Bacchus entgegen.

[96] Dem Junggesellen bleibt es nicht erspart, sich hin und wieder seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen zu entledigen, Freunde und Gäste bei sich zu sehen – er darf, ohne die Sitte zu verletzen, wagen, Ehepaare gemeinsam mit unverheirateten Damen zum Diner zu laden.

Tritt jener Fall ein, so beginnt fast stets das übliche hilflose Herumgerate mit Wirtschafterin und Stütze – wie es mit dem Wein bestellt sei, ob man das oder jenes zu wählen oder zu unterlassen habe.

Der kluge Mann baut vor – und schafft sich selbst nach und nach einen kleinen »Bestand« an – die allmählichen Ausgaben schmerzen dann nicht so, und man bekommt neben Erfahrung in diesen Dingen die Garantie, wirklich trinkbares Zeug vorsetzen zu können.

Für den Apéritif vor Tisch und in der Rauchecke dauernd in der Kredenz in Bereitschaft: Old Gin, französischen und italienischen Wermut, guten Kognak (Weinbrand), Angostura (Zuckersirup), Orangensaft, Zitronensaft, Grenadine, Whisky, Eierkognak, Curaçao weiß und rot, sowie Sherry und Portwein; eine viel zu wenig gewürdigte Spezialität ist der helle, sogenannte weiße Porto und der herbe Szamoredner!

Mit ein bißchen Kenntnis der diversen Landesgewächse kann man sich einen Keller füllen, der eines feudalen Schloßherrn würdig wäre, ohne auch nur einen Bruchteil an Kosten zu machen. Die blutwarmen Vöslauer der Wiener Niederungen, süffige Südtiroler Kalterer und Terlaner, leichte Rhein- und Moselqualitäten in Gebinden kleinsten Formats sorgen für Monate hinaus vor.

Rote und weiße Landweine müssen kühl, bordeaux- und burgunderartige reichlich zimmerwarm serviert werden. In Frankreich findet man neuerdings den roten Burgunder eisgekühlt vor – doch verliert der tanninhaltige Wein seine Eigenheiten durch solche Vehandlung.

Für »Jahrgangjäger« folgende Angaben: Bordeaux rouges sind besonders hochklassig 1878, 1881, 1893, 1899, 1904, 1912, 1917, 1921, 1922.

Weißer Bordeaux, als Graves, Sauternes usw., hat unzählige Rangabstufungen: der berühmte »Chateau d'Yquem«, ferner der in Deutschland zu wenig gewählte »Barsac« seien gesondert angeführt.

Auch der weiße Burgunder hat etliche Abarten von Distinktion, die noch nicht so sehr von der Preisschraube erfaßt sind, wie einige Jahrgänge des köstlichen Meursault und vor allem der in Frankreich zu allen »coquillages« erkorene »Anjou«.

Am geläufigsten sind die Daten für Mosel- und Rheingegend: 1904, 1907, 1911, 1921.

Die guten Champagnerjahre sind 1906, 1911, 1914. Von Pommery bis Heidsieck, Veuve Cliquot bis Mumm reicht die Reihe der Namen von Weltruf. Probiert jedoch einmal die prächtigenGewächse »Irroy«, um nicht immer mit der Masse zu gehen. Deutsche wie französische Champagner nehme man möglichst in herben Qualitäten, die kräftig frappiert auf den Tisch kommen müssen.


Bacchus entgegen

Die etwas aufdringlich wirkende Sitte, die Weinsorte beim Einschenken durch den Bediensteten zuflüstern zu lassen, ist vielleicht im Palast des Nobile noch angängig – im bürgerlichen Heim beim Revanchesouper ist sie ebenso deplaciert wie das affektierte Geflechtkörbchen für die Rotweinflasche, deren Staubschicht die Tafelrunde in ehrfürchtiges Staunen fallen lassen soll – ist's nicht gerade ein uraltes Bijou aus den Rothschildschen Domänen, so verträgt jeder Bordeaux die horizontale Lage, ja sogar das Abfüllen in schmucke, handliche Kristallkaraffen.

Bist du viel auf Reisen, gewöhne dich daran, die Weine des Landes zu trinken, einen rosenroten Schilcher in Steiermark, den echten Elsässer am Linksrhein. Du fährst stets damit am besten; ein Falerner oder durch die Adern brausender Barolo schmeckt auf der Terrasse des Kasinos von Rapallo bestimmt besser als der herrlichste 1900er Rüdesheimer. Andererseits ist's meistens nur eine auftrumpfende Geste, wenn der Hausherr im Wiener Cottageviertel oder an der Alster als »pièce de résistance« temperiertes Porter oder Stout kredenzen läßt.

Der wirkliche Freund bacchischer Freuden ist sich bewußt, daß der schlimmste Feind Völlerei heißt. Niemals mit »Mengen« aufmarschieren, versuche als Mann von Distinktion auch nie, Mäßige oder Damen durch Stichelei oder Animieren zum Trunk zu zwingen, wie man das so oft erleben kann.

Die Forderung, daß du selbst deine Haltung dir nicht vom Dämon Alkohol diktieren lassen darfst, zählt zur Selbstverständlichkeit und gehört wohl kaum mehr in dies flüchtige Diarium.


Bacchus entgegen

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 96-99.
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