Streit.

[86] An einem Abend passierte mir ein eigentümliches Malheur. Beim Rundgang zwischen den beiden grauen, öden Gebäuden hatten wir einen Spaß. Unser neuer Mitarbeiter hatte eine[86] Münze, ein Anhängsel, sich verschafft und hing sie wie einen Orden an seiner Jacke auf. Selbstredend war dies ein Spaß für uns Korrigenden und der du jour habende Aufseher, ein freundlicher Mann, lachte selbst darüber, wie der Ascherslebener stolz in Reih' und Glied wie ein Soldat marschierte, erhobenen Hauptes nach seiner Medaille blinzelnd. Es war ein Stück Messing. Auf der einen Seite das Jahr 1888 und auf der anderen das Bildnis der letzten drei deutschen Kaiser.

Am Abend verlor mein neuer Kollege in unserem Raum die Marke. Ich war am Fegen und meine Kollegen fragten mich, ob ich nicht die Medaille gefunden hätte.

»Nein, die .....münze habe ich nicht gefunden«, war meine Antwort, dachte aber nicht an das Bildnis der drei Kaiser.

Unbewußt hatte ich eine Majestätsbeleidigung ausgesprochen. M., W. und D. drohten mir mit Anzeige wegen »Dolus eventualis«. Daß mir die Leute nicht schaden konnten, wußte ich und sie auch – und daß bei solchen Sachen der Denunziant die mißachtetste Person war, wußten sie ebenfalls. Aber sie hatten eine Waffe gegen mich und verstanden sie gut anzuwenden. Wir stritten uns wohl, aber sie sahen ein, daß ich in punkto Arbeit meine äußerste Schuldigkeit tat und sie auch nicht verpfiff. Denn es ist ein Kunststück, mit solchen nervösen Leuten zu arbeiten. Mir sind die dreiundzwanzig Wochen sehr lang geworden und waren auch die allerschwersten Tage meines Lebens. Den Leuten trage ich es nicht mehr nach, litten sie doch ebenso unter diesem schweren Anstaltsdruck, wie ich – und hatten gegen mich eine fünffach schwerere Strafe. Sie zeigten mich nicht an. Man sieht, daß selbst M. noch immer einen Ehrenpunkt in seinem Charakter hatte. Bei fast jeder Gelegenheit zogen mich wohl M., D. und W. mit dieser Sache auf, ich kam aber doch nicht wegen dieser Sache vor den Herrn Direktor.


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[87]

Diese Woche baute sich M. in der freien Zeit einen Mäusekäfig. Er verschaffte sich eine vierkantige Lackflasche, schnitt drei viereckige Löcher hinein, fügte Glas ein und der Käfig war fertig. Ungeziefer hatten wir genug. Im Schlafsaal bissen uns die Wanzen und in den Arbeitssälen hatten wir Mäuse und manchmal auch Ratten. Kein Wunder, der Fußboden war alt, so ein rechter Schlupfwinkel für Mäuse, Brot fanden diese genug und die Fasern gaben ein sogenanntes molliges Nest. Die Verwaltung ließ es sich wohl angelegen sein, dieses Ungeziefer zu vernichten, aber es half nicht viel. Die Katzen in der Anstalt wurden in der Küche leider zu gut gefüttert, sodaß diese auf Mäusefangen fast verzichteten.

Also stellten wir Fallen und fingen Mäuse. M. brachte an zwanzig Stück in seinen Käfig. Mancher Aufseher sah sich seine Mäusemenagerie an.

Ein paar Wochen machte uns diese Sache Vergnügen, aber der Gestank wurde die Ursache eines Streites zwischen M., D. und W., und M. schlug aus Aerger die Mäuse tot und den Kasten verschenkte er an einen anderen Luden, den Stationsschreiber, der sich dann solche Tierchen fing und sie dressieren wollte.

Quelle:
Schuchardt, Ernst: Sechs Monate im Arbeitshaus. Erlebnisse eines wandernden Arbeiters, Berlin [1907], S. 86-88.
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