der Stadtreisende,

[94] ein Mann, der zwar nicht den Anspruch auf Berühmtheit erhebt, dennoch aber wenigstens in gewissem Sinne Forschungsreifen unternimmt. Er sucht Menschen heim, um danach zu forschen, ob sie Wein oder Zigarren gebrauchen. Das Terrain seiner Tätigkeit ist ein beschränktes, kein Weltteil, sondern höchstens ein Weltstadtteil, oder eine kleine Stadt, oder eine Reihe von Landhäusern und Gütern. Er kennt den Tropenkoller kaum dem Namen nach und ist froh, wenn die Kundschaft keine Nilpferd- und überhaupt keine Peitsche hat und nicht selbst vom Stadt- und Landkoller ergriffen ist. Dennoch ist der Verkehr mit ihm nicht so leicht, wie vielleicht angenommen wird. So z.B. ist der Globetrotter leichter als der Urbstrotter loszuwerden.

Um den Stadtreisenden rasch loszuwerden, stelle man zuvörderst fest, was er anbietet. Reist er nun in Zigarren, so rede man ihn mit den Worten an: »Sie sind mir sehr willkommen, denn da Sie in Zigarren machen, so kommen Sie gerade zur rechten Zeit. (Man nimmt eine Zigarre aus der Tasche und zeigt sie ihm.) Von dieser Zigarre habe ich durch Zufall zu einem enorm billigen Preis 50000 Stück abzulassen. Ich habe sie von einem Verwandten geerbt.« Alsbald verspricht der Stadtreisende, sich das Anerbieten zu überlegen und wiederzukommen. Er kommt aber nicht wider.

Reist der Stadtreisende in Weinen, so bietet man ihm in ähnlicher Weise eine größere Partie Wein an und ganz gewiß mit demselben Erfolg.

Alle anderen Mittel sind verbraucht und nutzlos. Die Behauptung, man sei krank und der Arzt habe Rauchen und Trinken verboten, reicht wohl aus, den Stadtreisenden zu entmutigen und den Kürzeren zu ziehen, aber dies gelingt doch erst nach geraumer Zeit und ermüdenden Anstrengungen.[95]

Hat sich der Stadtreisende mittels einer Visitenkarte, auf der nur der Name und nicht auch der Titel angegeben ist, eingeschlichen und hört man erst dann, um was es sich oder mit welchem Artikel er handelt, so bedauert man, keinen Augenblick Zeit zu haben und ist von da an nicht zu Hause. Aber auch dann ist man nicht sicher, und man wird auf unseren ersteren Rat, ihn mit seinen eigenen Waren zu schlagen, zurückkommen.

Man sieht, daß der Umgang mit dem Stadtreisenden sich leicht regeln läßt, leichter als der mit dem Globetrotter und anderen ganz- oder halbnärrischen Menschen, von denen bisher gesprochen worden ist. Das Närrische, welches wir in größeren oder kleineren Quantitäten, in Menge oder in kaum auffallenden Dosen im Menschen vorfinden, soll hier nicht mit Abscheu erwähnt worden sein. Jeder Mensch ist ja doch etwas närrisch, auch wenn er auf den ersten Blick völlig frei von jeder Narrheit zu sein scheint. Erklärt er sich selbst von jeder Narrheit völlig frei, so ist dies schon närrisch, und wenn man dann näher zuschaut, wird man dies bestätigt finden. Etwas Narrheit ist jedem Menschen angeboren, es kommt nur darauf an, wie das Leben, der Beruf, das Schicksal, der Verkehr auf sie einwirken und sie einschränken oder ausbilden. Ganz aber ist sie nicht zu unterdrücken, und eine Spur läßt sich selbst in den Größten, den Gelehrtesten, den Genialsten und den Besten immer nachweisen. Unter diesen ist auch


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 94-96.
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