Versäumte Gelegenheiten

[103] Als ich eben zum Abschluß gekommen war, schrieb mir ein Londoner Antiquar, Lindo Myers, daß er mich wegen eines hervorragend wichtigen Geschäfts für unsere Galerie sofort sprechen müsse. Da Myers kurz vorher wegen eines nicht sauberen Bankerotts die Haltung eines offenen Geschäfts verboten war, antwortete ich ihm auf wiederholte dringende, aber unbestimmt gehaltene Briefe nicht, zumal ich annahm, daß ihm niemand wirklich bedeutende Kunstsachen anvertrauen würde. Ein paar Tage darauf saß ich in der Stationshalle, um den Zug zu erwarten, der mich nach Berlin zurückführen sollte, als Lindo Myers atemlos aus De Keysers Royal Hotel, wo ich damals regelmäßig logierte, herüberkam. Ich dürfe noch nicht abreisen, beschwor er mich. Als ich ihm sagte, auf solche mysteriöse Andeutung hin könnte ich meine anderen Geschäfte nicht vernachlässigen, rückte er endlich mit der Angelegenheit heraus. Lord Northbrook brauche dringend Geld und habe ihn beauftragt, ihm sofort 10000 £ zu verschaffen, wofür er die zehn besten primitiven Bilder seiner Sammlung, womöglich außerhalb Englands, verkaufen wolle, darunter den »Hieronymus« von Antonello, den »Ölberg« von Mantegna, das männliche Porträt des Petrus Christus usw. Der Preis schien mir so lächerlich niedrig, die ganze Sache so unwahrscheinlich, daß ich ihn auslachte; ein paar Minuten darauf führte mich der Zug nach Berlin zurück. Hier horte ich schon nach wenigen Tagen, daß die National Gallery den Mantegna und den Antonello um 5000 £ gekauft habe, und zwar gerade durch Vermittlung von Myers.[103]

Gleichzeitig entging mir ein in seiner Art kaum weniger wichtiger Kauf, im wesentlichen, weil ich wie meist in zu großer Hast war, und alle Geschäfte zu rasch abzuwickeln suchte. Ein kleiner armenischer Teppichhändler, von dem ich gelegentlich ein paar Teppiche für Bekannte erworben hatte, forderte mich auf, einen ganz hervorragenden, alten, großen Tierteppich bei ihm anzusehen, den er eben aus Persien bekommen habe. Ich sprach ein paarmal bei ihm vor, fand aber sein Geschäft immer geschlossen. Auch er kam dann schließlich unmittelbar vor meiner Abfahrt nach Deutschland noch einmal zu mir ins Hotel, da er mich zu längerem Bleiben bereden wollte. Um ihn einigermaßen zufriedenzustellen, gab ich ihm eine Karte an den mir befreundeten Direktor des South-Kensington Museums, Mr. Armstrong, in der ich ihn um Besichtigung des Teppichs bat, da ich den Besitzer als ordentlichen und intelligenten Mann in seinem Fach kennengelernt hätte. Auf diese Karte hin entschloß sich Armstrong, wenn auch ungern, zu dem Besuche und kaufte den Teppich sofort um 200 £. Das herrliche, intakte Stück, um die Wende des XV. und XVI. Jahrhunderts entstanden, ist m.E. der stilvollste Teppich, der uns aus Persien erhalten ist. Er würde heute wohl den hundertfachen Wert der damaligen Forderung haben.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 103-104.
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