhaltungen die nötige Summe zur Erkaufung eines wenn auch nicht großen Hauses zusammenzubringen. Nur zu wenig habe er indessen auch auf diesem Wege bis jetzt zusammengebracht, und es wäre eben eine günstige Aussicht vorhanden, ein entsprechendes Haus um einen billigen Preis zu erhalten. Der dortige Maurermeister habe es erst vor vier Jahren für sich aus soliden Materialien erbaut, da er aber später ein größeres in der Stadt auf dem Versteigerungswege erstand, so gab er jenes einem Sattler zur Verfertigung aller Art Kutschen in Pacht und wäre jetzt nicht abgeneigt, selbes zu verkaufen. Major Gorcey machte mir, befragt, den Preis davon bekannt. Nach einigem Besinnen sagte ich ihm, daß ich vielleicht eben jetzt eine Gelegenheit hätte, ihm jenes Haus für die armen Offiziere zu verschaffen. Graf Pallavicino, ein junger unerfahrner Kavalier, war einer von jenen, die Graf Confalonieri zum Mitglied für den unseligen Bund der Carbonari gewonnen hatte; er war zum Tode verurteilt, stand auch, wie oben erzählt worden, auf der Schandbühne in Venedig und wurde dann zur fünfzehnjährigen schweren Kerkerstrafe nach dem Spielberg abgeführt, von dort aber nach einigen Jahren wegen ruhigen Verhaltens in die Veste von Laibach geschickt, wo er in Ketten zwar sich inner der Mauern der Veste zuweilen ergehen durfte. Da kam eines Tages seine Tante, die Gräfin T(hurn), Obersthofmeisterin der Erzherzogin Palatinus zu mir und bat mich um meine Verwendung durch die Kaiserin-Mutter, daß ihm, da er jetzt auch durch Krankheit erschöpft sei, die Ketten abgenommen würden, welches ich Gottlob in kurzer Zeit erwirkte. Da Pallavicino später der Haft entlassen dies erfuhr[179] und schon längere Zeit hindurch in Prag wohnte, von wo er nach Karlsbad kam, seine von Mailand anwesende Tante, die Gräfin Visconti, zu besuchen, so kam er zu mir, für jene durch mich erhaltene Gunst seinen Dank abzustatten. Er tat es auf die rührendste Weise und bat mich zugleich um eine neue Fürsprache bei dem jetzt regierenden Kaiser, damit ihm auch sein Anteil an den Familiengütern in der Lombardei zurückgestellet würde. Dies wars, auf was sich meine Hoffnung, jenes Haus den k.k. Offizieren zum Gebrauch der Trinkkur verschaffen zu können, gründete, denn Pallavicino solle das Haus kaufen, es dem Militär zu besagtem Zwecke widmen und sich dadurch einen Titel erwerben, die verlangte Gunst von oben erlangen zu können, wobei ich ihm dann kräftig unterstützen würde. Major Gorcey war vor Freude außer sich, als ich ihm diesen Plan eröffnete. Ich aber suchte gleich am folgenden Morgen meinen Mann bei irgend einem der Kurbrunnen zu treffen, um ihn selbst mit meinem Vorschlag zu erfreuen. Da hieß es, Graf Pallavicino sei mit seiner Tante nachts unvermutet nach Italien abgereist. Der arme Major Gorcey! Er stand leichenblaß und zitternd vor mir, als ich ihm das Fehlschlagen unsrer Hoffnungen bekannt machte. In solchen Augenblicken sind die Entschlüsse bei mir rasch zur Hand; ich ergriff ihn am Arm und sagte ihm, ich werde das Haus für das k.k. Militär kaufen, er solle alles schnell in Ordnung bringen, was die Erwerbung desselben betrifft, denn meine Abreise sei nahe. Er flog außer sich vor Freude davon. Aber der Wechsel von Freude und Schmerz war für ihn noch nicht zu Ende. Als der Eigentümer des Hauses hörte, es sei ein Käufer dafür vorhanden, so forderte er, wie es oft bei solchen rohen Bürgersleuten der Fall ist, um eine namhafte Summe mehr dafür. Ich erklärte über dieses unedle Verfahren empört, daß ich meinem gegebenen Worte gemäß bereit sei, den zuerst geforderten Betrag dafür zu erlegen, aber um keinen Heller mehr. So war in diesem Augenblick der unersprießliche Handel zu Ende. Als ich am folgenden Tage nach Tische meine Weiterreise antrat, und Graf Gorcey mit dem Bürgermeister der Stadt und noch einigen anderen Herrn an der Brücke stand, mich noch zum Abschied zu begrüßen, so rief ich den tief Bekümmerten zu mir an den Wagen und sagte ihm vor jenen allen, ich stünde für mein zuerst gegebenes Wort noch immer gut und würde der Käufer des Hauses sein, wenn es um den erstbestimmten Preis zu erhalten sein wird; für den Fall solle er mir den Kaufkontrakt nachsenden und sogleich einige hundert Gulden als Darangabe von mir erwarten – er wisse den Weg, den ich einschlage. Dann lispelte ich ihm noch leise in die Ohren: »Wir werden es gewiß bekommen« – und so war es auch.

Wie mir jetzt der Oberstallmeister den Brief überreichte, rief ich lachend aus, er enthalte gewiß den Kaufkontrakt! Er[180] bejahte es und bat im Namen des Grafen Gorcey, seines ehemaligen Kriegskameraden, ich möchte ihn gleich dort durch zwei Justizbeamten ratifizieren und den Betrag der Darangabe in selbem verzeichnen lassen, auch die Zeit der gänzlichen Auszahlung bestimmen. Die zwei Justizbeamten erschienen nach Tische; der Kontrakt wurde gesetzmäßig ratifiziert, die Darangabe von sechshundert Gulden Münze darin verzeichnet, die endliche Auszahlung bei meiner Heimkunft um die Mitte November bestimmt, und die Übersendung des Geldes sowohl als des Kaufkontrakts an den Grafen Major Gorcey dem Herrn Oberststallmeister zugewiesen. So wurde diese Angelegenheit glücklich abgetan, die endliche Zahlung Ende November geleistet und das Karlsbader Kurhaus für unbemittelte Offiziere der Militärbehörde übergeben.

Bald nach dieser vollbrachten Amtshandlung empfahl ich mich bei den hohen Herrschaften umsomehr, da ich die gute, liebenswürdige Frau Herzogin, die bloß wegen mir von einem zwei Stunden Weges entfernten Badeorte Römerburg nach der Stadt gekommen war, durch Verweilen über Nacht, wozu ich gebeten wurde, im Fortgebrauche des Bades nicht stören wollte, und kam noch bis Gera, wo ich übernachtete. Von dort ging die Reise über Jena, Weimar nach Erfurt. Als ich um die Mittagsstunde vor dem Gasthofe in Jena ankam, verlangte ich gleich nach einem Lohnbedienten, der mich zuerst in die vor mir liegende Kirche, die Stadtkirche, führen sollte. Dort sah ich das lebensgroße Bildnis Luthers von Messing mit der bekannten Inschrift: »Pestis eram vivens, moriens ero mors tua, Papa.« und dachte mir, er sei, wie das Sprichwort sagt, ein schlechter Prophet gewesen. Das klingt nun wie eine Satire auf den Reformator. Dann forderte ich den Lohnbedienten auf, mich in das Universitätsgebäude zu führen; er sah mich verwundert an und sagte, was ich dort sehen wolle, es sei ein verfallenes Gebäude bis auf jenen Teil, in welchem sich die Bibliothek befindet. Wie er sagte, so war es; ich ging daher auf seinen Rat in den naheliegenden botanischen Garten, der mit einer wunderschönen Fernsicht sich im vortrefflichen Stande befand. Im Rückweg erfuhr ich von ihm, daß die Professoren der Universität alle ihre Vorlesungen in hie und da gemieteten Sälen hielten. Da wir zu Professors Luden, dessen Geschichte der Deutschen mir sehr wert war, Wohnung gelangten, als ich mich eben nach ihm erkundigte, so ging ich hinauf, ihm einen Besuch zu machen, und fand ihn an seinem Arbeitstische mit Schreiben beschäftigt. Er empfing mich überaus freundlich und nach einer in lit. Unterhaltung zugebrachten Stunde begleitete mich der liebe, muntere Greis im Schlafrock bis auf die Straße hinab, wo wir herzlichen Abschied voneinander nahmen. Seitdem haben wir uns einigemal geschrieben und uns wechselweise durch zu- und[181] abkommende Personen Grüße zugeschickt. Nach Tische erreichte ich in kurzer Zeit die ob ihrer berühmten Männer so merkwürdige Stadt Weimar. Da ich dort nicht lange weilen konnte, so ordnete ich vor dem Posthause das Umspannen der Pferde an und eilte die Stadtkirche von gotischer Bauart und darin besonders die Gemälde von Lukas Cranach zu sehen; ich suchte sie allüberall auf, da ich selber vielleicht sein schönstes in meiner Sammlung besaß, welche ich dem Nationalmuseum zu Pesth ein Jahr vorher zum Geschenk gemacht hatte. Von dort führte mich der Lohnbediente nach einem Saal, wo zwei Gemälde aus der Düsseldorfer Schule, die schon zur Ausstellung die Reise nach Paris gemacht hatten, das eine die Hussiten-Predigt, und das andere die trauernden Juden in Babylon von Bendemann und Zimmermann verfertigt, zu sehen waren; beide sehr sehenswürdig, Dann ließ ich mir noch die Häuser, wo Wieland, Schiller und Goethe gewohnt hatten, vorübergehend zeigen. Das Dachstübchen Schillers machte auf mich mehr Eindruck als das Haus des Ministers Goethe. Die nächste Nachtstation war Erfurt, eine bedeutende Stadt und Veste. Noch in später Dämmerung besuchte ich den herrlichen Dom von gotischer Bauart, dem eine andere fast ebenso große Kirche, ich weiß nicht warum, so nahe dorthin gebaut, gegenübersteht. Als wir des andern Morgens noch zeitlich vor dem Posthause in Gotha stillhielten, wo vor uns eben ein Eilwagen angekommen war, so rief der Posthalter nach jenem: »Ist der Erzbischof da?« Ich winkte ihm, an den meinen heranzutreten, und vernahm nun, daß der Herzog mich in seinem unfernen Jagdschlosse Reinhardsbrunn gestern erwartet habe, und da ich nicht kam, heute vor Tag's nach Coburg vorausgeeilt sei, um mich dort bei sich zu empfangen, habe aber Befehle hinterlassen, daß mir oben im Schlosse alles nach Wunsch gezeigt werde. Dort fand ich auch nebst andern Merkwürdigkeiten eine kleine Sammlung von Gemälden, unter welchen mehrere von Lukas Cranach waren, die mich, wie gesagt, besonders interessierten. Zu Mittag speiste ich in Eisenach und kam abends nach Hessen-Philippstal zum Besuch des Landgrafen und seiner Familie, Frau und Tochter, mit welchen ich während der Kurzeit in Karlsbad recht freundschaftlich den meisten Umgang gepflogen hatte. An der Treppe im Hofraum angekommen, sah ich die Landgräfin die Treppe hinab mir entgegeneilen und hörte von ihr, es sei eine Patientin im Hause, ihre Tochter, die Prinzessin Victoire, die sich durch Verkühlung ein Fieber zugezogen habe – eine eben nicht schöne, aber höchst liebenswürdige Persönlichkeit – voll Talent, Kenntnisse und[182] Herzensgüte und mir von Herzen zugetan, denn wenn sie mich irgendwo auf den Spaziergängen in Karlsbad von ferne ersah, so lief sie von ihren Eltern wie ein junges Hirschlein springend auf mich zu und ließ von mir nicht mehr ab, bis wir zu ihrer Wohnung gelangten. Die Familie hatte großes Unglück erlebt; der Landgraf war seit einiger Zeit fast ganz blind geworden, so daß ihn die Frau stets am Arm führte, und der älteste Sohn, der Erbherr, stürzte jüngst erst vom Pferd und brach sich das Genick, weswegen sie alle Trauerkleider trugen. Die arme Kranke ließ sich nicht im Bette halten, zog sich an, kam in das Nebenzimmer, wo ich mit ihren Eltern auf einem langen Kanapee sitzend mich besprach, ließ sich darauf nieder und hörte unseren Gesprächen bis zum Abendessen zu. Am anderen Morgen, als wir Abschied nahmen, sah sie mich lange mit einem unbeschreiblich wehmütigen Blicke an – sie fühlte ihren Zustand – und reichte mir ein Blatt, auf welches ich einige Zeilen für ihr Album schreiben sollte. Auf dem Wege bis Vacha schrieb ich mit dem Reisblei folgende Worte auf und sandte sie ihr von dort in Abschrift zu:


Ich ließ Dich ferne, im milden Schoß der Deinen,

Und in der Ahnenburg, im stillen Tal.

Nicht nur das Auge – auch das Herz kann weinen:

So war's, als ich mich, scheidend, Dir empfahl.

Ein holder Trieb muß wohl die Seelen einen,

Sonst ist dies Erdenleben öd' und kahl:

Als treue Freundschaft wirst Du ihn erkennen.

Ich weih' sie Dir, und werde stets mich nennen –

Deinen Freund ...


Zehn Tage später, als ich nach München kam, erhielt ich einen Brief von der Landgräfin, worin sie mir mit herzzerreißenden Worten schrieb, daß ihre Victoire, ihr einziges Kind (die Söhne waren Stiefkinder), ein paar Tage nach meiner Abreise gestorben sei!

Von Vacha ging die Reise über Meiningen und Hildburghausen nach Coburg, wo ich erst um 10 Uhr nachts bei einem heftigen Regen und Donnerwetter ankam und deswegen nicht im herzoglichen Schloß, sondern im Gasthofe abstieg. Den folgenden Morgen, an einem Sonntag, verfügte ich mich dorthin und hörte, daß eben die Stunde des Gottesdienstes und der Herzog in der Predigt sei. Er saß oben in der Emporkirche in einem abgesonderten Oratorium; ich ging seitwärts von ihm in ein anderes und hörte die Predigt des Hofkaplans mit an, der ein guter Redner war. Nach derselben wurde mir der freundlichste Empfang in den Appartements von dem Herzog, der mich dann bei schönster Witterung zuerst in die historisch merkwürdige Veste und in einer offenen Kalesche in sein schönes Sommerschloß Rosenau führte. Das Mittag essen war ebenso glänzend wie in Altenburg. Nachmittag begaben wir uns in den Park, wo eben ein sehr heiteres Volksfest, das Vogelschießen, gefeiert ward. Die großen Doppelbüchsen[183] knallten in einem fort, während in einem anstoßenden großen Saale Männer, Frauen und Mädchen in einem fortwährenden Reigen sich drehten. Die meisten schienen mir dem Bürgerstande anzugehören. Auch hier konnte ich trotz allen freundlichen Zuredens wegen meiner noch vorhabenden weiteren Reise nicht weilen, nahm dankbar Abschied und fuhr noch denselben Abend bis Bamberg. Hier hatte ich zwei Bekannte: Herrn Bibliothekar Jäck, einen allbekannt tätigen Schriftsteller, und Herrn Heller, der über altdeutsche Malerei einige Werke herausgegeben hatte. Beide besuchten mich vor mehreren Jahren in der Patriarchalwohnung in Venedig und hatten mir seitdem öfters geschrieben. Die herrliche Lage Bambergs und der alte, im byzantinischen Stile gebaute Dom besonders jetzt, wie ihn König Ludwig in seiner alten Einfachheit wieder herstellen ließ, gefielen mir sehr. Jene beiden Herrn begleiteten mich nachmittag bis Pommersfelden, wo in dem gräflich Schönborn'schen Schlosse eine an Originalen reiche Gemäldesammlung zu sehen ist. Dort nahmen wir voneinander Abschied und ich fuhr noch selben Tag nach Erlangen. Abends kam Prof. Friedr. Rückert (der mich schon im J. 1816, während ich in Wien anwesend war, eben von Rom als ein jungdeutscher Studiosus zurückkehrend besucht hatte) zu mir in den Gasthof und blieb bis gegen Mitternacht, wo er mich durch höchst interessante Mitteilungen erfreute. Am folgenden Morgen nahm ich bei ihm im Kreise seiner Familie das Frühstück ein und fuhr nach Nürnberg weiter fort. Nürnberg ist vor allen andern eine echt altdeutsche Stadt teils wegen der Form ihrer Häuser und vorzüglich wegen ihrer Kunstschätze und berühmten Künstler aus jener Zeit. Dort ist man mit Albrecht Dürer erst recht zu Hause. Regensburg sah ich in meiner Jugend (J. 1792), als ich von meiner Reise nach Italien zurückkam, sah aber vom Verdecke des Ulmer Ordinarischiffes nur Türme, Kirchen und Häuser, denn es war abends, als wir am Ufer der Donau anlegten und zeitlich morgens schifften wir wieder weiter. Doch erkannte ich sogleich die engen Gewölbepfeiler an der steinernen Brücke, mit welchen als sehr gefahrenvollen Durchgängen uns damals die Schiffleute ängstigten.

Nach zwölf Jahren sah ich jetzt München das zweite Mal. Da ich mich dem König so bald als möglich vorstellen wollte, so empfing er mich, den Obersthofmeister der Kaiserin, Moritz Grafen von Dietrichstein und dessen Sohn, den österr. Gesandten in Stuttgart zu gleicher Zeit. Er trat sogleich an mich heran und sagte, er wisse es, daß mich der verstorbene Kaiser Franz besonders lieb gehabt habe, und jetzt mehrere Freunde und Bekannte, unter welchen er zuerst den Feldmarschall Fürsten von Wrede nannte, sich freuen werden, mich in München zu sehen, auch sprach er unter meinen epischen Werken mit besonderem[184] Interesse von der »Tunisias«. Zur Mittagstafel im großen Saal des Nymphenburger Schlosses waren auch wir drei geladen, und ich erfuhr es erst abends, daß ein paar Geistliche, Professoren im Lyceum zu Erlau, die eine Vakanzreise an den Rhein machten, uns von der Galerie, wohin diesen Tag Einlaß war, während der ganzen Tafel mit vielen anderen zugesehen hatten. Sie kamen abends, mich im Baron Cotta'schen Hause zu treffen, der von meiner Ankunft berichtet von Stuttgart nach München gekommen war und mich mit vieler Herzlichkeit dorthin zu kommen einlud, nachdem ich schon im Gasthofe abgestiegen war. Wir standen schon lange noch zu Lebzeiten seines Vaters in Korrespondenz miteinander, denn noch als Patriarch von Venedig wurde ich von ihm ersucht, ihm womöglich über die Familie seiner Großmutter, einer geborenen Pyrker, die sein Großvater als Offizier in dem kaiserlich österreichischen Regimente Loudon in Graz geheiratet hatte, Kunde zu verschaffen. Da jene Ehe wahrscheinlich vor dem Regimentskaplan geschlossen wurde, so war es für meine Beauftragten keine geringe Aufgabe, aus den verschiedenen pfarrlichen Tauf- und Sterbregistern die betreffenden Notizen zu ziehen und die Urkunden zu erlassen, die ich ihm dann samt und sonders überschickte. Später stellte es sich heraus, daß sie eine Verwandte von uns war. Der alte Baron Cotta, Vater des jetzt lebenden Joh. Georg, erlebte diese Kunde nicht. Er schrieb mir nach einer Unterredung mit dem Regierungsrat und gewesenen Direktor des kais. Burgtheaters von Deinhardstein, der durch Stuttgart gereist war, einen sehr verbindlichen Brief wegen des Verlags meiner Werke am 16. September 1830, worin es unter anderem heißt:


»... Die Jahre fliehen, und das Gute muß man mit Eile ergreifen, und so nehme ich denn aus Ihrem letzten durch Herrn von Deinhardstein an meinen Sohn gekommenen Schreiben Veranlassung, den Versuch zu machen, zu den unsterblichen Namen deutscher Zunge, welche ich durch persönliche Bekanntschaft meiner Buchhandlung zugeführt und dieser dadurch vielleicht einige Zelebrität gegeben habe, noch einen zuzufügen, nach welchem ich geize. Es ist dies der Name Ew. Exz., dessen Werke in dritter Auflage verlegen zu lassen ich mir zur Ehre nehmen würde. – Mein Hauptbestreben dem eigentlichen bloß durch Bestehung auf Gewinn berechneten Handel fremd war hauptsächlich nur dahin gerichtet, das Schöne, Edle und ewig Wahre, wie es die Heroen unsrer Zeit in Wort und Vers ausgesprochen, in möglichster Vervielfältigung zu verbreiten, also abgesehen von eleganter Aus stattung möglichst wohlfeil zu geben und auch der Hütte, dem Armen, zugänglich zu machen. So glaubte ich, dem Buchhandel seine höheren, dem Standpunkt deutscher Gesittung entsprechende Bedeutung zu geben, dem Jahrhundert und meinen Zeitgenossen im schönen Sinne zu dienen, und so habe ich eine seelenvolle Befriedigung in diesem Beruf gefunden, deren Echtheit mir die Achtung und Billigung der Besseren bekräftigen.«


Wahrhaft edle und schön ausgedruckte Gesinnungen, die den Ruhm, welchen sich Freiherr Friedrich von Cotta durch Buchhandel[185] und Druckerei erwarb, glänzend rechtfertigen, weswegen ich sie der Welt nicht vorenthalten wollte. Schließlich sagt er noch:


»Ich bitte diese Äußerungen nur als einen aufrichtigen Herzenserguß anzusehen, mit denen ich mich der Mann dem Manne gegenüber bei Ihnen, Hochw. Patriarch, einzuführen mir die Freiheit genommen habe.«


Den folgenden Tag war ich zu einer Abendunterhaltung bei Herrn Hofrat von Martius, Professor der Botanik an der Universität in München, der sich durch seine Werke über Brasilien und viele andere in der gelehrten Welt ausgezeichnet hatte, geladen und traf dort einen auserlesenen Kreis versammelt. Die äußerst liebenswürdige Hausfrau führte mir sogleich ihre schönen Kinder, drei Mädchen, eines von elf, das andere von neun und das dritte von sieben Jahren aus dem Nebenzimmer entgegen, die in weißen Kleidern und mit Blumen bekränzt drei Strophen eines vom Vater verfaßten Gedichtes bewillkommend vor mir deklamierten und durch einen allgemeinen Applaus belohnt wurden.

Mein erster Gang war am folgenden Morgen, den allgemein verehrten Professor Möhler zu besuchen, dessen »Symbolik« in der katholischen Literatur Epoche machte; da ich ihn aber nicht zu Hause traf, so ließ ihn Baron v. Cotta, der mich zu ihm begleitete und ihn von Tübingen her kannte, zum Mittagessen einladen, und ich hatte das Vergnügen, mit diesem stillen, bescheidenen Manne, in dessen Gesichte leider die Spuren einer zerstörten Gesundheit zu lesen waren, einige Stunden zuzubringen. Bald hörte ich, daß er in der milden Luft von Meran diese herzustellen hoffte und ach nur zu bald, daß er gestorben sei. Möhler hat nicht nur als Schriftsteller Großes bewirkt, sondern auch als vortrefflicher Lehrer und Priester auf den jungen kath. Klerus an der Universität in Tübingen sehr wohltätigen Einfluß geübt, so daß die bessere Wendung, die seitdem der Geist angehender und damals ausstudierter Theologen genommen hat, vorzüglich ihm anzurechnen ist. Darum haben aber auch Protestanten und verkommene Katholiken diesen jüngeren Teil des Klerus spöttelnd als solchen, der aus der möhlerischen Schule stammte, bezeichnet. Ich schätze mich glücklich, ihn gekannt zu haben.

Da meine Gesichtsschmerzen während der zehn Tage, die ich in München zubrachte, stets heftiger wurden, so konsultierte ich dort auf den Rat einiger Bekannten den Leibarzt der Königin, Dr. Walter, einen der berühmtesten Ärzte Deutschlands. Er untersuchte meine Eingeweide und äußerte sich dann schriftlich, daß er durch Anwendung von Arsenikalmitteln ohne Gefahr einer Intoxikation mich davon befreien zu können hoffe. Dazu konnte ich mich aber nicht verstehen und beschloß, obschon die Jahreszeit bereits bis zu Anfang Septembers vorgerückt war, nach[186] Gastein zu fahren und dort im Wildbad in den heißen Stollen der Quelle eine Schwitzkur zu versuchen. – Nur wenige Kurgäste traf ich mehr dort, doch unter diesen eine Frau von Rüdt-Collenbach aus Ludwigsburg mit ihrer Nichte, Fräulein Sophie von Berlichingen, einer späten Enkelin jenes mit der eisernen Hand, deren Familie noch in Jagsthausen wohnte, und hatte an ihnen während meines dreiwöchentlichen Aufenthalts eine sehr angenehme Gesellschaft. – Die ersten drei Tage ging es mir im Wildbade schlimm, so daß ich vor Schmerzen weder essen noch sprechen konnte. Während der Viertelstunde, die ich gewöhnlich bei 36 Grad Wärme in dem Stollen zubrachte, waren sie freilich wie ver schwunden, denn in der feuchten Hitze erschlafften die Nerven, aber nach ein paar Stunden kehrten sie wieder zurück. Indessen wurde mein Zustand gegen Ende der Badekur doch erträglicher, und ich war umso geneigter, einen schon früher gefaßten Entschluß, auf dem kürzesten Weg nach Venedig über den Mallnitzer Tauern zu gelangen, jetzt in Ausführung zu bringen, da auch der Badearzt, der im Wildbad ergraute Dr. Storch, damit einverstanden war. Ich sandte daher meinen Reisegesellschafter, einen jungen Geistlichen, wie ich deren jedes Jahr (zu ihrer Ausbildung und Erfahrung in der Welt) einen andern mit mir auf Reisen nahm, auf der Poststraße über den Radstädter Tauern bis nach Sachsenburg im Drautal voraus. Er mußte den Tag über und die ganze Nacht rastlos fahren, um mit mir daselbst am Morgen zusammenzutreffen; ich aber ritt vom Wildbad weg mit einem Engländer und meinem Domestiken das breite Gletschertal Naßfeld entlang bis an den Fuß des Mallnitzer Tauern und dann bergaufwärts bis zur Tauernhütte, die erst kürzlich den Reisenden zur Rast und Erholung erbaut wurde. Eine halbe Stunde früher, ehe wir sie erreichten, sagte der Führer, wir sollten absteigen, da der oben erst vorgestern gefallene Schnee durch die heißen Sonnenstrahlen rührig geworden sei, und wir mit dem etwa ausgleitenden Pferde leicht in die Tiefe hinabstürzen könnten. So mußte ich dann die ganze Strecke bis zur Hütte durch meinen Diener unterstützt im knietiefen nassen Schnee waten und kam dort erhitzt und ganz ermattet an. Nachmittag ging es bis Ober-Vellach rasch abwärts, wohin wir nach drei Stunden gelangten, und von dort ließ mich der dortige Pfarrer mit seinen Pferden nach Sachsenburg im Drautal führen. Es hatte schon zehn Uhr nachts geschlagen; die Leute im Posthause waren aus ihrem tiefen Schlafe schwer zu erwecken, und ich mußte im Torweg lange harren, bis uns ein Zimmer zum Nachtlager eröffnet wurde. Dies und der obenbesagte Gang im Schnee mag in Hinsicht meines Gesichtsschmerzes nachteilig gewirkt haben, denn ich kam, nachdem mein Geistlicher in Sachsenburg zu mir gestoßen war, über Lienz, Ampezzo, Serravalle und Conegliano auf der sogenannten[187] Strada d'Allemagna sehr von ihm gequält in Venedig an. Diese Strada d'Allemagna, die kürzeste Verbindungslinie über Innsbruck nach Augsburg, die Straße über Splügen nach dem Bodensee und jene über das Stilfser Joch zwischen Tirol und der Lombardei sind die drei Kunststraßen, welche Österreich in den letzten dreißig Jahren hat errichten lassen, und die jene, welche Napoleon über den Simplon, Mont-Cenis und den Großen St. Bernhardsberg bauen ließ, sowohl an Kühnheit und Kunst als auch an der Breite und an der Menge der durch Felsen gehauenen Galerien weit übertreffen. Von diesen wurde über die halbe Welt hinausposaunt – Österreich machte keinen Lärm und handelte! Die Straßen über den Simplon und das Stilfser Joch habe ich selber befahren.

Nach entschwundenen vollen zehn Jahren habe ich endlich mein liebes Venedig, wo ich schon lange erwartet war, wiedergesehen. Es war mir, als ob ich es erst vor so vielen Wochen verlassen hätte, so bekannt war mir alles, was mir vorkam. – Mein Nachfolger, der Patriarch und Kardinal Monico, ein Mann voll edlen, dankbaren Gemüts, schickte mir eine auserlesene Gesellschaft, in welcher sich auch der Podestà von Venedig, Graf Correr, befand, in seiner Gala-Gondel bis nach Mestre entgegen und ließ mich ersuchen, mein Absteigquartier bei ihm zu nehmen – erwartete mich auch an der Riva, als ich ankam. Er wohnte einstweilen im Palazzo Querini, da der Patriarch-Palast wegen einer neuen Fassade eben in Bau genommen war. Nur fünf Tage verweilte ich daselbst teils der dringenden Weiterreise aber noch mehr der Schmerzen wegen, die mir der Tic douloureux verursachte. Alles drängte sich an mich heran, ausgezeichnete Musik ertönte jeden Abend vor meinen Fenstern, zu glänzenden Soirées, zu festlichen Mahlzeiten war ich erwartet, doch ich saß zurückgezogen daheim und konnte die zwei letzteren Tage niemanden mehr bei mir empfangen, denn ich konnte vor Schmerzen nicht sprechen! So ist das Schicksal des Menschen hienieden! Jahrelang freute ich mich auf den Augenblick, meine Freunde und Bekannten in Venedig wiederzusehen und ihnen meinen Dank für all die Liebe, die sie mir bewiesen, auch mündlich abstatten zu können, freute mich, das Gedeihen so mancher Anstalten, die ich angeregt und ins Leben gerufen hatte, mit Muße zu betrachten und ihre Weiterförderung im Bewußtsein erlangten Vertrauens allen, die es betraf, wohlwollend an das Herz zu legen, und nun! ... Es war ein Jammer!

Meine Absicht war, die Rückreise über Treviso, Possagno, den Geburtsort Canovas, und nochmals auf der Strada d'Allemagna über Innsbruck und Salzburg nach Wien und Erlau zu nehmen. Hier ist von Canova die Rede. Seine Lebensgeschichte und die Zahl seiner vollendeten Werke ist in dem Leipziger Konversations-Lexikon nachzulesen, daher will ich sie hier nicht wiederholen.[188] Gewiß ist er als plastischer Künstler derjenige, welcher den größten Künstlern Griechenlands und Roms am nächsten gekommen ist. Man pflegt ihm den Thorwaldsen an die Seite zu setzen; im Basrelief und Porträts in Büsten übertrifft dieser ihn sogar, aber in Hinsicht der schönen Formen seiner Statuen, die klassisch sind, muß der schroffe Däne dem gefühlvollen Südländer weit nachstehen. Daß Canova, der bescheidene, sanfte, großmütige Künstler und Mensch, gegen Ende seines Lebens dennoch sehr viele Gegner hatte, weiß ich aus eigener Erfahrung und davon will ich hier reden.

Im Verlauf des ersten Winters, den ich in Venedig zubrachte, kam Canova eines Abends mit dem Präsidenten der dortigen Akademie der schönen Künste, Grafen Cicognara, dem Verfasser eines großen Werks über die Architektur, zu mir, und wir blieben in Gesprächen über Kunstgegenstände bis gegen Mitternacht beisammen. Er hörte, daß ich im folgenden Jahre Rom und daselbst auch ihn besuchen wolle, und sagte lächelnd, er werde mir bis zu meiner Ankunft einen kleinen Heiligen (meinen Namenspatron Johann den Täufer als Kind) aus carrarischem Marmor verfertigen, worüber ich mich sehr freute. Indessen starb er nach einigen Monaten in Venedig. Graf Cicognara, ein bekannter Oratore di lusso, gedachte, ihm bei der gewöhnlichen Einsegnung der Leiche in der Markuskirche eine Leichenrede zu halten. Ich widersetzte mich diesem Ansinnen, da es an die Gebräuche einer gewissen geheimen Gesellschaft mahnte, und ich in der Kirche nur geistliche Redner, deren Beruf es ist, hören wolle, er möge also aus der Zahl dieser einen der geschicktesten zu jenem Akte wählen. Die Sache brachte besonders bei den Lehrern der Akademie Bewegungen hervor und wurde sogar vor das Gubernium gebracht. Nach einem kurzen Aktenwechsel behielt ich Recht, welches ich mir auf keinen Fall hätte abstreiten lassen. Um aber aller Welt zu zeigen, wie sehr ich den Canova ehrte, so hielt ich selber die Exsequien für ihn ab, und ein ausgezeichneter Kanzelredner sprach unter anderem sehr entsprechende Worte zu seinem Ruhm. Indessen wollte Graf Cicognara seine Rede, die zum Drucke bestimmt war, nicht vergeblich gemacht haben. Die Leiche wurde im Beginn der Abfahrt nach Possagno aus dem Schiffe in den großen Saal der Akademie gebracht, und der Panegyriker sprach sie vor einem großen geladenen Publikum mit großem Beifall ab.

Bald hatte ich noch einen anderen Kampf mit der Akademie auszufechten. Man schnitt heimlich das Herz aus der Leiche aus, legte es in eine schöne porphyrne antike Vase und stellte es in einem der Säle der Akademie in einer Nische mit der Inschrift »Cor Magni Canovae« auf. Auf meine Einwendungen sagte man, auch der Schädel des Galilei werde in der Bibliothek des bischöflichen Seminärs in Padua aufbewahrt, worauf ich aber entgegnete, jener sei nach christlichem Gebrauch bereits lange begraben und vielleicht[189] größtenteils schon vermodert gewesen, als man seinen Schädel in Verwahrung nahm, hier aber sei ein grausenerregender Akt an einer noch nicht begrabenen Leiche geschehen. Endlich habe ich es mit vieler Mühe durchgesetzt, daß Canova's Herz in dem Monumente, welches man in der Kirche dei Frari ihm zu Ehren größtenteils aus den Beiträgen der im Kongresse von Verona versammelten Monarchen (Kaiser Alexander allein spendete dreihundert Louis d'or) auf Betrieb des Grafen Cicognara errichtete, beigesetzt wurde. Dennoch soll man ihm später in Possagno die rechte Hand abgeschnitten haben und sie, so hörte ich es, in der Akademie auf die eben beschriebene Art bewahren.

Bald besuchte ich im folgenden Jahre bei meiner Ankunft in Rom den Bruder des verstorbenen Canova, Abate Gian Battista, der, so lange er lebte, sein Geschäftsführer und nach seinem Tode sein Erbe war und der später vom Hl. Vater zum Titularbischof ernannt ward, um zugleich in einer großen Halle all die Modelle zu sehen, nach welchen Canova seine Statuen ausgeführt hatte. Das letzte, was er modellierte, war eine Kreuzabnahme, Christus am Fuße des Kreuzes liegend, mit noch drei andern Figuren – unvergleichlich schön!

Als wir vor ihr standen, sagte der Abate trauernd: »Cosi ha finito!« – (so hat er geendet!) In dem Zimmer, welches auch sein Bruder bewohnte, fand ich das Modell von dem Kinde Johann dem Täufer, welches für mich in Marmor ausgeführt werden sollte. Ich ließ es in ein Kistchen verpacken und sandte es nach Venedig voraus. Es macht noch immer die Zierde eines meiner Zimmer. Die andern Modelle alle, und ihre Zahl ist groß, sandte der Abate nach Possagno, wo sie in dem herrlich erbauten Museo Canoviano aufgestellt wurden und machen einen Teil der Gegenstände aus, die so viele Fremde nach Possagno ziehen.

In Rom fand ich dann die Gegner Canova's zuerst in dem Atelier des berühmten Thorvaldsen. Er war eben dort gegenwärtig und zeigte mir mit vieler Freundlichkeit in einer Abteilung seines Ateliers das große Modell den Einzug Alexanders des G. in der Stadt Babylon vorstellend, welches für den Palazzo Sommariva auf dem Comer-See bestimmt war und welches ich fünfzehn Jahre später dort in Marmor ausgeführt sah, dann in einer andern die fertigen Statuen für die Hauptkirche in Kopenhagen den Heiland und die Aposteln Peter und Paul – die andern zehn waren noch nicht vollendet – und dann in der Frontspitze den predigenden Johann den Täufer mit seinen Zuhörern, einem Krieger, Jäger, Hirten, ein Weib mit zwei Kindern, die sie, aufmerksam zuzuhören, mahnt, usw., endlich die noch nicht fertige Statue des Kopernikus, des Poniatowski zu Pferde und zwei wunderschöne Medaillons, auf welchen die Nacht und der Morgen vorgestellt sind. Thorvaldsen ist hochgestaltet, breitschulterig und[190] wohlbeleibt und zeigt auch in seinen blauen Augen und blondem Haar, das aber schon zum Teil grau geworden ist, die gemeinsam germanische Abkunft. Er arbeitet selber mit dem Meißel wenig, modelliert und läßt dann die Statuen durch seine zahlreichen Schüler, er hatte damals vierzehn, ausführen. Als ich mich mit diesen allein befand, so fingen sie alle nach der Reihe an, ihren Meister bis in den Himmel zu erheben, wie er viele Schüler habe, ihnen selber die nötige Anleitung gebe und sie fortwährend beschäftige – also ganz das Gegenteil von Canova sei, der keine Schüler haben wolle, seine Statuen durch geübte Steinmetze bis nahe an den Grad der Vollendung bearbeiten lasse und dann an jene in einer verschlossenen Kammer die letzte Hand anlege, endlich auch geizig sei und alle, die ihm nahen, unfreundlich behandle usw. Diese letztere Beschuldigung ist in jeder Hinsicht unwahr, denn es ist allgemein bekannt, daß Canova die jungen Künstler großmütig unterstützte, ihnen Preise aussetzte und selbst Stiftungen für arme Künstler machte, auch ist er jungen Künstlern, die sich mit ihren Zeichnungen oder Modellen an ihn wandten, mit Aufopferung vieler kostbarer Stunden bereitwillig mit Rat und Tat jeden Augenblick beigestanden. Daß er aber keine Schüler haben wollte, ist wahr; das geschah aber, wie mir sein Bruder sagte, aus dem Grunde, weil mit großen Fähigkeiten begabte junge Leute nur kurzer Andeutungen nötig hätten, um es in der Kunst weiter zu bringen, mittelmäßige aber ihm seine Mühe selten gelohnt hätten. Jene zu geben, sei er immer bereit gewesen.

Ein anderer entschiedener Gegner Canova's war der Duca di Torlonia, bei dem ich auf ein Diner und eine glänzende Soirée, wo über dreihundert Personen und unter diesen sieben Kardinäle, die Gesandten von Österreich, Frankreich und Großbritannien und nebst vielen Fremden aus allen Nationen die ausgezeichnetsten Einheimischen sich vorfanden, eingeladen war. Der Saal bildet um den Kern des Hauses im Viereck ebenso viele große Corridori; in der einen Ecke derselben ist die kolossale Statue des Herkules, wie er den Lychas ihn über das Haupt erhebend in das Meer schleudert, aus carrarischem Marmor von Canova gebildet aufgestellt. Diese gab dem Duca die Gelegenheit, sich vor mir über ihn zu äußern. Mit wahrem Ingrimm erzählte er mir, daß diese Statue der Beleuchtung wegen auf Canova's eigensinniges Dringen viermal den Platz habe wechseln müssen, worauf ich aber lachend erwiderte, daß Canova deswegen viel mehr Lob verdiene. Noch mehr machte es ihm aber Galle, daß Canova aus purer Rachsucht und Eitelkeit, so sagte er, wegen seiner verunglückten Statue der Religion Rom verlassen, in seinem elenden Geburtsorte einen Tempel bauen und alle seine Modelle dorthin schleppen zu lassen beschloß, da er doch seine Schätze in Rom erworben habe. Die Sache verhält sich so: Canova drang mit wahrem Künstlereifer in[191] den Papst und die verbündeten Großmächte, daß die Kunstschätze, die unter Napoleons Herrschaft aus Italien nach Paris geschafft wurden, als gebührendes Eigentum wieder nach Rom, Florenz, Parma, Mailand und Venedig zurückgebracht würden. Die Monarchen beauftragen ihn, bei der Auswahl und dem Einpacken der Kunstgegenstände gegenwärtig zu sein. Sein Verdienst ist es also, daß sich diese wieder an ihrem eigentlichen Platze befinden.

Canova, ein eifriger Christ, sah den Sieg, der im J. 1814 dem lange dauernden Weltkampf ein Ende machte, aus einem höheren Standpunkt an und wollte zum Zeichen allgemeiner Dankbarkeit die Statue der Religion, wo ich nicht irre, achtzehn Fuß hoch, aus dem reinsten carrarischen Marmor von ihm verfertigt in der Peterskirche aufstellen. Jene, die den Platz dazu zu beurteilen und zu bestimmen hatten, erklärten, daß für sie keiner vorhanden sei. Man sagt, es habe der Neid dabei seinen Einfluß geäußert. Dies verdroß den guten Künstler so, daß er beschloß, dem Herrn ein Opfer der Dankbarkeit auf eine andre Art und an einem andren Orte zu bringen, nämlich in seinem Geburtsorte Possagno einen Tempel zu erbauen, den Reichtum seines Ateliers in Rom, die Modelle, dorthin gebracht in einem Museo Canoviano aufzustellen und den Rest seines Lebens größtenteils dort zuzubringen. Das war die Ursache der allgemeinen Entrüstung der Römer, die sich in dem Sinne des Duca di Torlonia aussprach. Ich habe den Tempel, wie er im Bau fast schon bis zur Hälfte gediehen war, im J. 1822 gesehen (s. oben S. 175). Jetzt kam ich heran, ihn nebst den andern Merkwürdigkeiten in seiner Vollendung zu betrachten. Der Stiefbruder des Verstorbenen (Abate Gian Battista Sartori-Canova, nun Titularbischof) fuhr mir eine Strecke entgegen und nahm mich freudig in seinem Hause auf. Noch vor Tische verlangte ich, nach dem Tempel geführt zu werden, der über dem Dorfe fast an dem Fuße eines kahlen, düsteren Felsberges liegt und darum von weitem gesehen trotz seiner nicht unbedeutenden Höhe zu einer Zwerggestalt zusammenschrumpft. Er ist in der Form des Pantheons Maria Rotonda in Rom mit einem Portikus, dessen sechzehn canellierte Säulen sechs Fuß im Durchmesser haben, aus Quadersteinen erbaut und soll über siebenmalhunderttausend Franken gekostet haben. Eingetreten stand ich lange in der Mitte der Kirche das Ganze betrachtend still und fühlte mich nichts weniger als befriedigt. Vor allem stieß mich das Gemälde des Hochaltares, ebenfalls die Kreuzabnahme mit vier Figuren vorstellend, ein Werk Canova's, zurück. Sowohl dieses als auch mehrere Gemälde von Canova's Pinsel, die ich in Rom in seinem Hause sah, reichen selbst bei einem ziemlich guten Kolorit nicht bis zum Mittelmäßigen hinauf. Er hatte die Schwachheit wie Michelangelo Buonarotti, zugleich Bildhauer, Maler und Architekt sein zu wollen;[192] aber er war nur als Bildhauer groß, denn auch dieser kostspielige Tempel ist kein architektonisches Meisterwerk. Seine Bildhauerarbeiten zieren ihn allerdings und vor allem jene Kreuzabnahme auf einem Seitenaltare von Erz gegossen aufgestellt, von welcher ich das Modell in seinem Atelier in Rom gesehen habe – eine Gruppe von außerordentlicher Schönheit! Ehe ich von dem Tempel schied, gedachte ich noch mit Wehmut eines Augenblicks aus jener Zeit, wo ich in der Gesellschaft des trevisanischen Domherrn, Lorenzo Crico, die ersten Bauten davon aufgeführt sah, und mir im Rücken einer der Taglöhner zu diesem sagte: »Wenn der Tempel fertig sein wird, so soll man in dessen Mitte einen Galgen erhöhen und den Canova daran aufknüpfen; wir haben im Dorfe unten ohnehin eine hübsche, geräumige Kirche, hätte er lieber ein Spital oder Armenhaus für uns gebaut!« – »Aber« – sagte Crico ganz entrüstet – »der Tempel wird viele Fremde hieher ziehen und diese werden auch Geld zuführen.« Jener zuckte die Achseln und räumte gleichgültig den Schutt hinweg. Oft wird man versucht, mit Schiller zu sagen: »Das ist das Los ...« Nach Tische nahm ich noch das herrliche Gebäude des Museo Canoviano und die geschmackvoll darin aufgestellten Modelle in Augenschein und nahm dann von meinem vieljährigen Freunde und Bekannten herzlichen Abschied. Er ist dort allverehrt.

Auf einem Seitenwege fuhr ich nach Conegliano und von dort nach Ceneda, wo ich bei dem Bischof übernachtete, der früher unter mir Professor der Moraltheologie im Patriarchal-Seminär und dann Pfarrer von San Giovanni e Paolo war, und den ich schon als Erzbischof von Erlau für das Bistum von Ceneda dem Kaiser in Vorschlag brachte, den er selber von mir verlangte. Ich habe Ursache, mit meinem Vorschlage zufrieden zu sein, denn er ist nach einigen Jahren zu einem größeren Wirkungskreis auf den bischöflichen Stuhl von Adria und Rovigo erhoben worden. Dann ging die Weiterreise über Ampezzo, Bruneck im Pustertal und über den Brenner nach Innsbruck, wo ich am 25. September ankam. Die Witterung war schön, meine Gesichtsschmerzen etwas weniger quälend, und die Rheinfahrt nach Köln lag mir noch so sehr auf dem Herzen, daß ich meine Heimreise nochmal aufzuschieben und über Bregenz, Stuttgart nach Mannheim und von dort mit dem Dampfboot nach Köln zu gelangen gedachte, kam aber durch das Oberinntal nur bis Nassereith, denn als wir uns zum Mittagessen setzten, fing es an gewaltig zu schneien und die Gastwirtin behauptete, über den Arlberg sei es für jetzt unmöglich zu fahren, da ein Schneegestöber der Art oben auf den Höhen in kurzer Zeit jede Spur von einem Wege tief verhüllen werde. Nun da auch die Elemente, dachte ich mir, meiner Weiterreise entgegen sind, so will ich denn in Gottes Namen heimfahren. Auf der letzten Station vor Innsbruck, in Zirl, diesem klassischen Platz der [193] Kaiser Maximilianischen Jagdgehege, wurde es schon so finster, daß ich dort zu übernachten beschloß. In dem Post- und zugleich Gasthofe daselbst sah ich bei Kerzenlicht in meiner Reisekarte herum und fand, daß mich von Zirl über den Paß von Scharnitz ein nicht langer, gerader Weg nach Augsburg führen würde. Der Postmeister, ein Schützenhauptmann aus der ruhmvollen Zeit des Befreiungskrieges vom J. 1809 und Waffengefährte des Andreas Hofer, bestätigte meine Vermutung und sagte, daß man im Sommer in einem Tage dorthin gelangen könne. Sogleich war mein erst gefaßter Entschluß wieder entkräftet; die Sehnsucht, an den Rhein und nach Köln zu kommen, überwog alle Bedenklichkeiten, und sobald es tagte, machte ich mich auf den Weg und kam am folgenden Tage gegen zwei Uhr nachmittag in Augsburg an. Den Abend verbrachte ich in der Gesellschaft des Hofrat Ahorner, eines sehr gebildeten, gelehrten Mannes, und des Domherrn Egger, Herausgeber des kanonischen Rechts, welche mir der Buchhändler Karl Kollmann vorstellte. Sie kamen auch des anderen Morgens, mich zu dem Wagen zu begleiten, ich konnte aber mit ihnen gar nicht sprechen, so heftig wurden meine Gesichtsschmerzen. Doch wahrlich sonderbar! Eine Stunde Weges auf der Straße nach Ulm verloren sie sich auf einmal und ich wurde auf der ganzen ferneren Reise von ihnen nicht mehr gequält, nur in Pesth und daheim stellten sie sich wieder ein. Solche Intervallen pflegt dieses Übel oft kürzere, oft längere Zeit zu machen.

In Ulm erinnerte ich mich gerührt, daß ich im J. 1792 von der Wanderung nach Italien zurückkehrend dort auf einem Schiff voll mit Weib und Kindern ausgewanderter Schwaben die Donaufahrt nach Wien in den dürftigsten Umständen begann, allein ich war dort kaum zwanzig Jahre alt und war gesund und voll frohen Mutes! –

Noch abends besah ich jetzt den herrlichen Münster, eines der großartigsten Gebäude, nur Schade, daß es so unrein gehalten wurde. Der protestantische Gottesdienst beschränkt sich auf die Predigt, das sieht man gleich an den mitunter armseligsten Bänkchen, die den Predigtstuhl umreihen und durch welche man sich durchwinden muß, um in dem Mittelschiff weiter zu gelangen.

Kaum war ich in Stuttgart angelangt, so kam mein teuerster Freund, Freiherr von Cotta, zu mir in den Gasthof, mir zu sagen, daß er es nicht habe unterlassen können, meine Dahinkunft beim Hofe bekannt zu geben, da schon früher dort davon die Rede war. Des Morgens kam dann auch eine feierliche Einladung und später ein Hofwagen, der mich zum Mittagessen abholte, doch das war auch nicht genug; abends war große Soirée, der die ganze Noblesse von Stuttgart beiwohnte, und dann im großen Saale das Souper für hundertfünfzig Gedecke. Die Königin, neben welcher ich[194] während der ganzen Soirée saß, unterhielt sich ausschließlich mit mir, stellte mir ihre Kinder, den jetzigen Kronprinzen und die Prinzessin Katherine und dann nach und nach die meisten Damen vor und lud mich wiederholt ein, dem nach zwei Tagen einfallenden landwirtschaftlichen Volksfeste mit ihr und den Ihrigen in der Hoftribüne beizuwohnen. Noch den Abend zuvor sagte mir ihr Obersthofmeister, daß er Befehl habe, mich mit einem Hofwagen abholen zu lassen; aber ich dankte und nachdem ich den folgenden Tag bei Baron Cotta mit den Herrn Wolfgang Menzel, Gustav Schwab und Albert Knapp, Männern, die in der lit. Welt zu bekannt sind, als daß ich ein Mehreres von ihnen sprechen sollte, gespeist und diese auch besucht hatte, fuhr ich um die Mittagsstunde, wo das Volksfest eben zu Ende ging, bis Heilbronn weiter. Morgens, ehe ich von dort abreiste, besah ich die alte, gotische Kirche, wo ich ganz erstaunt war, bei einem vormaligen Seitenaltar mehrere Bilder der Heiligen aufgehängt zu sehen, aber der Küster erklärte mir das Rätsel, indem er mir bekanntmachte, daß diese als die Jugendarbeiten Fügers, Direktors der Akademie der schönen Künste und der k.k. Bildergalerie in Wien, eines Heilbronners, dort zur Schau und zu ehrendem Andenken aufgestellt seien. Dort weiß man also, den Landsmann zu schätzen!

In Heidelberg eilte ich gleich nach Tische hinauf zu den Ruinen des alten Schlosses, besah zuerst die inneren Merkwürdigkeiten desselben, spazierte auf dem großen Heidelberger Faß herum und setzte mich dann außen auf eine Stelle, von wo ich die entzückende Aussicht, die mit Recht allüberall gerühmt wird, längere Zeit genießen konnte.

Von dort fuhr ich meinem Ziele immer näher rückend nach Mannheim. Noch in der Dämmerung ging ich durch die schöne, aber monoton gebaute Stadt zu dem Rheinstrom hinab und tauchte begrüßend meine Rechte in seine Wellen. Der Gastwirt besorgte indessen alles, was bei der Dampfschiffahrt für mich nötig war, und so reiste ich dann am 5-ten Oktober 6 Uhr morgens auf demselben nach Köln ab. Es war ein schöner Herbsttag, aber öfters einfallende dichte Nebel zwangen uns stillzuhalten, und so kamen wir erst gegen Mittag vor der Stadt Mainz an, wo wir sonst schon um 10 Uhr hätten sein können. Nach der alten, ehrwürdigen Reichsstadt Worms blickte ich im Vorbeifahren bewegt hinüber. In völliger Dämmerung kamen wir gegen acht Uhr abends nach Koblenz. Von dem hohen Giebel des Gasthauses »Bellevue« leuchteten uns die Worte einladend entgegen. Einer der Reisenden,[195] der Hofmeister der beiden jungen Fürsten von Hohenlohe, riet uns, daß wir schon so spät abends dort landen und übernachten sollten. Der Schiffskapitän erklärte, daß er zwar Befehl habe, bis nach Köln zu fahren, wenn aber die Reisenden aus solchem Grunde die Nacht durch irgendwo zu bleiben wünschten, so könne er ihrem Wunsche willfahren. Er rief das einigemal auf dem Verdeck herum, da aber eine schwedische Familie und mehrere Engländer ihn vielleicht gar nicht verstanden, so ließ er die große Laterne vorn aufhissen, und wir fuhren weiter. Ich saß in der großen Kajüte mit der schwedischen Familie beim Nachtessen, als mit einem furchtbaren Gekrach gegen neun Uhr das Schiff sich rechts hinabsenkte, Teller, Schüsseln und Gläser von dem Tische flogen, und wir uns an den wankenden Säulen der Kajüte angeklammert kaum auf den Füßen erhalten konnten. Mein erster Gedanke war, das Schiff sei an einem Felsriff stoßend zerschmettert worden, und der so lange ersehnte Rheinstrom werde mich nun in seinen Fluten begraben. Einer der Aufwärter kam herab und sagte, wir wären auf eine Sandbank gewaltsam aufgefahren, man hoffe aber, durch Anwenden der Dampfmaschine das Schiff wieder flott zu machen. Als nach elf Uhr alle vergeblichen Anstrengungen aufhörten, mußten wir uns entschließen, auf den vorhandenen Gurtsesseln, so gut es sein konnte, unser Nachtlager zu nehmen. Am Morgen saßen wir noch immer auf derselben Stelle fest, und es war keine andere Hoffnung vorhanden, als daß das heute von Mannheim abfahrende Dampfschiff uns davon losreißen würde. Ein paar in Angst gesetzte Familien aus Belgien ließen sich auf das Land setzen und reisten noch ähnliches befürchtend zu Lande nach Köln fort; ich aber fuhr in einem alten Kahn nach Neuwied hinab und bat den Kapitän, daß er im Vorbeifahren mich wieder an Bord nehmen möge. Neuwied bot mir nichts des Merkwürdigen; ich speiste dort zu Mittage, und als die beiden Dampfschiffe gegen zwei Uhr vereint ankamen, begab ich mich wieder nach dem Schiffe und langte erst um halb elf Uhr in Köln an. Mein erster Gang am Morgen war nach dem berühmten Dome. Meine Erwartung, etwas Großes zu sehen, war noch von der Wirklichkeit weit übertroffen! Dieses deutsche Riesenwerk muß man sehen, um darüber urteilen zu können. Da ich durch den Oberbaurat Hofrat Schinkel von Karlsbad aus an den Baudirektor Zwirner mittels eines Briefes gewiesen war, so führte mich dieser von außen auf all den Gerüsten herum, auf welchen man die Strebepfeiler um den Chor herum wieder neu her zustellen beflissen war; dann kamen wir von innen durch die in der Wand fortlaufenden Galerien wieder in die Kirche hinab. Mit welchem Interesse hörte ich von ihm von den verschiedenen Projekten sprechen, laut welchen man nach den aufgefundenen alten Rissen und Zeichnungen den ganzen Dom in seiner ursprünglich ersonnenen Gestalt herzustellen dachte. Und[196] – was dort noch als eine Unmöglichkeit erschien, ist nun im Werke! Möge es vollkommen gelingen!

Aus der Kirche tretend sagte ich meinem Lohnbedienten, er möge mich zu dem Erzbischof Clemens August führen. Nachdem er eine Weile schweigend an meiner Seite fortgegangen war, blieb er stehen und fragte mich, ob ich den Erzbischof kenne? Ich sagte nein; ich pflegte aber, meine Kollegen, Bischöfe und Erzbischöfe, auf meinen Reisen, wo welche in einer Stadt sind, zu besuchen. Er fuhr im Gehen fort: »Der vorige Erzbischof Graf Spiegel war ein Staatsmann, der jetzige aber ist – ein Bischof!« – Welch eine schöne, charakteristische Bezeichnung in dem Munde dieses gemeinen Menschen! Ich meinte, ich müßte ihm vor allen Leuten um den Hals fallen. Nachdem ich angemeldet war, kam der eben etwas kränkelnde Kirchenfürst zu mir in eine Sala terrena herab, deren Glastüren nach dem Garten hin offen waren – eine hohe, ehrwürdige Gestalt, ein trotz seines Alters kräftiger Mann, dem ich mit ausgebreiteten Armen entgegenging und etwas stotterte, als er mich erfreut an sein Herz drückte. Dann saßen wir auf dem Kanapee über eine Stunde in Gesprächen beisammen. Ich erzählte ihm, daß ich ihm schon im Monat August eine Botschaft von Monsignore Capaccini hätte überbringen sollen, allein durch körperliche Leiden verhindert erst jetzt so spät die ersehnte Reise nach Köln habe unternehmen können. Darauf sagte er, der Stand der Dinge hätte sich seitdem gewaltig geändert. Nachdem Capaccini auf seiner Mission von Dresden nach Berlin gekommen war, überhäufte man ihn dort mit einer Menge schöner Worte, er glaubte, schon recht viel gewonnen zu haben, daß der König die hermesianische Sache preisgab, die ohnehin nicht vor sein Forum gehörte, und reiste von Berlin ab, ohne für die weit schwierigere Angelegenheit im Punkte der gemischten Ehen etwas verhandelt oder durchgesetzt zu haben, und dieser sei es, wegen welchem er mit der Regierung in einer großen Kollision stehe. Die rheinländischen Bischöfe hätten bekanntlich in Hinsicht dessen ein päpstliches Breve und eine Instruktion vom Staatssekretär Kardinal Albani erhalten; diese seien nicht immer in genauem Einklang, und da handle er, komme, was wolle, nach dem Breve und nach seinem Gewissen. Bei diesen letzten Worten ergriff er mich bei der Hand und sagte mit lauterer Stimme: »Sie werden es sehen, mir wird es nicht gut gehen!« – Ich pries ihn glücklich, daß er wie bisher als ein wahrer Oberhirte auch künftig voll Kraft und Mut der Wahrheit werde Zeugnis geben können, wodurch er der ganzen katholischen Kirche zum Segen sein wird! Und so war es auch! Zweiundvierzig Tage nach dieser Unterredung wurde der alte, ehrwürdige, kränkelnde Greis beim Anblick der in der Gasse, wo er wohnte, aufgeführten Kanonen unter militärischer Eskorte als Gefangener nach der Veste Minden abgeführt. Zwar[197] erkannte der König Friedr. Wilhelm IV. durch offene Handschrift seine Unschuld, und die Kirche hatte Ursache, sich über die Rechtfertigung ihres gemißhandelten guten Sohnes zu freuen; aber diese Rechtfertigung und seine ganze erhabene Handlungsweise hatten für sie die wichtigsten Folgen für alle Zeiten! Nicht nur in den Rheinlanden und in dem im Glauben verkommenen preuß. Schlesien, sondern in der ganzen kath. Welt flammte ein neuer Gotteseifer auf; die Katholiken lernten freudig ihre Würde kennen und werden so sein Andenken für immer im Segen behalten. – Ich schied mit den tiefsten Gefühlen der Ehrfurcht und Dankbarkeit von ihm!

Ich sah unter anderem nur noch die Peterskirche, in welcher Rubens getauft ward, und wohin er sein berühmtes Altarblatt die Kreuzigung Petri vorstellend spendete, an. Man macht sich dort einen Spaß mit den Fremden, es ist nämlich eine so viel möglich genaue Kopie des Altarblattes in einem beweglichen Rahmen eingefügt, welche man zuerst dem Zuschauer als das rubensische Meisterwerk anrühmt! Ich betrachtete es nur einige Augenblicke und sagte dem Küster, dies sei kein Rubens, worauf er mit einem lauten »Ei!« hineilte und das herrliche Originalgemälde enthüllte. Das Bild ist übrigens eines von jenen, von welchen die Italiener sagen: »Fa orrore!« Der auf den Kopf gestellte Heilige erregt durch die verdrehte, stark aufgetragene Natürlichkeit eine peinliche Empfindung in der Brust des Zuschauers. –

Nun war endlich der Augenblick der unabänderlichen Heimreise gekommen. Ich stand am Ziele, denn das wichtigste unter den vielen für mich wichtigen Ereignissen dieses Jahres, den Kölner Dom gesehen zu haben und dem allverehrten Oberhirten, dessen erzbischöflicher Stuhl in diesem Dome stand, auch persönlich nahegekommen zu sein, galt mir für solches. Ich fuhr noch denselben Nachmittag bis Bonn, wo ich dem Professor der Universität Dr. Neumann noch von Dresden her ein Schreiben abzugeben hatte, und brachte den Abend in der Gesellschaft seiner geistreichen Gattin und einiger Professoren recht vergnügt mit ihm zu.

Das freundliche Koblenz erreichte ich um die Mittagsstunde. Unter Weges besuchte ich Herrn Professor Bethmann in seinem im altertümlichen Stil neu erbauten Bergschloß Rheineck, welches wegen der schönen Aussicht von dort mit Recht gerühmt wird. Es war eben der Geburtstag seiner Gemahlin und darum ihre Kinder alle in festlichem Anzug in einem Betsaal mit ihnen versammelt. Dr. Neumann wies mich mit einem Briefchen an ihn. Die Gastwirtin in Koblenz sprach von mir angegangen während des Mittagessens über den jetzigen Zustand der Katholiken daselbst unter anderem: »Man will uns zu Protestanten machen;[198] solche werden wir zwar nie – wohl aber schlechte Katholiken!« Ich erwiderte ihr, sie habe die Sache vom rechten Gesichtspunkte aus genommen.

Die nächste Nachtstation war St. Goar, wo der Postmeister und zugleich Gastwirt durch zwei Posthörner das Echo des jenseitigen Loreley-Felsens produzieren ließ; es klang beinahe geisterhaft über den vom Mond beleuchteten Rheinstrom herüber. Bei Bingen setzten wir über den Strom und fuhren dann aufwärts nach dem Schloß von Johannisberg, wo ich nach der Aufforderung des Fürsten Metternich wegen der schönen Aussicht ein paar Tage verweilen sollte. Allein die späte Jahreszeit mahnte mich auf beschleunigte Heimfahrt. Ich schrieb seinem Wunsche gemäß meinen Namen in das dort offen liegende Gedenkbuch, untersuchte an dem Schloß herum das Erdreich und die Pflanzung der Reben, besuchte nach Tische den fürstlichen Keller, wo ich die vorzüglichsten Weine verkostete und kam abends über Biberach nach Wiesbaden. In Hinsicht der großen Bauten und großartigen Anstalten lassen sich freilich die österreichischen Kurorte mit diesem nicht vergleichen. Am folgenden Morgen langte ich zeitlich in Mainz an und blieb den Tag daselbst. Der Besuch, den ich Herrn Bischof Kaiser machte, erwiderte er nachmittags in der Gesellschaft zweier Professoren von der Universität in Gießen, von welchen, wo ich nicht irre, der eine der später berühmt gewordene Professor der Kirchengeschichte Riffel war. Weder die Domkirche noch die etwas plump und gemein ausgefallene Statue des Gutenberg entsprachen meiner Erwartung. Das stille, nur bei häufigem Trommelschlag bewegtere Mainz kam mir wie eine große Kaserne vor. Bei der einstigen kurfürstlichen Regierung mag es freilich anders ausgesehen haben.

In Frankfurt am Main verweilte ich auch ein paar Tage lang. Bei der Mittagstafel, welche der Bundestagspräsident Baron Münch von Bellinghausen mir zu Ehren gab, sagte mir eine aus Stuttgart anwesende Dame, daß an jenem Tage des landwirtschaftlichen Volksfestes mich die Königin auf der Hoftribüne sicher erwartet habe; ihr Ton und Blick drückte einen scharfen Vorwurf aus, und ich bedauerte es nur umso mehr, der Einladung der verehrten hohen Frau nicht gefolgt zu haben. Die Gattin des Baron von Cotta war eben auch mit ihrer ältesten Tochter, denn sie war die Mutter von sieben Kindern, bei ihrer Mutter, Edlen von Adlersflücht, in Frankfurt anwesend. Bei meiner Durchreise lernte ich in Stuttgart diese liebenswürdige, trefflichste der Frauen kennen, daher folgte ich ihrem Wunsche gern und brachte den Abend im Kreise ihrer Familie zu. Aber nun hielt mich nichts mehr auf der Weiterreise auf, und ich kam über Aschaffenburg, Würzburg, abermals Nürnberg, Regensburg, Schärding und Salzburg wohlbehalten in Wien und[199] daheim in Erlau an. – Welch ein merkwürdiges Jahr meines bewegten Lebens war dieses! Wie viele neue Bekannte und wohlwollende Freunde habe ich gewonnen, wie viele ehrenvolle Auszeichnungen erfahren, wie viel Schönes und Großes gesehen – also an Leib und Seele wie viele Freuden – aber auch wie viele Leiden empfunden, so daß ich nicht wüßte, nach welcher Seite sich das Zünglein der gleichmessenden Waage wenden würde, und welche der Schalen sich lastend hinabsenkte? Wohl sagt Horaz: »Nihil est ex omni parte beatum« – also Gott befohlen!

Quelle:
Pyrker, Johann Ladislaus: Mein Leben 1772–1847. Wien 1966 (Fontes Rerum Austriacarum, Abteilung I: Scriptores, Band 10)., S. 142-200.
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