das Abiturientenexamen

[94] passiert hat, eine erste Stelle ein. Ist es nicht mit jenem Glanz bestanden, welcher von den durch Privatunterricht[94] verursachten Mehrkosten erwartet worden ist, so beschäftigt sich die Familie mit der Tücke der Examinatoren, welcher gegenüber das schließliche Durchkommen als eine Art Wunder betrachtet werden muß, einige Zeit in den heftigsten Ausdrücken, deren Gesamtsumme eine große Reihe von Injurienprozessen nach sich gezogen hätte, wenn die Examinatoren als Ohrenzeugen fungiert haben würden. Zum Glück war dies nicht der Fall.

Ist man der Vater, so bestimmt man nun den Beruf, welchen der Abiturient zu ergreifen und die Universität, welche der hoffnungsvolle junge Mann zu besuchen, worauf man sich nur noch über die Höhe des Wechsels zu äußern hat. Alsdann erklärt sich der hoffnungsvolle Sohn mit der Höhe des Wechsels, nachdem sie nach oben etwas abgerundet ist, einverstanden und entscheidet sich schließlich für einen anderen Beruf und eine andere Universität. Man hat dann nur noch, was ziemlich bequem und einfach ist, den Zuschuß pünktlich abzusenden, welchen der Student von Zeit zu Zeit gebraucht.

Treffen nun Briefe ein, in welchen der junge Mann seinen Fleiß ausführlich schildert und sich nur darüber beklagt, daß die anzuschaffenden Bücher, ganz abgesehen von den Kollegiengeldern und sonstigen Kosten, den größten Teil des Wechsels schonungslos verschlingen, so unterlasse man das Seufzen und Jammern, da dies ganz überflüssig ist, sondern sende die Summe, durch welche der Voranschlag für den laufenden Monat überschritten wird, schleunig ab, bedenkend, daß man der Vater eines tüchtigen Sohnes sei und dieses Glück doch nicht umsonst genießen könne.

Gedeiht der Sohn an der Weisheit Brüsten bis zum Mitglied der »Luxuria« oder gar der »Perpotatia«, so darf man sich der Überzeugung überlassen, daß er,[95] wenn er in den Ferien fertig genäht nach Hause kommt, sich sofort als perfekter Fechtlehrer etablieren kann.

Man wird sich aber in der Gesellschaft eines solchen Sohnes eines Gefühls der Sicherheit erfreuen, abends nicht in die Kneipe und andere kurzweilige Lokalitäten mitgenommen zu werden, wodurch man nicht nur vor höchst peinlichen Katern, sondern auch vor untugendhaften Seitensprüngen vollständig geschützt ist, welche namentlich in den Bars kaum zu vermeiden sein würden.

Wird der junge Mann dann noch obenein als Einjährig-Freiwilliger einer der Schützer von Thron und Altar, so hat seine Familie in ihrer Mußestunde eine angenehme Beschäftigung, indem sie nichts anderes zu thun braucht, als stolz zu ihm hinaufzublicken, während der Vater außerdem die Schulden bezahlt, welche ein Freiwilliger auf der Leiter zur Unteroffizierwürde selbst in der kleinsten Garnisonstadt zu machen weiß.

Es folgt dann der bedeutungsvolle und wichtige Tag, an welchem der junge Mann als


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 94-96.
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