der Verlobungstag.

[46] Er zeichnet sich unter anderem dadurch aus, daß er nicht nach Gebühr als einer der wichtigsten, weil kritischsten Tage gehalten wird. Es würde wohl sonst nicht so unverantwortlich viel verlobt werden. Meist wird in den Tag hinein verlobt, derart, daß jeder merkt, der sich Verlobende ist über beide Ohren und über beide Augen verliebt und hört und sieht infolge dessen nichts.

Hat man ein Herz, welches nicht gegen Feuer versichert ist, so meide man die Bälle, wenn man ein leidenschaftlicher Tänzer sein sollte. Aber auch dann, wenn man ein leidenschaftlicher Nichttänzer sein sollte, bleibe man namentlich solchen Bällen fern, welche nicht ballmütterfrei sind. Die Ballmütter sind zwar ausgezeichnete Frauen, die man lieben und achten muß, aber sie sind mit einer Eigenschaft ausgestattet, welche sie von jedem Ding unterscheidet. Bekanntlich hat jedes Ding zwei Seiten. Sie kennen nur ein[46] einziges Ballvergnügen, welches im Verloben besteht. Wenn sie einen heiratsfähigen Jüngling oder Mann entdecken, welcher vor ihren Augen mit einer ihrer Töchter tanzt, so verloben sie blindlings darauf los und zwar mit einer Rücksichtslosigkeit, welche kein Erbarmen kennt.

Wer nicht am Morgen nach einem Ball verlobt aufwachen will, umgürte sich ebenso gewissenhaft wie mit Frack und weißer Binde mit Vorsicht, die allerdings ganz natürlich nicht wie jene in der Einladung als obligatorisch bezeichnet zu werden pflegt.

Dasselbe gilt auch von Diners und Soupers, wie überhaupt von der Gastlichkeit, welche in einem Hause geübt wird, das der Himmel in seiner unendlichen Huld mit einer Tochter oder in seiner weniger unendlichen mit mehreren Töchtern begnadet hat. Man wird sehen, mit welcher Vorsicht, welche ja nach einem bekannten Spruch gleichfalls Mutter ist, man gesetzt worden ist, ohne zu wünschen, daß man als gesetzter Mann den Platz in der beliebten bunten Reihe ausfülle.

Geht man nicht auf Freiersfüßen, auf welchen am häufigsten gestolpert zu werden pflegt, so plaudere man mit seiner Tänzerin oder Tischnachbarin derart, daß man sie nicht verleite, die Worte auszusprechen: Sprechen Sie mit meiner Mutter! Es spricht sich ja mit Müttern im allgemeinen sehr angenehm, in diesem Falle aber sind sie mit aller Bestimmtheit als künftige Schwiegermütter zu bezeichnen. Es giebt keinen kürzeren Wahn als den, daß dies nicht so schlimm sei, und keine längere Reue als die damit ihren Anfang nehmende.

Wer für vergnügungssüchtig gelten will, unterhalte sich einmal in einem Ball- oder Speisesaal mit einem jungen Mädchen unter vier Augen. Man wird sofort die Beobachtung machen, daß dies in der Nähe der Mutter geschieht, da diese sicher sofort hervortritt[47] und ihres Amtes waltet, wie dies bei Hinrichtungen vom Scharfrichter berichtet wird. Es ist dies eine sehr unterhaltende Scene, welche dem Betreffenden Vergnügen macht, weil sie, abgesehen von anderem, mit großer Präzision eintritt und verläuft.

Es giebt Männer, welche ihre eigenen Schutzleute sein wollen und immerfort die Versicherung durchsickern lassen, daß sie aus gewissen Gründen, die aber nicht vorhanden zu sein pflegen, ledig zu bleiben beschlossen haben. Aber das nützt nichts, und das wird auch, so lange es Ballmütter giebt, nichts nützen. Gerade solche Männer findet man gewöhnlich nach einiger Zeit total verlobt, da die angedeutete Versicherung den Zorn der Ballmütter weckt, welcher deren Stärke verdreifacht. Eher noch kommt ein Mann, allerdings selten, unverlobt davon, wenn er erklärt, er suche eine Frau, da dies die Ballmütter etwas mißtrauisch macht.

Junge Mädchen, deren Schönheit durch Vermögen und Erbschaftsaussichten gehoben wird, werden wegen ihrer hervorragenden Tugenden und Bildung lebhaft umschwärmt, ebenso solche, deren Häßlichkeit durch Vermögen und Erbaussichten gemildert oder ganz verdeckt wird. Jene und diese werden namentlich mit solchen Männern, welche mit unerhörter Verachtung vom Mammon – so nennen sie jede Barsumme vom blauen Schein aufwärts – sprechen, ganz besonders vorsichtig verkehren, am vorsichtigsten, wenn der Haß, mit welchem diese Männer den erwähnten Götzen verfolgen, sich in lyrischen Gedichten Luft macht, in denen der Zorn die Metrik im Keim zu ersticken pflegt. Der moderne Mann blickt das Geld von oben herab an, bis er es hat, alsdann schaut er liebend zu ihm auf.

Hält der Mann oder Jüngling sein Leben für hinreichend genossen, und hat er nach langem Suchen[48] ein Mädchen gefunden, auf dessen Vergangenheit und Gegenwart kein Stäubchen sich verirrt hat und auf dessen Zukunft kein solches sich wagen wird, und hat er den Wunsch, dieses göttliche Wesen glücklich zu machen, so braucht er nur vermögend und in angesehener Stellung zu sein, um keinen Korb zu bekommen. Er hat dann nichts weiter zu thun, als den Meineid zu leisten, seine Zukünftige sei seine erste Liebe und werde seine letzte sein. Hierauf erhält er von der Glücklichen den vermeintlich ersten Kuß und erwidert diesen durch einen unnumerierten, womit beide verlobt sind. Hierauf machen sie sich im Glückstaumel an die Arbeit, ihre Verlobungsanzeige zu verfassen und die Liste derer zu entwerfen, an welche eine Separatanzeige mit einer 2- oder 3-Pfennigmarke zu senden ist.

Nun wird dem Paar mündlich und schriftlich Glück gewünscht und zwar vielmehr als es braucht, weil das Wünschen zu nichts verpflichtet. Das schriftliche selbstverständlich, das mündliche selbstredend. Hat das Paar das Bedürfnis, die Aufrichtigkeit dieser Wünsche zu prüfen, so braucht es nur den Gratulanten, die den Bräutigam um die Braut oder die Braut um den Bräutigam beneiden, in das Herz zu sehen.

Kannten sich Bräutigam und Braut schon lange oder erst einige Tage, bevor sie zu diesen Ehrentiteln gelangten, so werden sie sich nunmehr nicht kennen lernen, da die nähere persönliche Bekanntschaft nur durch die Ehe vermittelt wird, welche jede Komödie beendet. Bis dahin ist jeder Mann ein kleiner oder großer Schauspieler und jedes Fräulein eine kleine oder große Schauspielerin.

Läßt sich die Braut ungern den Hof machen, so sei sie deshalb nicht hart gegen den Bräutigam, denn sie darf fest davon überzeugt sein, daß dies in der Ehe vollständig unterlassen wird.[49]

Ist der Bräutigam ein Freund des Schwatzens seiner Braut, so fürchte er nicht, daß sich dies in der Ehe vermindern könnte. Es wird sich im Gegenteil verdoppeln, falls dies möglich sein sollte.

Steigt in dem Bräutigam plötzlich die Befürchtung auf, seine Braut könnte mit irgend einem ihrer Jugendfreunde geflirtet haben, so täuscht er sich. Sie hat mit mehreren geflirtet.

Bekommt die Braut eine anonyme Zuschrift, in der ihr mitgeteilt wird, ihr Bräutigam habe eine Liebschaft gehabt, so glaube sie dem Schreiber dieses Briefes nichts. Denn 1. ist der Schreiber anonymer Briefe immer ein Schurke, und 2. hat der Bräutigam gewöhnlich mehr als eine Liebschaft gehabt.

Eine Braut, die ihren Bräutigam sehr lieb hat, mache ihm keine sehr wertvollen Geschenke, damit er, falls die Verlobung aufgehoben wird und er die Geschenke zurückzugeben hat, sich nicht zu kummervoll von ihnen trennen muß.

Das Brautpaar, dem zu Ehren Diners und Soupers gegeben werden, sei bei Tisch nicht zärtlich, sondern anständig, ganz abgesehen davon, daß die in der Nähe sitzenden verheirateten Gäste ganz genau wissen, daß die Zärtlichkeit keine dauerhafte ist.

Wird auf das Brautpaar getoastet, so höre es geduldig zu, indem es sich sagt, daß man doch nicht zum Vergnügen verlobt sei.

Ist man tapfer, so kann man lange verlobt sein, ohne zu fürchten, sich eines Irrtums zeihen zu müssen. Anderenfalls beschleunige man das Ende des Brautstandes.

Gute Eltern mögen ihrer Tochter nicht gestatten sich mehr als dreimal zu verloben, da sie sonst leicht als Sammlerin bekannt und gefürchtet werden könnte.

Eines der heitersten und deshalb beliebtesten Feste ist


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 46-50.
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