Tod, Begräbnis, Schlußbetrachtung

[107] Als Leistikow von seinem letzten Aufenthalt im Grunewald wieder in seine Berliner Wohnung, Geisbergstraße 33, kam, kränkelte er sehr. Er schob es auf das andauernd schlechte Wetter, man mochte aber wohl im Stillen argwöhnen, daß der Grund im Fortgang seines schweren Leidens lag. Ich wollte ihm während dieser Zeit gern ein eben vollendetes Bild zeigen und dazu seinen Rat hören. Aber immer hinderte ihn sein leidender Zustand, meinen Wunsch zu erfüllen. Als ich ihm – um ihn zu schonen – sagte, daß wir von dem Besuch absehen wollten, erklärte er aber energisch, den nächsten Sonntag auf jeden Fall kommen zu wollen. Es ginge ihm besser, und es würde ihn freuen, wieder etwas Neues von mir zu sehen. Er erschien dann auch wirklich, begleitet von seiner Frau und seinen beiden Kindern Gerda und Gunnar. Sein edles Antlitz und seine Körperhaltung zeigten Spuren, die die neuen Krankheitsattacken hinterlassen hatten. Ein schwermütiger Zug des Abschiednehmens ging durch diese Zusammenkunft. Noch einmal war er in dieser seiner früheren Wohnung, in der er seine ersten Triumphe gefeiert und seine glücklichste Zeit verlebt hatte. (Man erinnere sich, daß Leistikow diese Atelierwohnung im Hansaviertel mir bei meiner Übersie delung nach Berlin überließ, er selbst bezog eine geräumigere am Steinplatz). Auf das Bild ging er sehr ein und sprach in seiner gewöhnlichen lieben Art mit mir, nicht von seiner Zukunft, sondern wie die meinige sich immer reicher gestalten möge. Nach einer Stunde war das Atelier wieder still und leer. Den nächsten Tag waren Leistikows[107] nach der Insel Rügen gefahren. Aber bald war er wieder in Berlin und suchte hier, nachdem es ihn in seiner eigenen Wohnung vor Unruhe nicht mehr litt, eine Zufluchtsstätte in einem Sanatorium in Schlachtensee. Von dort erhielt ich noch von ihm zu meinem Geburtstag, den 21. Juli, ein Glückwunschtelegramm: »Dich feiern wir den Meister und treusten der Freunde.« Wie seine Frau und sein Bruder Ernst, die um ihn waren, mich versicherten, hatte er die Worte des Telegramms selbst verfaßt und über dasselbe eine große Freude gezeigt. Dieser Gruß war die letzte Äußerung in die Außenwelt. Nach zwei Tagen war er gestorben. Noch den letzten Morgen hatte ihm ein Motiv vorgeschwebt, das er aus dem Fenster seiner Krankenstube bewundert hatte und er am liebsten gleich gemalt hätte: der Anbruch des Tages, wie das Sonnenlicht in webendem Dunst und Flimmern durch die Bäume dringt. –

Das Begräbnis übernahm die Secession. In dem Hauptsaal des Ausstellungsgebäudes war die Aufbahrung; die Wände mit schwarzen Draperien verhängt, ebenso wie das äußere Portal zum Kurfürstendamm. Tausende Kerzen verbreiteten Helle und eine unzählbare Masse von Kränzen lagen zu Füßen des Sarges, während ein einziger ungeheurer das Fußende des Sarges umschloß. Wir wollen hier ein Stück aus dem Nekrolog, den ich für »Kunst und Künstler« seinerzeit schrieb, wiedergeben, um die Stimmung der Situation besser auf uns einwirken lassen zu können:


»Unter den Trauerklängen Beethovenscher Musik teilte sich der Riesenvorhang, der den schwarz drapierten Saal rückwärts abschloß, und einer nach dem andern traten in langem ernsten Chor die Männer heraus, die den Toten nach der Grabstätte führen sollten. Die unsichtbare Musik steigerte sich zu höchsten Fanfarentönen, um dann allmählich, sobald die Letzten sich zu beiden Seiten des Katafalks in Reih und Glied gestellt hatten, zu verklingen.

Hier in dem Secessionsgebäude, wo Walter Leistikow nun fast zehn Jahre seine organisatorische Kraft eingesetzt hatte, um die Secession auf die Höhe zu bringen, wo sie jetzt steht, wo er gestritten und gekämpft hat, war der große Mittelsaal zu einem Tempel für die Totenfeier verwandelt.

Schwarze schwere Flore hingen an den Wänden herunter und strebten zur Mitte der Decke sternartig zusammen. Sie hüllten den Raum in ernstes Dunkel; um so mehr wurde diese Dunkelheit hervorgehoben und so jedermann zur Trauer erregt, durch unzählige Kerzen auf hohen Armleuchtern und Kandelabern, die in dem gedämpften Tageslicht nur eine schwa che Leuchtkraft um sich verbreiteten. In der Mitte des Tempels war der Verstorbene in schwerem Eichensarge aufgebahrt. Um den Katafalk waren die Kränze aufgetürmt; ein einzelner umschloß ganz das Fußende des Sarges und trug auf dem breiten durchflochtenen weißen Seidenbande die Inschrift: ›Ihrem geliebten und verehrten Führer die Secession‹«.


Nachdem der Pfarrer den Toten gesegnet, sprach Liebermann im Namen der Secession und Gerhart Hauptmann im Namen seiner Freunde.

Darauf ging es in langem Zuge nach dem Steglitzer Friedhof.

Da das Feuilleton im Berliner Tageblatt vom 29. Juli 1908 über die Begräbnisfeier auch noch für heute interessiert, so soll es hier unverkürzt wiedergegeben werden. Es schildert alle Phasen, wie seine Freunde aus weitentlegenen Studienorten nach Berlin zu seiner Bestattung geeilt waren etc., wahrheitsgetreu, und ebenso wörtlich sind die beiden Reden Liebermanns und Gerhart Hauptmanns.[110] Aus der meisterhaften Rede Professor Liebermanns gewinnt der Leser eine gedrängte Lebensübersicht und Charakteristik des Toten, wie sie auch meine Biographie übereinstimmend wiedergibt:


Feuilleton des Berliner Tageblatts:


Die Bestattung Walter Leistikows.

Die »Secession« und die Freunde Walter Leistikows haben dem Dahingeschiedenen eine Totenfeier bereitet, die dieses seltenen Künstlers, dieses prachtvollen Menschen würdig war. Es war eine Feier ohne übertriebenen Prunk und Pomp, ohne offizielle Ehren und Förmlichkeiten, und doch so schön und stimmungsvoll, wie nur selten eines berühmten Mannes Totenfeier, weil nur selten so viel innige Liebe an einem Sarge zusammenströmt.

Der Weg durch den Vorhof, der zum Secessionsgebäude führt, war durch eine Wand von Lorbeerbäumen und Blumen eingesäumt, und ein großes schwarzes Banner bedeckte die Front des Gebäudes. Die große Halle, die gleich hinter dem Eingang liegt, war von Max Slevogt ganz mit schwarzem Tuch behangen und in einen schwarzen Dom verwandelt worden, der durch zahllose Kerzen erleuchtet wurde. Vor der Mitte der Längswand, dem Eingang gegenüber, stand auf einer Erhöhung der Sarg, an dem nur der riesige Lorbeerkranz mit der Aufschrift: »Die Secession ihrem geliebten und verehrten Führer« befestigt war. Dicht vor dem Sarge lagen die Kränze, die Walter Leistikows Witwe und sein Töchterchen gespendet, und zu beiden Seiten, bis zu den Wänden hin, breitete sich ein Blumengarten, ein Teppich von Kränzen, abwechselnd durchschnitten von einer Kandelaberreihe und einer Reihe hoher weißer Altarkerzen.

Mit der Witwe, der jungen Tochter, den Geschwi stern und Verwandten Leistikows fand sich eine Trauerversammlung ein, die bald den schwarzen Dom, die Gänge und den Vorhof füllte. Paul Meyerheim, Max Liebermann, Max Klinger, Gerhart Hauptmann mit seiner Gattin, Professor Israel, der Direktor der Nationalgalerie Herr v. Tschudi, Wedekind, Slevogt, Mosson, Corinth, Lepsius,[111] Uphues, Tuaillon, Klimsch, Köpping, Dora Hitz waren gekommen, und die meisten von ihnen waren aus sehr fernen Gegenden herbeigeeilt. Fast alle bekannten Berliner Privatsammler und Besitzer Leistikowscher Bilder waren anwesend: Geheimrat Arnhold, Rudolf Mosse, die Bankdirektoren Fürstenberg, Stern und Rosenberg, R. Israel usw. Die königliche Akademie der Künste ließ sich durch ihren ständigen Sekretär Professor Dr. Justi vertreten und einen Lorbeerkranz niederlegen.

Der Pfarrer Schröder aus Steglitz sprach über den Bibelvers »Die Liebe höret nimmer auf«. Verborgen durch den schwarzen Vorhang, der hinter dem Sarge die Tür zur Secessionsausstellung verdeckte, sang die Konzertsängerin Fräulein Seret das »O Tod, o Tod, wie bitter bist du« von Brahms. Dann, als das Lied verklungen war, trat Max Liebermann neben den Sarg, um dem toten Freunde und Kampfgenossen sein Lebewohl nachzurufen. Die innere Bewegung nur mühsam beherrschend, sagte er das Folgende:

»Seit dem unheilvollen Augenblicke, da mir der Telegraph an das Gestade der Nordsee die erschütternde Kunde vom Tode Leistikows überbrachte, will es mir unfaßbar erscheinen, daß ich unseren Freund nicht wiedersehen soll: hatte ich doch kurz vor meiner Abreise den Mann, dessen Bahre wir heut trauernd umstehen, rüstiger und wohlgemuter als seit langem bei der Arbeit angetroffen.

Freilich wußten wir Leistikow von schwerer Krankheit heimgesucht, aber in seiner Gegenwart vergaß man aller Sorgen um seine Gesundheit: die Werke, die eben erst unter seinem Pinsel hervorgegangen waren, zeugten von so viel Frische der Auffassung, von so gesunder Lebensfreude, waren mit solch kühner und temperamentvoller Faust heruntergemalt, daß man vergaß, einem todkranken Manne gegenüberzustehen. Und unter der Freude, mit der er dem Beschauer seine jüngst entstandenen Werke zeigte, schien er selbst seiner Krankheit zu vergessen: Konnten die Aerzte sich nicht geirrt haben? Oder konnte nicht wenigstens die Meinung derer recht behalten, welche ihm noch eine lange Reihe von Jahren ungetrübten Schaffens versprach?«

Leider hatten wir uns in falscher Hoffnung – und wie gern glaubt man, was man wünscht – gewiegt. Inmitten auf seinem Lebenswege[112] ist Walter Leistikow uns entrissen, und die Klagen an seiner Bahre finden keinen Trost in dem Gedanken, daß er an dem Ziele, das jedem Menschen gesetzt ist, angelangt wäre.

Aber trotz des jugendlichen Alters, in dem er uns genommen, hat er seine Aufgabe vollendet: er hat sich ausgelebt.

Ein jugendlicher Held, hat er in siegreichem Ansturm die Schwierigkeiten der Künstlerlaufbahn in einem Alter, in dem andere noch mühsam ihren Weg suchen müssen, überwunden. Als hätte die Natur gewußt, daß Leistikow in jungen Jahren sterben müsse, hat sie all ihre Gaben frühzeitig in ihm zur Reife gebracht, und nur so können wir die Fülle seiner Produktion, die selbst für ein langes Leben noch reich erscheint, verstehen.

Noch auf der Hochschule, zeigen seine Arbeiten die ausgeschriebene Handschrift des Meisters, und ohne Wanken und ohne Schwanken instinktiv geht er den richtigen Weg, der ihn zur Originalität führen[113] sollte. Er sucht nicht weitab oder in fremden Landen seine Motive, sondern er malt, was er sieht: fast vor den Toren Berlins findet er die Sujets für die Werke, welche seinen Namen in der Geschichte der deutschen Landschaftsmalerei unsterblich machen werden.

Die Wahl der Motive bedingt die Popularität eines Künstlers aber erst ihre Behandlung und ihre geistige Auffassung bedingen die Größe des Künstlers. Noch ein halber Jüngling, ist Leistikow bereits einer der populärsten Maler Berlins geworden, aber der schnell erworbene Ruhm verleitete ihn nicht – wie's so oft geschieht – zu leichtsinnigem Ausbeuten seines Renommees, sondern wir haben in Leistikows Entwicklung das so seltene Beispiel eines stetigen Anstieges, eines inneren Ringens, seinem Ideale näher zu kommen. Und worin kann das Ideal eines Künstlers liegen als in dem jedesmal erneuten Versuch, dem Gebilde seiner Phantasie plastischen Ausdruck zu verleihen, dem, was er in der Natur gesehen oder zu sehen vermeint, inneres Leben zu geben?

Natürlich ist auch Leistikow nicht als fertiger Künstler vom Himmel gefallen: Die Ideen seiner Zeit sind nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. In die Zeit seines Auftretens fiel jene Rückkehr zur Romantik, die als Reaktion auf die vorhergehende Epoche des Naturalismus zu betrachten ist. Aber es ist der stärkste Beweis für das Talent unseres Meisters, daß er jene Elemente eines mehr dekorativen Stils in sich aufnahm, sie in sich verarbeitete, ohne ihnen zu unterliegen. Aus dem dekorativen Stil der andern wurde sein eigener Stil.

Es ist Leistikows unvergängliches Verdienst – und es wird es bleiben – den Stil gefunden zu haben für die Darstellung der melancholischen Reize der Umgegend Berlins. Die Seen des Grunewalds oder an der Oberspree sehen wir mit seinen Augen; er hat uns ihre Schönheiten sehen gelehrt. Nicht nur die wenigen Bevorzugten, denen es vergönnt ist, sich mit Leistikows Bildern zu umgeben: wer von der Woche harter Arbeit und schwerer Mühe Sonntags vor den Toren Berlins Erholung sucht, sieht Leistikows. – Ein Künstler, dem gelungen, daß wir die Natur mit seinen Augen sehen, hat sich ausgelebt. Er hat sein Ideal erreicht, uns zu überzeugen.

Deshalb dürfen wir nicht klagen, daß er dahingegangen; aber wir dürfen klagen, daß er uns entrissen: unser Leistikow in seiner sieghaften Jugendfrische, in seiner bezaubernden Liebenswürdigkeit.

Klugheit und Gemüt paarten sich in ihm und bewirkten das seltene Phänomen, daß er nur Freunde hatte: was um so wundersamer, als er nicht etwa ein Mann der geschmeidigen Höflichkeit war, sondern ein Mann, der rücksichtslos sagte, was er dachte, der auch nicht um Haaresbreite von seiner Überzeugung abwich, keinem zu Liebe, aber auch keinem zu Leide. Aber die Güte und die Wärme seines Herzens nahmen seinem oft scharf und rücksichtslos ausgesprochenen Worte den Stachel der Beleidigung. Und auch der Gegner beugte sich seiner ehrlichen Überzeugung.

In unserer Zeit des Strebertums und des krassen Egoismus verdient es besonders hervorgehoben zu werden, daß Leistikow aus persönlichem Vorteil oder zur Befriedigung seiner Eitelkeit auch nie den kleinsten Schritt abwich von der Bahn, die er als die richtige erkannt hatte. Er widerstand – doppelt schön bei einem kranken Manne, der ganz allein auf sich angewiesen, für sich und die Seinen zu sorgen hatte – allen Versuchungen auf pekuniären Gewinn oder auf äußere Ehren: in seiner Kunst wie in seinem Leben ließ er sich von keinem Menschen, auch von dem höchststehenden nicht, Gesetze vorschreiben: das einzige Gesetz war ihm sein Gewissen.

In den zehn Jahren, die ich Schulter an Schulter mit ihm im Vorstande der Berliner Secession und für die Berliner Secession gekämpft, habe ich die Lauterkeit seines Charakters bewundern gelernt. Er lebte des Glaubens, daß Recht auch Recht bleiben müsse, und kein Mißerfolg, keine hämische Anfeindung, keine scheinbar unüberwindliche Schwierigkeit konnten ihn in diesem schönen naiven Kindlichkeitsglauben erschüttern.

Leistikow war nicht nur der Vater der Berliner Se cession: er war und blieb ihre treibende Kraft. Lauter und vernehmlicher als alles was ich für die Vornehmheit seiner Gesinnung, für seinen uneigennützigen Charakter sagen könnte, spricht für Leistikows Wesenheit die Gründung der Berliner Secession, die ohne seinen jugendlichen Idealismus undenkbar ist. Dieser immer seltener werdende Idealismus[116] war der Grundzug seines Charakters, und er blieb ihm treu und fest bis zu seinem letzten Atemzuge.

Noch vor kaum sechs Wochen, in der letzten Vorstandssitzung, der er beiwohnen sollte, erglühte er in edler Begeisterung für die Jugend, und mit vor Zorn bebender Stimme sprach der sieche Meister für das unbeschränkte Recht der Jugend, sich auszuleben, und für die Pflicht der Berliner Secession, sie vor akademischen Vergewaltigungsversuchen zu schützen.

Und der todkranke Mann erschien uns wie ein Ritter Georg.

Er hinterläßt uns den blanken und fleckenlosen Schild seiner Überzeugung als heiligstes Vermächtnis.

Wenn je das Wort von dem unersetzlichen Verlust eines Menschen zur Wahrheit geworden, so hier: seine Stelle wird verwaist bleiben. Seiner Künstlerschaft verdankt er die Autorität, die er unter seinen Kollegen genoß, aber seinem heldenhaften Charakter, seiner wahren Güte verdankte er die Liebe und Verehrung, mit der wir ihm anhingen.

Ideal eines aufrechten Mannes! Edel, hilfreich und gut: die Fackel deines Genius leuchte uns in die dunkle Zukunft, die uns ohne dich freud- und hoff nungslos erscheint. Aber der herben Träne, die unserem Auge entquillt, geselle sich die Freudenträne über den seltenen Mann, den wir uns'ren Freund nennen durften. »Er war unser.«

Wie ein jugendlicher Held, als der er gelebt und gewirkt, ist er gestorben. Von der Stelle aus, wo er gekämpft und gesiegt, wollen wir ihn zur letzten Ruhestätte begleiten. Er ist gestorben wie ein Held in der Schlacht; der Verfall des Alters blieb ihm, der so vieles gegelitten, erspart, und das Los, welches Goethe seinem Peliden gönnte, ist ihm zuteil geworden:


»– – Der Jüngling fallend erregt unendliche Sehnsucht

Allen Künftigen auch, und jedem stirbt er aufs neue,

Der die rühmliche Tat mit rühmlichen Taten gekrönt wünscht.«


Nachdem Max Liebermann seine schöne, eindrucksvolle Rede beendet, trat Gerhart Hauptmann neben den Sarg und sprach:

»Die tieftrauernden Freunde Walter Leistikows haben mich für würdig[117] erachtet, dem Schmerz Ausdruck zu geben, der uns alle vor dieser Bahre bewegt. Aber der Größe eines Schmerzes entspricht nur selten sein Ausdrucksvermögen, und was mich betrifft: ich darf mich der Einsicht nicht verschließen, daß ich zu denen gehöre, die ein echter Schmerz nicht beredter macht.

Ich verlor in Walter Leistikow einen Freund. Einen Freund verlieren heißt ein Stück Welt verlieren. Diejenigen unter uns, die erfahren haben, was Freundschaft ist, werden wissen, bis zu welchem Grade sich das Leben durch Freundschaft bereichern kann und wie sehr es mit dem Verlust von Freunden verarmt. Was jemand als Freund gewesen ist und was ihm Freunde waren, das macht einen Teil seines edelsten Wertes aus. Wer wollte nicht wünschen, daß der letzte Liebesdienst dieser Erde ihm durch Freunde geleistet werde? Und deshalb stehe ich hier, weil es nicht angeht, sich einem solchen Liebesdienst zu entziehen, und spreche mit lauten Worten vor vielen, was ich sonst nur im geheimen Zwiegespräch mit dem toten Freunde verhandeln würde.

Aber eigentlich sage ich das Beste auch in dieser schweren Stunde nur ihm insgeheim, und zwar liegt dies Beste unterhalb meiner Worte. Möchte auch in uns allen das am stärksten klingen, was unterhalb aller Worte ist.

Wir sind diesem Toten nicht so fern, wie es scheint, und eigentlich ist in einem tieferen Sinne kein Band zerrissen. Das schwere Gewölk, in dem wir stehen, vereinigt uns, es ist das gleiche große Menschenschicksal, dem wir alle verfallen sind, das gleiche große Todesmysterium, das meiner Meinung nach eine Ergänzung des Lebens ist und dem wir alle entgegenreifen. Ich bin mir bewußt, unergründliche Dinge zu streifen, aber es ist mir nicht anders zu Mute, als ob die Foltertragik dieses in seinen letzten Jahren so schweren Erdenschicksals in der erhabenen Tragik des Todes wohltätig ausgelöscht worden wäre.

Nicht nur wir, die wir dem alten Walter nahe standen, haben erkennen müssen, wie auserlesen als Mensch und Freund er gewesen ist. Die Frucht seines Wirkens gehört dem gebildeten Teil unserer Nation. Wenn es erlaubt ist, im Gleichnis zu reden, so möchte ichsagen, daß seine Künstlerseele etwa dem ruhigen Spiegel eines märkischen Sees glich, der die ganze Melancholie unserer märkischen Heimat wiederspiegelt. Die Liebe, gerade zu dieser Natur, drückt den schlichten und ernsten Grundgehalt der Persönlichkeit unseres toten Freundes aus, ein Grundgehalt, der ihn zu Werken befähigte, die wir kennen und die ein edler Besitz unseres Volkes geworden sind.

So lange Berlin, die gefährliche Riesenstadt, sich nicht selbst vergißt, wird es auch nicht des Mannes vergessen, der die düstere Kraft, Anmut und Monotonie seines breiten Wälder- und Seengürtels wie kein anderer geliebt und den Sinnen erschlossen hat. Mitten im Kampfe stehend und vielfach im lauten Kriegsgeschrei blieb die besondere Kunst Walter Leistikows unberührt. Sie war phrasenlos. Sie strömte, ähnlich der schlichten Daseinskraft der Natur, die abgeklärteste Ruhe aus. Äußere Kämpfe, innere Leidenschaften und Leiden des Meisters und Menschen drangen in ihr Gehege nicht, diesen stillen und weltfernen Garten, das Ursprungsgebiet aller großen Kunst, das auch ihr Boden gewesen ist.

Und nun, du lieber, durchgeprobter Mensch, Künstler, Kamerad und Freund, lebe wohl. In einem anderen und doch verwandten Sinne wartet nun deiner ein weltferner Garten. Unsere Gedanken, unsere Herzen, unsere Liebe, unsere Dankbarkeit folgen dir auch in diesen weltfernen Garten der Stille nach.«

Gerhardt Hauptmanns Geleitwort wirkte unsagbar ergreifend. Als er den letzten Satz gesprochen, fluteten, aus der Verborgenheit, die Töne des Beethovenschen Trauermarsches herein, gespielt von dem Blüthner-Orchester unter Frieds Leitung. Während die weihevollen Klänge noch die feierliche Domhalle erfüllten, wurde der Sarg hinausgetragen und auf den Leichenwagen gestellt. Die Villenkolonie Grunewald hat dem »nicht ortsangehörigen« Maler und Verherrlicher des Grunewaldes in bureaukratischer Kleingeistigkeit die letzte Ruhestätte verweigert, und so wurden Walter Leistikows sterbliche Reste nach dem Friedhof in Steglitz überführt. Dort erwartete eine sehr große Menschenmenge den Trauerzug und dort überbrachte auch[120] ein Vertreter des Kultusministeriums der Witwe das Beileid seiner Behörde. Noch ein Gebet am offenen Grabe und ein kurzer Chorgesang. Dann wurde der Sarg, der das beste, vornehmste Herz birgt, in die Gruft hinabgesenkt.


Walter Leistikow war noch nicht ganz 43 Jahre alt, als er starb; in ähnlich jungen Jahren wie auch Raffael hat er die schaffenden Hände zur ewigen Ruhe legen müssen. Aber auch wie dieser hat er seine Lebensaufgabe vollendet. Ich glaube, daß die Allweisheit der Natur, oder sagen wir Gottes, jedem Lebewesen sein bestimmtes Teil Arbeit auf Erden zuweist und sie lösen läßt, ehe sie die Kreatur wieder in den Ewigkeitsschoß zurücknimmt. Ich gehöre deshalb nicht zu denen, die von einem früh Verstorbenen zu sagen pflegen: Schade, was hätte er noch alles schaffen können. Derartige Naturen, denen ein früheres Ende bestimmt zu sein scheint, entwickeln sich auch um so schneller und ihre Lebensreife tritt in den Jahren ein, wo andere noch nicht die Kinderschuhe ausgetreten haben und immer noch tasten und suchen. Leistikow hatte bereits seine Lehrzeit hinter sich, als er im 24. Lebensjahre »Die Ziegelei in Eckernförde« aus der Dresdener Galerie geschaffen hatte. Mit 30 Jahren war er der berühmte Grunewaldmaler und hat sich nur noch in seiner Art erweitert und vervollkommnet. Der Historiker Carlyle sagt gelegentlich Mirabeaus Tode: »Darum ist unsere Frage: Was wäre geschehen? meist eine müßige. Die Weltgeschichte kann nie und nimmer der Ausdruck dessen sein, was nach Maßgabe irgend einer Möglichkeit sein möchte, könnte oder sollte, sie ist einzig und allein der Ausdruck dessen, was ist.«

Seine Bedeutung in der Landschaftsmalerei ist sehr groß, aber noch eine andere Wichtigkeit hat seine Malerei speziell für die[121] Stadt Berlin und die Mark Brandenburg: Seine Bilder werden späteren Generationen zeigen, wie die Mark und speziell der Grunewald einst war; fängt doch bereits jetzt der Grunewald an, seinen Charakter zu verändern, anstatt des Nadelholzes wachsen jetzt Laubbäume heran und schicken sich an, die Kiefern zu verdrängen, auch die Wildnis, die noch in Teilen herrscht, die er gemalt hat, wird vollständig weichen. So werden seine Bilder nicht allein künstlerisch wirken, sondern kulturell von Interesse sein. Die richtige Erkenntnis dieser späteren Wichtigkeit Leistikowscher Bilder für die Umgebung Berlins hat die Stadt Berlin bewogen, ein größeres Werk dieser Art aus dem Nachlaß für das Rathaus zu kaufen und ein andres, das ihr von mehreren Kunstfreunden geschenkt wurde, dem märkischen Museum zu überweisen. Bekanntlich hat dieses Museum die Bestimmung der Hort für alle Schätze märkischen Charakters zu sein; so wird es Jedermann freudig begrüßen, daß auch Leistikow, der Maler der Mark, hier vertreten ist.

Eine andere Bedeutung für das Kunstleben hat er als Organisator. Die Berliner Secession war – wie bereits gesagt – sein Werk. Aber die Gründung allein macht nicht sein Verdienst aus, sondern wie alle rechten Schöpfer nicht für den eignen Vorteil, auch selbst nicht allein für den ihrer engeren Umgebung etwas ins Leben rufen, sondern zum Besten der Allgemeinheit und für lange Zeit wirkend, so hat auch Leistikow fruchtbar gewirkt: Wenn Berlin zu einer Kunststadt geworden ist und es verspricht noch weiter zu werden, so hat es die Stadt hauptsächlich den anregenden Machenschaften Leistikows zu danken. Ist doch gerade durch die Spaltungen in den Künstlerparteien ein lebhafteres und praktischeres Kunstinteresse unter allen Bevölkerungsschichten der Reichshauptstadt erweckt worden und selbst für die reaktionären Künstlerparteien, gegen die er gekämpft hat, ist sein revolutionäres Tun zum Segen geworden, indemauch in diesen Kreisen das Verrottete und Stagnierende durch den aufgezwungenen Wetteifer dem Leben und der Bewegung weichen mußte.

Ein Jahr nach seinem Tode feierte die Secession ihre zehnjährige Existenz mit einer Kollektivausstellung Leistikowscher Werke. Der linke Ecksaal, in welchem das Jahr vorher Leibl zu sehen war, beherbergte seine Bilder aus den verschiedensten Epochen seines Lebens. Zum letzten Male vielleicht war hier das Schönste, was er gemacht hatte, unter einem Dache versammelt. Wenn ich mit Liebermann derselben Meinung bin, daß er seine Kunst bis aufs Letzte ausgekostet, so ist er doch für seine Familie, seine Freundschaft und Bekanntschaft nur allzufrüh dahingegangen. Liebe möchte das Erworbene auch immer bewahren. Er war überall geliebt und geachtet. Die Freundschaft seinerseits bewahrte er allen, denen er sie je gewidmet hatte; auch seinen Jugendfreunden, die im Wettlauf um das Ziel zurückgeblieben waren, war er stets derselbe geblieben und stets zu helfen und zu fördern bereit. Im kameradschaftlichen Verkehr wurde er jedem gerecht, gleichviel auf welcher künstlerischen Stufe seine Bekannten und Freunde standen. Über eigne Arbeiten vermied er fast schamhaft jedes Eigenlob und jede Diskussion, was um so mehr verwunderte und rührte bei seiner sonst so gesellschaftlichen Gewandtheit. Desto mehr Freude zeigte er, wenn ihm Lob zufällig von außen her zu Ohren kam.

So war das Leben Leistikows. Es war reich an Glück und Unglück; Freude wurde ihm in vollem Maße zuteil, aber auch Leid mußte er in eben dem Umfang tragen. Aber die Stärke seines Charakters meisterte das Gute und Böse seines Schicksals: weder Übermut noch verzweifelnde Schwäche kannte er. Er war von dem stärksten Schaffensdrang erfüllt. Nach einigen Jahrzehnten, wenn die Zeit das Mittelmäßige begraben hat und eine freiere Übersicht[124] gewährt, wird er als Markstein deutscher Kunst unter seinesgleichen noch hervorragen.

Seine Kunst war mit dem Boden unsres deutschen Vaterlandes aufs innigste verwachsen; mit Fug und Recht können wir ihn einen deutschen Künstler nennen. Und wenn über Jahr und Tag die Deutschen auch endlich wieder ihre nationale Kunst in vollstem Maße haben werden, so wird er zu den ersten Förderern derselben gerechnet werden müssen. Als ein Deutscher wird er uns und auch denen, die nach uns kommen, immer im Gedächtnis bleiben.

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Leben Walter Leistikows. Berlin: Bruno Cassirer, 1910, S. 107-125.
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