Erlangen, Fürth.

[18] Wir kamen glücklich in Erlangen an, meine Eltern nahmen in demselben Wirtshaus, wo der Weidner wohnte, Zimmer (es hieß Im Goldenen oder Silbernen Apfel; der Wirt hieß Veigel). Die Einnahme war noch so ziemlich; bald wurde in Erlangen, bald in Nürnberg gespielt, wo denn so einige Male hin und her gereist wurde. Der Hof von Bayreuth kam nach Erlangen hin, und hielt sich kurze Zeit da auf, aber trotz der guten Einnahmen, so fiel doch niemals richtige Gage, denn Weidner saß tief in Schulden. Mein Vater hatte noch drei Gemälde, die verkaufte er unter der Hand an den Markgrafen. Es waren die letzten, die er hatte. Der Hof reiste fort; der Sommer war da, und die Einnahmen wurden von Tag zu Tag schlechter. Herr Weidner sagte: »Pasta, Secunda (das war sein Sprichwort), hier in Nürnberg ist's nichts mehr. Ich muß sehen, die Konzession in Bayreuth zu bekommen. Meine Frau soll dahin abreisen und solche auswirken.« Seine Frau war schön, schön wie ein Engel. Und Pasta Secunda, weil sie keinen Bescheid in Bayreuth weiß, so wird sie der H. Baron von Türkheim (der studierte damals in Erlangen) dahin begleiten. Er ist am Hofe bekannt, kennt die Minister usw. Glückliche Reise! Sie reisten zusammen fort, kamen wieder, und nun wurde eingepackt und der Tag der Abreise festgesetzt. Solche sollte des Morgens in aller Frühe sein. Der Morgen verging, der Mittag kommt heran, und es wird nicht aufgepackt, ohne daß meine Eltern die Ursache einsehen! Meine Eltern saßen mit uns am Tische, und wir aßen in guter Ruh, als der Herr Baron von Türkheim sich in unsere offenstehende Stubentür stellte und sich auf seinen Stock stützte. »Guten Appetit!« »Ihr Diener, Herr Baron! Nicht näher kommen?« »Keine Umstände, bleiben Sie ruhig sitzen, ich will hier stehen bleiben.« – Er hustete einige Mal und spielte mit seinem Stock, wollte was sagen, und doch blieben die Worte immer im Hals stecken. Endlich, nach einer ziemlich langen Pause fängt er an: »Stellen Sie sich den verdammten Streich vor! Der Flegel, der Wirt, will den Weidner nicht reisen lassen[19] wegen lumpiger 30 fl., die er noch von ihm zu fordern hat.« – Mein Vater sagte: »Das hätte Herr Weidner zum voraus denken können. Und da seine Frau die Erlaubnis, zu spielen, in Bayreuth bekommen, so würde sich ja auch leicht jemand gefunden haben, der ihr Geld vorgeschossen.« »Da haben Sie insoweit recht, aber Mad. Weidner wollte sich nicht bloßgeben. Man verliert ja den Kredit dadurch, wenn es heißt: ›Die Leute haben nichts.‹ Ist man aber erst da und bekannt, so kann man sich eher einem Freund offenbaren.« »Da haben Sie wieder recht, Herr Baron.« »Gewiß, Herr Schulze, niemand könnte Weidner besser helfen, wie Sie.« »Ich? Wie kann ich?« »Mad. Schulze hat viele Sachen und Kleider, – und die sie jetzt im Sommer doch nicht trägt. Wenn Sie einen Versatz für Weidner dem Wirt daließen!« Meine Mutter: »Das ist sonderbar, Herr Baron. Mad. Weidner hat ja auch schöne Kleider und Sachen, warum will sie nichts hergeben? Es ist ja ihr Werk.« Baron: »Das würde sie auch, aber braucht sie nicht ihre Kleider für sich und denen Aktricens aufs Theater?« Nach langem Hin- und Herdenken und Ueberlegen sagte endlich mein Vater zu der Mutter: »Tu es, Alte, gib ein Kleid her!« Meine gute Mutter, die im achten Monat ihrer Schwangerschaft war, kniete vor einem Koffer nieder, packte solchen aus und nahm ein blau atlas Marselge gemachtes Kleid nebst ihrem schwarzsamtnen Mantel heraus und gab's dem Wirt für Weidner zum Versatz. Nun wurde aufgepackt, und wir reisten ab.

Den Abend kamen wir nach Fürth. Alle Koffers und Bagage wird abgeladen. Mein Vater stutzt, tritt zu Weidner und frägt: »Bleiben wir hier? Ist hier Bayreuth?« Weidner räusperte sich, rieb sich die Stirn und sagte: »Pasta Secunda. Nein, nein! hier sind wir in Fürth. Aber der Ort, so schlecht er aussieht, hat sehr reiche Einwohner. Zwar lauter Juden, aber sie sind reich und große Liebhaber von der Komödie. Pasta Secunda, es ist Sustentation ad interim – Pasta Secunda. Bis der Bau in Bayreuth fertig ist, will ich hier lieber die Einnahmen mitnehmen, als stille liegen.« Mein Vater schüttelte den Kopf, denn Fürth war damals ein kleiner Fleck. (Jetzt soll er sich um vieles gebessert haben und sehr gut[20] ausgebaut sein.) – In dem Wirtshaus war ein geräumiger Saal, und da wurde ein Theater eingerichtet. Madame Weidner klagte wegen einer Unpäßlichkeit und kam nicht aus dem Zimmer. Meine Mutter mußte trotz ihrer Schwangerschaft spielen.

Die erste Komödie wurde gemacht, und die Einnahme war sechs Gulden, den zweiten Abend drei, und den dritten war gar nichts da. Was war aber die Ursache? Fast schäme ich mich, es niederzuschreiben. Doch es sei! Was kann der ehrliche Mann dafür, wenn er zu einem Schurken kommt und von solchem betrogen wird. Dieser Weidner war einige Jahre vorher mit seiner Frau in Fürth gewesen, die er aber für seine Schwester ausgegeben hatte. Er spielte mit ihr da; ob er eine eigene Gesellschaft hatte oder ob er selbst engagiert war, das weiß ich nicht. Eines sehr reichen Juden Sohn verliebte sich in die Weidnerin. Sie gab ihm die besten Hoffnungen und sagte: »Wenn er sich taufen lassen wollte, so wollte sie ihn heiraten.« Der Jude verspricht es, bestiehlt seine Eltern und geht heimlich mit ihr durch. Wie sie einen guten Weg zurückgelegt hatten, machen sie den Juden eines Abends trunken, nehmen den Raub, den er an seinen Eltern getan, ihm weg, und lassen den Juden im Wirtshaus allein zurück, der dann, nachdem er aus seinem Rausch erwacht, wieder zurück zu seinen Eltern kehrte, die dann trotz ihres großen Verlustes nur froh waren, daß ihr Sohn kein Christ geworden.

Wer sich über die Frechheit des Mannes wundert, wieder an einen Ort zu gehen, wo er sich solcher Lastertat schuldig gemacht, dem sage ich, daß das nur ein Weidner konnte, dessen ganzer Lebenswandel Betrug war. Meine Eltern außer sich! Meine Mutter sagte zu ihm: »Aber so geben Sie mir die 30 Gulden nur, damit ich mein Kleid wieder einlöse.« Der antwortete: »Madame, ich danke es Ihnen mit dem Teufel, warum haben Sie's getan? Ein Mann wie ich hätte sich doch herausgeholfen. Sie kommen mir jetzt eben recht mit Ihrem Kleid, da ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.« Das war der Dank! Wegen Bayreuth waren's Lügen. Meine Eltern brachten die Nacht schwermütig[21] hin, und bei dem Erwachen waren Weidner und seine Frau über alle Berge! – Nie haben wir wieder erfahren, was aus ihnen geworden ist. Die übrigen von der Gesellschaft waren auch fortgelaufen, ohne das zu bezahlen, was sie die drei Tage verzehrt hatten.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 18-22.
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