Das Malen


Die Lehre vom Zeichnen, wie ich sie bis hierher geführt, habe ich hauptsächlich so gehalten, daß sie als eine Vorstufe für das Malen zu betrachten war.

Das Malen ist demnach eine Umwertung des vorher Gelernten in Farben.

Jeder Gegenstand hat an und für sich eine Lokalfarbe; z.B. der Baum ist grün. Der nackte Mensch, den wir wieder zum Modell haben werden, ist fleischfarben, d.h. rosig oder gelblich, mit lebhafteren Farbflächen an den Wangen, Knien, da das Blut nach unten geht, an den Füßen, zufälligen Färbungen an den Armansätzen usw.

Nun ist die Wirkung, und demgemäß die Veränderung zu studieren, welche Luft, Licht und Umgebung auf die Lokalfarbe des abzumalenden Objekts zur Folge haben.

Zeichnen wir zum Beispiel eine Figur in ihren Tonwerten so, daß dieselbe in schwarz und weiß richtig modelliert ist, so erreichen wir eine gewisse farbige Wirkung, wenn wir sie leicht mit ihrer Lokalfarbe übergehen und den Hintergrund ebenso hinstreichen; das aber ist nur eine kolorierte Zeichnung.

Die Figur malen heißt: Licht, Tonwerte, Schatten, Reflexe[67] als einzelne Farben hinsetzen, und es ist keine Verulkung, wenn man sagt: die richtige Farbe auf den richtigen Fleck setzen.

Man malt mit Ölfarben, Tempera, Aquarell, Guasch, Pastell.

Zum Lernen ist aber die Ölfarbe vorzuziehen:

Sie hat die Möglichkeit des absoluten Korrigierens, sie erfordert ein Eingehen auf alle Farbwerte, und hat vor allen Dingen nicht das Bestechende wie Aquarell und Pastell, wo alles bereits nach etwas aussieht, ehe es im geringsten studiert ist.

Wegen dieser Bestechlichkeit der Farben ist jedem Lernenden anzuraten, so lange wie möglich beim Zeichnen zu bleiben.

Ebenso ist wieder auf das Verwerfliche des Dilettanten aufmerksam zu machen, der Richtigkeit mit Geschicklichkeit verwechselt, welcher wunder glaubt, etwas gemacht zu haben, wenn er geschickte, witzig-elegante Pinselspritzer hingestrichen hat.

Ein weiterer Vorzug der Ölfarbe ist die Fähigkeit, mit den andern Farbarten ebenfalls hantieren zu können, sobald man mit jener umzugehen gelernt hat.

Die Gegenstände, welche zum Malen außer den Ölfarben gebraucht werden, sind: die Palette, Borst- und Haarpinsel und vielleicht Terpentinöl.

Man malt auf Leinwand (für das Studium ist der Ölgrund, der die Farbe in ihrem vollen Wert stehen läßt, vorzuziehen), präparierten Holzplatten und Pappen; eine Staffelei, wie vorher auch für das Zeichnen.

Man setzt sich eine Farbenskala auf die Palette die etwa besteht aus: Kremserweiß, Zinkweiß, lichter Ocker, dunkler Ocker, gebrannter Terra di Sienna, Englisch-rot, Elfenbeinschwarz, roter Zinnober, Crapplack, Permanentgrün, Kobalt, ultramarin, hell und dunkel Cadmium.

Verschiedene Farben sind mit Kremserweiß nicht dauernd, dagegen alle mit Zinkweiß, welches aber wieder nicht die Deckkraft wie das Kremserweiß hat. Tabellen über die rationelle Zusammensetzung der Farben sind in jedem derartigen Kaufladen aufgelegt.[68]

Ist die Frische des Aufsetzens sowohl beim Zeichnen, wie auch bei allen Malarten das Vorzüglichste, so ist sie bei dem Arbeiten mit Ölfarbe geradezu Bedingung. Dieses Material verträgt nur ein Behandeln »naß in naß«; d.h. man kann in die Farbe, solange dieselbe auf der Leinwand naß bleibt, immer wieder hereinmalen und korrigieren. Ist ein Stück auf diese Weise fertiggestellt, so wird es in denselben Valeurs auftrocknen und bleibt auch am haltbarsten. Fängt die Farbe aber an aufzutrocknen, so ist ein teilweises Übergehen nicht mehr ratsam, da diese Übermalungen dunkler auftrocknen und reißen würden.

Wünscht man Stücke zu verbessern, die trocken sind, so ist das ganze Stück bis zu einer für günstige Ansetzung geeigneten Stelle vollständig neu zu übermalen. Daraus ist die Folgerung zu ziehen, daß ein stückweises Fertigmalen am praktischsten ist, da dann die Malerei ein flüssiges Aussehen (Malerei à la prima) gewinnen wird.

Früher wurde auch gelehrt, Schattenteile, welche noch nicht in der richtigen Stimmung waren, nachdem sie getrocknet, mit Lasuren zu übergehen. Anfangs wird der Zweck erreicht, aber nach nicht langer Zeit frißt die untere Farbschicht die dünne Lasur auf, und anstatt der klaren, durchsichtigen Malerei entstehen tote, trübe Partien, die gänzlich schwarz werden und Sprünge bekommen.

Die Zeichnung ist mehr das Resultat des Verstandes, die Malerei mehr Empfindungssache. Eine größere Vervollkommnung darin erreicht man nur durch das Streben nach immer größerer Richtigkeit der Formen und der Tonwerte. Ferner ist die Malerei ein Übersetzen der Wirklichkeit. Es gibt keine Farbe, welche die Leuchtkraft des Lichtes oder die klare Tiefen der Schatten hat. Die Wirkung wird nur erreicht durch das Nebeneinandersetzen der verschiedenen Stärkegrade.

Man unterscheidet kalte und warme Farben. Die kalten sind die ins Bläuliche gehenden, die warmen die ins Bräunliche.[69] Man spricht daher von kühlen und von warmen durchleuchteten Tonstimmungen.

Das Festhalten dieser verschiedenen Stimmungen ist, wie schon vorher gesagt, rein angeborene Empfindungssache. Man wird nun lernen müssen, die Farben so gebrauchen zu können, bis sie an und für sich dem Malenden in bezug auf Treffen und Nuancieren keine Schwierigkeiten mehr bieten und man schließlich so weit Herr über sie wird, wie etwa der Klaviervirtuose über die Tasten des Klaviers.

Gehen wir nun zu dem speziellen Malen des Kopfes und des Aktes über.

Der Kopf allein ist, wie beim Zeichnen, in Lebensgröße zu behandeln. Nachdem er in den Raum gebracht und aufgezeichnet ist, tut man gut, an einer Stelle mit Malen anzufangen, wo Hell[70] und Dunkel zusammenstoßen und auf diese Weise die Gegensätze gewonnen werden.

Ich rate meistens das Stück: Stirn, Augenhöhle und Nasenwurzel zuerst in Angriff zu nehmen; bei einfacher, vorderer Beleuchtung ist das Stirnbein hell, die Augenhöhle dunkel und die Nasenwurzel wegen ihrer Einknickung im Mittelton. So hat man drei wichtige Töne, und außerdem ist dieses das Zentrum des Kopfes, wo dann das übrige der Reihe nach angeschlossen werden kann.

Im ganzen ist das Setzen der Farbe nach der Form zu empfehlen, niemals das Streichen. Alles ist als Fläche anzusehen; die dunkeln sind von den hellen Tönen in die richtige Form zu bringen; auch Striche, die es eben nur scheinbar sind, z.B. die Runzeln bei alten Menschen, sind mit dem hellen Gegensatz in diese Schärfe hineinzuschneiden.

Wir sehen im Kopf drei Arten von Struktur: die Haut, das Haar, die Augen.

Die Gesichtsfarbe ist eine verschiedene: von der leuchtend roten dicker Leute über den rosigen Teint zum gelblich warmen und zum lederbraunen hinüber. Dieser Unterschied ist in den Studien wohl zu beachten. Ferner sind in diesem Gesamtton anders gefärbte Stellen: rote Nasen, rote Wangen, bläuliche Töne unter den Augen, und ebenso bei rasierten Menschen auf den Kiefern. Auch das Stoffliche der Haut fällt verschieden aus, je nachdem die Stärke der Muskelschichten ist und das Skelett darunter lagert. Z.B. das straff Gespannte der Stirn und das mürbere Weiche der Wangen und des Mundes. Die knorpelige Bildung der Nasenspitze und der Ohren dokumentiert sich durch bestimmte und feste Faltenbildung, Nasenflügel und Ohrmuscheln durch bestimmte Lichter und Schatten.

Die Haare haben durch ihre seidige Beschaffenheit bestimmte, kalte Glanzlichter, je nach Farbe der Haare auch verschieden gefärbt, und tiefe, leuchtende Schatten, und zwar in perspektivischer Form, nach einer Kugel konstruiert.[71]

Der Bart muß durchaus auf Ton (hell oder dunkel im Vergleich zu dem Gesicht) gesehen werden; in bezug auf das Malen sind dieselben Regeln anzuwen den wie beim Zeichnen. Die Augenbrauen wirken – außer wo sie sehr stark sind und dann auch einzelne Haare hervorspringen – in dem Tonwert ihrer Umgebung. Die Wimpern sind bestimmt hinzusetzen und manches Mal ebenfalls als einzelnes Haar zu behandeln.

Die Augen sind durch ihre gallertartige Substanz der glänzenden, feuchten Oberfläche wegen, einem Glase zu vergleichen; überall spiegeln sich äußere Gegenstände in ihnen. Kleine, bestimmte Glanzlichter in Pupille und Augapfel entstehen dadurch. Der gesunde Augapfel hat einen bläulichen Schimmer, und sind deshalb die Schatten ebenfalls von kühlen Tönen. Interessant zu malen sind die roten Adern, welche das Auge durchziehen, und die blutigroten, innern Augenwinkel. Um die ganz präzisen Glanzlichter und Dunkelheiten, wie Wimpern und einzelne Brauenhaare zu malen, braucht man eine Handstütze.

Im Hintergrunde muß man ebenso bemüht sein, die richtige Farbe und richtige Tonwerte zu treffen, so daß die Studie ein getreues Abbild des Modells wird.

Immer wieder möchte ich daran erinnern, daß die Arbeiten nicht geschickt aussehen sollen. Das Verdienst, sich gerecht geworden zu sein durch das ernste Verfolgen aller Formen und Charaktereigentümlichkeiten des Modells, ist das einzig erstrebenswerte.


*


Der ganze Akt ist wiederum wegen der Übersicht – wenigstens in der ersten Zeit – in kleinerem Format zu malen. Ebenso ernsthaft, wie früher beim Zeichnen, ist die Raumeinteilung zu beobachten.

Trotz der Kleinheit der Figur muß man aber bemüht sein, alle Details des Modells in die Malerei hineinzubringen. Nur dadurch hat das Studium unter Lebensgröße Zweck und ist ein späteres Arbeiten in großen und größten Formaten möglich.[72]

Natürlich ist auch zur Übersicht des Aktmodells selbst eine größere Distanz notwendig, und die Staffelei wird deshalb bedeutend weiter hier wegstehen, wie bei dem Kopfmodell. Dadurch spielt die Luft schon eine wesentlich größere Rolle in bezug auf Einwirkung der Farbenerscheinung.

Die Luft breitet sich wie ein Schleier auf die Farbe des Modells und macht sie dadurch toniger und weicher. Bei größeren Entfernungen, z.B. in der Landschaft, sieht man, wie die Gegenstände durch sie in bläulichen Dunst gehüllt werden.

Wenn der Entwurf des Aktes genügend richtig auf die Leinwand gebracht ist, ist das Weiterführen der Studie auf zweierlei Art zu ermöglichen:

Man fängt mit dem Kopf an und ruht nicht eher, als bis man ihn nach bestem Ermessen fertiggestellt hat, um dann Stück für Stück auf dieselbe Weise weiter zu gehen.

Selbstverständlich ist auch der Hintergrund sofort anzusetzen, denn die Malerei ist eine Übersetzung der Natur – wie schon vorher gesagt ist –, und das Licht wird zuerst zum Licht, wenn man den Tonwert des Schattens danebengesetzt hat. Das Ganze wird dann die Erscheinung der Natur wiedergeben, wenn auch der Hintergrund richtig dazu gestimmt ist.

Dieses stückweise Fertigmalen hat natürlich in den ersten Zeiten seine Schwierigkeiten, wie überhaupt das Schreiben über alles leichter ist, wie das Arbeiten selbst. Aber man muß dieses Stadium zu überwinden suchen.

Es wird sich am Anfang herausstellen, daß die Farbenstimmung eine schwächliche, körperlose ist, daß die Tonwerte doch nicht stimmen und daß überhaupt vieles auszusetzen und zu korrigieren sein wird.

Die zweite Methode wäre diejenige, die ganze Studie zuerst leicht – vielleicht mit Terpentinöl verdünnt – zu untermalen, indem man die großen Massen und die Gegensätze der Farben in Körper und Hintergrund breit hinstreicht.[75]

So hätte man die große Erscheinung, und man könnte mit größerer Sicherheit die richtigen Farben treffen.

Jedenfalls ist das Endresultat beider Arbeiten an fangs dasselbe, nämlich: die Unzulänglichkeit. Und man wird das Ganze wieder von neuem übergehen müssen. Es wird am Ende bei diesem fortwährenden, neuen Abmühen nichts verschlagen, wenn die Malerei nicht flüssig wird; Hauptsache ist, die Richtigkeit anzustreben. Die Absicht sollte aber immer da sein, die Studie naß in naß wieder neu herunterzumalen.

Hauptsächlich ist der Torso immer in so feinen Tonnuancen in sich verschieden, daß hier das Fertigstellen in einem Gusse Bedingung sein wird. Sind die Arme und Beine zwar viel schwieriger in der Zeichnung durch kompliziertere Form und Bewegung, so ist doch eine neue Übermalung bei Existenz von Fehlern hier selbstverständlicher, weil diese Gliedmaßen schon räumlich einen kleineren Platz einnehmen.

Das Setzen der Farbe und das Nebeneinandersetzen der Tonwerte muß nie vergessen werden; auch sind gerade beim Aktmalen mehr die Übergangstöne zu beobachten. Dieses sind die Töne (demi-teints), welche zwischen höchstem Licht und tieferem Ton den Übergang bilden. Z.B. ist bei der zylindrischen Form von Armen und Beinen meistens ein höchstes Licht in Längsform und zwischen diesem als höchste Fläche und den Flächen zu beiden Seiten als tiefere Farben der sog. Übergangston. Dieser muß stets als eigene Farbe hingesetzt werden und ist nie etwa aus Licht und Schatten ineinanderzustreichen.

Ferner ist auch auf die Lokalfarbe des ganzen Aktes zu merken, ob sie hell oder dunkel ist und daraufhin die Veränderung derselben in Schatten und Licht zu beobachten. Der Schatten z.B. eines rosigen Körpers wird eine ganz andere Farbenqualität aufweisen wie der eines dunkelgefärbten.

Es ist die Kunst, den Akt nicht nur hell und dunkel zu malen, sondern seine jeweilige Lokalfarbe sowohl im Licht wie auch in denSchattentönen durchzuführen. Ist man durch das fortwährende Korrigieren und Übermalen so übermüdet, daß die weitere Beurteilung versagt, so möge man Skizzen von neuen Ansichten machen, mit Bleistift oder auch mit Farbe. Auch bevor man eine Aktstudie malen will, ist es ratsam, Entwürfe mit Kreide oder Bleistift (croquis) zu machen, jetzt aber dem Zweck gemäß auf kleinerem Format als auf dem ganzen Ingresbogen; auch nicht mehr in Tonwerten und den Details, sondern nur auf die Auffassung hin, weil man sich gewissermaßen mit dem Hauptsächlichsten des Modells vertraut machen will.

Eine genauere Ausführung würde bereits eine Ermüdung zur Folge haben, noch bevor man an das Malen herangegangen wäre.

Sind endlich die Fortschritte des Schülers derart, daß er die Schwierigkeiten bis hierher überwunden und die Fähigkeit erreicht hat, eine Studie in obiger Art zur Zufriedenheit fertigzustellen, so würde er das Stadium erreicht haben, wo er halbwegs Maler genannt werden könnte.

Er ist nicht mehr auf das Schema des Studienganges angewiesen. Nunmehr kann er sich nach eigener Wahl weiter vervollkommnen.

Deshalb möge er von Zeit zu Zeit wieder auf das Fundament der Kunst zurückkommen: auf das Zeichnen. Jetzt wendet er die Lebensgröße an, in ganzen Figuren, oder einzelne Teile derselben. Er wird nun freier darüber schalten, immer seinen eigenen Intentionen folgen: mehr auf die Auffassung sehen oder auf die Detailformen, je nachdem er es für notwendig erachtet.

Auch im Malen wird er die Lebensgröße zu bewältigen suchen, im Halbakt oder ganzer Figur. Er muß aber nun immer bestrebt sein, die Malerei à la prima fertigzustellen: die individuelle Auffassung und der Vortrag stellen sich von selbst ein.

Jetzt ist schon mit der Individualität in der Auffassung (der persönlichen Note) zu rechnen. Denn später wirkt der fertige Maler hauptsächlich durch die Kraft seiner Persönlichkeit, die sich[79] in seinen Werken offenbart, am meisten auf die Beschauenden; natürlich stößt er auch, je selbständiger er ist – weil ungewohnt –, auf Verständnislosigkeit der Massen.

Die bekleidete Figur wird jetzt auch häufiger als Modell verwertet werden können. Als Vorstudie zum Porträt ist sie unerläßlich.

Man suche die penibelste Ähnlichkeit der Person zu erreichen, durch Frische der Malerei zu glänzen und das Kostüm richtig zu behandeln.

Beim Malen der Gewänder muß außer den Lehren, die ich bei der Zeichnung angegeben habe, auch noch auf die kalte oder warme Wirkung der Farben gesehen werden, weil sich hierdurch nebst der Formengebung der Falten der stoffliche Charakter ausdrückt: bei Seide werden kühle Farben vorherrschen, bei Sammet mehr warme. Die Schuhe aus schwarzem, blankem Leder haben direkt blaue Glanzlichter und bläulich-tiefe Schatten, durch die feste Bestimmtheit derselben wird die Härte des Materials ausgedrückt. Die gesteiften Linnenkragen zeigen ebenso durch ihre Präzision, wie sie scharf, ohne Übergang um den Hals liegen, und durch ihre glatte Fläche in Licht und Schatten ihre feste Beschaffenheit an.

Zu erwähnen ist noch, daß verschiedene Bekleidungen, die auf einem Körper liegen, in den Schattenteilen eine geschlossene Masse bilden – wenn sich auch weiße Stoffe dazwischen befinden; z.B. wenn das Hemd oder eine weiße Bluse an einem schwarzen Rock hervorkommt, werden diese zwei entgegengesetzten Farben im Schatten dennoch geschlossen wirken. Dieselbe Geschlossenheit, wenn auch nicht so ausgeprägt, ist ebenfalls in den Lichtseiten.

Ferner ist auch bei den Gewändern auf absolute Ähnlichkeit zu achten; es soll nicht bei der Kostümfigur ein Kleid gezeichnet und gemalt werden, sondern das bestimmte Kleid der Person, mit allen Eigentümlichkeiten ihrer zufälligen Charakteristik.

Was ich früher von dem Hintergrund der Kostümfigur (der[80] Umgebung) betreffend Zeichnung gesagt habe, trifft auch für das Malen zu.

Man stelle sich in Figur und Hintergrund die verschiedensten Aufgaben; zwecks Beleuchtung z.B. eine Figur gegen das Fenster, wie die Figur selbst eine Silhouette bildet gegen die Helle draußen, und wie die Gegenstände innen in Licht und Schatten deutlich ausgesprochen sind, und das Ganze einen eigenartigen malerischen Reiz bildet.

Die Beleuchtung von vorn (mit dem Licht) zeigt mehr die Fleckenwirkung, d.h.: die Lokalfarben der Figur, der Gewänder, der Gegenstände ringsum kommen hierbei mehr zur Geltung; und wenn bei der vorigen Aufgabe mehr die Intensität des malerischen Sehens schließlich auf Kosten absoluter Richtigkeit der Proportion geübt werden soll, so ist im letzteren Fall mehr die Ähnlichkeit aller Objekte zu erzielen. Darüber ist späterhin weiter zu sprechen.

Im ganzen wäre der Lehrgang bis hierher als ein erster Abschluß des Studiums am Menschen zu betrach ten, d.h.: der Kunstbeflissene hat jetzt soviel gelernt, daß er einigermaßen weiß, worauf es ankommt.

Die Zeitdauer bis zu dieser Stufe kann ungefähr für die meisten Studierenden auf drei Jahre berechnet werden.

Ausgelernt hat man niemals. Immer wieder sucht man neue Probleme; auch der größte Künstler ist der Natur gegenüber vom ersten Tage seines Studiums bis zum letzten Atemzuge ihr ewig neusuchender Schüler.

Der Lehrling ist in diesen drei Jahren schweren Arbeitens zum Gesellen geworden, der bereits Pinsel, Palette und Stift einigermaßen zu handhaben weiß. Er kann jetzt die geregelten Pfade des Studienganges verlassen und seinem Temperament die Zügel schießen lassen.

Anstatt der sorgfältigen Vorarbeiten für die Malerei auf reiner Leinwand versuche er jetzt öfters, bemalte und ausgetrocknete Leinwand zu nehmen und gleich mit Farbe das Modell, den Halbakt[81] oder was es sonst sein mag, herunterzustreichen. Er möge alle Vorsicht beiseite setzen und nur, seinem Instinkt folgend, das Ganze in einigen Stunden fertigstellen; auf eine Faust von Noten mehr kommt es nicht an. Verzeichnungen und Nebenbeihauen wird entschuldigt, sobald die Erscheinung in ihrem Charakter getroffen ist.

Außer der Erfrischung und Freude, die man an sol cher Arbeit hat, ist der Farbenauftrag auf einer Leinwand, die bereits mit Farbe bedeckt ist, viel gehaltvoller; die Farbe sitzt bestimmter und hat einen klareren Gehalt. Ferner kann man seiner Lust vollständig fröhnen durch die Schnelligkeit, naß in naß zu malen.

Bei dem vorgeschriebenen, langsameren Studium wird der Lernende immer Ärger damit haben, daß die Farben von einem Tag zum andern so trocken oder so zäh sind, daß ein flüssiges Weiterarbeiten nicht mehr möglich ist. Man hilft sich zwar, indem man nasse Tücher darüber hängt oder die Leinwand an einen kühlen Ort stellt. Das Zinkweiß hat ebenfalls eine langsam trocknende Eigenschaft; da fast immer Weiß in allen Tonarten verbraucht wird, ist es deshalb vielleicht angängig, diese Farbe zu verwerten. Freilich ist die Deckkraft dabei weniger vorhanden wie beim Kremserweiß.

Aber der strenge Ernst muß auch beim flüchtigsten Tun gewahrt bleiben.[82]

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 64-73,75-77,79-83,85.
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