Das Theaterleben hatte ich zur Genüge genossen.

[148] Im Stillen hatte ich schon lange wieder an meinem Lieblingsprojekt gebrütet. Das war: Ganz fort von dem Theater! Die wenigen guten Menschen können dich für die Brut, die bei den Theatern ist, nicht schadlos halten. Weimar ist der Ort, sonst keiner. Du hast Freunde, sie lassen dich nicht. Was du bittest, kann man dir gewähren. Guter Gott! Du kannst allein die Herzen lenken. War's noch so zweifelhaft, du erörtest meine Bitte, segnetest mein Verlangen. Ich tauge ja nicht unter die Menschen, die Menschen nicht zu mir. Hier ist's wohlfeil, zu leben. Du bittest um Schutz, bittest um die Gnade, hier leben zu dürfen, bittest um Arbeit. Ja, wann bittet das Kind den Vater um Brot, und er reicht ihm einen Stein?

Ich machte Ueberschlag. Arbeite! Du bist fleißig, kannst es sein. Deinen Mund bringst du durch. Nur soviel Verdienst, als die kleinen, tagtäglichen Ausgaben erfordern, nur Gesundheit, so kannst du hier bleiben, sagst Theater, Rollen, Beifall, Nichtbeifall, sagst allem gute Nacht. Fest und unerschütterlich stand er vor mir, mein Entschluß, so fest wie er immer vor mir stand, wenn ich was mit Ueberlegung beschloß.

Voll Vertrauen auf Gott und gute Menschen wagte ich's an einem Morgen und machte unserer Durchlauchtigsten Herzogin-Mutter meine untertänigste Aufwartung, machte deroselben meinen Entschluß wissen und die Ursache, warum ich es tat. Voll Huld und Gnade gab mir diese große Fürstin recht, versicherte mich ihres hohen Schutzes. Wer war glücklicher wie ich? Noch denselben Nachmittag ging ich zu den Kammerfrauen an dem regierenden Hof. Ich fand die guten lieben Demoiselles Museulus und Kotzebue nicht zu Hause. Sie erfuhren, ich wäre da gewesen und schickten den andern[148] Tag schon, ich möchte hinkommen. Ich kam, bat dasselbe, bat mich unserer Durchlauchtigsten Herzogin zu Füßen zu legen, sagte dasselbe, was ich den Morgen vorher an dem Hof der gnädigsten Frau Herzogin-Mutter gesprochen. O die guten, lieben, vortrefflichen Kammerfrauen! Wie freuten sie sich meines Entschlusses und versprachen mir Arbeit! Wie wohl war mir!

Den 31. Mai erhielt ich schon die erste. Nie habe ich eine Arbeit vorher mit so frohem Herzen gemacht, nie bei dem Durchlesen der schönsten Rolle, wo ich mir eine höhere Staffel des Ruhms als Künstlerin zu bauen gewiß war, das gefühlt was ich bei dem Puder-Mantel für unsere Durchlauchtigste Herzogin Louise empfand. Ich schämte mich nicht, solchen selbst den Kammerfrauen zu überbringen. Und die Zufriedenheit, die sie mir über meine Arbeit zeigten, war mir lieber als das Herausrufen in Innsbruck nach der Rolle der Minna und Elfriede – wo ich nicht kam. Manche hundert Gulden hatte ich eingenommen in meinem Leben. Aber die Freude machten sie mir nicht, wie dieser Gulden, den ich für meine Arbeit aus der Hand von Demoiselle Museulus nahm. Wäre er in einem Stück gewesen, ich hätte ein silbernes Henkelchen daran machen lassen und solchen zeitlebens an mir getragen.

Dieser Arbeit folgte bald mehr. So saß ich denn schon und nähte für Geld, da Herr Bellomo schickte, ich möchte die Claudia an Madame Hahn abgeben zu ihrer zweiten Debütrolle. Oh, von Herzen gern! Jetzt wurde »Emilia Galotti« zum ersten Male wiederholt. Oh, nehmt die, nehmt alle! Ich hatte den frommen Wunsch, sie möchten so vergnügt bei ihren Rollen sein, wie ich bei meiner Arbeit.

Den 14. Juni wurde »Graf Walltron« gegeben. Zum zweiten Male. Der Tag war außerordentlich schön, aber auch sehr heiße Witterung. Wenige Zuschauer waren da; anfänglich wollte H. Bellomo gar nicht spielen. Man spaßte darüber in der Garderobe, endlich hieß es doch, daß gespielt werden sollte. Madame Ackermann spielte den Grafen Gronenburg. Es waren wenige Zuschauer da. Mithin spielten die meisten untereinander so, wie ich mich erinnere, daß, wenn Direkteure[149] oft auf und ohne Befehl ein elendes Stück gaben, dann die Schauspieler sagten: »Heute spielen wir für uns.« Sie sagten, was ihnen in den Mund kam. Denn einer nahm des andern Rede weg. Der kam zu früh, jener zu spät. Und wie sie sich darüber foppten oder vielmehr die Zuschauer! Ich sah den Unfug und sagte einmal wieder zu mir selbst: Kummerfeld, sehe nichts, höre nichts! Halte den einen Gedanken fest, du spielst heute zum letzten Male. Gehe als Kummerfeld vom Theater! Wer weiß, ob du noch einmal zum Spielen hier kommst, und kommst du, ist's vielleicht eine Rolle, aus der nichts gemacht werden kann. Was können die Zuschauer dafür, daß das Haus nicht voller ist? Haben die, die da sind, ihr Geld nicht hingegeben? Sind sie hereingekommen, sich narren zu lassen? Spiel' und nimm an nichts Anteil, was außer deiner Rolle vorgeht! Mit dieser meiner Festigkeit im Entschluß trat ich auf.

Ich muß noch eine Anmerkung machen wegen der Rolle der Gräfin. Schon in Innsbruck, wo ich sie zuerst gespielt, hatte ich sie sehr gestrichen. Weg mit den vielen Verwünschungen und mit den vielen Vergleichungen, mit all den Wiederholungen, die dem aufmerksamen Zuschauer Ekel machen müssen. So wie ich die Gräfin Walltron zugestutzt hatte, war es erst eine schöne Rolle geworden. Ich gehörte nicht zu den gern spektakelmachenden Aktricen.

Die wenigen Zuschauer, die da waren – oh, mir waren sie viel! – Ich erreichte meinen Zweck und meinen Triumph. Die Tränen, die man meinem Spiel zollte, die Aufmerksamkeit, der laute Beifall während meinem Spiel und bei jedem Abgang, oh, der vertrieb auf der Galerie dem bestellten Burschen, der niesen mußte, gerade in dem Augenblick, wo die Gräfin erfährt, ihr Mann sei im Arrest, den Schnupfen. Und doch wollte außer den Schauspielern selbst keiner von den Zuschauern lachen. Das sind Komödiantenstreiche, wer kennt die nicht? Selbst Herr Neumann – schade, daß er tot ist –, der den Grafen Walltron in den ersten drei Aufzügen so miserabel spielte, als er nur wußte und konnte, fing doch im vierten Aufzug an, Lunte zu riechen, und mußte denken: nein,[150] das geht doch nicht länger, und spielte nun etwas mehr seiner Schuldigkeit gemäß.

Nach Schluß der Aufführung bekommen die Kollegen noch eine gebührende Dankrede für ihre Kameradschaftlichkeit zu hören.

Noch zweimal kam ich an den Tanz: meine Lieblingskönigin Gertraude im »Hamlet« (wegen der Königin hatte ich auf alle Königinnen Verzicht getan. Doch verdarb ich Herrn Neumann als Hamlet nichts), wo er beschämt zu mir sagte: »Das Stück ist doch lange nicht gegeben worden, und Sie haben doch nichts vergessen.« »Vergessen ist gegen meine Gewohnheit; ich vergesse so leicht nichts.« – Das letzte Stück wurde noch einstudiert: »Gianetta Montaldi«; ich hatte die Marchese und spielte den 22. Juni zum letzten Male. Die Einnahme war für die Schauspieler.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 148-151.
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