II. Teil.

[28] Das erste Jahr hatte ich hinter mir, ich hoffte von dem kommenden besseres. Ob meine Hoffnung in Erfüllung ging, mußte die Zeit lehren. Ich mußte viel an Herrn Möllers Äußerung denken: »Dat ist en Satan«; aber bange machen gilt nicht, dachte ich, nur mit frischem Mut angefangen. In diesem Hause wurde ein Diener gehalten zur Aufwartung des Herrn, das war mir schon bei meiner Vorstellung von den Damen gesagt worden. Von den Damen sage ich; es war eine alte Dame, die Frau des Hauses, und eine jüngere, die Schwiegertochter da, welche zusammen den Haushalt führten. Der Diener war vom Herbst her schon in diesem Hause, wie er mir bald nach meiner Ankunft erzählte und wäre wohl die längste Zeit hier gewesen, fügte er gleich hinzu. »Warum denn?« frug ich, »hat man's hier denn nicht gut?« »O gewiß,« sagte er, »ich will nichts gesagt haben, aber erleben werden Sie hier noch allerlei.« »Wir haben auch vor ein paar Tagen ein neues Kleinmädchen bekommen,« erzählte er weiter, »sie wird gleich runter kommen, dann können wir zusammen Abendbrot essen. Für mich wird es die höchste Zeit; denn ich muß um 10 Uhr den Herrn zu Bette bringen.« »Den Herrn zu Bett bringen?« fragte ich. »Ja, wissen sie das denn garnicht, daß der Herr gelähmt ist und auch im Kopf nicht recht richtig ist?« »Nein,« sagte ich, »das hat mir keiner erzählt.« »Na,« fuhr er fort, »und bei ihr rappelts auch häufig.« »Schöne Aussichten!« denke ich. Das Kleinmädchen, Käthe, war ein kleines, zierliches, müde aussehendes Mädchen, den Kopf voll brauner Löckchen. Teilnahmsvoll fragte ich sie, ob sie müde sei. »Ach ja,« antwortete[28] sie, »man kommt hier ja auch den ganzen Tag nicht zur Ruh,« und müde ließ sie sich auf einen Stuhl nieder, um Abendbrot zu essen, aber eben hatte sie den ersten Bissen im Mund, da klingelte es. »Einmal, zweimal,« zählte sie und sprang schon wieder auf und ging nach oben. Das kleine Ding, sie tat mir leid, sie schien noch sehr jung zu sein und war auch wohl bleichsüchtig. Sie kam gleich wieder herunter, mit einem Gläschen in der Hand, das oben vergessen worden war. »Ja,« klagte sie, »so geht's hier immer, um jede Kleinigkeit muß man die Treppen steigen und das macht mich so müde.« »O, das kömmt noch besser,« meinte der Diener, »passen Sie mal auf, wenn die Alte ihre Umstände hat, dann bekommt sie auf'n Kopf einen Eisbeutel, auf'n Leib einen warmen Kleibeutel und an die Füße eine Wärmeflasche. Für's erste hab ich aufzukommen, für den Kleibeutel die Köchin und für die Wärmflasche das Kleinmädchen. Dann rennen wir uns auf den etwas schmalen Treppen fast um.« Wir lachten über den Witz und dachten: »So schlimm wird's wohl nicht werden.«

Von mir wurde an diesem Abend nichts mehr verlangt, aber das arme, kleine müde Kleinmädchen mußte noch einige Male noch oben. Gern hätte ich ihr ja einen Gang abgenommen, aber ich war fremd und kannte nicht die Verhältnisse dieses Hauses. Endlich, so um 1/212 Uhr, konnten wir zur Ruhe gehn. Meine Kollegin war nicht sehr gesprächig, überhaupt auch nicht sonderlich freundlich zu mir. Ich verdachte es ihr weiter nicht; es war wohl mehr ihrer Müdigkeit zuzuschreiben. Ich fragte auch nichts mehr, hatte schon genug gesehen und gehört, was mir zu denken gab. Wer selbst in Stellung ist, oder gewesen ist, kann es mit mir empfinden, wie ungemütlich der erste Tag bei einer neuen Dienstherrschaft ist.

Am andern Morgen mußte ich in diesem Haushalt den Kaffee bereiten. Käthe zeigte mir eine gefüllte Kaffeedose und bemerkte dabei: »Nur recht kräftig den Kaffee machen, so sind die Herrschaften ihn gewohnt.« Na, das wollte ich schon besorgen, wenn[29] ich nur was hatte dazu. Es war aber nicht so einfach, wie man sich das denkt, das Kaffeetrinken in diesem Hause. Für zwei Personen wurde im Eßzimmer gedeckt, Käte hatte dieses zu besorgen. Dann hatte ich ein Teebrett in Ordnung zu machen für den Herrn, welches um 7 Uhr von Heinrich, so hieß der Diener, geholt wurde. Auf dieses Teebrett mußte eine kleine gefüllte Kaffeekanne, ein kleiner Rahmguß und ein kleines Zuckertöpfchen, natürlich auch gefüllt, eine Tasse und ein Teller mit geschmierten Butterbrötchen gestellt werden. Das zweite Teebrett, etwas größer, wurde ein wenig später von Käthe nach oben getragen und war für die beiden Damen bestimmt. Auf dieses Brett mußte ich Kaffeekanne, Rahmguß und Zuckertöpfchen von etwas größerem Umfange setzen, dazu zwei Tassen und statt der geschmierten Brötchen ein silbernes Brotkörbchen mit Rundstücken und Schwarzbrot, eine Butterglocke mit Butter, zwei Teller und zwei Messer. »So, nun wäre also der dritte Kaffeetisch gedeckt,« dachte ich. Wie wurde es hier doch so ganz anders gehandhabt, als bei Möllers. Da habe ich nichts vom Kaffeeservieren gesehen noch gehört.

Im Eßzimmer tranken die zwei Töchter der Schwiegertochter Kaffee, ein junges Mädchen von 18 Jahren und ein jüngeres von 12 Jahren. Die letztere mußte ja zur Schule, sonst würde die auch am liebsten im Bett ihren Kaffee trinken, so bequem und faul sei sie, sagte mir Käthe. Nur von der 18jährigen jungen Dame sprach sie mit Ehrfurcht und Verehrung. Auch mein Herz eroberte sie im Sturm, wie sie zu uns in die Küche kam. Ihr Wesen war einfach und fein. Sie bot uns einen freundlichen Morgengruß und sagte wahrheitsgetreu, sie wäre nur herunter gekommen, um die neue Köchin mal zu sehen. Bei diesen Worten nickte sie mir zu. Sie hatte wundervolles blondes Haar, einen Teint wie Milch und Blut, frische rote Lippen und herrliche Veilchenaugen. Ich hatte noch nie so viel Schönheit in einem Gesicht vereint gesehen. Sie fragte mich, ob's mir recht sei, wenn sie ab und[30] zu mal beim Kochen helfe, sie möchte es so gerne lernen. Ich bejahte die Frage, dann verschwand sie mit dem Bemerken: »Großmama und Mama werden gleich herunter kommen.« So war es auch. Auch diese Damen waren nett zu mir. Die jüngere Dame trug den Schlüsselkorb, und Frau Sparr das Kochbuch. Hier wurde es nicht so knapp bemessen, wie bei Möllers, das merkte ich sofort. Auch Nachtisch sollte es hier fast immer geben, hatte Frau Sparr mir beim Vermieten gesagt. Ich hatte ihr aber gleich geantwortet, daß ich darin schlecht bewandert sei, weil es bei Möllers so selten solche Leckerbissen gab, daß ich aber große Lust hätte, auch dieses zu lernen. Zu diesem Zweck brachte sie das Kochbuch mit. »In diesem Buche stehen so viel schöne Rezepte,« sagte sie zu mir, »wenn Sie die erst alle bereiten können, sind sie eine perfekte Köchin.« Es wurde ein leicht zu bereitender kalter Pudding für heute ausgesucht. »Lesen Sie das Rezept nur einige Male über, damit Sie wissen, wie es gemacht wird; wir nehmen das Kochbuch immer gerne gleich wieder mit nach oben,« sagte sie. Das war schade, ich dachte es stände mir zur Verfügung. Für heute wurde ich auch ohne Kochbuch fertig, aber es konnte doch auch mal anders sein. Frau Sparr sagte mir näher Bescheid über die Fleischspeise und Suppe, wie es bereitet werden sollte. »Nicht wahr, Gustchen?« endete sie fast jeden Satz, zu ihrer Schwiegertochter gewendet. »Ja, Mamachen, wie du meinst«, oder: »Mir ist es recht, Muttchen« antwortete diese, das »chen« spielte eine große Rolle. Wo es nur angewendet werden konnte, wurde es angewendet. Wie liebenswürdig sich das anhörte »Ach, was ich noch sagen wollte,« kam sie nochmal zurück, »wir mögen den Namen Doris garnicht leiden, das klingt ja so altfränkisch. Wir werden Sie Dora nennen, das hört sich ja viel netter an.« Ob ich damit einverstanden war, wurde nicht gefragt. Nun war ja ein früherer Wunsch erfüllt, Dora statt Doris genannt zu werden. Damals war ich 14 Jahre alt, dann hat man ja noch recht törichte Wünsche. Ich hielt einen regen Briefwechsel mit meinem Bruder, welcher damals schon[31] Lehrer in Hamburg war, auf dessen Wunsch, damit ich mich im Rechtschreiben übte. Die Fehler teilte er mir im nächsten Briefe mit und schrieb mir dann, wie es richtig heißen müßte. Es war dankenswert von ihm. Einen solchen Brief an meinen Bruder hatte ich mit »Dora« unterzeichnet, ich hoffte ja, er würde mich nun auch fortan mit Dora anreden, aber er tat es nicht ohne Zugabe. Die Anrede in den Briefen von meinem Bruder lauteten von da an: »Liebe Dora! (früher genannt Doris)!, bis ich denn wieder meinen ursprünglichen Namen schrieb. Mit meinen 21 Jahren dachte ich schon anders darüber. Nun war ich ohne meinen Wunsch eine ›Dora‹ geworden.«

Hier gab's gutes und reichliches Essen, ja hier schien Essen und Trinken die Hauptrolle zu spielen. Obgleich schon um 3 Uhr zu Mittag gegessen wurde, mußte es um 11 Uhr ein warmes Frühstück geben. Ich hatte es natürlich zu besorgen, auch mußte ich recht viele Hausarbeit machen, daß es mir manchmal unmöglich schien, mit allem fertig zu werden. Das Schlimmste war, sie ließen uns nie in Ruhe unsre Arbeit machen. Zehnmal und mehr wurde man abgerufen, um dieses oder jenes zu besorgen, und nachher wunderten sie sich, daß wir noch so weit zurück mit unsrer Arbeit waren. Ich mußte z.B. jeden Morgen das große 12 jährige Mädchen an die Bahn bringen, welche 10 Minuten Weges von unserm Hause entfernt war, weil das kleine Fräulein den Weg alleine so »langweilig« fand; am liebsten hätte sie auch gesehen, daß wir sie wieder abholten, aber um die Zeit konnte keine abkommen. Käthe hatte es ja zuerst getan, sie konnte aber wirklich nicht zu der Zeit mit ihrer Arbeit fertig werden und ließ sie dann einfach liegen. Das sollte aber ja auch nicht sein und schließlich wurde denn beschlossen, daß »Hennichen« alleine nach Hause kommen mußte. Hennichen paßte überhaupt schlecht auf sie, denn sie war für ihr Alter sehr groß und dick; der Diener nannte sie immer »unser Elefantenküken«, fügte auch häufig hinzu, daß es einen nicht zu wundern brauche, wenn sie so dick würde, denn[32] die und ihr Großpapa äßen ja wie »so'n paar Scheunendrescher«. Der alte Herr war auch sehr dick, zum großen Leidwesen des Dieners, denn der mußte sich mit ihm abplagen; etwas gehen konnte er noch, wenn er kräftig gestützt wurde. Der Diener mußte ihn im Sommer jeden Tag eine Stunde spazieren führen, im Winter in einem Rollwagen fahren, und er wußte uns immer allerlei zu erzählen nach seiner Rückkehr von den komischen Einfällen des Herrn. So hat er eines Tages nicht am Postamt vorbei wollen, ein andermal mußte er mit ihm eine Zeit lang hinter einem Mädchen in hellen Kleidern herlaufen, weil er behauptete, das wäre »unsre Dora« und er wollte wissen, wohin sie ging; er ließ sich schwer von seinen Ideen abbringen. Seine Taschentücher mußte ich waschen, obgleich sonst alles, außer der Wollwäsche, nach dem Bleicher kam; er nahm aber kein Taschentuch an, das beim Bleicher gewaschen war, »das hat Dora nicht gewaschen«, mit diesen Worten warf er es beständig wieder weg, wahrscheinlich konnte er es ja riechen, da die Behandlung der Wäsche beim Bleicher ganz anders ist. Ich wurde darob natürlich immer weidlich geneckt von Käthe und Heinrich. Käthe war überhaupt nicht gut angeschrieben bei ihm, sie konnte ihn nicht leiden und war deshalb wohl nicht sehr freundlich zu ihm. Sie glaubte immer, er stelle sich nur krank, und er war doch wirklich nicht normal, wenigstens nicht immer. Wenn er dann mal irgend etwas von ihr wünschte, gab sie keine Antwort. Dann wurde er sehr böse und nannte sie nur Kathrin und das ärgerte sie, daß ihr schöner Name von ihm so verdreht wurde. So lebten die beiden immer wie Katze und Hund. Ich war vernünftiger und sah in ihm nur den kranken Mann, wenn es irgend angängig war, ging ich auf seine sonderbaren Wünsche ein; so kam ich ganz gut mit ihm aus. Aber später habe ich manchmal gewünscht, ich stände weniger in seiner Gunst; denn ich mußte manches verrichten, was sonst Käthe zugekommen wäre, wenn der Diener mal ausgegangen war. Aber dann sagte er bei jeder Gelegenheit: »Nein, die Kathrin soll es mir nicht bringen, Dora[33] soll es bringen, oder Dora soll es tun,« und ich hatte so wie so sehr viel um die Ohren, denn alle paar Stunden wollten die Herrschaften irgend etwas genießen, das ich als Köchin natürlich bereiten mußte.

Wenn es einmal klingelte, war ich gemeint, wenn zweimal das Kleinmädchen und dreimal kurz aufeinander der Diener. Ich durfte auf mein Zeichen erst mal am Sprachrohr anfragen, was beliebte; Kleinmädchen und Diener mußten gleich nach oben stürzen; wie manches Mal nur um eine Bagatelle. Am Sprachrohr mußte ich fragen: Was ist beliebt? So wünschten es die Damen. Bekam ich dann keine Antwort, mußte ich mich nach oben verfügen, nun hatte ich aber sehr häufig etwas am Herd zu tun, was kein langes Davongehen vertragen konnte, wenigstens mußte ich es erst zurücknehmen, um es vor Überkochen und Anbrennen zu sichern, denn die Konferenz dehnte sich da oben mitunter sehr lange aus. Dann hatte es aber den Damen zu lange gedauert, es klingelte noch mal laut und anhaltend und womöglich noch einmal, ehe ich bei ihnen eintrat. Ungnädig mit bösen Blicken wurde ich empfangen. »Mein Gott, wo stecken Sie denn?« das war meistens die Anrede. Entschuldigungen meinerseits wurden nicht angenommen, »leere Ausreden,« nannte sie sie. Oft ist es vorgekommen, daß sie mich dann gerade immer wieder an dem Tage nach oben kommen ließ um nichts. Sie bemerkte dann höhnisch hinter mir her: »Seh'n Sie wohl, wie gut Sie abkommen können!« So jagten sie uns unnütz müde. Die kleine Käthe war am schlimmsten dran; wie haben sie sie gequält mit dem fortwährenden treppauf und treppab! Dann beklagten sie sich über ihre unfreundlichen Launen. Daß sie müde und abgespannt war, schienen sie nicht zu bemerken oder wollten es nicht merken.

Der Diener war ein vergnügter 23jähriger junger Mann; er war im Herbst vom Soldatenstand frei geworden, hatte bei den Wandsbecker Husaren gestanden und wußte uns manchen lustigen Schwank zu berichten. Es half über vieles hinweg. Er[34] war aber nur selten unten beschäftigt, denn der Herr nahm ihn meistens in Anspruch. Abends von 9–10 Uhr war er aber unten, wir sollten dann zusammen Abendbrot essen, und er hatte allerlei Vorkehrungen für die Nacht zu treffen; u.a. mußte auch noch ein Teebrett voll Eßwaren und kalter Kaffee nach oben; denn der Herr schlief die Nächte schlecht und dann aß er zum Zeitvertreib. Ob der Diener seine Ruhe bekam, was frugen diese Menschen danach. Auch uns im Keller ließ der Herr keine Ruhe. Über seinem Bette war eine Klingel angebracht, welche unten klingelte; die sollte er benutzen, wenn er mittags ausgeschlafen hatte, damit, wenn der Diener grade unten war, er ihn dadurch nach oben rufen konnte. Diese Klingel setzte er mitunter ganze Nächte mit nur kurzen Unterbrechungen in Bewegung. Ich beklagte mich darob bei Frau Sparr und bat, die Klingel doch für die Nacht abzustellen, denn wir müßten doch auch Schlaf haben. Spät wurde es so wie so schon immer, ehe wir uns zur Ruhe begeben konnten, vor 12 Uhr nie, sehr oft 1/21 und 1 Uhr. Aber was antwortete sie mir? »Was fällt Ihnen ein? Zum Abstellen sind die Klingeln nicht da, sondern zum Klingeln. Wenn der Herr klingelt, wird er auch Wünsche haben und die sollen zu jeder Zeit respektiert werden.« Ich erwiderte, daß doch dazu der Diener bei ihm im Zimmer schliefe und er doch eine Glocke auf dem Nachtschrank hätte, um den zu wecken. »Na ja, er vergreift sich mal,« gab sie zurück, »stellen Sie sich nur nicht so an.« Die Frau war immer recht gewöhnlich in ihren Ausdrücken, Bildung schien sie überhaupt nicht zu besitzen, und eine bitterböse Zunge hatte sie. Sie konnte einen zur Verzweiflung bringen mit ihren spitzen Redensarten und falschen Verdächtigungen. Sie war es auch, die es kurz nach diesem anordnete, ich möchte doch von nun an jede Nacht um 2 Uhr dem Herrn eine frische Tasse Kaffee kochen, er möchte den kalten nicht und aufgewärmten erst garnicht. Ich sehe sie verwundert an und bemerke, daß ich aber wirklich nicht garantieren könne, daß ich immer aufwachen würde. »O«, gab sie in ihrem[35] gewöhnlichen höhnischen Ton zurück, »dafür lassen Sie mich nur sorgen, ich werde Sie schon wach kriegen.« »Nicht wahr, Gustchen?« wendete sie sich ihrer Schwiegertochter zu. Gustchen bestätigte mit Kopfnicken. Vierzehn Tage lang habe ich es getan, dann habe ich gestreikt. Auf meine Vorstellungen, daß ich es wirklich nicht auf die Länge aushalten würde, wenn ich so wenig Schlaf bekäme, gab sie mir zur Antwort: »Sie sind ja dick und fett, Sie halten es schon aus. Ich wünsche es so und dem Herrn ist's auch lieber, daß er frischen Kaffee bekommt.« Sie hatte bis dahin Recht behalten, sie hatte mich mit ihrem lauten anhaltenden Klingeln wunderbar gut aus dem Schlaf gekriegt, obgleich ich manches Mal der Versuchung, einfach liegen zu bleiben, kaum widerstehen konnte. Ich war dann gar zu müde, wo ich mich eben vor einer Stunde abgearbeitet niedergelegt hatte und dann auch noch oft das fortwährende Klingeln des Herrn anhören mußte. An diesem Abend sagte ich dem Diener Bescheid, er möchte doch so gut sein und den kleinen Spritofen mit nach oben nehmen, um den Kaffee des Herrn in der Nacht etwas anzuwärmen, ich würde nicht aufstehen und keinen frischen Kaffee hinaufbringen. Er fand es sehr richtig von mir, daß ich endlich mal dem Unwesen, wie er es nannte, energisch entgegentrat. Denn der Herr war es garnicht gewesen, der den Kaffee warm oder frisch gemacht verlangt hatte, sondern gerade die »Alte« hatte es ihm eingeredet. »Nicht wahr, Männchen, der alte kalte Kaffee schmeckt Dir garnicht des Nachts? Dora kann aufstehn und Dir immer eine frische Tasse Kaffee machen, das kann sie gerne um den alten kranken Herrn tun, Johannischen. Ich werd's ihr heute sagen.« Der Herr hat dann noch gemeint, daß man es doch wohl nicht verlangen könne. »Ach was,« hat sie gesagt, »wofür bezahlt man denn seine Domestiken.« Herr Möller hatte Recht, der Satan regte sich häufig in ihr. Der schien ihr sogar nachts keine Ruhe zu lassen; denn der Diener wußte zu erzählen, daß sie oben wie ein Gespenst umherspuke, oftmals gucke sie ins Zimmer des Herrn, und die Treppen[36] steige sie häufig hinauf und hinunter. Ich hatte sie bis jetzt nicht bemerkt, aber diese Nacht, wie ich nicht wach werden wollte, erschien sie plötzlich wie ein Geist in unserm Zimmer, in langwallenden weißen Nachtgewändern mit aufgelöstem Haar. Mich rüttelte sie an den Schultern grade nicht sanft. »Aufstehn! Aufstehn! Für den Herrn Kaffee machen!« rief sie einigemal hintereinander; ich überlegte noch, was wohl am besten wäre, ihr ins Gesicht zu springen, auch wie ein Geist, oder weiter verschlafen zu tun. Ich wählte das letztere. Aber es half nicht, ich mußte doch schließlich wohl aufwachen, aber aufstehen wollte ich nicht, das hatte ich mir fest vorgenommen. So frug ich denn, was sie von mir wünsche. »Das frägt das Mädchen noch,« rief sie, »aufstehen sollen Sie und Kaffee bereiten für den Herrn.« »Nein, Frau Sparr,« sagte ich, »ich habe Ihnen gestern schon gesagt, daß ich es künftighin nicht mehr könne. Ich stehe nicht auf, denn ich bin eben erst zur Ruhe gegangen und muß morgens um 6 Uhr wieder anfangen zu arbeiten. Übrigens ist Kaffee oben, und Heinrich will ihn für den Herrn gern etwas anwärmen.« Bei diesen Worten hatte ich mich doch aufrecht hingesetzt; denn ich befürchtete wirklich, sie würde mir »ein paar runterhaun,« wie der Hamburger sagt und da wollte ich doch selbst mit dabei sein. Na, es ging eben gut, sie ließ die geballte Faust wieder sinken. Sie mochte wohl daran gedacht haben, daß ich ja nicht allein im Zimmer war und daß Käthe meine Partei genommen hätte, denn die hatte es auch durchaus nicht gut auf sie, weil sie sie den ganzen Tag quälte, und so hätte sie wohl den kürzeren gezogen »bei der Keilerei« meinte Heinrich später, dem die Geschichte natürlich sehr viel Spaß gemacht hatte. Solche bodenlose Frechheit wäre ihr noch nicht vorgekommen, mit diesen Worten fegte sie schnaubend aus dem Zimmer. Schon wieder mal »frech« dachte ich, man wurde es bald gewohnt, daß einem bei jeder Meinungsverschiedenheit diese Eigenschaft zudiktiert wurde, und ich habe oft darüber nachgedacht nach solchen Szenen, ob ich mich denn[37] ohne Veranlassung so frech betragen hätte. Mit ruhigem Gewissen konnte ich nein sagen. Ich wollte nur »menschlich« behandelt werden, und dieses Recht wird einem Dienstboten leider nur zu oft gänzlich abgesprochen. Ich tröstete mich auch wie meine Schwester, die jetzt eine sehr gute Herrschaft hatte, aber auch hier in Hamburg das Gegenteil kennen gelernt hatte. Auch sie war mit dieser schmeichelhaften Eigenschaft belegt worden, und ich wußte gewiß, daß sie nichts weniger als frech war. Einen Fall muß ich doch noch einschalten, er ist zu komisch. Es war meiner Schwester von ihrer Dame befohlen worden, beim Bettenmachen immer eine weiße, saubere Schürze vorzutun. Dieser Befehl war ja auch nicht schwer ausführbar, und sie hat ihn auch befolgt. Aber eines Tages sind die reinen weißen Schürzen ausgegangen, und sie bindet sich statt deren eine reine blaue Schürze vor. Die Dame sieht es, meine Schwester bittet um Entschuldigung, aber mit hocherhobenen gefalteten Händen, den Blick gen Himmel gewandt, fleht sie: »Herr Gott, hilf mir, die Frechheit dieses Mädchens ertragen!« Was findet man nun frecher, Gott um eine solche Lappalie anrufen oder die blaue Schürze vorzubinden?

An Schlaf war in dieser Nacht meinerseits nicht viel mehr zu denken. Solche Auftritte reizten mich mehr auf, als ich zugestehen wollte. Ich fing an, »Nerven« zu bekommen, was mir bis dahin ein unbekanntes Etwas gewesen war. Statt um 6 wurde ich diesen Morgen um 5 Uhr geweckt. Ich wußte, ein bitterböser Tag würde folgen. Um 6 Uhr verlangten die Damen Kaffee nach oben, der natürlich nicht taugte, er kam wieder runter; es mußte nochmal frischer gemacht werden, der auch nicht viel besser schmeckte. Aber leider hätte sie ja eine Köchin, die keinen vernünftigen Kaffee bereiten könne; so und ähnlich gings den ganzen Tag. Viele Beleidigungen habe ich einstecken müssen. Ob sie dachte, sie kriegte mich dadurch mürbe? Dann irrte sie sich sehr, mit Güte hätte sie mehr erreicht. Die folgende Nacht erprobte sie meinen Sinn in dieser Hinsicht. Sie klingelte wieder um 2 Uhr[38] aber ich kümmerte mich nicht darum, und unsere Stubentüre hatte ich verschlossen, um einem nächtlichen Überfall vorzubeugen. Wieder mußte ich des Morgens darauf um 5 Uhr aufstehn, zum letztenmal dachte ich bei mir. Ich nahm mir vor, der Dame auseinander zu setzen, daß mau nicht nötig habe, vor sechs Uhr an die Arbeit zu gehn. Mit Schelten wurde ich den Morgen begrüßt. »Heillose Wirtschaft,« »Faulenzereien« und dergleichen mehr regnete man so auf mich herab, das heißt mein Name wurde nicht genannt, aber ich mußte es mir zuziehn, denn ich war allein da. Ich kam überhaupt nicht zu Wort, aber aufgestanden bin ich nicht wieder um fünf Uhr, und die Damen haben sich dran gewöhnen müssen, ich habe natürlich manches bittere, niederträchtige Wort hinnehmen müssen.

Dieselben Auftritte gab's mit Käte und Heinrich, aber mit jedem zu einer andern Zeit. Wenn sie's auf den einen nicht gut hatte, waren die andern Hahn im Korb, das war das widerwärtigste. Sie schien dann von uns zu erwarten, daß wir mit über den Verurteilten herrissen; damit hatte sie aber kein Glück.

Ich fühlte mich unglücklich in dieser Umgebung und schrieb in diesem Sinne an meine liebe Mutter, ob sie es nicht auch meinte, daß ich am 1. August wieder kündigen solle, um am 1. November fort zu können. Wohlweislich hatten sie mich auf vierteljährliche Kündigung gemietet und ich hatte es mir vorreden lassen. Käthe und der Diener waren schlauer gewesen, die waren auf monatliche Kündigung. Meine Mutter schrieb mir wieder, daß es doch gar keinen guten Eindruck mache, wenn ich mit einem halben Jahre schon wieder wechseln wollte, so schlimm wäre es doch wohl nicht, ich möchte doch ihr zu Liebe ein Jahr aushalten. Was wußte meine gute Mutter von Hamburger Verhältnissen und schlechten Herrschaften? Sie meinte es gut mit mir, das wußte ich, und ich wollte sie nicht betrüben, so sagte ich nichts am 1. August. Merkwürdiger Weise war es in letzter Zeit auch ganz gut gegangen. Frau Sparr benahm sich erträglich, wir atmeten ordentlich erleichtert[39] auf. Der Diener freilich traute dem Frieden nicht. »Das ist man bloß so lange Sie noch kündigen können, nachher geht der Krieg wieder an,« sagte er zu mir. Bei der vorherigen Köchin hatte sie es ebenso gemacht, die war dann plötzlich erkrankt und mußte ins Krankenhaus, weil ihr vor Ärger die Galle übergelaufen war. So lächerlich sich das anhörte, wunderte ich mich doch nicht sonderlich darüber, denn ich wußte am besten, daß es bei dieser niederträchtigen Behandlung sehr gut angehen konnte.

Heinrich wollte fort, er spürte keine Lust, sich hier noch länger schikanieren zu lassen. Nur alle drei Wochen ungefähr hatte er einen freien Abend, konnte zwischen 6 und 1/27 Uhr fortgehen und sollte um 1/211 Uhr wieder zu Hause sein. Das war er aber nur selten und dann war das Malheur groß. Präzise 1/211 Uhr wurde geklingelt; auf meine Frage am Sprachrohr: »Was ist beliebt, Frau Sparr?« rief sie: »Ist Heinrich noch nicht da?« Nein, Heinrich war noch nicht da. Dieses wurde alle 5 Minuten wiederholt. Dieselbe Frage, dieselbe Antwort. Schließlich brachten die Damen den Herrn zu Bett und mir wurde aufgetragen, möglichst schnell meine Arbeit fertig zu machen und dann beim Herrn zu wachen, bis der Diener käme, denn sie, die Damen, mußten doch zur Ruhe gehen. »Ich bin schon todmüde«, oder: »ich bin ganz ab, ich kann nicht mehr«, das waren die Worte gewöhnlich. Ob ich müde oder ab war, wurde nicht erwogen. Ich mußte nach oben kommen und mich im Zimmer neben dem Schlafgemach des Herrn aufs Sofa setzen und warten, bis der Diener, kam und es wurde mitunter sehr spät, 2–3 Uhr nachts. Von den Damen wurde mir dann eingepaukt, wie ich mich gegen den Herrn zu verhalten hätte. Ich solle mich nur hinlegen zum Schlafen und brauche nicht gleich hinzugehen, wenn er riefe, das täte er im Schlaf; ich möchte ihn nur beruhigen, wenn er gar zu laut würde, im schlimmsten Falle wären sie ja auch nebenan. Das erstemal überlief mich eine Gänsehaut bei dem Gedanken, mit dem verrückten Mann in der Nacht allein zu sein; daß er gelähmt war,[40] war mir ein Trost. Was eine Hamburger Köchin nicht alles muß! Aber was tut man nicht, alles des lieben Friedens wegen! Kaum hatten sich die Damen zurückgezogen und ich mir's auf dem Sofa bequem gemacht, fing der Herr schon an zu rufen: »Heinrich, Heinrich!« Erst ganz leise, dann immer lauter, immer lauter, bis er zuletzt fast schrie. Ich fühlte mich verpflichtet, ihn zu steuern und sagte dann in begütigendem Ton: »Herr Sparr, Heinrich ist nicht da und Sie müssen nun ruhig sein und schlafen.« Aber nun fing er an, auf den Diener zu schimpfen: »Der Schweinigel, der Lump, der Treulose, laß ihn sich mal wieder vor mir sehen! Ich dreh' ihm das Genick um.« Mir wurde wirklich ängstlich, obgleich ich wußte, er konnte sich nicht rühren. Aber konnte es nicht angehen, daß er plötzlich die Kraft hatte, um aufzuspringen? Von wahnsinnigen Leuten hatte ich schon so ähnliches gehört und gelesen. Mit solchen schrecklichen Geschichten quälte ich mich, und langsam strichen die nächtlichen Stunden dahin. Der Herr rief fortwährend abwechselnd nach Heinrich oder mir. Schließlich rief er nur noch meinen Namen, wie immer erst ganz leise anfangend, dann immer lauter, zuletzt mit dem Zusatz: »Kommen Sie mal her, ich will Ihnen was sagen.« Ich sagte ihm, ich käme nicht und wenn er nicht gleich still wäre, würde ich Frau Sparr, rufen. »Was, meine Frau wollen Sie rufen? Ja, laß die Kanalje man kommen, die kriegt ihre Belohnung. Nein, Sie sollen kommen, ich habe Ihnen was wichtiges zu sagen betreffs Heinrich und dann erst kann ich ruhig schlafen; also kommen Sie hier her vor mein Bett, ich befehle es Ihnen.« Hu, mir pochte mein Herz zum Zerspringen! Was sollte ich tun? Die Damen wecken? Da würde ich Schelte bekommen, ich wußte das. Ich nahm mir ein Herz und stellte mich in die Tür zum Zimmer des Herrn und frug dann scheinbar ganz gelassen, was er mir denn zu sagen hätte. »Sie müssen mir versprechen,« fing er an, »den Heinrich, den Schweinhund, nicht herein zu lassen, wenn er kömmt. Ich will ihn nicht wieder sehen, den treulosen Buben.« Ich versprach[41] es ihm natürlich und dachte dabei: »Wenn er doch nur erst käme, daß ich erlöst bin.« Der Herr wurde wirklich etwas ruhiger. »Nicht den Heinrich reinlassen, nein nicht reinlassen,« die Worte sagte er alle Augenblicke noch vor sich hin. Endlich gegen 3 Uhr kam der Diener; ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihm die Tür zu öffnen, obgleich Herrn Sparrs Worte hinter mir ertönten: »Nicht einlassen, Dora, nicht einlassen!« Allzu freundlicher Empfang wurde ihm nicht zuteil, meinerseits nicht und oben bei seinem Herrn wohl erst recht nicht. Ich sagte ihm schon, der Herr sei sehr böse auf ihn. »Ha,« meinte er, »ich pfeif darauf; dem stopf ich mit Brot und Kaffee den Mund; das müssen Sie mal hören, wie ruhig er dann wird, und Sie kriegen morgen eine Flasche Wein von mir, ganz gewiß.« Damit stieg er die Treppen hinan. Ich beneidete ihn um sein leichtes Gemüt, wie viel besser kam er in diesem ungemütlichen Wirrwarr fort. So ähnliche Nächte habe ich öfter durchmachen müssen.

Auch Frau Sparr war oft krank. Es war dann ein Leben im Hause, kaum zu ertragen. Was es eigentlich war, weiß ich nicht. Der Diener behauptete, sie und die Schwiegertochter hätten dann vorher Streit gehabt. Der artete eben so aus, wie ihre Liebenswürdigkeit in guten Tagen. Es war eben alles unnatürlich bei diesen Leuten. Die 12 jährige Tochter hat uns mal gesagt, daß ihre Großmama dann zu viel Morphium genommen hätte, das sie immer zur Beruhigung ihrer Nerven einnehmen müsse. Ein Arzt wurde merkwürdiger Weise nicht zu Rate gezogen. Der Diener sagte ganz einfach: »De Olsch hätt ehr Umstän'n« dann wußten wir Bescheid; dann kam die Zeit, wo Eisbeutel, Wärmflasche und Kleibeutel in Funktion traten. Der Diener hatte nicht zu viel gesagt, als er uns erzählte, daß alle drei Teile zu gleicher Zeit in Anwendung kommen. Es war so und außerdem mußte ich zweimal den Tag Frau Sparr durch Massage Erleichterung verschaffen, sogar manchesmal auch ihr Schlafzimmer säubern, denn die Käthe wäre ihr zu laut. Meine Arbeit blieb natürlich[42] dadurch sehr zurück. Ich mußte sehen, wie ich fertig wurde; denn es war dann ja fast alle 10 Minuten irgend etwas zum Essen und Trinken zu besorgen für die Kranke. Einmal hieß es: »Machen Sie doch für Frau Sparr ein Täßchen Kaffee und geben Sie ein recht appetitliches Butterbrötchen bei.« Nach einer Weile: »Frau Sparr schmeckt es garnicht, bereiten Sie ein schönes Täßchen Tee und belegen Sie das Brötchen mit einem pflaumenweich gekochten Ei und Sardellen. Sollten keine Sardellen mehr in der Speisekammer sein, dann müssen Sie sich selbst welche holen, denn Käthe kann hier oben nicht abkommen. Aber bitte, recht schleunig!« So ging's den ganzen Tag. Von morgens früh bis abends spät gingen die Teebretter vollbepackt nach oben und kamen leer wieder runter, trotz des Nichtschmeckens. Auch unsere »Heilapparate« waren nie so, wie sie sein sollten; der Kleibeutel war zu kalt, die Wärmflasche zu heiß und der Eisbeutel war mit zu großen Eisstücken gefüllt, der drückte. Das nächste Mal war's vielleicht umgekehrt, etwas fehlte immer dran. Mancher »Segen« ist durchs Sprachrohr auf mein Haupt niedergegangen. »Sie haben's gut,« meinte Käthe, »Sie brauchen bei der Schelte ihnen doch nicht immer Aug in Aug gegenüberzustehen.« Sie konnte sich nicht recht verteidigen, ließ sich allerlei Grobheiten sagen, die sie wirklich nicht verdient hatte, dafür trug sie aber Tagelang nach, gab unfreundliche, knappe Antworten, sie »maulte« und wurde deswegen von der Herrschaft als launenhaft bezeichnet. Wie kam auch wohl ein Dienstmädchen dazu, sich gekränkt zu fühlen?

Der vergnügte Heinrich war fort, statt dessen hatten wir einen 40jährigen Junggesellen ins Haus bekommen. Er sah elend und krank aus, gab sich allerdings alle erdenkliche Mühe, munter und heiter zu erscheinen, aber er war den Strapazen und Aufregungen, deren es hier reichlich gab, nicht gewachsen. Der Arzt riet ihm, sich möglichst viel zu schonen. Schonen gab's in diesem Hause aber nicht. »Schonen und schinden wird beides[43] mit ein und demselben Anfangsbuchstaben geschrieben,« bemerkte Georg, so hieß der jetzige Diener. Der Herr hatte ihn ganz gerne um sich, bildete sich aber ein, er könne ihn die Treppen nicht allein hinaufbringen und wünschte, Dora möchte ihn an der andern Seite unterhaken, dann wird's schon gehen. Ich mußte wieder aushelfen; die Treppe erwies sich aber für uns drei zu schmal und der Herr ordnete an, Georg möchte von hinten etwas nachschieben und so ging's denn nach oben; ich den Herrn fest untergehakt, meine freie Hand von seiner Hand umklammert und der Diener mit gespreizten Händen auf dem Rücken des Herrn. Ein schönes Bild, nicht wahr? Wenn die Damen nicht in Sicht waren, gewann es noch dadurch, daß Georg dann eine Hand auf meinen Rücken legte. Wenn ich ihm sagte, er möchte doch den Unsinn lassen, dann meinte er: »Na, man muß hier jede Gelegenheit beim Schopfe nehmen und Unsinn machen, damit man das Lachen nicht ganz verlernt.« Er hatte nicht ganz Unrecht, meistens waren wir mißmutig, selten nur waren wir zum Lachen aufgelegt. Es gab immer etwas Neues, was uns bedrückte.

Eines Tages hatte Frau Sparr mich zur Post geschickt; ich sollte 30 Mark aufgeben. Wie ich zurückkam, war Frau Sparr in der Speisekammer und gab Bier und Wein aus für den Tag. Das lag verschlossen hinter Gitterverschlag. Ich gab ihr die Postquittung und damit war ja die Sache für mich erledigt. Sie ging auch gleich darauf nach oben. Nach geraumer Zeit werde ich ans Sprachrohr gerufen: »Sagen Sie mal, warum haben Sie die Postquittung nicht abgeliefert?« hallt mir entgegen, »so was besorgt man gleich, bringen Sie sie mir sofort nach oben!« Ich erwiderte, daß ich die Quittung ihr doch gleich gegeben hätte, beim Weinschrank hätte sie sie in Empfang genommen. »I bewahre« gab sie zurück, »das würde ich doch wissen, ich bin doch nicht verrückt.« Und ich auch nicht, dachte ich, sagte es aber nicht, sondern wollte mal nachsehen, ob der Zettel in der Speisekammer wäre. Ich suchte aber vergeblich, den Schein fand ich nicht. Im[44] Begriffe nach oben zu gehen und Frau Sparr darüber Bescheid zu sagen, kommt sie schon herunter gestürzt, überhäuft mich mit Beleidigungen schlimmster Art: das Geld hätte ich natürlich nicht abgeliefert, ich sollt es nur gestehen, denn sie würde es doch gleich herausbekommen, das Fräulein wäre schon zur Post geschickt, um sich zu erkundigen. Sprachlos stand ich da, ich wußte nicht, wie mir geschah, mich als gemeine Diebin schelten lassen, es war doch fürchterlich! Das junge Mädchen kam auch bald von der Post zurück und sagte ihrer Großmama, es wäre alles in Ordnung. »Ach was,« fiel sie ihr ins Wort, »was sollt es in Ordnung sein, ich hab den Schein nicht, wer weiß, wie das zusammenhängt« und immer noch anzügliche Redensarten hervorstoßend, stieg sie die Treppen hinab. Das junge Mädchen warf mir noch einen mitleidsvollen Blick zu und folgte ihrer Großmama. Auch sie hatte viel zu leiden unter den Launen ihrer Stiefmutter und ihrer Großmutter. Oft sah man sie mit verweinten Augen umhergehen. Ich blieb mit meinem Kummer und der durch diesen Zwischenfall angehäuften Arbeit zurück. Nur der Mensch, der in seinem Leben immer ehrlich gewesen und so grob verdächtigt wird, kann mir nachfühlen, wie mir zu Mute war. Gegen Abend mußte das Fräulein noch etwas aus der Speisekammer holen, bei dieser Gelegenheit fand sie in einem Schrank verschlossen den Postschein. Sie kam in die Küche, sichtlich sehr erfreut, und zeigte mir den Schein. »Nur gut, Dora, daß er sich wieder gefunden hat, nicht wahr? Nun beruhigen Sie sich auch man wieder. Großmama ist ja immer gleich so aufgeregt, ich habe keinen Augenblick an Ihrer Ehrlichkeit gezweifelt.« Diese Worte und auch die Tatsache, daß der Schein sich gefunden, taten mir ja allerdings wohl, aber sie nahmen das bittere Empfinden nicht von mir. Mancher Leser wird sagen: warum ist sie nicht gegangen und hat sich ihr Recht anderswo gesucht? Auch ich selbst frage mich heute: Warum bliebst du nach diesem? Ja, heute ist nicht damals, ich war jung, wußte, daß ich meinen Unterhalt verdienen mußte, und was würde meine[45] gute, alte Mutter dazu sagen (die ihre Kinder so streng reell erzogen hatte), daß ihre Tochter aus der Stellung gelaufen wäre. Die Leute vom Lande fassen so etwas noch viel schlimmer auf. Nein, Kummer wollte ich meinem Mütterchen nicht bereiten. Es hieß also: aushalten. Ich erwartete nun bestimmt, ans Sprachrohr gerufen zu werden, wo man wir mitteilte, der Irrtum hätte sich herausgestellt, aber nichts davon! Noch nie war mir die Arbeit bis spät in die Nacht so schwer gefallen, wie heute, und mit kummervollem Herzen suchte ich mein Lager auf. Lange, lange habe ich gelegen und geweint, dann fing ich an, zu überlegen, wie ich in weniger auffälliger Weise so bald als möglich aus diesem Hause kommen könne und beschloß endlich, so lange zu hungern, bis sie mich krank nach dem Krankenhause bringen mußten. Mit diesem Entschluß, mit dick geschwollenen Augen und rasendem Kopfweh ging ich am andern Morgen an meine Arbeit. Im Stillen hoffte ich immer noch, Frau Sparr würde einsehen, daß sie mir Unrecht getan und würde diesen Umstand wenigstens erwähnen, aber vergeblich, sie fegte in ihrer fahrigen Art an mir vorbei und würdigte mich keines Blickes. Ich konnt's nicht aushalten, ich frug denn: »Haben Sie mir denn nichts zu sagen?« »Was sollt ich Ihnen denn zu sagen haben?« gab sie in ihrem verletzenden Tone zurück. »Sie könnten doch wenigstens Ihren Irrtum von gestern eingestehen,« sagte ich. Ein wegwerfendes »Pah« war alles, was sie darauf zu erwidern hatte. Zwei volle Tage habe ich gehungert, aber am dritten Tag konnt ich nicht widerstehen. Ich nahm meinen Kaffee und Brot in gewohnter Weise wieder zu mir. Es ist nicht so leicht, wenn man genug Eßbares um sich herum hat, sich selbst zum Hungern zu verurteilen und das Urteil wirklich zu vollstrecken.

Ein andermal, als es mir wieder unmöglich schien, noch länger bei diesen Leuten auszuhalten, habe ich eine halbe Flasche Essig getrunken. Elend genug habe ich mich danach befunden, aber doch nicht krank genug, daß ich fort mußte. Ich wollte ja[46] durchaus kein simulierender Kranker sein, ich wollte wirklich vom Arzt krank befunden werden.

Dann kam auch mal eine Zeit, wo ich mir vornahm, meine Pflicht ganz zu tun, und alles übrige Ungemach ruhig über mich ergehen zu lassen. Aber es wurde uns sehr schwer gemacht, ein derartiges Vorhaben auszuführen. Je ruhiger und gelassener wir die unverdienten Vorwürfe und Schelte hinnahmen, je gereizter war Frau Sparr. Sogar ihre Schwiegertochter wurde aufgestachelt gegen uns; es ist mir wenigstens so vorgekommen, als wenn sie es nicht immer aus eigener Überzeugung tat, wenn sie uns »zurechtsetzte«, wie Frau Sparr es nannte. Sie war wohl abhängig von ihren Schwiegereltern und mußte besonders der »lieben« Schwiegermutter gut zur Hand gehen, um nur einigermaßen in Gutem mit ihr durchzukommen.

Es ging manchmal auch bei ihnen hoch her. Eines Morgens, es war wohl so um 1/27 Uhr, kam der Diener in die Küche, um den Kaffee für seinen Herrn zu holen. Er sieht aus dem Fenster, welches der Tür gerade gegenüber lag. »Was kommt denn da für eine Gestalt durch den Garten?« sagte er zu mir gewandt, »kommen Sie doch schnell mal her, Dora!« »Na, wer sollt es sein,« sagte ich, »es wird der Gärtner sein, der oft schon früh hier ist,« geh aber doch bei diesen Worten ans Fenster, und was seh ich? Frau Sparr mit aufgelöstem Haar, die Füße in großen weichen Latschen und den Körper in einen grauen Schlafrock gehüllt. Ehe wir uns noch von unserm Schreck erholt hatten, trat sie bei uns ein, setzte sich seufzend auf einen Stuhl und bat mich, ihr doch schnell eine Tasse Kaffee zu geben; denn sie hätte eine schreckliche Nacht hinter sich, seit 2 Uhr hätte sie im Hühnerstall zugebracht, es hätte sie nicht länger in der Nähe der Undankbaren da oben gelitten. Die »Undankbare« war natürlich die Schwiegertochter. Sie schalt und schimpfte ohne Aufhören über diese weiter, kein gutes Haar blieb an ihr. Den Kaffee, den ich ihr vorgesetzt, trank sie gierig hinunter, sie mochte ja auch frieren, denn es war im Herbst.[47] Es dauerte nicht lange, da kam die Schwiegertochter, fiel der Schwiegermutter um den Hals und bat fortwährend um Verzeihung. Ich habe mich entfernt, ich wollte nicht indiskret sein und im übrigen sind mir solche Rührszenen von Personen, bei denen es nicht vom Herzen kommt, zuwider. Sie hatten sich dann bald nach oben begeben, und der Diener und Käthe wußten den ganzen Tag nicht genug zu erzählen von den Liebenswürdigkeiten der beiden Damen zu einander. Das Küssen und Umarmen nahm kein Ende. »So lange wie's dauert,« sagte der Diener. Wir wußten, der Frieden hielt nicht lange an. Niemals habe ich diese Menschen ihres Reichtums wegen beneidet, das Schönste, was es gibt auf dieser Welt: den Frieden im Hause, den hatten sie nicht.

Alles, was uns zugute kam, wurde so eingerichtet, daß es andere bewundern konnten. So mußte z.B. unser Tisch des Mittags vorschriftsmäßig vom Kleinmädchen gedeckt werden. Es durfte nichts fehlen, der Diener bekam seine Flasche Bier, Frau Sparr packte uns eigenhändig jeden Tag eine Fruchtschale mit allen Früchten, die es grade gab. Wir aßen mit versilberten Forken und Löffeln, auch durfte nie die Platmenage vergessen werden, ja selbst die Messerblöcke fehlten nicht. Der Tisch mußte stundenlang vor dem Essen fertig stehen, damit ihn auch noch die Lieferanten bewundern konnten, was diese denn auch zur Genüge taten. Wie oft haben wir hören müssen: »Wer's so haben kann, wie Sie!« und lüsterne Blicke nach unserem zierlich gedeckten Tisch begleiteten diese Worte. Meistens antwortete ich schon garnicht darauf, und wenn eine Antwort erfolgte lautete sie gewöhnlich so: »Es ist nicht alles Gold, was glänzt.« Denn wie selten haben wir mal alle drei zusammen an unserem schönen Tisch gesessen! Gewöhnlich wurde einer, oft zwei und manchmal wurden wir alle drei durch die Klingel bei unsrer Mahlzeit gestört. Dann wurden die Teller schnell in die Ofenröhre geschoben, und wenn wir dann die Befehle ausgerichtet hatten, war unsere Eßzeit vorüber, und mit unserem Teller[48] in der Hand schluckten wir dann unser Essen hinunter, und so hatte denn unser schön gedeckter Tisch, indem er von andern bewundert ward, seine Dienste getan.

Mein und Kätes Zimmer war auch sehr hübsch möbliert; es fehlte nichts darin, was zu unserer Bequemlichkeit beitragen konnte, der Diener nannte es sogar »fürstlich ausgestattet«. Es war nur schade, daß wir von unserem fürstlich ausgestatteten Zimmer durchaus keinen Nutzen hatten, im Gegenteil; es mußte nur mehr Zeit zum Reinmachen darauf verwendet werden, und die hätten wir so gut zu anderen Zwecken gebrauchen können z.B. zum Strümpfestopfen und Wäscheausbessern. Dazu gab's überhaupt keine freie Zeit; das Notwendigste mußten wir nachts machen, wobei uns dann regelmäßig die Augen vor Müdigkeit zufielen. Einmal hat Frau Sparr mich auf ihrem nächtlichen Rundgang schlafend bei brennender Lampe vorgefunden. Da gab's aber Schelte fürchterlich; sie konnte es überhaupt nicht begreifen, warum ich mich denn noch so spät zum Nähen hingesetzt hätte, denn es wär doch so viel »liebe« Zeit, um Handarbeit zu machen, vorhanden. Ich sagte dann: »Bitte, Frau Sparr, nennen Sie mir nur eine Stunde am Abend, wann wir uns unsern Sachen widmen könnten, ich wüßte keine.« So dann in die Enge getrieben, konnte sie sich nur mit Beleidigungen gröbster Art verteidigen.

Einige Male haben Käthe und ich unsern freien Abend, den wir ja auch nicht immer beanspruchen sollten, dazu benutzt, uns unser zerrissenes Zeug in Ordnung zu bringen. Die Damen durften es nicht wissen; wir blieben dann ruhig im Zimmer. Hörten wir dann Schritte von oben kommen, wurde die Lampe schnell ausgeblasen, und wir verhielten uns mäuschenstill, bis die Gefahr vorüber war. Eigentlich war es ja lächerlich, daß wir uns so einschüchtern ließen, aber wir wußten bestimmt, daß sie uns dann sofort angespannt hätte. Obendrein hätte Frau Sparr die Tugendhafte gespielt und hätte uns als Lügnerinnen fürchterlich[49] heruntergemacht und um solchen Szenen zu entrinnen, die es ja so wie so genug gab, ließen wir uns lieber verleugnen.

Wir haben auch mitunter unsere freien Abende zum Ausschlafen geopfert, das war ja leichter zu bewerkstelligen, dazu brauchten wir kein Licht in unserm Zimmer und nichts verriet unsre Anwesenheit. Um 1/211 Uhr, um die Zeit, wenn wir zu Hause kommen mußten, wurde von der Nichtschlafenden die Tür geöffnet, damit die Damen hörten, daß ihr Mädchen präzise nach Hause kam. Mir war dies Gebahren sehr zuwider, aber ich wußte auch keinen Ausweg. Wir konnten uns ja gewärtigen, wenn sie uns beim Schlafen ertappte, daß sie uns gezwungen hätte, aufzustehen und an die Arbeit zu gehen. Und wie gut tat uns ein langer, ruhiger Schlaf! Er war uns sogar sehr nötig. Des Herrn Klingel hatten wir für die Nacht auch zum Schweigen gebracht, indem wir eine Hülle, weich und dick, grade um die Glocke passend, angefertigt hatten. Diese »Nachtmütze« wurde immer vor dem Schlafengehen über die Glocke gezogen und so konnte man fast garnichts vom Klingeln hören, nur ein gedämpftes Surren, das uns gewiß nicht in unserem festen Schlaf störte. Man sieht, nicht nur die Liebe macht erfinderisch, sondern auch die Not. Eines Nachts wurden wir aber trotz der »Nachtmütze« durch lautes Klingeln aus dem Schlaf geschreckt. Käthes erste Frage war: »Hat sie die Nachtmütze nicht auf?« Natürlich hatte sie die Nachtmütze auf, aber wir hatten solche Quälgeister mehr im Hause. Dies Klingeln kam aus dem Schlafzimmer der Damen. Was mochte wieder passiert sein? Lange brauchten wir nicht darüber nachzudenken, im nächsten Augenblick war Frau Sparr an unserer Tür. Sie mochte wohl nicht daran gedacht haben, daß wir die Türe jetzt immer des Nachts verschlossen hielten, denn sie fuhr mit solcher Gewalt dagegen, daß es nur so krachte; ihre etwas sehr spitze Nase ist gewiß nicht ganz verschont geblieben, und »Dora, Dora,« rief sie, »Sie müssen schnell mal rauf kommen; der Herr ist aufgestanden, und wir können ihn nicht allein wieder ins Bett[50] kriegen. Kommen Sie, Dora, so schnell wie möglich, bitte! bitte!« »Ja,« antwortete ich, »ich komme sofort.« In einigen Minuten war ich oben. Es bot sich mir ein tragi-komisches Bild: Der Herr lag im Wohnzimmer, an einen Tisch gelehnt, in den Knien, die Hände gefaltet und betete inbrünstig: »Herr, erbarme dich meiner und erbarme dich der Unglücklichen, die ich verlassen habe!« So ähnlich ging's noch weiter; der Diener stand dabei mit einer lächelnden Miene. Frau Sparr und ihre Schwiegertochter versuchten, ihn zu beruhigen; aber jedesmal, wenn seine Frau ihn mit Namen anredete, schrie er sie an: »Hebe dich hinweg von mir, Satan!« das letzte Wort zwischen den Zähnen hervorpressend; ihr Anblick schien ihn besonders stark aufzuregen. Dies erkennend, bat ich sie, sich doch in ihr Zimmer zurückzuziehen, wir drei würden ihn schon beruhigen. Sie sah es wohl selbst ein; im Hinausgehen sagte sie: »Gute Nacht, Johanneschen, beruhige dich und gehe wieder ins Bett, hörst du?« »Ich sage dir, hinaus! hinaus!« Das war seine Antwort auf ihren Gute-Nacht-Gruß. Er betete noch einmal und bat uns dann, wir möchten ihm empor helfen. Er wolle jetzt schlafen gehen, denn der Herr hätte ihm seine Sünde vergeben. Der Schwiegertochter, mir und Georg wurde es sehr schwer, ihn aus seiner knieenden Lage zu erheben, es gelang aber doch, und willig ließ er sich vom Diener in sein Zimmer führen.

Nach einigen Wochen hat er wieder einen ähnlichen Anfall gehabt. Da hat er plötzlich mit geballten Händen vor Georgs Bett gestanden und ihn bedroht, er würde ihn ermorden, wenn er nicht alles eingestand. Der Diener hat natürlich einen gerechten Schreck erfahren, hat den Herrn aber mit starken Armen gepackt und auf sein Bett geworfen. Nachdem er noch einiges brummte und knurrte, ist er wieder eingeschlafen. Der Diener mußte nun doch zugeben, daß ich im Recht war, wenn ich befürchtete, er könnte mal des Nachts, wenn ich bei ihm wachen mußte, Wahnsinnsanwandlungen bekommen. Sonst hatte er mich immer ausgelacht[51] und behauptet, es wäre ganz unmöglich, daß der Herr sich mit seinen gelähmten Gliedern allein erheben könnte. Ich glaubte es ja auch nur zu gerne, denn es wiegte mich doch in Sicherheit, nun war auch diese hin. Mit wahrer Angst habe ich nach diesem immer die Kunde vernommen: Der Diener geht heute aus. Ich bat ihn sehr, doch zur rechten Zeit nach Hause zu kommen, was er auch meistens tat; aber einige Male habe ich doch noch mein Wachtpostenamt ausführen müssen, doch ging es ohne Zwischenfall vorüber. Ich hatte mir schon vorgenommen, nicht wieder die Aufpasserrolle zu übernehmen, aber Frau Sparr, welche wohl ahnte, daß ich nach diesen Vorkommnissen Angst hatte, wußte es mir mit solcher Liebenswürdigkeit und mit so artigem Bitten beizubringen, daß ich nicht nein sagen konnte. Dank hatte man nicht von solchen Gefälligkeiten.

Es war nicht weit mehr von Weihnachten. Unsern Wunschzettel hatten wir schon geschrieben und auch abgegeben, so war es Sitte hier. Alles mußte an die große Glocke. Frau Sparr hatte sich wohl beim Weihnachtseinkauf mehr aufgeregt wie nötig war, oder sie hatte mit der Schwiegertochter wieder sehr ernstliche Auseinandersetzungen gehabt, eben bei diesem umständlichen, Aufsehen erregenden Einkauf. Morgens um 9 Uhr, um welche Zeit sie sonst immer noch in den Federn lagen, wurde aufgebrochen. Seit einer halben Stunde hielt schon eine Droschke vor unserm Hause, welche die Damen in die Stadt und von Geschäft zu Geschäft bringen sollte und alles, was irgend mitzunehmen war von dem Gekauften, wurde gleich mitgebracht. Kurz, vor Dunkelwerden fuhr die vollgepfropfte Droschke vor, und der Diener und der Kutscher mußten fast eine halbe Stunde Pakete ins Haus tragen. Na, das schafft doch Aufsehen, und so liebte es Frau Sparr.

Nach diesem Aufzug wurde sie krank, es war gerade 4 Wochen vor dem Fest. Wir sollten noch in allen Zimmern reine Gardinen anmachen, eine große Arbeit und nun noch diese Krankheit. Eine[52] wahre Hetzjagd herrschte im Hause, aber wir kriegten sie doch immer wieder auf die Beine mit unserem Dreieinigkeits-Heilmittel, verbunden mit diversen Täßchen Tee und Kaffee und appetitlich belegten Butterbrötchen. Nach 14 Tagen hieß es: »Morgen kommt Frau Sparr wieder in die Küche.« Mich durchfuhr ein gelinder Schreck, es gab nämlich immer gleich wieder Krach, und jedesmal, wenn sie krank gewesen war, hatte sie sich im Bett allerlei zurechtgelegt und verordnete dann mancherlei Umwälzungen und Neuerungen, was gerade nicht immer angenehm ist. Die Schwiegertochter kündete mir denn auch das Erscheinen ihrer »lieben Schwiegermama« an, und bemerkte dann noch: »Na, Ihre Küche haben Sie ja immer hübsch in Ordnung, aber legen Sie heute ganz besondere Sorgfalt darauf, damit Frau Sparr keine Gelegenheit findet, sich zu erregen, denn gestern hat es oben mit Käthe schon so sehr viel Ärgernis gegeben, daß ich grade genug davon habe.« Ich versprach alles zu tun, was in meinen Kräften stand. Bis spät in die Nacht habe ich gearbeitet, alles habe ich vom Fleck gehabt, die Schränke habe ich von drinnen und von draußen geseift. Die Börter glänzten wie eitel Silber, denn wir hatten zwei große Börter voll Nickelgeschirr, und alles hatte ich einer gründlichen Reinigung unterzogen. Es war eine Freude, die blitzende Küche zu sehen, wenn hier überhaupt von Freude die Rede sein konnte. Um 2 Uhr nachts legte ich mich zwar müde, aber doch mit mir zufrieden ins Bett. Ich war überzeugt, Frau Sparr würde nichts in meiner Küche finden, was zu Ärger Anlaß geben konnte. Früh waren wir am andern Morgen wieder an unserer Arbeit, damit Kaffeegeschirr und alles, was es unten zu ordnen gab, erledigt war, bevor Frau Sparr kam. Sie kam, aber ohne Morgengruß fegte sie ein paarmal an mir vorbei durch die Küche, in die Speisekammer und wieder zurück; nirgends konnte sie wohl Anhalt finden. Da endlich fand sie was; sie stürzte an den Herd, riß die Ringe herunter und schürte mit dem Feuerhaken in der Asche. »Habe ich mir's doch gedacht,«[53] fuhr sie mich an, »nichts ist hier in Ordnung. Sie wissen doch, daß immer drei Soden Torf aufgelegt werden sollen und dann Asche darüber, damit Feuer zum Frühstückmachen da ist.« Ich erlaubte mir zu erwidern, daß ich alles ganz vorschriftsmäßig befolgt hätte. »Nein,« gab sie zurück, »es sind nur zwei Stück Torf aufgelegt, und überhaupt scheint hier eine heillose Wirtschaft während meiner Krankheit geherrscht zu haben.« Bei diesen Worten musterte sie die Küche mit Blicken, aus denen man alles andere lesen konnte, nur keine Zufriedenheit über die peinlich saubere Küche. Also all mein Arbeiten war umsonst gewesen. Wenn man von dieser Frau auch keinen Dank zu erwarten hatte, so war doch dieser schnöde Undank hart, sehr hart, und wieder stieg in mir der Gedanke auf: »O, könnte ich fort!« wie, war mir jetzt schon ganz gleich. Man wird mürbe mit der Zeit. Und blitzschnell kam es mir in den Sinn: »Wie, wenn ich die Arbeit niederlege? Dann wird sie mich fortschicken.« Ich brauchte auch nicht zu lügen, wenn ich ihr sagte, daß ich vor lauter Ärger, Arbeit und Aufregung rasende Kopfschmerzen hätte. »Bitte, Frau Sparr,« sagte ich ihr, »machen Sie Ihre Arbeit nur selbst; ich gehe ins Bett. Sie machen einen krank mit Ihrer ewigen Nörgelei und Schelten.« Und damit verschwand ich, ging in mein Zimmer und schloß die Türe hinter mir zu. Dann legte ich mich angekleidet aufs Bett und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Es gab ein Rennen, Schimpfen und Türzuschlagen im Hause, wie ich es noch nicht erlebt hatte. »Gustchen« kam an meine Türe und verlangte Einlaß, aber ich ließ mir nichts merken. Frau Sparrs keifende Stimme hörte ich dazwischen; es waren natürlich lauter »Schmeicheleien« für die »faule« Köchin, nur das ersehnte Wort: »Verlassen Sie sofort mein Haus!« konnte ich nicht vernehmen. Nach nochmaligem vergeblichen Klopfen und Rufen an meiner Tür begaben sie sich in die oberen Gemächer, wohl, um weitere Maßregeln zu beraten über ihren streikenden Dienstboten. Es währte auch garnicht lange, da kam Käthe[54] im Auftrage der Herrschaft, welche mir sagen ließ, ich möchte sofort an meine Arbeit gehen, sonst würden sie ihren Hausarzt holen lassen, der konstatieren sollte, ob ich wirklich krank sei oder simuliere. Ich sagte Käthe, sie möchte nur bestellen, daß es mir sehr lieb wäre, wenn der Arzt käme, ich fühlte mich wirklich sehr elend. Der Arzt wurde aber nicht geholt, sie mochten wohl an meine Vorgängerin denken, die der Hausarzt wegen Überlaufen der Galle ins Krankenhaus geschickt hatte. Dafür kam aber die Schwiegertochter an meine Türe, denn es wurde Zeit zum Kochen. Diesmal verlangte sie keinen Einlaß, sondern sie bat darum, und die Köchin gewährte ihn gnädigst. Ich war zu begierig, was sie mir zu berichten hatte, ich hoffte ja auf Fortgehen. Aber sie kam in ganz zerknirschter Verfassung zu mir: ich möchte doch alles als ungeschehen ansehen, sie wollten mir durchaus nichts nachtragen, wenn ich jetzt aufstehen und das Essen bereiten wollte. »Sie mir nichts nachtragen?« frug ich verwundert, »was hätten Sie mir nachzutragen? Ich habe immer meine Pflicht und sehr häufig noch darüber getan.« Dagegen wollte sie auch nichts sagen, aber daß ich die kranke Frau Sparr so geärgert hätte, denn krank sei sie doch, das wisse ich doch auch. »Ja, gewesen,« gab ich zur Antwort, aber streitsüchtig sei sie leider immer, ob sie das denn auch eine Krankheit nenne. O ja, meinte sie, es läge wohl in ihrer Krankheit, denn auch sie (die Schwiegertochter), hätte viel darunter zu leiden; man müßte eben alles ruhig über sich ergehen lassen. »Das sagen Sie mir?« frug ich, »wo Sie alle paar Tage so ähnliche Auftritte mit Ihrer Schwiegermutter haben!« Das wollte sie denn ja auch nicht abstreiten; sie hätte doch auch Nerven, ebensogut wie ihre Schwiegermutter und könnte nicht immer an sich halten. Ich sagte ihr, dann möchte sie gestatten, daß auch ich Nerven hätte, wenn ich auch nur 'ne Köchin wäre. Ich fühlte mich so bodenlos unglücklich in diesem Hause, sie möchten mich doch gehen lassen. Aber sie wußte mich doch zu überreden. Frau Sparr täte es jetzt ja auch schon sehr leid,[55] so erregt gegen mich gewesen zu sein; ich möchte den Zwischenfall wieder vergessen und jetzt das Mittagessen bereiten. Auf das letztere kam es immer wieder heraus, ich sollte kochen, und das hatte ich mir fest vorgenommen, das wollte ich heute nicht. Mochten sie sehen, wie sie ihr Essen fertig kriegten; denn Strafe muß sein. Ich sagte ihr denn auch ganz bestimmt in dieser Hinsicht meine Meinung, übrigens fühlte ich mich auch wirklich krank. Käthe und der Diener wußten nachher nicht genug zu sagen, wie schrecklich ungemütlich dieser Tag ohne Köchin gewesen sei. Einige Tage lang bekam ich Frau Sparr nicht zu Gesicht, und nachher hatten sich unsere »gekränkten« Gemüter etwas beruhigt.

Weihnacht, das schöne Fest, rückte immer näher, man sagt auch im Volksmunde: »Die Vorfreude ist das Beste.« Hier war von einer Vorfreude keine Rede. Viel, sehr viel Arbeit harrte unser, denn am ersten Festtag sollte eine Gesellschaft stattfinden und mit einem fürchterlichen Durcheinander wurden die Vorbereitungen getroffen. Hatten wir eine Arbeit begonnen, dann meinte Frau Sparr: »Die hat wohl noch ein paar Tage Zeit, machen Sie lieber erst dies oder jenes.« Sie machte uns ganz konfus. Ich will ja gerne zugeben, daß es zu jeder Festlichkeit Vorbereitungen gibt und daß es einem auf etwas mehr Arbeit nicht ankommen darf; aber ich habe doch in Erfahrung gebracht, daß es sich gut in Ruhe und Besonnenheit abwickeln läßt. Schon acht Tage vorher jammerte sie immer: »Wenn Sie nur das Essen gut bereiten! Wenn nur der Braten so recht saftig bleibt und ganz besonders müssen Sie auf den Pudding passen!« So und ähnlich ging's jeden Tag. Des Nachts träumte ich vom angebrannten Braten, vom mißlungenen Pudding und wer weiß was alles. Am Weihnachtsabend war die Herrschaft mit den Töchtern eingeladen, auch der Diener mußte mit, des lahmen Herrn wegen. Käthe hatte um Urlaub gebeten, um den schönen Abend bei ihren Eltern zu verleben, welche in Hamburg wohnten. So blieb ich allein zu Haus. An jedem anderen Abend wäre[56] es mir eine Wohltat gewesen, so ruhig und ungestört meine Arbeit verrichten zu können; an diesem Abend hätte ich viel darum gegeben, wenn ich eine Menschenseele um mich gehabt hätte, nicht, weil ich Langeweile verspürte, denn dafür war gesorgt, daß die sich meiner nicht bemächtigte; aber den Christabend feiern, so ganz alleine, mit Arbeit überhäuft, hatte ich noch nicht erlebt. Ich war traurig, sehr traurig. Die heimatlichen Weihnachten stiegen vor mir auf. Wie schön, wie wunderschön waren sie gewesen im Kreise der lieben, guten Eltern und Geschwister! Wie manches frohe Weihnachtslied wurde gesungen, und wie groß und wahr war die Freude bei dem bescheidenen Geschenk unter dem strahlenden Tannenbaum! »O selig, o selig ein Kind noch zu sein!« Diese Worte paßten auf mein Gemüt, und manche Träne habe ich diese Stunden meines Alleinseins geweint. Wie banal kam es mir vor, Speis und Trank für Mund und Magen zu bereiten, wo Herz und Seele hungerten und dürsteten. Bescherung für uns konnte erst am zweiten Festtag stattfinden, war uns gesagt worden. Na, mir war es recht, aber Käthe hätte gar zu gerne ihren Eltern schon Mitteilung darüber gemacht, aber hier hieß es, sich gedulden.

Der erste Feiertag sah uns früh auf den Beinen. Ich sollte mich heute als »perfekte« Köchin bewähren. Es war die erste größere Gesellschaft, wo mir das Kochen allein überlassen war. Ich habe mein Bestes dran gesetzt, und ich glaubte, es war zu aller Zufriedenheit ausgefallen. Nicht, daß mir von den Damen ein Wort der Anerkennung gezollt war, bewahre! aber Käthe und der Diener hatten manches Wort des Lobes übers Essen und deren Zubereitung beim Servieren aufgefangen und berichteten es mir. Es war doch eine kleine Beruhigung für mich, denn nun hatte Frau Sparr doch keine Veranlassung, andern Tags gar zu viele Reden über meine Unerfahrenheit los zu lassen, was sie bei jedem Mißlingen gerne tat.

Unsere Bescherung fiel sehr gut aus, geizig war Frau Sparr nicht, das war eigentlich das einzige Gute an ihr. Unsere reichlichen[57] Geschenke waren schon in einem Stübchen, welches die Herren und Damen der Gesellschaft passieren mußten, am ersten Festtag ausgelegt; die mußten doch bewundern, wie reichlich die »gute« Frau Sparr ihre Dienstboten beschenkte. Auch wir mußten bei jeder kleinen Veranlassung später immer hören: »Wie undankbar, nicht wahr, Gustchen? Sie sind es garnicht wert, daß man sie so reich beschenkt.« Wir haben manchesmal unter uns gesagt, sie sollte diese Äußerung nur noch sparen, es würd eine Zeit kommen, wo sie besser angebracht wäre. Denn wir hatten alle drei die Absicht, am 1. Februar unsere Stellung zu kündigen. Käthe und der Diener gingen dann schon zum 1. März, ich mußte leider noch bis zum 1. Mai bleiben.

Im Januar sollte Henny, unser »Nesthäkchen«, wie sie gern von ihrer Mutter genannt wurde, einen Kinderball geben. Die schauderhaften Vorbereitungen mit ihren ungemütlichen Umwälzungen, ohne die es in diesem Haushalt nicht ging, neigten sich ihrem Ende zu. Es war am Tage vor dem Fest, wie mir aufgetragen wurde von Frau Sparr, auch den weißen Spitz noch zu baden, damit auch er ein festliches Aussehen hätte. Es war erst Mittwoch, und Sonnabend war sein Badetag. Georg, Käthe und ich hatten diese Arbeit abwechselnd zu besorgen. Es stimmte, ich kam an die Reihe. Obgleich ich noch vielerlei am Herd zu tun hatte, behauptete Frau Sparr, es müßte noch vor dem Essen geschehen, denn ich sollte nicht nur den Spitz, sondern auch das weiße Kätzchen, unser »Miezchen«, baden. Ich bemerkte noch, daß ich noch nie gehört hätte, daß auch Katzen sich waschen ließen, aber schnippisch entgegnete sie: »Es gibt noch vieles mehr, wovon Sie noch nicht hörten und sahen.« »Also haben Sie verstanden?« sagte sie noch einmal, »gehen Sie jetzt gleich dabei, damit Miezchen zum Essen schon etwas angetrocknet ist, damit sie auch ihre Milch zur rechten Zeit genießen kann. Und wie wird unser Hennychen sich freuen, wenn nicht nur Spitzchen,[58] sondern auch Miezchen so fein säuberlich auf dem Ball erscheinen.«

Nun hieß es sich dran halten, damit auch noch diese eingeschobene Arbeit mit fertig wurde. In der Waschküche stand eine große hölzerne Balje, die als Badewanne für den Hund benutzt wurde. Der ließ sich auch sehr gut baden und wurde nach dem Abtrocknen in eine alte wollene Decke gewickelt, worin er ruhig solange lag, bis er völlig trocken war. Anders kam es mit der Katze, welche heute zum erstenmal ein Bad nehmen sollte. Sowie ich sie ins warme Wasser setzte, fauchte und kratzte sie um sich ganz fürchterlich, und eh' ich es verhindern konnte, war sie an mir vorbei, durch die offen stehenden Türen die teppichbelegten Treppen hinauf, ihre nassen Spuren hinterlassend. Oben entstand denn auch gleich ein fürchterliches Zetergeschrei, die nasse Katze wurde eingefangen, und Frau Sparr kam scheltend mit ihr in die Waschküche. Ich entschuldigte mich und legte noch für die geängstigte Katze ein gutes Wort ein; aber meine wohlgemeinte Warnung garnicht beachtend, schrie sie mich an, sie wolle mir mal zeigen, wie gut sich Katzen baden ließen. Ich möchte mich nur nicht einbilden, daß es, weil ich es nicht verstände, nicht zu bewerkstelligen wäre. Mit diesen Worten hatte sie die Katze wieder dem nassen Element übergeben; aber sie hatte den Satz kaum vollendet, als auch schon das arme Tier, zischend und fauchend sich ihren Händen entwand und erst auf ihre Schulter, von da auf ihren Kopf sprang und hier sich festsetzte in einer so originellen Stellung, daß ich trotz der gefährlichen Lage für Frau Sparr laut lachen mußte; die beiden Vorderpfoten in je ein Ohr, die beiden Hinterpfoten vor die Stirn gesetzt und den leckenden Schwanz über die Nase herunter hängen lassend, war sie nicht zu bewegen, von ihrem Opfer los zu lassen, die natürlich fortwährend laut um Hilfe rief. Alle kamen gelaufen, sogar der nasse Spitz hatte sich ob solchen Lärms aus seiner warmen Umhüllung frei gemacht und sah mit eingezogenem Schwanz dem komischen Vorgang[59] zu. Alle Bemühungen, die Katze von ihrem hohen Sitz herunterzukriegen, blieben erfolglos, das arme Tier befürchtete natürlich, daß es dann wieder ins Wasser gesetzt wurde und beharrte wohl deshalb auf seinem ungemütlichen Platz. Es blieb Frau Sparr nichts übrig, als sich mit der Katze auf dem Kopf in ihre Gemächer zu verfügen, und da erst ist es der Schwiegertochter gelungen, sie zu entfernen. Georg hatte große Lust, die Feuerwehr zu bestellen, spaßeshalber, damit die Geschichte auch etwas in die Öffentlichkeit dringe, meinte er. Lange hat uns diese Badegeschichte Stoff zum Lachen gegeben. Frau Sparr war mit dem Schrecken und einigen Kratzwunden im Gesicht davon gekommen, aber der armen Katze hat ihre erste Badereise lange in den Gliedern gelegen. Tagelang lag sie in einem Korb hinterm Ofen, ehe sie sich so weit aufraffte, um Milch zu sich zu nehmen. Auf dem Kinderfest durfte sie sich natürlich nicht sehen lassen und ihre Späße und Purzelbäume sind nie wieder so lustig und fidel geworden wie früher.

Der erste Februar war ein unruhiger Tag, denn wir alle drei kündigten, Käthe und Georg zum 1. März und ich zum 1. Mai. Frau Sparr bot alles auf, um mich zum Bleiben zu bewegen, unter anderem versprach sie mir eine ganze komplette hochfeine Küchenausstattung, wenn ich bei ihr bleiben wollte bis zu meiner Verheiratung. Leider hatte ich aber noch gar keine Aussicht, mich zu verheiraten. Ich wußte auch, ich hätte mir die »hochfeine Küchenausstattung« bitter sauer verdienen müssen, ich wollte lieber drauf verzichten. Einige Tage ging sie freundlich schmunzelnd um mich herum, wie die Katze um den Brei, am dritten Tag meinte sie dann mit einem freundlichen Lächeln zu mir: »Na, Sie werden doch wohl vernünftiger Weise auf meinen Vorschlag eingehen?« »Nein, bedauere sehr (log ich), es nicht zu können, meine Mutter gebraucht meine Hilfe, ich werde am 1. Mai nach Hause gehen.« Ich fürchtete mich vor ihrem Zorn, deshalb hatte ich diese Lüge gebraucht, und sie schien mir ja auch[60] geglückt zu sein. Wohl verschwand das katzenfreundliche Gesicht und machte einem lauernden Seitenblick Platz, aber ich war doch vorläufig von bösen Worten verschont. Sie wollte es wohl erst mit »Gustchen« beraten, mochte auch wohl bedacht haben, daß sie von mir noch die längste Zeit gut hatte. Käthe und der Diener taugten jetzt überhaupt nicht mehr, mit mir ging sie so einigermaßen erträglich um. Sie hatte jetzt auch was anderes zu denken, es sollte nämlich das ganze Haus noch vor unserm Weggehen renoviert werden. Das konnte ja noch gut werden!

Zweimal in der Woche wurde von einem Krämer vorgefragt nach dem Bedarf seiner Waren, so auch heute, einige Tage nachdem ich Frau Sparr gesagt hatte, nicht bleiben zu können. Es war noch derselbe junge Mann, welcher mich vor einem Jahre hierher rekommandiert hatte. Es war meine Obliegenheit, nichts zu vergessen, Frau Sparr kümmerte sich selten um ihn, auch wenn sie gerade unten war. Anders war es heute. Als ich den Krämer abgefertigt hatte, rief sie ihn zurück, ging ihm bis zum Flur entgegen und zog die Küchentür hinter sich zu. Ich hätte keine Evastochter sein müssen, um nicht neugierig zu sein, was sie mit dem Manne zu verhandeln hatte. Wohl dachte ich gleich an das Sprichwort: Der Horcher an der Wand, hört seine eigne Schand. Es mochte ja anders ausfallen, wenn ich an der Tür horchte; wollte es gleich einmal probieren. Ich lehnte also meinen Kopf an die Türe und traute meinen Ohren kaum, wie ich hörte, daß Frau Sparr zum Krämer sagte: »Hören Sie mal Krämer, können Sie mir zum Mai nicht wieder eine Köchin besorgen? So ein Gegenstück zu Dora, aber verstehen Sie recht, kein Gegenstück von sondern zu Dora; denn ich bin jederzeit sehr zufrieden mit ihr gewesen, und sie wäre ja auch gewiß noch geblieben, aber ihre Mutter gebraucht sie.« »Na, und Sie wissen ja,« schloß sie ihren Redeschwall, »die Mädchen haben es gut bei mir.« »O gewiß, Frau Sparr,« war die letzte Antwort des Krämers, die andern hatte ich nicht so beachtet. Am liebsten hätte ich Widerspruch erhoben,[61] aber um des lieben Friedens willen schwieg ich. Also seht, lieben Leser und Leserinnen: der Horcher an der Tür hört schöne Sachen nur. Ich kam mir ganz fremd vor. Frau Sparr mit mir zufrieden? Und wie hatte sie mich behandelt! Wie mochte es dann erst einer ergehen, mit der sie nicht zufrieden war!

In ein paar Tagen hatten wir das ganze Haus voll Handwerker, nicht ein und zwei Stuben wurden in Angriff genommen, sondern fast alle Räume auf einmal. Sie jagte die Handwerker ebenso wie uns immer von einem Ort zum andern. Wir mußten rein machen, wo es noch gar keinen Zweck hatte; so mußten wir viel Arbeit doppelt verrichten. Mit ihrem ewigen Gedibber machte sie uns ganz konfus. Eines Tages zählte sie denn Käthe schon vor, was sie heute sollte, was morgen, was übermorgen. Vergessen Sie nicht dies, vergessen Sie nicht jenes, so ging's eine ganze Weile. Käthe kam aus ihrem Gleichmut nicht heraus, antwortete immer mit dem drauf passenden nein oder ja. Plötzlich schrie Frau Sparr sie an: »Ja, Sie versprechen mir, alles zu tun, wenn Sie dann auch man Wort halten!« Käthe wieder ihr: »Ja« – »Ja, ja immer Ihr ja und weiter kommen Sie nicht,« kreischte sie. »Nun gut,« entgegnete Käthe in ihrer ruhigen Art, »wenn's Ihnen lieber ist, dann sage ich nein.« Wie so ein Kampfhahn stand sie vor Käthe. Wären der Diener und ich nicht dabei gewesen, ich glaube, sie hätte sie geohrfeigt; jetzt begnügte sie sich mit Schimpfen und Schelten schlimmster Art. Das Wort »frech« wurde vorwiegend viel gebraucht. Der Diener lobte Käthe nachher: »Das haben Sie gut gemacht, so will Sie's ja haben.« Frau Sparrs Wunsch war, wir sollten bei jeder Antwort ihren verehrten Namen nennen. Käthe und ich konnten es nicht immer fertig bringen, dazu wurden wir zu schlecht behandelt. Der Diener machte sich gerne den Spaß; es hörte sich dann zu lächerlich an, wenn er bei einem ihm erteilten Befehl fortwährend antwortete: »Jawohl, Frau Sparr! Gewiß, Frau Sparr! Sehr gern, Frau Sparr! Natürlich, Frau Sparr!« Und wenn sie ihm[62] Befehle von oben herunterrief, wo sie ihn nicht sehen konnte, dann machte er noch bei jedem »Frau Sparr« einen tiefen Knicks.

Wenn Handwerker im Hause sind, ist es natürlich sehr ungemütlich; es läßt sich nicht ändern und man hat sich in das Unabänderliche zu fügen. Ich frug in den ersten Tagen, wo wir doch noch nicht recht etwas anfangen konnten, ob ich des Abends auf ein paar Stunden fortgehen könnte. »Sind Sie verrückt?« gab Frau Sparr mir zur Antwort, »so wie wir hier dazwischen sitzen. In 4 Wochen können Sie nicht an Ausgehen denken.« Ich erlaubte mir zu bemerken, daß ich doch jetzt noch gut abkommen könne, später möge es ja schwerer fallen. »Sie wissens natürlich immer besser,« gab sie zurück, »ich habe nein gesagt und dabei bleibt's!« – Wie viel klüger hätte sie doch gehandelt, wenn sie uns mal eine Abwechslung gegönnt hätte; mit wie viel frischerem Mut geht man wieder an seine Arbeit. Einige Tage später wurde mir gesagt, ich möchte mich heute nur gut dran halten (an die Arbeit natürlich), denn abends sollte ich das Fräulein von einem Ball abholen und wenn ich früh genug fertig würde, könnte ich ja die übrige Zeit für mich in Anspruch nehmen. Sie wußte ganz gut, daß es gerade heute sehr viel zu tun gab, denn die Tapezierer sollten den andern Tag in den oberen Räumen anfangen, also mußte der Malerschmutz beseitigt werden, und im Parterre sollten noch einige Zimmer geräumt werden. Es war nicht das erstemal, daß ich dem Fräulein das Geleit geben sollte. Käthe, der es als Kleinmädchen ja eigentlich zugekommen wäre, fanden sie zu klein und nichtssagend, wie Frau Sparr sich ausdrückte. Ich war aber groß und kräftig gebaut, von mir schien sie anzunehmen, daß ich es mit jedem Individuum aufgenommen hätte. Da war sie aber sehr im Irrtum, auch ich hätte im Falle der Not das Hasenpanier genommen. Schon einmal war ich an einem solchen Abholabend so spät fortgekommen, daß ich bei meinen Verwandten an verschlossene Türen kam, sie waren schon zur Ruhe gegangen. Es brauchte einen nicht zu wundern, denn es[63] war bereits 11 Uhr, als ich da ankam. Eine halbe Stunde Wegs hatte ich zu gehen dorthin, also war ich um 101/2 Uhr erst weggekommen. Nun war mir aber aufgetragen, nicht vor 1 Uhr nachts im Ballhaus zu erscheinen, um das Fräulein abzuholen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich auf der Straße so lange zu tummeln. Was mir da alles passieren konnte, darnach wurde nicht gefragt, wenn ich das Fräulein nur unversehrt ins Haus brachte. Eine wahre Höllenangst habe ich das erstemal ausgestanden. Ein schwarzbärtiger Mann, oder »Herr« seinen Kleidern nach, sein Benehmen war gewiß nicht das eines »Herrn«, verfolgte mich auf Schritt und Tritt, sagte irgend etwas zu mir, was ich nicht verstand. Er ging an mir vorbei und stellte sich unter eine Laterne, um mich in deren Schein mit seinen frechen Blicken zu verschlingen. Ging ich auf die andere Seite der Straße, so folgte er dreist und wiederholte sein Gebahren. Mein Herz klopfte mir bis zum Halse hinauf, wußte ich doch in einer Stunde noch nicht wohin. Eine Straßenbahn kam angefahren und plötzlich kam mir der rettende Gedanke: du fährst mit zum Rathausmarkt und wieder zurück, dann ist die Stunde um. Gedacht getan, aber, o Schrecken! Auch der Kerl sprang auf und stellte sich auf den Hinterperron. Auf dem Rathausmarkt lud er mich zu einem Glase Bier ein. Ich dankte natürlich und da er sich immer noch nicht entfernte, klagte ich dort einer nett aussehenden Frau mein Leid, welche mich in ihren Schutz nahm. Zum Glück wollte sie auch dieselbe Bahn benutzen, welche mich nach meinem Bestimmungsort bringen sollte, da erst verschwand das Ungeheuer. Was gibt den Herrschaften ein Recht, ihre Dienstboten in solche Gefahr zu bringen?! Dem Fräulein erzählte ich von meinem Erlebnis und schilderte ihr meine ausgestandene Angst; sie war gut und sah es ein, daß es unverantwortlich war von ihrer Großmutter, so zu handeln. »Aber,« erzählte sie weiter, »Mama und ich haben schon lange vergebens dagegen protestiert. Einen Wagen nehmen findet sie überflüssig, wenn man genug Dienstboten hat, die das[64] Abholen besorgen können.« Ich wußte, daß Frau Sparr bei jeder Gelegenheit sagte: »Wozu hat man denn seine Domestiken?« Das Fräulein und ich vereinbarten, wenn ich sie ein andermal wieder so spät abholen müsse, solle ich nur einfach hineinkommen und mich in der Küche bei den Mädchen aufhalten, die es gewiß gerne gestatteten. Wenn dann die Zeit des Abholens gekommen war, möchte ich mich nur melden lassen, und Großmama brauchte nichts von der Abmachung zu wissen. So geschah es auch später. Heute hatten wir uns so recht müde gearbeitet, ich aber sollte ja unser Fräulein noch abholen; nach 10 Uhr kam ich wieder aus dem Hause. Zum Glück traf ich meine Schwester noch auf und konnte ihr doch wenigstens noch erzählen, daß ich gekündigt hatte und bat sie, für mich sich doch gelegentlich nach einer andern Stellung umsehen zu wollen. Frau Sparr durfte ja nicht merken, daß ich nicht zu meiner Mutter ging. Dann trottete ich mit meinen müden Gliedern weiter. Ich ging abends so spät ungern alleine auf der Straße, so war es denn auch noch eine gute Stunde zu früh, aber die Mädchen waren immer sehr freundlich und fanden meine Gründe berechtigt. Dieses Mal wurde es ganz besonders spät. Fräulein und ich kamen erst nach 2 Uhr zu Hause an. Daß wir morgen, der Handwerker wegen, nicht viel rein zu machen brauchten, tröstete mich einigermaßen. Hoffentlich hatte Frau Sparr sich nicht ganz was Außergewöhnliches ausgedacht, man spannt so gern mal einen Tag aus. Am andern Morgen bekam ich mit der ersten Post einen Brief von meinem Bruder, welcher mich u.a. einlud, mit ihm des Abends den Hansasaal zu besuchen, wo Konzert war; er wollte mich von 8–1/29 Uhr vor dem Konzerthaus erwarten. Ich freute mich sehr, hatte ich doch meinen Bruder lange nicht gesprochen. Ich wußte aber auch, daß es schwer halten würde, fortzukommen. Ich teilte Käthe und dem Diener meinen Zweifel mit und bat sie, mir zu raten, ob ich es wagen sollte, Frau Sparr um Erlaubnis zu bitten. Sie meinten beide: »Gewiß, tun Sie es doch, es paßt doch heute so gut«, und der[65] Diener erbot sich, mir noch ein Geheimnis anzuvertrauen, wenn ich schweigen könne. Ich versprach es ihm und er erzählte mir, daß Frau Sparr vom 1. März bis zum 1. Mai nur einen Diener engagieren wollte, aber kein Kleinmädchen. Das könnte Dora die zwei Monate wohl alleine ab, hatte sie bemerkt. »Also,« schloß der Diener sein Erzählen, »sehen Sie zu, daß sie jetzt noch mal fortkommen, später ist's ganz unmöglich; denn wir kennen hier ja die Wirtschaft.« Auch das noch! Als Frau Sparr diesen Morgen in die Küche kam ohne Gutenmorgengruß sank mein Mut gewaltig, aber andrerseits war's doch wieder sehr verlockend, ein paar Stunden in Gesellschaft meines lieben Bruders ein gutes Konzert hören und den ermüdeten Gliedern Ruhe gönnen können. Mit aller Freundlichkeit brachte ich mein Vorhaben an. Sie stellte sich vor mich hin, die Hände in die Seite stemmend, und sah mich mit ihren wasserblauen Augen so mißbilligend an, daß ich auch ohne Worte verstand, wie sie meine Bitte auslegte. Endlich tippte sie mit einem Zeigefinger an ihre Stirn und sah hilfesuchend nach oben. Es sollte wieder dasselbe ausdrücken, was sie mir schon mal gesagt hatte, daß ich wohl verrückt sei. Heiß schoß mir das Blut ins Gesicht, mußte man sich denn alles gefallen lassen von dieser ungeschliffenen Frau, nur weil sie reich und ich arm war? Und wieder kam mir der Gedanke: »O könntest du fort aus diesem Hause für immer!« Wie sie nun mit Schelten und Schimpfen gar nicht aufhörte, konnte ich ihr in aller Ruhe sagen: »Es ist gut, Frau Sparr, ereifern Sie sich meinethalben nicht. Ich verlasse heute meinen Dienst, ich werde noch die Küche in Ordnung bringen und dann gehe ich.« Sie lachte hell auf und sagte: »Da gibt's noch Mittel, um störrische Dienstboten an ihre Arbeit zu bringen; ich will Ihnen schon zeigen, wie man mit Ihnen umgeht.« »Machen Sie mit mir, was Sie wollen, aber bleiben tu ich nicht,« sagte ich ihr. »Daß Sie man bleiben, denn ich gebe Ihnen keinen Groschen Lohn und ohne Geld werden Sie nirgends kommen können,« gab sie zurück. »Nun gut, behalten Sie meinen[66] vierteljährlichen Lohn.« Die Schwiegertochter wurde herunter gerufen, nun wurde mit der laut genug verhandelt, daß ich alles hören konnte. Sie wollte einen Polizisten holen, der mich ja natürlich zum Bleiben zwingen könne; denn so ein Gesetz gebe es ja nicht, daß die Dienstboten die Herrschaften, wenn es ihnen gefiele, man einfach so in Verlegenheit bringen durften. Was die Schwiegertochter sagte, konnte ich nicht verstehen. Nun dachte ich mit Schrecken, wenn sie dich zwingen können zum Bleiben, was dann? So genau kannte ich nicht die Gesetze und blitzschnell fuhr es mir durch den Sinn: »Dann ertränkst du dich! Nur nicht noch länger hier bleiben müssen.« Die unteren Fenster waren mit eisernen Stäben versehen, aber das Fenster im Treppenhaus befand sich in halber Höhe, da würde ich des Nachts hinaus können, und hinterm Garten war ein kleines Wasser. Frau Sparr ließ sich ein Schultertuch runter holen, tat es um und stürmte auf die Straße. Sie rief einen Schutzmann heran, gestikulierte fürchterlich und schien ihn bewegen zu wollen, mit ins Haus zu kommen. Der Schutzmann aber zuckte ein paarmal die Achsel und ging seiner Wege. Ich hatte es von einem kleinen Fenster im Kohlenraum aus beobachtet. Wutschnaubend kam sie wieder herein. Dann wurde der Diener zum Herrn Nachbar geschickt. Der Nachbar kam, ging aber bald wieder. Unterdessen hatte der Diener mir schon zugeraunt: »Wenn Sie Ihren Lohn im Stich lassen, kann Sie keiner zum Bleiben zwingen.« Ich bekam wieder Mut. Im nächsten Augenblick kam Frau Sparr wieder herunter mit einem recht erträglichen Gesicht und meinte zu mir: »Wir wollen uns man wieder vertragen, nicht wahr? Sie haben ja eigentlich Recht, es läßt sich heute ja sehr gut einrichten mit Ihrem Ausgang. Gehen Sie nur und dann bleibt alles beim alten. Ich kenne Sie ja genügend, Sie würden es ja gar nicht fertig bringen, mich so in Verlegenheit zu setzen. Sie sind ja ein so gutes, liebes Mädchen.« Bei den letzten Worten streichelte sie sogar meine Backen. »Schlange!« dachte ich. Laut sagte ich:[67] »Ach nein, ich bin diesmal nicht gut, sondern ich gehe.« Auch die Schwiegertochter war wieder hinzugetreten, und nun bearbeiteten mich beide. Unter anderm stellten sie mir vor, wie dumm es doch wäre, wenn ich meinen ganzen vierteljährlichen Lohn lassen müßte. »Ich laß ihn gern, wenn ich nur hier fort kann,« sagte ich. Das vergebliche Bemühen wohl einsehend, fing sie wieder an zu schelten und meinte: »Sie tun ja gerade, als wenn Sie in der Hölle wären.« »Na,« gab ich ihr zur Antwort, »viel schlimmer kann's in der Hölle beim Teufel nicht sein.« Da kam sie mit geballten Fäusten auf mich zu; hätte die Schwiegertochter sie nicht zurückgerissen, hätte sie mich geschlagen. Über mich war eine eigentümliche Ruhe gekommen, es mochte wohl der Gedanke sein, daß ich ging, so oder so. Ich ging in mein Zimmer, um meine Sachen zu packen. Da schrie sie mir nach: »Nun machen Sie aber, daß Sie sofort, sofort wegkommen, und auch ihre sämtlichen Sachen nehmen Sie sofort mit, sonst werf' ich sie Ihnen nach.« Ich hielt diese skandalösen Äußerungen keiner Antwort wert, sie würde es ja sehen, wie ich es machte, schloß mich vorsichtshalber ins Zimmer ein und packte ordentlich und sicher ein. Am meisten tat mir Käthe leid, welche unter Tränen meinte: »Wenn Sie doch wenigstens bis zum 1. März geblieben wären!« Ich tröstete sie, daß es doch nur noch acht Tage seien bis dahin. Auch die andern Hausgenossen würden unangenehmen Tagen entgegen gehen, das wußte ich wohl; aber ich hatte deren auch genug gehabt. Käthe schlich sich wieder nach oben, es war ihr von Frau Sparr verboten, noch mit mir zu sprechen. Bald darauf kam der Diener an meine Tür mit dem Auftrage, ich möchte ganz genau, auf Heller und Pfennig ausrechnen, was ich außer dem abgezogenen vierteljährlichen Lohn noch an Geld bekäme, sie hätte keine Lust, sich noch mit meiner Angelegenheit zu beschäftigen. Ich sagte dem Diener, daß es auch ganz unnötig wär, ich bekäme so und so viel Mark und so viel Groschen, und die Heller und Pfennige schenkte ich ihr noch zu dem vierteljährlichen Lohn. Nach einer kleinen Weile kam er wieder[68] und mußte mir sagen, daß ich das Geld oben selbst in Empfang nehmen solle. Wie ich nun meine Sachen alle zum Abholen bereit gestellt hatte, ging ich nach oben. Bärbeißige Gesichter bekam ich zu sehen, o jeh! Sogar der alte Herr, der sonst immer so freundlich zu mir war, verfolgte mich mit bösen Blicken. Auf dem Tische lag neben dem Gelde ein Papier. Frau Sparr zeigte gebieterisch darauf hin mit den Worten: »Bitte, unterschreiben Sie das!« »Ich unterschreibe nichts, was ich nicht gelesen habe,« gab ich zur Antwort. »Dann, bitte, bitte,« sagte sie mit schneidendem Hohn, »wenn Sie überhaupt lesen können.« »Vielleicht besser wie Sie,« sagte ich, ihr nichts schuldig bleibend. Ich las: »Unterzeichnete bescheinigt hiermit, kontraktbrüchig geworden zu sein.« Ich sagte ihr: »Den Wisch unterschreibe ich nur, wenn Sie hinzufügen: »wofür sie ihren vierteljährlichen Lohn ließ.« »Fällt mir gar nicht ein,« schrie sie mich an, »unterschreiben Sie es nicht, so geb ich Ihnen auch nicht dies Geld.« »Gut,« entgegnete ich, »ich werde mein Recht schon finden.« Damit wollte ich gehen. Aber die Schwiegertochter und auch der alte Herr meinten: »Das kann sie wohl verlangen, schreib es doch, damit die Geschichte aus der Welt kommt.« Unter Fluchen und Schimpfen schrieb sie es, und ich setzte meinen Namen unter dies lächerliche Schriftstück, strich mein weniges Geld ein und verließ auf Nimmerwiedersehen das unfreundliche Haus. Wohl war ich froh, daß ich meiner Peinigerin glücklich entronnen war, aber es lag doch wie ein Alp auf mir: »Wie fassen es deine Verwandten auf? Werden sie es billigen? oder wirst du auch da noch einen schweren Stand haben?« Ich ging zu meiner Tante, die mich zuerst in Hamburg vermietet hatte. Sie hörte meinen Bericht ruhig an und fand es ganz vernünftig von mir, daß ich diesem Leben ein Ende gemacht hatte. Sie wußte es zu beurteilen, war sie doch früher selbst in Stellung gewesen und hatte wohl Gutes, aber auch Böses erlebt. Auch der gute Onkel stimmte ihr bei und nahm mir die Sorge um meine Sachen ab, indem er sofort einen Mann schickte, der[69] sie abholen mußte. Am Abend traf ich meinen Bruder. Erst hörte er mit gerunzelter Stirn mein Erzählen an, dann, wie ich ihm die Szene vom Unterschreiben schilderte, lachte er sein gutmütiges Lachen und meinte: »Den Gefallen hättest du ihr nicht tun sollen,« setzte aber gleich hinzu: »Na, die Hauptsache ist, daß du aus diesem für dich so unpassenden Hause heraus bist; Ersatz wird sich schon finden.«

Am nächsten Morgen durfte ich mal so recht ausschlafen, hatte meine Tante mir gesagt. Wie wohl das tat! Und nun berieten wir über meine Zukunft. Tante meinte, ich solle jetzt man erst mal einige Wochen zu meiner Mutter gehen und dann erst Stellung suchen, eine kleine Erholung könne mir nicht schaden. So verlockend der Gedanke war, wies ich ihn doch zurück. Ich sollte, wo ich stellungslos war, bei meiner Mutter weilen? Das wollte ich nicht, auch wußte ich, es würde mir sehr schwer fallen, ihr mein plötzliches Fortgehen von Sparrs zu berichten, wenn ich keine Aussicht auf eine andere Stellung hatte. Es würde meiner Mutter Sorge gemacht haben, und sorgen sollte sie sich in dieser Hinsicht nicht um mich. Die »Hamburger Nachrichten« erschienen, und ich machte mich gleich dabei, die Rubrik »Gesuche« zu studieren. U.a. wurde ein nettes Mädchen, welches gut bürgerlich kocht, auf zwei Monate zur Aushilfe gesucht. »Soll ich einmal hingehen?« sagte ich zu meiner Tante, »es ist hier ja ganz in der Nähe.« »Wenn du denn durchaus gleich wieder in Stellung willst, versuche es,« meinte sie. Meine Dienstkarte nahm ich mit. Ein recht dumm aussehendes Mädchen öffnete. »Was wollen Sie?« frug sie mich. Ich sagte ihr, daß ich mich um die Aushilfestelle bemühen möchte. »O,« meinte sie lächelnd, »es waren schon so viele hier, aber ich werde ›Ihnen‹ melden.« »Bitte, melden Sie ›mir‹ man.« Während dieser Worte kam die Dame schon die Treppe herunter und da sie vernahm, weshalb ich gekommen, nötigte sie mich in ein Zimmer. Es war eine feine vornehme Dame, besprach das Nötige in ruhiger Weise mit mir und bat mich, meine Karte da[70] lassen zu wollen und mir am Abend näheren Bescheid zu holen. Viel Hoffnung, die Stellung zu erhalten, hatte ich nicht, denn ich mußte ihr sagen, daß ich von meinen beiden vorherigen Damen leider keine Zeugnisse erhalten werde, auch die Gründe hatte ich ihr wahrheitsgetreu gesagt. Sie antwortete nur: »Ich kenne die Häuser.« Am Abend kam das Mädchen schon lächelnd an die Tür und sagte: »Das ist ›Sie‹ nicht geglückt, Frau Behrens hat schon eine.« Ich bat sie, mir meine Karte, welche ich hier gelassen, von Frau Behrens auszubitten. Frau Behrens kam, die Karte in der Hand, mit einem verstörten Gesicht herunter: »Und Sie wollen nicht zu mir?« »O ja,« entgegnete ich, »aber mir wurde gesagt, die Dame hätte schon ein Mädchen angenommen.« »Ja, aber meine Wahl ist gerade auf Sie gefallen,« sagte sie, »dann ist ja auch alles gut.« Am nächsten Tag ging ich schon hin, mit gemischten Gefühlen. Wie mochte es wohl hier sein? Viel Gutes erhoffte ich nicht, ich hatte den Glauben daran verloren. Na, mochte es ausfallen, wie es wollte, die zwei Monate hielt ich schon aus, sie wurden gut bezahlt und ich hatte ja alle Ursache, jetzt gerade darauf zu sehen.

Die Familie bestand aus Mutter und zwei Töchtern, einem 19jährigen, anmutigen, reizenden Mädchen und einem 13jährigen lustigen Backfisch. Man sah es ihnen an, sie waren fein erzogen, sie gaben ihrer Mutter an Vornehmheit nichts nach. Dabei immer von gleicher Freundlichkeit. In den ersten Tagen traute ich dem Frieden noch nicht so recht, dachte vielmehr, es wäre nur die Stimmung der »Stutentage«; aber ich irrte, dieser freundliche vornehme Ton blieb. Befehle wurden überhaupt nicht ausgeteilt, sondern nur Wünsche geäußert und Bitten ausgesprochen, und in welcher Ruhe wurde die Arbeit vollbracht. Es war eine Lust, hier zu arbeiten. Ich war, wie von neuem geboren. Die Dame verehrte ich samt ihren Töchtern. Auch sie schienen ja mit mir zufrieden, sie haben mir wiederholt gesagt, wie leid es ihnen täte, mich nicht für länger behalten zu können. Aber Frau Behrens[71] hatte schon ein Kleinmädchen aus ihrer Verwandtschaft zum 1. Mai angenommen, welches verlobt war und gerne in einem kleinen Hausstand das Kochen vor ihrer Verheiratung erlernen wollte, und dieses hatte Frau Behrens übernommen; gewiß eine edle Tat, welche Zeugnis ablegte von einem guten uneigennützigen Charakter. Von meiner Vorgängerin wußten sie mir spaßige Geschichten zu erzählen. Sie hatten sie nur eine kurze Zeit gehabt, aber bald eingesehen, daß sie für die Stadt nicht taugte. Eine jede Arbeit mußte sie ihr jeden Tag wiederholen, sonst wurde sie nicht getan. Ebenso war es mit dem Essenbereiten; die einfachste Zusammenstellung konnte sie nicht begreifen. Hatten Frau Behrens und ihre Tochter nun mal Besorgungen oder Besuche zu machen und sie sollte den Mittag alleine besorgen, so hatte sie stets nur einen Teil, also nur Suppe oder nur Fleisch mit Kartoffeln bereitet. Gemüse, Kompot oder gar Salate waren für sie unfaßbare Begriffe. Das schlimmste aber war die Unzuverlässigkeit beim Gas. Sie öffnete z.B. drei Arme und zündete nur zwei an oder ließ, wenn geklingelt wurde, den geöffneten Gasarm im Stich und lief zur Tür, vielleicht erst nach 10 Minuten zurückkehrend. In der Zeit war natürlich das ganze Zimmer mit häßlichem Gasgeruch gefüllt und es hätte ja schlimme Folgen haben können. Um Gefahren vorzubeugen, hatte Frau Behrens sie lieber vor der Zeit gehen lassen und ihr den Rat gegeben, lieber wieder in ihre Heimat, einem mecklenburgischen Dorfe, zu gehen. Frau Behrens erzählte weiter, sie habe ihr ja leider kein Zeugnis auf ihre Leistungen geben können, aber desto mehr ihre Ehrlichkeit betont. So war sie immer auf das Fortkommen ihrer Mitmenschen bedacht, wahrlich ein edles Gemüt!

Mein Zimmer lag in der ersten Etage und nicht im ungesunden Keller. Das Fenster ging nach einem freundlichen Garten hinaus, wo Schneeglöckchen und Narzissen aus der Erde hervorlugten. So wohl hatte ich mich noch gar nicht in Hamburg gefühlt. Freundliche[72] Behandlung, gute Nahrung, eine gesunde Schlafstätte, wohl ziemlich viel Arbeit, aber nicht überhäuft, auch gönnten sie mir mal ein Wort der Anerkennung, und alles dieses gab mir wieder Mut und Hoffnung für die Zukunft. Denn ich wußte, ich mußte noch lange weiter in dienender Stellung bleiben. Frau Behrens hatte großes Vertrauen zu meiner Kochkunst. Sie riet mir, doch in Zukunft nur Stellen als Oberköchin oder Mamsell anzunehmen, wo ich ausschließlich nur zu kochen hatte. Sie hatte schon was passendes für mich in Aussicht, aber ich wagte denn doch nicht, so hohe Ansprüche an mein Können zu stellen, und überdies war ich bleichsüchtig und litt am Magen, und für solche Leiden ist gerade das Kochen nicht sehr zu empfehlen.

An einem Sonntagmorgen im April hatte Frau Behrens mir zwei Mädchen suchende Herrschaften notiert und meinte wohlwollend: »Versuchen Sie's da erst mal, es ist eine gute Gegend. Die Herrschaften kenne ich leider nicht, ein gutes Zeugnis, in jeder Hinsicht, kann ich Ihnen geben.« Das Mittagsmahl wurde möglichst einfach eingerichtet, und die jüngste Tochter rief mir zu: »Dorette, Sie brauchen heute Morgen garnicht erst nach oben zu kommen, meine Schwester und ich haben schon alles in Ordnung gebracht. Ich wünsche einen angenehmen Spaziergang und viel Glück.« Und ehe ich meinen Dank aussprechen konnte, war sie schon wieder davon gehüpft. Es war ein schöner Frühlingstag, aber dennoch war mir schwer ums Herz, weil ich wieder vor einer ungewissen Entscheidung stand. Wer konnte wissen, wie sich mein neues Arbeitsfeld gestaltete. Meine erste Vorstellung war in einem eleganten Parterre. Eine Dame in den mittleren Jahren stellte sich mir als die Suchende vor, musterte mich von unten bis oben und meinte: »Aber warum stellen Sie sich nicht in hellen Mädchenkleidern vor? Ich halte streng darauf, daß die Mädchen immer in hellen Kleidern und Mützen erscheinen.« Ich sagte ihr, daß es meine Lieblingskleidung grade nicht sei, ich aber nicht abgeneigt wäre, sie im Hause und bei Besorgungen[73] für die Herrschaft zu tragen, im übrigen mir aber in dieser Hinsicht keine Vorschriften machen ließe. Sie sah mich natürlich etwas verdutzt an ob dieser kecken Entgegnung, lenkte aber freundlich ein, daß sie es auch in diesem Sinne gemeint hätte. Sie frug nach allem Möglichen und Unmöglichen, auch nach der Adresse meiner jetzigen Herrschaft, damit sie sich Zeugnis holen könne und die Karte möchte ich nur gleich da lassen. »O nein,« entgegnete ich, »ich möchte mich noch bei mehreren Herrschaften vorstellen, und muß dazu meine Papiere gebrauchen.« »Ich habe es nämlich schon sehr schlecht getroffen,« fügte ich lächelnd hinzu »und werde diesmal vorsichtiger sein.« Wieder ein verwunderter Blick, so als wenn er sagen wollte: »Was nimmt die sich heraus!« Mochte sie denken von mir was sie wollte, ich wußte schon jetzt, daß ich nicht zu ihr ging, sie erinnerte mich in ihrem Benehmen zu sehr an Frau Sparr, und auch sie mochte sich für mich bedanken, denn ich war ihr ja ziemlich dreist entgegen getreten; aber, wie du mir, so ich dir, dachte ich. Was hatte sie sich gleich um meine Kleidung zu bekümmern? Damit hätte sie warten können, bis wir uns näher getreten waren, aber einem Dienstboten, scheinen viele Damen und Herren zu glauben, können sie alles bieten, und doch besitzen diese oft ein besseres Taktgefühl und richtigeres Empfinden wie jene. Ich ging zu Nummer zwei. An einem freundlichen Gartenhaus las ich den Namen der betreffenden Herrschaft. Ein junges Mädchen ließ mich in ein hübsches, freundliches Zimmer treten mit dem Bemerken, Frau Nielson würde sogleich erscheinen. So war es auch. Leichtfüßig kam jemand die Treppen heruntergesprungen und stand im nächsten Augenblick vor mir. Er war eine junge, hübsche Erscheinung mit freundlichen, lachenden Rehaugen. Freundlich zeigte sie auf einen Stuhl, ich möchte Platz nehmen, sie ließ sich mir gegenüber nieder und besprach das Nötige sachlich und ruhig mit mir. Ich erfuhr, daß sie drei kleine Kinder habe im Alter von 2–8 Jahren, zwei Knaben und ein Mädchen, womit sich aber das junge[74] Mädchen, das mir geöffnet, hauptsächlich zu beschäftigen habe, auch habe das junge Mädchen sich die Hausarbeit mit mir zu teilen. Siebzig Taler Lohn solle ich zuerst erhalten, und wenn wir länger zusammenblieben, was sie hoffen wolle, gebe sie gerne mehr. Wir hegten wohl gegenseitige Sympathie. Die Dame gefiel mir sehr, und sie meinte beim Fortgehen zu mir: »Bitte, bemühen Sie sich vorläufig nicht um eine andere Stellung, ich glaube wir werden gut zusammen passen.« Ich versprach es gern. Befriedigt kam ich bei Frau Behrens an, welcher ich das Resultat meiner Vorstellungen erzählen mußte. »Die erste Dame,« sagte ich, »wird wohl gar nicht kommen, denn unsere Meinungen waren in einigen Sachen sehr verschieden, aber Frau Nielson, hoffe ich, wird morgen wegen Zeugnis vorsprechen.« »Und an mir soll's nicht liegen, Dora, daß Sie die Stellung erhalten; möge sie dann nur gut ausfallen, das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen,« fügte Frau Behrens hinzu. Kaum hatte ich mich umgekleidet und wollte ans Kochen gehen, als es an der Haustür klingelte. Ich öffnete und stand Frau Nielson gegenüber. »Sie wundern sich, nicht wahr?« sagte sie, nachdem sie mich freundlich begrüßt hatte, »aber wenn es angeht, möchte ich wohl heute schon mit Frau Behrens sprechen, man hat so gerne Gewißheit.« Frau Behrens empfing sie, und nach 10 Minuten schon hatte ich mich bei Frau Nielson vermietet und hatte mir ausbedungen, ehe ich meine Stellung antrat, auf ein paar Tage zu meiner Mutter zu reisen, was mir auch bereitwilligst gewährt wurde. Nach ungefähr einer halben Stunde kam auch noch die andere Dame und wollte auch lieber heute Gewißheit haben als morgen. Na, die konnte sie kriegen, nämlich die, daß ich nicht zu ihr ging, sondern eben schon anderweit vermietet sei. »Wie viel Lohn bekommen Sie da?« frug sie schnippisch. Wenn ich hätte ebenso unmanierlich sein wollen, wie sie, dann hätte ich gesagt: »Es geht Sie nichts an.« Ich war aber anständiger und sagte ihr: »70 Taler.« Sie warf den Kopf in den Nacken und sagte: »Und bei mir hätten[75] Sie 75 Taler bekommen.« Dann rauschte sie hinaus. Wie sie mich doch an Frau Sparr erinnerte! Ich dankte dem Schicksal, daß es mich nicht in ihre Hände gespielt hatte. Fräulein neckte mich später gerne, was ich doch für eine begehrenswerte Persönlichkeit sei, und wir machten uns natürlich über das unfeine Gebahren der letzten Dame lustig. Gar zu schnell gingen die paar Wochen hin, die ich noch in diesem Hause weilen konnte. Hier wäre ich gar zu gerne geblieben, und auch Frau Behrens und ihren Töchtern schien es aufrichtig leid zu tun. Ich mußte ihnen versprechen, sie bald einmal wieder zu besuchen. Ich durfte nun erst mal in meine Heimat. Das setzte mich leichter über den Wechsel hinweg. Meine liebe Mutter bot alles auf, um es ihrem großen Kinde recht behaglich zu machen; so flossen die paar Tage des Urlaubs in schönster Harmonie dahin.

Quelle:
Viersbeck, Doris: Erlebnisse eines Hamburger Dienstmädchens. München 1910, S. 28-76.
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