das erste Kind.

[64] Der Geburt des ersten Kindes sind einige allgemeine Bemerkungen voranzuschicken, welche wohl keinem und keiner Verheirateten unbekannt sind, aber trotzdem nicht vor dem Schicksal, wiederholt zu werden, bewahrt werden können.

Wünschte der Gatte sich einen Sohn, und das erscheinende Kind ist weiblichen Geschlechtes, so hat allein die Frau Schuld, welche nach der Behauptung des Gatten von ihren Eltern förmlich zur Opposition gegen ihren künftigen Gatten erzogen worden sei. Wünschte sich dagegen der Gatte eine Tochter, und das erscheinende Kind ist männlichen Geschlechts, so behauptet er das Gleiche und zwar mit demselben Ausdruck der Freundlichkeit und demselben Gefühl für Gerechtigkeit.

Wünschten sich beide eine Tochter, und das erscheinende Kind ist männlichen Geschlechts, oder wünschten sich beide einen Sohn, und das erscheinende Kind ist weiblichen Geschlechts, so unterliegt diese Enttäuschung zwar einer milderen Beurteilung seitens des Gatten, welche aber trotzdem nicht ganz frei ist von dem Vorwurf, daß seine Frau trotz ihrer Liebenswürdigkeit immer noch an den Folgen einer eigentümlichen Erziehung leide.

Ganz anders malt sich in dem Gattenkopf das Eintreffen des nicht gewünschten Geschlechts, wenn die Gattin in ihrer Erwartung getäuscht wird. Wünschte sich die Gattin einen Sohn, und das erscheinende Kind ist weiblichen Geschlechts, oder wünschte sie sich eine Tochter, und das erscheinende Kind ist männlichen Geschlechts, so wird der Gatte betonen, daß er und er allein der Herr im Hause sei, und daß hier alles[64] zu geschehen habe, wie er es wünsche. Er sagt dies auch, wenn seine Gattin garnicht zum Lachen geneigt ist und nur Lust hat, ihm mit einem Gefühl des Mitleids wie allem ähnlichen Kettengerassel des Pantoffelhelden zuzuhören. Dieses Gefühl des Mitleids kleidet sich in die mit dem Brustton der Überzeugung ausgesprochenen herzlichen Worte: »Gewiß, geliebter Mann, du bist unbeschränkter Herr im Hause, und hier gilt ganz allein dein Wille!« Sie pflegt überhaupt mehr Geist und Witz zu haben als ihr Gatte.

Will ein Mann einmal auch anderen Frauen als seiner wehrlosen Gattin gegenüber beweisen, daß er thatsächlich der Herr im Hause sei, so versuche er dies einmal der Wärterin oder der Amme oder den beiden zusammen gegenüber, und er wird sich in seiner Geringfügigkeit kaum wieder erkennen. Er wird gegen den Willen dieser beiden fast noch weniger als gegen den seiner Gattin durchzusetzen vermögen. Und das will doch nichts sagen.

Hat der Mann trotz alledem das Begehren, als Herr im Hause zu gelten, so erkläre er in der ersten Woche seiner Vaterschaft ganz energisch, so oft er sich bei Energie fühlt, er gehe zum Speisen und zum Abendessen in ein Restaurant, in ein Hotel, oder in den Klub. Da er nämlich im Wege ist und die drei Damen ihn um jeden Preis beseitigen wollen, so wird er seinen Willen ohne weiteres durchsetzen und stolz von dannen gehen. Dem Mutigen gehört eben nichts weniger als die Welt.

Ist er lange nicht ausgelacht worden, so teile er seinen Freunden und Bekannten mit, daß sein Kind schön, reizend, liebenswürdig, artig, mit einem Wort, ein seltenes Kind sei, und er setze ausdrücklich hinzu, daß er dies nicht etwa in der bekannten komischen Einbildung aller Väter sage, sondern dies auch sagen[65] würde, wenn er als Fremder an sein Kind heranträte und, um gerecht zu sein, es ganz unparteiisch beurteile.

Bekanntlich ist, beiläufig bemerkt, jedes neugeborene Kind im Urteil der Eltern eine auffallend schöne Erscheinung, mit allen und sämtlichen Vorzügen des Geistes und des Körpers ausgestattet. Namentlich auch jedes Kind, welches häßlich und mißgestaltet ist. Über die Neugeborenen nur Gutes! ist die Devise aller Eltern.

Interessant und merkwürdig zugleich ist, daß das Kind einen Januskopf hat. Der Besucher ruft nämlich, wenn ihm das Kind gezeigt wird, begeistert aus: der ganze Vater! und die Besucherin versichert nach genauer Prüfung: die ganze Mutter! Das Weinen des Kindes ändert an diesen Behauptungen nichts, auch wenn dieses Weinen in dem Gesicht des oder der Kleinen jede Spur eines antlitzähnlichen Gebildes verwischt. Entsteht zwischen den Kritikern wegen der Ähnlichkeit ein Streit, so warte man nicht den Übergang zu Thätlichkeiten ab, sondern schaffe das Kind, welches außer in einigen körperlichen Funktionen überhaupt noch keinem Menschen ähnlich sieht, schleunigst beiseite.

Die Mutter der jungen Mama feiert in den Tagen nach der Geburt ihres Enkels oder ihrer Enkeln einen Triumph, und sie hat alle Anstrengungen zu machen, nicht übermütig zu werden. In ihrer Eigenschaft als Schwiegermutter weiß sie bekanntlich, dass sie die Zielscheibe der schlechtesten Witze ist, welche die glänzende Phantasie der landläufigen Gesellschaft ununterbrochen zu ersinnen weiß. Wenn ich »ununterbrochen« sage, so meine ich: auch nach dem Eintritt des Erbrechens. Die Schwieger- und Großmutter läßt alles ruhig über sich ergehen, denn sie ist eben vor allem eine Mutter, und der Übermut und die Ungerechtigkeit der neuen Linie können ihrer Geduld[66] nichts anhaben, die bis zur Hochzeit ihrer Töchter und Söhne bis zur Dauerbarkeit des Stahls hartgehämmert worden ist. Zur Geburt ihres Enkels oder ihrer Enkelin wird sie nun zur Stütze der Wärterin erhoben, in welcher Stellung sie durch bewunderungswürdige Mitarbeit sich des Vertrauens ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns würdig zu machen weiß derart, daß sie sogar in ihrer Anwesenheit gelobt wird. Nachdem die vortreffliche Frau alle ihre in langer Ehe erworbenen Erfahrungen in die Wochenstube ihrer Tochter mitgebracht hat, wird sogar alle Frivolität vergessen, mit welcher sie von den ihrem Herzen Nahestehenden der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden pflegt, da sie sich durch Fleiß, Geduld, Tüchtigkeit, Umsicht, Anspruchslosigkeit und Sachkenntnis ungemein nützlich macht und ihren Dienstlohn allein in der Erfüllung ihres Wunsches, daß alles gut ablaufe, sucht und findet.

Ist die Schwiegermutter in dieser ihrer Würde schon mit allen Schrecken ziemlich vertraut, so schreckt sie, wenn irgend ein Fehler gemacht ist, an dem sie unschuldig ist, nicht gleich nervös zusammen, obschon sie weiß, daß man diesen Fehler ihr mit den Worten: »Na ja, die Schwiegermutter!« in die Schuhe schiebt. Sie wird lächeln und sagen: »Sehr richtig«.

Hat die junge Mutter bei dem Erscheinen des Familienglücks sehr gelitten, so leidet jetzt der junge Vater bei der Abfassung der Geburtsanzeige, die ihn in den Stand setzt, als Autor mit Stolz um sich zu blicken. Die Geburt dieser Anzeige ist eine sehr schwere, dieser vorangehenden Stilwehen dauern bedenklich lange. Man hort den jungen Vater seufzen: »Durch die Geburt eines gesunden ...«, dann: »Heute erfreute mich meine liebe ...«, hierauf: »Heute beschenkte mich ...«, bis er endlich auch das Manuskript, welches lautet: »Gestern wurde meine liebe Frau ...« zerreißt[67] und ein letztes verfaßt, das in die Expedition der Zeitung geschickt wird und irgend eine stilistische Unbeholfenheit enthält, auf die er sich etwas einbildet als auf eine Leistung, der er seine erste reine Vaterfreude verdankt.

Man mische sich nicht entscheidend in ein Windelgespräch der Umgebung des Neugeborenen, wenn man das unverschuldete Pech hat, in sie hinein zu geraten. Daselbst grassiert tagelang die Farbenblindheit, indem nach einer über die Windeln abgestatteten Parade gelb für grün und grün für gelb angesehen wird. Bis der Hausarzt die Farbe festgestellt hat, ist die Debatte darüber eine ziemlich unparlamentarische, an welcher man sich, wenn man sich nicht sehr unbeliebt machen will, nicht beteiligen darf, namentlich wenn man sich für gelb entscheiden müßte. Denn die Partei der Grünen, also die der Schwarzseher, hat selbstverständlich die Majorität.

Ist der junge Vater nicht so thöricht, wie junge Väter zu sein pflegen, so gebärde er sich vor dem Standesbeamten, dem er die Geburt seines Kindes anzeigt, nicht so, als habe er eine große Erfindung oder Entdeckung gemacht, oder als sei er der Meister eines Werkes, welches der Kunst, oder der Litteratur des Jahrhunderts zur Ehre gereicht. Denn auf den Standesbeamten macht das gar keinen Eindruck, weil er derlei Anzeigen fortwährend entgegennimmt.

Hat man Lust, eine ganz überflüssige Frage zu beantworten, so thue man diess, wenn man von den Eltern gefragt wird, welchen Namen sie ihrem oder ihrer Neugeborenen geben sollen. Denn sie haben sich für alle Fälle schon monatelang vor der Geburt des Kindes für dessen Namen entschieden. Will man aber, um gefällig zu scheinen, antworten, so schlage man für ein Mädchen Hroswitha, Miasma oder Elektra, und für einen Knaben Rübezahl, Kobold[68] oder Alarich vor, um nicht etwa den bereits längst beschlossenen vorzuschlagen, worüber sich die Eltern ärgern würden.

Unter den Tagen, welche ein gutgeführter Hausstand zu den bemerkenswertesten zu zählen hat und auch mit vollem Rechte zählt, wie einen der Tage, welche der Staat als wichtig für seine Geschichte zu feiern pflegt, muß der furchtbare Tag, an welchem


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 64-69.
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