Von der Stufenleiter ...

[80] Jeder Mensch ist letzten Endes nur eine Nummer im großen Telephonbuch, genannt: Welt. Wer ein gutes Gedächtnis hat, Findigkeit besitzt und die Lebenstechnik unserer Zeit beherrscht, wird überall da Anschluß bekommen, wohin seine Wünsche gehen. Nur mußt du auch wissen, teurer Weggenosse, daß alle Mitbürger eingeordnet sind in die unsichtbare Hierarchie, nach der wir uns zu richten haben, wollen wir nicht an allen Ecken und Enden anstoßen.

Der hohe Ministerialbeamte will anders behandelt sein als der Chef eines Staatsorchesters, Frau Sanitätsrat M. hat möglicherweise für ihre Tochter andere Erziehungsanschauungen als die fortschrittlichere Dozentengattin, und die Schwester des Legationsrats fühlt sich dem Sproßling des Tiergartenparvenüs sicherlich unendlich überlegen. Kannst du dann aber auf den Sprossen der Stufenleiter menschlicher Eitelkeit wie ein Seiltänzer hin und her springen, zu gleicher Zeit dich nach dem Avancement des Gemahls erkundigen, zu Theatererfolgen gratulieren, Rekorde bewundern, veränderte Liaisons als das Selbstverständlichste hinnehmen – links ein verständnisinniges Augenzwinkern hinwerfen, rechts die Kurse der Nachbörse mithören –, dann, mein Freund, bist du gefeit für die gewagte Bergbesteigung des Gipfels Erfolg!

Ein Instrument gesellschaftlicher Strategie, das noch vielfach verkannt wird, ist: die Tischordnung. Auf die Gefahr hin, daß deine Gattin dir den Einbruch in ihre Sphäre wochenlang nachträgt, kümmere dich persönlich um die Zuteilung des Tischplatzes an deine Gäste. Nicht etwa nur deshalb, weil du sonst statt deiner blonden Freundin einer alten Schachtel deine Hausherrntugenden opfern müßtest, sondern, weil eine geschickte Gruppierung das Crescendo der Stimmung tausendfältig verstärkt.

Sorge dafür, daß den Ehrenplatz neben der Hausfrau dein Vorgesetzter erhält und »zur linken Hand« ihre stille oder laute Liebe das Kärtchen auf dem Kelchrand vorfindet. Nachbarn brauchen nicht Gesinnungspartner oder Branchekollegen zu sein – wo soll sonst die Unterhaltung herkommen. Zu temperamentvollen Damen »entre deux âges« gehören sportlich eingestellte junge Semester, als Divisionsreserve ein tanzlustiger Bubikopf in die Nähe, der selbst Vollbart und Goldrandbrille in vehemente Schwingung versetzt.

Rasch noch eine letzte Inspektion! – Halt, die beiden Klubfeinde hier müssen auseinander – Madame hat ihre Neigungen gewechselt, marsch, an die rechte Tischfront! – Mr. Smith spricht kaum Deutsch, also in den Bannkreis der polyglotten Daisy. Der Aufmarsch ist beendet – es läutet schon – das Stimmengewirr – Flügeltüren schieben sich auseinander ...


Von der Stufenleiter ...

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 80-82.
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