Reise nach Meisenheim

[226] Nach Beendigung dieses Geschäfts erhielt ich Befehl, nach Meisenheim zu gehen und ein dortiges Magazin in Empfang zu nehmen. Unterdes hatten sich die Franzosen dieser Stadt genähert, aber sich auch wieder zurückgezogen, weshalb ich meine Sendung ungehindert vollziehen konnte.

Auf dem Rückwege von Meisenheim machte ein französischer Reuter Jagd auf mich; aber ich war so glücklich, ihm durch die Schnelligkeit meines Pferdes zu entgehen. Als ich darauf an eine Brücke kam, bemerkte ich den Verlust meines Mantelsacks, welcher wenigstens ein paar Louisdor wert war. Ich stellte daher mein Pferd bei einem Bauer ein und ging, trotz der Gefahr, eine Stunde weit, bis zu einbrechender Nacht den Weg zurück, ich fand ihn aber nicht und mußte, um mich vor dem Regenguß zu schützen, die Nacht über auf einem Schweinsstalle zubringen.

Den Tag darauf war die fürchterliche Bataille bei Kaiserslautern, wohin ich schleunigst berufen wurde. Wir hatten Tag und Nacht mit Fouragieren zu tun und waren vor unserm eignen Volke des Magazins nicht mehr mächtig. Dies war ein Glück für einige Kommissäre, welche schon arretiert waren, um von ihrem Haushalte Rechenschaft zu geben, nun aber auf freien Fuß gestellt und ihrer Rechnungsablegung quitt wurden.

Um diese Zeit fing es an schief zu gehen; die Armee konnte sich nicht mehr halten und mußte sich zurückziehen, worüber die Bewohner dortiger Gegend sich manche bittere Anmerkung erlaubten. In Lautern z.B. war ein großer General genötigt, in einer gemeinen Gaststube sein Mittagsmahl einzunehmen. Die anwesenden Gäste ließen sich dies so wenig irren, daß sie keck sich erdreisteten, sich an den Tisch, woran er speiste, hin zu drängen und seinem Tischgespräche maulsperrend zuzuhören. Ärger und Verlegenheit malten sich in des großen Mannes[227] Gesicht, und seine Mienen sagten ohngefähr so viel: hier ist es mit uns aus, da nicht einmal die geringste Menschenklasse mehr Respekt vor uns hat. Diese scheuten nämlich sich nicht, in seinem Beisein zu sagen: der Plan sei schlecht angelegt und ausgeführt worden, und sie wünschten niemals die Befreiungstruppen gesehen zu haben.

In der Auktion, wo die von den Preußen gemachte Beute versteigert wurde, erstand ich mit dem Kommissär Kobus für vier Karolins einen Wagen mit zwei Pferden, um mit diesem Fuhrwerk unsre Bagage nach Böchingen, vor Landau, zu nehmen, wohin wir beordert wurden. Zu Böchingen wurden wir in einem elenden Hause einquartiert, wo wir den Pferdestall mit Brettern zustellen mußten, weil keine Türe davor war. Als wir frühmorgens nach unsern Pferden sehen wollten, waren sie fort, und die Bretter lagen vor dem Stalle. Die Spur der Pferde ging durch den Garten des Nachbars, welcher als verdächtig in Verhaft genommen wurde. Da er den Pferdediebstahl leugnete, so wurden vier Karolins demjenigen gesichert, welcher sie wiederschaffen würde, worauf sie gegen Abend eingebracht und die vier Karolins dafür erlegt wurden. Es ergab sich, daß der Wind die Bretter in der Nacht umgeworfen und dadurch die Pferde so scheu gemacht hatte, daß sie ausgerissen waren. Der Verhaftete wollte nun uns verklagen, aber das unterblieb ebensowohl als die erwartete Übergabe von Landau. Am ersten Weihnachtsfeiertag erhielten wir Ordre zum Rückzuge; als wir früh unsre Pferde anspannen wollten, waren sie abermals fort und blieben es, da wir keine Zeit hatten, darnach herumzulaufen. Ich war daher genötigt, da kein Fuhrwerk zu haben war, meinen Koffer halbvoll mit auf das Reitpferd zu packen, so, daß Koffer und Sack einander das Gleichgewicht hielten. In diesem verdächtigen Aufzuge zog ich zu Neustadt ein, wo die Jungen schreiend hinter mir dreinliefen. Um sie zu beruhigen, macht ich ihnen weis, ich hätte in meinem Koffer[228] und Sack etwas Seltenes zu sehen, und zog, wie ein begleiteter Bärenführer, so vor einem Gasthause vorbei, worin sich mehrere Offiziere und Offizianten befanden, die mich herzlich auslachten. Ich ward in einem Privathause einquartiert und erhielt den Befehl, bis auf weitere Ordre, dazubleiben. Ich packte daher meine Sachen aus und schickte meine schmutzige Wäsche zur Wäscherin; in der Nacht aber wurde Alarm, daß die Franzosen anrückten, deswegen mußt ich über Hals und Kopf mein Reisegepäck wieder schnüren und, da die Wäscherin nicht gleich aufzufinden war, ohne meine Wäsche den Marsch wieder antreten, wie ich gekommen war. Ich erreichte so glücklich Frankenthal, wo die preußische Armee wieder Posto gefaßt hatte. Ich wurde alsbald nach dem Rheinkanal beordert, um ein Magazin über den Rhein schaffen zu lassen; aber am dritten Januar erhielten wir Befehl, was nicht fortzubringen wäre, zu verbrennen oder in den Rhein zu werfen. Dieses Geschäft hatte keine gute Folgen, die Fässer mit Mehl versanken oder wurden am Ufer herausgezogen. Zu dieser Zeit befand ich mich gerade in Geschäften jenseits des Rheins und hatte glücklicherweise mein Pferd und Gepäck, bis auf einiges, einen Mantelsack und zwei Mäntel, auf dem Zollhause zurückgelassen. Sowie der erste Kanonenschuß fiel, standen alle Heu- und Strohschober in hellen Flammen; keiner von uns konnte mehr über den Rhein, und so gingen mir auf einmal wieder für mehr als für sechzig Gulden Sachen, die ich erst kürzlich wieder angeschafft hatte, verloren. Da uns die Franzosen auf den Fersen waren, so eilten wir, ohne uns umzusehen, nach Mainz zu. Bei Worms gingen wir zwar wieder über den Rhein, mußten aber die Nacht weiter aufbrechen und Gott danken, daß ein Lohnkutscher uns unsere Effekten für eine Karolin mit bis Mainz nahm, wo wir endlich glücklich ankamen.

Da hier kein Unterkommen zu finden war, so sucht ich mein ehemaliges Quartier bei dem Registrator Wintersen[229] auf, welcher aber als Klubbist eingezogen worden war und dessen Frau sich zu ihren Freunden nach Neuwied geflüchtet hatte.

Durch die vielfältigen Kriegsstrapazen war meine Gesundheit so geschwächt worden, daß mir kein Mittel übrigblieb, als meinen Abschied zu fordern, welchen ich auch ohne Schwierigkeit erhielt. Meine Kränklichkeit erlaubte mir nicht, mit der Post zu reisen, ich mietete daher einen Lohnkutscher, der mich die fünfunddreißig Meilen für sechsundsechzig Gulden von Mainz bis nach Weimar fuhr, wo ich sehr krank ankam, so daß ich achtzehn Wochen lang das Bett hüten und einen guten Teil von dem mitgebrachten, mir rechtlich ersparten Gelde wieder an Doktor und Apotheker wenden mußte. Das Schmerzlichste für mich waren die lieblosen Äußerungen verschiedener Neider, welche mir den kleinen Erwerb nicht gönnten und sagten: wer wisse, ob dies nicht eine gerechte Strafe Gottes wäre, die mich treffe. Hätten diese Menschen meine dreijährigen Kriegsstrapazen ausgestanden, sie würden mich anders beurteilt haben.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 226-230.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
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