Hundstage

[105] denken, welche zu erwarten sind. Schon die Thatsache, daß sich die erwähnten ältesten Leute eines so schönen Sommers wie des gerade diesjährigen nicht erinnern, mag als ein Beweis dafür gelten, welchen schädlichen Einfluß die Hundstage auch auf die Menschen auch auszuüben imstande sind.

In den Hundstagen gilt es hauptsächlich, mit den Menschen mehr Geduld zu haben, als in den anderen Tagen des Jahres, und sei dies auch nicht jedermanns Sache. Trifft man jemand, der vor einer halben Stunde die Quadratur des Zirkels – es kann natürlich auch das Fliegen sein – erfunden haben will, so sage man: »Ach, das ist nett von Ihnen«, und dann habe man leider Eile und müsse fort. Dieselbe Eile habe man, wenn man einem Bekannten begegnet, der ganz bestimmte Nachrichten von den Bewohnern des Mars erhalten hat. Derartige vertrauliche Mitteilungen über weltreformierende Erfindungen und Entdeckungen gehören aber zu den Ausnahmen, geltend machen sich die Hundstage meist in einer viel weniger verdächtigen Weise.[105]

Man ertappt einen bis dahin ganz vernünftigen Freund beim Dichten. Zum Glück sucht er einen Reim auf Droschke und kann daher nicht weiter, weil er das Wort Droschke gebraucht, denn eine Jungfrau ist in einer Droschke an ihm vorübergesäumt, und er will ihr nur seine Liebe reimen. Man sage ihm nicht, daß er Droschke erster oder zweiter Klasse oder Preisanzeiger singen soll, weil hierauf jeder Stümper reimen könnte, und verhindere ihn so am verderblichen Weiterdichten. Die Hundstage dauern nicht ewig, und er wird wieder prosaisch werden und zur Ruhe kommen.

Gefährlicher ist um diese Zeit der junge hoffnungsvolle Mann, der das Komödienschreiben bekommt. Trifft man ihn auf der Straße mit der Absicht, zu seinem realistischen Stück, welches in einer Bedürfnisanstalt endet, das Milieu zu studieren, so sei man auf das tiefste ergriffen und lade ihn zu einem Glas Bier ein. Kaltes Bier vollbringt, in solcher Zeit genossen, Wunder.

Erhält man in den Hundstagen von einem Freunde Geld zurück, das man ihm geborgt hat, so ist das Schlimmste zu befürchten. Jedenfalls nehme man sich in Acht, daß man nicht von ihm gebissen wird.

Hört man von einem Bekannten, es sei ein Mord geschehen und die Polizei habe schon die Leiche, so braucht dies durchaus kein Krankheitssymptom zu sein. Nur dann, wenn er mitteilt, die Polizei habe schon den Mörder aufgefunden, führe man ihn zu einem Arzt.

Im Freien wird die Glut der Sonne am verderblichsten. Hier sind es in erster Reihe diejenigen, welche plötzlich behaupten, kennten die Geschichte der Männer, deren Denkmäler sie sehen, ganz genau. Alsbald vermeide man es, sie um Angabe einiger Daten zu ersuchen, da aus der Antwort sofort hervorgeht, daß sie leidend sind.

Man habe mit einem Angehörigen Geduld, wenn[106] er sich durch wirre Reden verdächtig machen sollte, und schone ihn. Denn vielleicht schon nach einigen Tagen bezeichnet er einen gut aussehenden Herrn in einem Restaurant bei einer Flasche Champagner für einen notleidenden Landwirt, woraus hervorgeht, daß er sich auf dem Wege der Besserung befindet.

Man beobachte sich indes auch selbst so genau wie möglich, auch dann, wenn man sich für absolut gesund erklärt. Gerade dies kann vielleicht ein Zeichen für das Gegenteil sein. Man wird dergleichen schon früher konstatiert haben. Will man also eines Tages eine Ballonfahrt unternehmen, möchte man nach dem Hundepark, um sich einen Bulldogg zu kaufen, tobt man wütend in einem Zwischenakte, weil man in einer Posse keinen Sinn und keinen Verstand entdeckt habe, legt man plötzlich eine Tischglocken-, eine Abreißkalender-, eine Pincenez-, eine Hosenträger-, eine Pferdebahnbillet-, eine Bleistift- oder eine Wachskerzchenkästchenbilder-Sammlung an, – diese Liste ist keine erschöpfende, – ergiebt man sich unerwartet dem Angelsport, fährt man wie ein Blitz aus heiteren Wolken auf die Inserate nieder, um behufs späterer Verheiratung Damenbekanntschaft zu machen, verspürt man die Lust, eine rote Kravatte zu tragen, oder möchte man sich das Schnupfen angewöhnen, so verlasse man den Ort, an welchem man sich in solchem Augenblick befindet, und suche eine kühlere Gegend auf.

Findet während der Hundstage die Sitzung irgend einer parlamentarischen Körperschaft statt, und hat man so viel Zeit, daß man ein Stündchen auf eine ganz wertlose Sache verwenden kann, so entschließe man sich, in solche Sitzung zu gehen. Man wird Reden hören, welche von ernsten Männern über ganz ernsthafte Fragen gehalten, aber den Eindruck von Polterabendscherzen machen werden. Man erzähle aber nicht, daß man der Sitzung beigewohnt habe, da solcher Besuch[107] leicht mißverstanden und als Folge der großen Hitze betrachtet werden könnte.

Während der Dauer der Hundstage sind als leichtere Anfälle anzusehen, so daß man nicht ängstlich zu werden und die Hoffnung auf einen guten Verlauf nicht aufzugeben braucht: Appetit auf Austern, ein Tanz im geschlossenen Raum, der Entschluß, ein Theater zu besuchen, Anschaffung einiger Goldfische, Etablierung einer Vogelhecke, Auftauchen der Absicht, sich photographieren zu lassen, den Grundstein zu einer Goldmünzensammlung zu legen, Sues Geheimnisse von Paris nochmals zu lesen und einem vorüberfahrenden Wagen der Feuerwehr nachzulaufen, um das betreffende Schadenfeuer zu beobachten. Hierher gehören auch: längere Betrachtung eines Mückentanzes, das Fliegenfangen, das Durchlesen alter Liebesbriefe, die Wette, daß in der kommenden Saison weniger als sechs Novitäten vom Publikum abgelehnt werden, das Hoffen auf einen Lotteriegewinn, das Verzehren von drei Portionen Vanilleeis und ähnliche fast wie Ausschreitungen aussehende Harmlosigkeiten.

Gattinnen und Gatten ist für die Hundstage eine noch größere gegenseitige Rücksicht auf Gewohnheiten und Charaktereigentümlichkeiten zu empfehlen, als sie an weniger heißen Tagen zu nehmen gewöhnt sind, da die Sonnenglut leicht aus einer leichten Verstimmung eine Scene zurechtkocht, deren Ende nicht so abzusehen ist, als das des Geschirrs, dessen Zertrümmerung als ein Beruhigungsmittel gilt.

Es mag hier ein Wort über


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 105-108.
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