Strohwitwer,

[64] während man selbst mit der Gattin anwesend ist, so sucht man sich dadurch einigermaßen schadlos zu halten, daß man die Strohwitwer, wenn man sie in Gesellschaft von Damen triffst, nach dem Befinden ihrer Gattin und Kinder fragt. Es ist ihnen dies meist unangenehm, und das kann doch recht amüsant sein.

Hat der Strohwitwer noch keine Enkel, so frage man ihn auch nach dem Befinden dieser. Es handelt sich doch nur darum, daß man ihm Enkel zutraut, und dies ist ihm gleichfalls sehr fatal. Man entschuldige sich natürlich tausendmal, daß man sich geirrt habe, an der Sache ändert dies durchaus nichts.

Will man den Strohwitwer recht unbefangen ärgern, stören oder ihm die gute Laune verderben, so betrete man, wenn man von seinen Angehörigen spricht, den Weg des unbegrenzten Lobes, man frage nach seiner schönen, mit ewiger Jugend begabten[64] Gattin, schildere seine Töchter als mit verblüffender Bildung ausgestattete Ballköniginnen und sehe in seinen Söhnen die kommenden Männer. Dann ist der Strohwitwer entwaffnet und das vorbereitete Wort Tölpel oder ein ähnliches erstirbt ihm auf der Lippe.

Ist man selbst Strohwitwer, so sei man gegen andere Strohwitwer genau so, wie man von ihnen behandelt sein will. Das ist für sie vorteilhaft, während man selbst keinen Nutzen davon hat, denn es sind immer Männer vorhanden, welche von ihren Frauen keine Eifersucht zu furchten haben, und gegen solche Männer kann sich kein Strohwitwer schützen. Man kann aber von ihnen sehr viel lernen, denn sie liefern Beweise von großer Schlauheit, wenn sie von ihren Frauen keine Eifersucht zu fürchten haben.

Man findet dann und wann einen Strohwitwer, welcher die Briefe seiner Gattin vorliest. Solchem weiche man aus, weil Briefe, welche vorgelesen werden, nie etwas enthalten, was wert ist, vorgelesen zu werden. Namentlich steht in solchen Briefen nichts, was der Gatte nicht erfahren darf, und alles, was er erfahren darf, ist uninteressant.

Man merkte sich endlich, daß einem der »Fremde« nicht mehr geglaubt wird. Ist man also Strohwitwer, so rede man nicht von seinem Fremden, sondern überlasse es jedem Bekannten, an solchen zu glauben. Redet man von ihm, so hält man ihn für ersonnen, um ungestört bummeln zu können und obenein als Opfer der Freundschaft zu gelten. Am allerwenigsten spreche man von einem Fremden in den Briefen an die Gattin, welche dadurch leicht herbeigelockt werden kann und dann nicht wieder zu entfernen ist. Der Fremde erfreut sich überall eines schlechten Rufs, weil er meist eine Erfindung ist. Der erfundene Fremde gilt als ein nichtswürdiges Geschöpf, dem der[65] wirkliche, der doch moralische Grundsätze haben könnte, vorgezogen wird.

Ein Beweis für das Schauderhafte, das sich an die Erscheinung des Fremden knüpft, ist der Umstand, daß noch keine Frau auf die Idee gekommen ist, ihrem Mann brieflich oder mündlich anzuzeigen, sie habe einen Fremden. Noch in keinem Scheidungsprozeß spielte der Fremde einer Frau eine Rolle, der Fremde ist eine Ausgeburt der Männerphantasie.

Der wirkliche Fremde eines Mannes hat die furchtbare Eigenschaft, daß er nicht geführt wird, sondern führt. Der Fremde zeigt einem Manne in dessen eigener Stadt erst alle ihre Schlupfwinkel und Sümpfe und ist daher mit vollem Recht von den Gattinnen gefürchtet.

Wenn ein Fremder eine Stadt als Sündenbabel schildert, so kann man sicher sein, daß er beigetragen hat, sie dazu zu machen.

Eine sehr angenehme Erscheinung in den Sommerfrischen, Kurorten, Strandstädten und Heildörfern sind


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 64-66.
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