Bürgermeister

[32] zu sein. Das Amt ist häufig ein undankbares, weil man es vielen recht machen soll und nicht recht machen kann, und es gibt eine ebenso abhängige wie unabhängige Stellung.

Wer zufällig von Männerstolz vor Königsthronen erfüllt ist, strebe den Bürgermeisterposten nicht an, oder nur dann, wenn man einmal sehen will, wie lange man vergeblich auf die Bestätigung zu warten hat.

Ist man aber verheiratet und hat eine Frau, welche gerne Frau Bürgermeisterin sein will, so hilft ja kein Widerstreben. Man versuche es also, gewählt zu werden. Zu diesem Zweck schließe man sich der Majorität derjenigen an, welche den Bürgermeister wählen.

Will man sichergehen, so sei man etwas liberaler als die Liberalen und etwas konservativer als die Konservativen, oder etwas konservativer als die Liberalen und etwas liberaler als die Konservativen. Ist man kein perfekter Versprecher, – es liegt viel daran, daß man ungemein viel versprechen kann, – so nehme[32] man etliche Stunden bei einem befreundeten Sozialdemokraten. Sollte man auch nicht tüchtig im Fordern sein, so mache man darin einen Kursus bei einem notleidenden Landwirt durch, oder gehe in die Lehre zu einem Zentrumsmann, der nicht prügelt, aber statt zu essen gibt.

Bildet man sich ein, Verse machen zu können und dadurch ein Dichter zu sein, so lasse man sich nicht zum Bürgermeister wählen, weil die Erfahrung lehrt, daß nach vollzogener Wahl die Verse schärfer angesehen werden und daß dann der Dichterruhm zum Teufel geht oder von demselben geholt wird, was kein Unglück, aber nicht angenehm ist.

Ist man gewählt, so stelle man an der dazu bestimmten Stelle sein Programm auf, nach welchem man allen und noch einigen mehr zur vollkommenen Zufriedenheit die Bürgerschaft lenken will. Programme haben die Eigenschaft, daß sie Dokumente sind, aber weiter nichts.

Hat man Haltung, so empfange man Deputationen, oder einzelne Delegierte und erfülle sie mit Hoffnungen, Versprechungen, Aussichten und Beruhigung. Im anderen Fall bitte man um schriftliche Eingaben. Man erweckt Hoffnungen, verspricht, stellt in Aussicht und beruhigt schriftlich noch leichter als mündlich.

Ist man genügend vorbereitet, Undank zu empfangen und geduldig zu ertragen, so opfere man alle Kräfte zum Wohl der Bürger und Stadt. Man kämpfe mit den Gegnern aller Neuerungen, um Reformen durchzusetzen, welche die Gesundheit der Bevölkerung schützen, den Verkehr heben, das Handwerk beleben und dem Handel und der Industrie neue Wege öffnen. Man wird verhöhnt, zum Feind der Stadt ernannt und bei der Regierung verklagt werden, aber man ist vorbereitet, der Welt bekannten Lohn[33] zu empfangen, und so kann alles noch gut werden. Ist man aber ein Freund der Ruhe und ein Feind der Nervosität, so lasse man alles bei dem bekannten biederen Alten, der unter dem Namen Schlendrian noch immer in den weitesten Kreisen beliebt ist. Selbst im Zeitalter der Elektrizität nimmt der alte Schlendrian noch immer eine geachtete Stellung ein und ist von guten Freunden umgeben, welche ihn gegen alle Versuche, ihn zu beseitigen, bis aufs Messer verteidigen. Aber selbst unter seinen Gegnern gibt es solche Männer, welche von Zeit zu Zeit den Alten gern sehen und sich hüten, mit ihm zu brechen, indem sie behaupten, er sei doch schließlich ein Alter, das man ehren müsse, besonders weil er vor Thorheit schütze.

Will man sich nicht in seiner ehrenvollen Stellung behaupten, so habe man mit Mannesmut keine Furcht, an höchster Stelle anzustoßen und fürchte sich auch nicht vor dem Fall in die Ungnade. Bald wird man eine Erholungsreise antreten und nicht wieder in die alte Stellung zurückkehren. Hat man dann noch keinen Orden, so bleibt es dabei.

Will man indeß das Gegenteil, so widme man sich in den Mußestunden und außerhalb derselben dem Studium des Verbeugens. Es ist gewiß nicht leicht, ein perfekter Verbeuger zu werden, man scheue aber keine Mühe, sich in dieser Kunst eine gewisse Virtuosität anzueignen, ohne zu diesem Behuf bei einem Schauspieler Unterricht zu nehmen, da ein solcher selten diskret ist und es keinen guten Eindruck in der Bürgerschaft macht, wenn von dem Bestreben ihres Bürgermeisters bei jedem Stehseidel gesprochen wird. Nicht nur für diesen, sondern für jeden, der auf einer ähnlichen Beamtenstufe an maßgebender Stelle nicht nur nicht anstoßen, sondern sich zur Beförderung beliebt machen will, werden folgende Fingerzeige nützlich sein:[34]

Das Katzbuckeln sieht nicht hübsch aus, ist aber eben durch diese Eigenschaft von jeder Katze zu lernen, indem man diesem falschen Tier mit der Hand über den Rücken streicht.

Das Bücken ist wohl was schwer, aber von einem geübten Turner schon nach einigen Übungen zu erlernen. Ist man kein guter Turner, so betrachte man ein Ährenfeld, wenn der Sturm darüber hinfährt. Auch kann man es dem in voller Tätigkeit begriffenen Lumpensammler abgucken, ebenso dem Junggesellen, der seine Hausschuhe unter dem Bett sucht.

Das Gehen um den Bart ist ziemlich mühelos, da ein wirkliches Herumgehen nicht stattfindet, sondern durch Schmeicheln ersetzt wird. Ebenso mühelos ist das Umschmieren des Mundes mit Honig. Der Honig wird durch schöne Worte ersetzt. Mund sagt man bei Höherstehenden, Maul bei allen andern.

Kratzfüße macht man leicht dem Tauber nach, wenn man ihn in seiner Liebesbrunst beobachtet. Vor den Höherstehenden wiederholt man diese Bewegung dann, ohne irgend etwas wie Liebe zu empfinden.

Den Mantel dreht man nach dem Winde, ohne daß man dazu eines Mantels bedarf, sondern nur einiger Gesinnungslosigkeit, die der Streber immer bei der Hand hat.

Will oder muß man zu Kreuz kriechen, so bedenke man, daß das Kriechen nicht vor Übereilung warnen soll. Im Gegenteil nehme man das Wort Kriechen nicht wörtlich, sondern beschleunige den Weg, um den Höherstehenden nicht ungeduldig zu machen.

Will einem der Höherstehende zeigen, was eine Harke ist, so sage man nicht etwa, daß man dies bereits wisse, sondern stelle sich sehr erfreut, endlich jemand gefunden zu haben, der die Bekanntschaft mit dem bezeichneten nützlichen Gartengerät vermittelt.

Es wird sich wohl noch Gelegenheit finden, diese[35] Fingerzeige für Streber und Kleinbeigeber zu vermehren.

Von öffentlichen Persönlichkeiten, mit denen zu verkehren nicht so einfach ist, wie dies wünschenswert wäre, sei jetzt


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 32-36.
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