Dichter

Dichter

[21] vor, einerlei, ob dieser ein dramatischer oder lyrischer sei. Der dramatische Dichter ist als der seltenere und interessantere in erster Linie heranzuziehen, während der lyrische durch seine kolossale Häufigkeit – wer wäre nicht lyrischer Dichter! – eigentlich wenig beachtet wird. Die Schuld dieser Häufigkeit mit ihren traurigen Folgen trägt die moderne Dichtung, deren Vertreter derart in den Tag hinein und darauf los dichten, daß das Liebes-, Frühlings-, Milieu-, Träume-, Untreue- und ähnliches Dichten von jedem Ahnungslosen und Nichtkönner wie etwa das Radeln, das Rauchen, das Bummeln und das Anekdotenerzählen ausgeübt wird. Jeder meint mit gutem Recht, unverständlich dichten könne er auch, da er deutlich sieht, daß zu einem Gedicht nichts weiter gehört, als die Kunst, ganz kurze Zeilen, deren Anfangswort, auch wenn es kein Hauptwort ist, großgeschrieben wird, niederzuschreiben. Auf diese Weise entstanden in den letzten Jahren Millionen Lyriker, welche sich wie Schulden, Kaninchen, Erfinder, Überbrettl und Denkmäler vermehrten. Dagegen blieb der dramatische Dichter eine Rarität, weil ein solcher doch, um genannt zu werden, mit seinem Werk auf der Bühne erscheinen und mit ihm durchfallen oder gefallen muß, während sich das Publikum um den Dichter von Buchdramen und solcher Dramen, welche im Manuskript nur eingereicht und abgelehnt werden, nicht bekümmert. Mit einem solchen Autor zu verkehren, ist leicht, und es bedarf nur einiger Ratschläge, um diesen Verkehr zu regeln.

Wird man vom Zufall mit einem Buchdramendichter zusammengeführt, so schimpft man mit ihm, um ihn etwas zu beruhigen, auf die Leiter der »Kunstwarenhäuser«,[21] – so, wenn nicht schlimmer, nennt der »nicht aufgeführte« Dichter die Theater, – welche die »Fabrikware« der »Macher« dem echten Kunstwerk vorziehen, nur um Geld in ihren Beutel tun zu können.

Man braucht seine Buchdramen nicht zu kennen, denn er nimmt in seinem unberechtigten Stolz gar nicht an, daß man sie etwa nicht gelesen habe. Man hüte sich aber, ihm bedauernd zu gestehen, daß man sie nicht kenne, da man sie in diesem Fall sofort von ihm bekommt und nun bei dem nächsten Zusammentreffen scharf verhört wird. Dann muß man, um das Examen halbwegs bestehen zu können, die Stücke gelesen haben.

Als vorsichtiger Mann nenne man bei dieser Gelegenheit die Theaterintendanten und Direktoren, welche seine Stücke nicht aufführen, hirnverbrannt oder Verbrecher, da man sich andernfalls der Gefahr aussetzt, von dem Verkannten beleidigt oder gar mißhandelt zu werden. Haben die Theaterintendanten und Direktoren für ihre Ablehnung den Grund angegeben, daß das Stück sicher ausgepfiffen werden würde, so bezeichne man sie als Dummköpfe, die sich von Feinden und Neidern des Buchdramenautors willenlos leiten ließen.

Den lyrischen Dichter nenne man immer den größten der nachheineschen Zeit. Hält er Heine nicht für einen Lyriker und fühlt er sich infolge dessen gekränkt, so entschuldige man sich und korrigiere sich dahin, daß man ihn den größten der nachgoetheschen Zeit nennt.

Hält er, was möglich wäre, auch Goethe nicht für lyrisch begabt, so setze man ihm einen Cognac vor, welcher immer etwas Beruhigendes für einen lyrischen Dichter hat, der, wie man sehen wird, schon nach dem zweiten und dritten Cognac die Gründe[22] auseinandersetzen wird, welche ihn veranlassen, gegen Goethe so streng vorzugehen. Man erkläre alsdann diese Gründe für durchaus gerechtfertigt.

Will man dem Lyriker eine große und freudige Überraschung bereiten, so kaufe man ein Exemplar seiner Gedichte und teile ihm dies mit. Er wird dann ausrufen: »Ach, Sie sind das?« Denn es ist überhaupt nur Ein Exemplar verkauft worden, wie er von seinem Verleger erfahren hat.

Will man ein gutes Werk tun, so leide man nicht, daß der lyrische Dichter während der Dauer seines Besuchs ein Gedicht zu Papier bringe. Nicht wegen des Papiers. Es bleibt immer eine schöne Erinnerung, wenn man daran denkt, daß man einmal im Leben ein modernes lyrisches Gedicht im Keime erstickt habe, und es ist hübsch, wenn man davon den Enkeln, die man auf den Knieen schaukelt, erzählen kann.

Für den Umgang mit dramatischen Schriftstellern sind andere Regeln aufzustellen, deren einige ganz besonders wichtig zu sein scheinen.

Wird man einem dramatischen Schriftsteller vorgestellt, dessen neues Stück vor einigen Tagen die Erst-oder, wie man neuerdings sagt, die Uraufführung durchmachte und der man beiwohnte, so sage man ihm, daß man derselben beizuwohnen leider verhindert gewesen sei. Auf diese Weise entgeht man dem Verdacht, einer der boshaften Zischer gewesen zu sein, welche nach jedem Akt dem Beifall der zahlreichen Freunde entgegentraten.

Ist man mit dem dramatischen Dichter befreundet und von ihm eingeladen worden, das neue Stück von ihm vorlesen zu hören, so lausche man in der Vorlesung mit der gespanntesten Aufmerksamkeit. Denn man ist nicht zum Vergnügen Freund, namentlich nicht Freund eines dramatischen Autors. Wer das Gegenteil glaubt, der frage nur einen seiner Intimen.[23]

Wer sich auf seine freundschaftlichen Beziehungen zu einem dramatischen Autor, etwas einbildet und wünscht, daß dies allgemein bekannt werde, applaudiere in der Première an jeder unpassenden Stelle. Zwar schadet dies dem armen Autor ungemein, aber wenigstens die Nächstsitzenden werden einstimmig erklären, daß man mit dem Autor liiert sei.

Will man diese Nächstsitzenden in dieser Meinung bestärken, so sehe man sie wütend an, wenn sie merken lassen, daß sie den Applaus überflüssig finden. Allerdings schaden diese wütenden Blicke gleichfalls dem Erfolge des Stückes, aber auch in der Freundschaft heiligt der Zweck die Mittel.

Dasselbe gilt auch von dem Wortwechsel, auf welchen man sich später mit den Gegnern des überflüssigen und störenden Beifalls einläßt.

Wird am Schluß der Akte und des Stückes gezischt, so rufe man laut und vernehmlich nach dem Autor. Dann gilt man um so gewisser als Freund desselben. Allerdings wird dadurch die Opposition nur verstärkt und der Erfolg immer mehr in Frage gestellt, aber man erreicht sicherer, was man erreichen will.

Ist man ein Feind, einerlei, ob ein persönlicher, oder ein litterarischer Gegner des Autors, so handle man genau so wie der Freund, und das Stück wird schon nach einigen Tagen vom Repertoire verschwinden.

Ist man vom Autor eingeladen, nach der ersten Aufführung für den Fall, daß die Novität einen Erfolg gehabt habe, mit ihm und anderen seiner Freunde in einem Restaurant zusammenzukommen und das schöne Ereignis zu begießen, so erscheine man nach der Vorstellung pünktlich an der bezeichneten Stelle, auch wenn der Erfolg ein Mißerfolg gewesen ist, wenn man sich nicht dem Verdacht aussetzen will, daß man den Erfolg für das hält, was er tatsächlich gewesen ist.[24] Denn der Autor wird den Mißerfolg um keinen Preis zugeben, wenn er auch nicht bestreiten will, daß wieder einmal einige ihm feindlich gesinnte Pöbelmassen eine von langer Hand organisierte Opposition gebildet haben. Wenn ein Stück nichts taugt, so hat immer das Publikum Schuld.

Verbietet ein Autor seinen Freunden, ihm einen Lorbeerkranz auf die Bühne zu werfen oder zu senden, so gehe man sofort in einen Blumenladen und bestelle einen solchen Kranz, der nicht zu klein ist. Man wird dies durchaus im Sinne des Autors tun, der es dem Spender niemals vergessen wird.

Will man nicht undankbar behandelt werden, weil dies schmerzlich berührt, so sei man nicht Mitglied des Theaters, welches die Novität zur Aufführung bringt, oder doch wenigstens nicht darin mit einer Rolle bedacht. Denn wenn das Stück mißfällt, so hat man jedenfalls die Rolle miserabel gespielt, und wenn das Stück einen starken Erfolg erringt, so war die Rolle eine so dankbare, daß sie absolut nicht vergriffen werden konnte und auch einem mittelmäßigen Darsteller gelungen wäre.

Der Darsteller versuche auch nicht, seine Rolle in der Novität in einer von ihm als wirksam erprobten Auffassung darzustellen, die von der des Autors abweicht. Denn wenn das Stück durchfällt, so hat seine Auffassung der Rolle Schuld, und wenn das Stuck ein Zugstück wird, so hat seine Auffassung zum Glück nicht geschadet, oder das Zugstück wäre noch mehr Zugstück geworden, wenn die Rolle nach den Intentionen des Autors aufgefaßt worden wäre.

Ist der Autor gerufen worden und sofort zur Verbeugung erschienen, so frage man ihn, warum er so lange habe auf sich warten lassen. Ist er nicht gerufen worden, sondern mit den gerufenen Darstellern erschienen, so frage man ihn, ob er denn nicht gehört[25] habe, daß er und er ganz allein gerufen worden sei. Beides läßt sich der Autor sehr gern fragen, obschon er genau weiß, was vorgefallen ist.

Beklagt sich ein Autor in den bittersten Worten über die Veröffentlichung des Titels seines neuen Stücks, indem er hinzusetzt, daß man ihm jetzt vorwerfen werde, in die Posaune der Reklame gestoßen zu haben, so sei man fest davon überzeugt, daß er selbst es war, der den Titel seines neuen Stücks veröffentlicht hat.

Ist man selbst dieser Autor, so mache man es genau ebenso und leugne dies gleichfalls.

Hat man mit seiner Novität Glück gehabt und wird man an der Abendtafel von einem Kollegen in einem Toast als der hervorragendste Dramatiker der Neuzeit gefeiert, so lehne man bescheiden diesen Titel ab, um zu zeigen, daß man ihn als den richtigen annimmt, während der Kollege überzeugt ist, daß ihm dieser Titel wirklich nicht gebührt, wohl aber ihm, dem Kollegen, der denn auch später anderen Kollegen gegenüber erklärt, er habe selbstverständlich nur in der Feststimmung so freigebig geredet.

Ist man einer dieser anderen Kollegen, so hat man natürlich keinen Augenblick daran gezweifelt.

Man bezichtige den dramatischen Dichter schon nach dem zweiten Akt der Erstaufführung des Plagiats, nicht weil dies zu früh, sondern nach dem Schluß der Vorstellung vielleicht zu spät sein würde. Hat man aber rechtzeitig das Plagiat gerochen, so bleibt etwas hängen, besonders wenn der Vorwurf ein ungerechter ist.

Ist man bei dieser Gelegenheit als simpler


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 21-26.
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