Vergebliche Bemühungen in Venedig und Mailand

[72] Wir betraten Italien von Venedig aus. Ich hatte vorher auf dem Wege von Berlin auf Verlangen des Grafen Usedom noch einen Ausflug nach Belgien gemacht, um in einem Kloster bei Tongerloo eine »Originalwiederholung« des Abendmahls von Leonardo anzusehen, die sich, wie ich erwartete, als geringe Kopie herausstellte. Die Sammlung Beissel, die ich unterwegs in Aachen besichtigte, wollte der hochbejahrte Besitzer nicht verkaufen.

In Venedig kamen wir am 23. Oktober an und machten hier fast für einen Monat Station. Als erster Bilderhändler galt auch damals noch A. della Rovere, der jahrelang der Unterhändler[72] der National Gallery gewesen war. Unter seinem Bildervorrat war nichts, was uns für die Galerie hätte reizen können; doch erinnere ich mich noch, daß mir vier zusammengehörige kleinere Hochbilder mit Veduten von Venedig von dem mir damals noch fast unbekannten Francesco Guardi durch ihre malerischen Reize auffielen. Sie sollten im ganzen 350 francs kosten, erschienen aber Meyer nicht museumswürdig. Die Privatsammlungen und einzelnen Bilder in Privatbesitz, die uns dieser Händler zeigte, waren die seit Jahren ausgekauften oder angebotenen, die nichts für unsere Galerie Wünschenswertes enthielten.

Ein zweiter Venezianer, den uns P. von Semenow warm empfohlen hatte, war der Direktor der Akademiesammlung, Comm. Niccolò Barozzi. Er erklärte sich bereit, uns hervorragende käufliche Bilder nachzuweisen; er kenne eine Anzahl Altargemälde in Kirchen der terra ferma, die durch ihre Not und Reparaturbedürftigkeit zum Verkauf gezwungen seien. Auf seine Veranlassung machten wir mehrere tagelange Ausfahrten, die uns bis ins Friaul, über Conegliano und Pordenone nach Cividale, Udine, San Daniele und Osoppo, und über Treviso und Castel Franco bis Bassano führten, Reisen, die bei strömendem Regen und empfindlicher Kälte in ganz überschwemmten Gegenden sehr unerfreulich waren. Doch schienen die Aussichten auf Erwerbungen lohnend zu sein. Die große Tafel von Palma Vecchio in Zerman, sowie ein paar Altarbilder von Pellegrino und Pordenone in Cividale und Pordenone, auf die uns Barozzi aufmerksam machte, wurden von den Geistlichen der Kirche als käuflich bezeichnet, und allgemein wurde die Zustimmung der obersten geistlichen Behörde wie der Regierung als zweifellos in Aussicht gestellt, da die Bedürftigkeit der Gemeinde notorisch sei. Barozzi knüpfte daher alsbald Unterhandlungen an, die sich mehr und mehr in die Länge zogen und nach Monaten schließlich nur das Resultat hatten, daß unser Unterhändler – nicht ohne Grund, da er italienischer Beamter und sogar Inspektor der Kunstwerke in der Provinz Venedig war, – in Untersuchung gezogen wurde,[73] und daß wir selbst von der italienischen Regierung während der ganzen Reise überwacht wurden. Ähnlich verliefen die Verhandlungen wegen des prächtigen Altarbildes der Taufe Christi von Giovanni Bellini in Santa Corona zu Vicenza, das uns Rovere als käuflich bezeichnet hatte. Die kleine Madonna Mantegnas im Besitz des Grafen Folco, deren Ankauf uns damals nicht glückte, ist ein Menschenalter später mit der Sammlung James Simon doch noch in die Galerie gelangt. Auch ein Ausflug nach Bologna, Ferrara und Montagnana war schließlich ohne Erfolg für unsere Zwecke.

Ende November siedelten wir nach Mailand über, wo wir in dem Antiquar Giuseppe Baslini, dem eigentlichen Schöpfer der Sammlung Poldi-Pezzoli und langjährigen Agenten der National Gallery, einen Mann kennenlernten, der für unsere Zwecke von großem Nutzen hätte werden können. Baslini, als junger Bursche Stallknecht bei den Visconti, der nur seinen Namen schreiben konnte, war ein Mann von merkwürdig künstlerischem Instinkt, von größter Rührigkeit, zugleich ein ausgezeichneter Käufer und Verkäufer. In seiner eigentümlichen Mischung von derber Offenheit mit schlauer Verschlagenheit war ihm ein neuer kaufkräftiger Sammler, wie er sich im Berliner Museum zu bieten schien, ein erwünschter Konkurrent der National Gallery, in der er bis dahin fast den einzigen Käufer für teurere Gemälde gehabt hatte. Er selbst hatte freilich gerade nichts Galeriewürdiges auf Lager – als solches konnte auch ein kleines Madonnenbild der Werkstatt Boltraffios, mehrfach wiederholt, das Meyer um 3000 francs von ihm kaufte, um ihn zu ermuntern, nicht gelten –, aber er zeigte uns alle Privatsammlungen in Mailand: die Galerien Trivulzi, Borromeo, Scotti usw. und später in Genua (u.a. die Sammlung Mylius) und ließ uns andeutungsweise wissen, daß dieser oder jener unter den Besitzern über kurz oder lang würde verkaufen müssen. Er hat uns in der Tat zu rechter Zeit auf die sich bietenden Gelegenheiten aufmerksam gemacht. Daß sie von Berlin aus versäumt wurden, ist wahrlich nicht seine Schuld[74] Nähere Fühlung als mit den Händlern suchte Meyer auch hier mit den Sammlern, den marchands amateurs. Nach den nahen Beziehungen von Waagen und Mündler zu den beiden Brüdern Frizzoni und zu Morelli in Bergamo glaubten wir von dieser Seite der besten Aufnahme sicher zu sein, zumal ich mit dem jungen Gustav Frizzoni zusammen bei Waagen Kunstgeschichte gehört und seither freundschaftliche Beziehungen aufrecht erhalten hatte. Aber wie dieser sich als zurückhaltend erwies, so ließ uns Morelli bald merken, daß er mit uns überhaupt keinen näheren Verkehr wünsche. Das Verhältnis zu der National Gallery und zu einigen englischen Privatsammlern, namentlich zu Sir Henry Layard, dem er eine Anzahl hervorragender Gemälde aus Italien vermittelt hatte, wurde von ihm auch damals noch aufrecht erhalten, und daneben war die Sorge für die Sammlungen in Mailand und Bergamo wie für die eigene Sammlung mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Letztere hat Morelli schließlich der Galerie seiner Heimat Bergamo vermacht, ein Beispiel, das sein Schüler und Freund, Dr. G. Frizzoni, hoffentlich nachahmen wird.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 72-75.
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