Sechster Teil
Krieg von 1914–1918

Heute ist der 17. Oktober 1918. Ich habe leider keine Hoffnung auf eine bessere Situation Deutschlands. Gestern war die Antwort Wilsons aus Amerika gekommen: nein, er wollte keinen Frieden stiften. Darob war in ganz Berlin und wohl auch im ganzen Deutschland eine hochgradige Verzweiflung und Wut über Wilson; schon schrieb er, mit Österreich würden Separatverhandlungen abgeschlossen. Tatsächlich wurde hereits heute Österreich wesentlich milder behandelt. Es ist zu kurzsichtig, daß jeder Deutsche als frommen Wunsch dachte, daß Wilson den Frieden machen müßte, sonst stände er gebrandmarkt vor aller Welt da.

Und doch hielt im innersten Herzen jeder Deutsche den Amerikaner für einen Dummerjahn falls er den Frieden machte. Demnach war also kein Grund vorhanden, besonders überrascht zu sein, wenn er nicht auf unsere »flehentliche Bitte« einging. Durch Österreich konnte er und die Entente störend einwirken und unsere Alliance sprengen. Und so geschah es.

Ich will nun prophezeien, wie der Krieg verlaufen wird. Die Entente hat mit Amerika solche Machtmittel zur Verfügung, daß wir nicht einen[135] Sieg gewinnen können. Wir werden langsam aber sicher aus Feindesland herausgedrängt. Die Feinde werden über kurz oder lang in Deutschland eindringen. Die Deutschen werden wieder nach Frieden winseln und die Feinde keinen Frieden, auch den schmachvollsten nicht gewähren. So wird es und nicht anders. In Ostpreußen werden sie einen Frieden schließen, wie er ihnen genehm ist; das heißt die Mark Brandenburg und Ostpreußen gehören Preußen, ganz Süddeutschland, wenn nicht Bayern vorher bereits abgefallen ist, fällt zu Deutsch-Österreich, – der Rheinbund wird als quasi Völkerbund gestiftet, und niemals wird Deutschland sich wieder erheben, weder durch Empörung oder durch einen richtigen Krieg. Das Werk Friedrichs des Großen ist hin, so denke ich es mir; glücklich wäre ich, wenn es nicht zutrifft.

Wenn die Feinde triumphierend durch Deutschland ziehen, ist wohl anzunehmen, daß in dem Volke eine Revolution entsteht. War doch bereits ein Aufstand einer Clique Sozialdemokraten geplant. Schändlich! Kein Mann ist da. Die sogenannten deutschen Diplomaten haben das Unglück verbrochen mit ihrer sträflichen Dummheit. Dagegen die Entente wird arbeiten! Seit dem Wilson das Wort prägte, die Hohenzollern müßten herunter, variierte die Entente das Wort: fort mit dem Kaiser, das deutsche Volk wäre prachtvoll! Niemand wolle ihm was Böses, dem Volke! So brachte man den Deutschen dazu, zuerst seinen Kaiser zu stürzen; dadurch haben sie die Tendenz gestürzt, denn weil er nichts taugt, so dürfte kein Deutscher an diesem Sturz etwas finden. Das ist aber der Anfang vom Ende des kaiserlichen Deutschlands. Nachher werden sie wieder eine andere Tonart singen, und der dumme Michel schreit und lamentiert wieder über falsche verfluchte Feinde, macht in der Tasche eine Faust, läßt aber[136] den lieben Gott leben, wie er will. Es ist schrecklich und furchtbar traurig. Nach dem Kriege wird der Friede kommen, aber mit der Ruhe des Grabes.

Quelle:
Corinth, Lovis: Selbstbiographie. Leipzig: Hirzel, 1926., S. 133-137.
Lizenz:
Kategorien: