Der Ersatz-Mann.

[168] »Unseren täglichen Step gib uns heute« – mag er nun »black«, »white«, »blue« oder sonstwie heißen. »Ein Tänzchen in Ehren kann niemand verwehren«, zumal nicht, wenn es so zwischen fünf und sieben von Stapel geht. Früher konnte es nie zur Gewissensfrage werden, ob eine alleinsitzende Dame beim Tanztee einer Aufforderung zu einem Boston einem Unbekannten gegenüber nachkommen darf. Erstens: weil das mit dem Alleinsitzen schon nicht gegangen wäre, und zweitens: weil überhaupt ...

Wir haben andre Maßstäbe heute! Ist es nicht ein Unding, auf etwas verzichten zu wollen, was Spaß macht, nur weil zufällig der Gemahl, Bruder, Flirt oder Vetter nicht zur Seite am Tisch sitzt? »Er« hilft aus der Verlegenheit, der in Paris geborene »Gigolo«, Gentleman-Eintänzer von Beruf. Es gibt deren solche und solche. Die Meister ihres Faches lassen Kavaliere von Format erblassen, und jede elegante Frau kann sich seinen Armen anvertrauen, auch wenn die Geldnote ernüchternd von Hand zu Hand knistert.

Doch – eine Reihe solcher jungen Leute steht unter ihrer Protektion. Und eine Dame, die auf sich hält, wird sich überlegen, ob sie dem Sendboten des »maître de plaisir« eine Runde konzedieren soll, selbst wenn sie noch so großes Verlangen nach einem Tango in sich trägt.

Vielleicht sind die mißtrauischen Blicke, mit denen oft die Ehegatten den modisch besmokingten Gigolo an ihren Tisch herantänzeln sehen, nicht ganz so unberechtigt, denn die verpflichteten Tänzer, deren Qualitäten meistens in ein paar exklusiven Schritten, einem tadellosen »evening dress« im Verein mit guten Manieren bestehen, sind von allzuvielen Frauen geradezu darauf dressiert worden, ihre Aufgaben auf weitere Gebiete zu übertragen. –

Und was, wenn andre fremde Herren einen Tanz erbitten? Soll man –, oder nicht? Auch hier wird wiederum Umgebung und Sitte ein Wort mitsprechen. Eine sonst selbstverständliche Absage im vornehmen Hotelrestaurant kann andernorts zu einem harten refus werden, das vielleicht zu vermeiden ist. Kurzum, die Frau von Welt darf in Ausnahmefällen, ohne offizielle Vorstellung, einen Tanz verschenken, wenn es in der jeweiligen Umgebung so üblich ist, – niemals aber wird sie hierzu verpflichtet sein![168]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 168-169.
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