Franz Marc 08.09.1911

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BRIEF AUS SINDELSDORF


Symboldsdingen, den 8. IX. 11


Lieber August,


Dein Brief hat mir eine grosse Freude gemacht, bis auf die eine traurige Nachricht, dass Ihr nicht nach Sindelsdorf kommt; vielleicht und hoffentlich holt Ihr es doch noch im Spätherbst, zum Bogenschiessen, oder im Winter nach. Du weisst, wie schön es hier im Winter ist; da patscht Ihr bei Euch doch nur im nassen Dreck.

Was Du über Kandinsky schreibst, ist vollkommen das, was auch mich an ihm so freut und begeistert. Sähest Du mehr von ihm, im Atelier selbst, und das, was ich hier habe, würdest Du Deine Freude daran verdreifachen. Der Mensch, der dahinter steht, ist das allerbeste. Betreff Münterle hast Du selbstverständlich recht; es macht ja aber gar nichts; es werden doch alle kleine Münters und keine kleinen Kandinskys. Sie ist so niedlich hier, wenn sie bayrisch geht.

Dass Du soviel Schwaches und Unfertiges bei Deinen Arbeiten fühlst (– Denkst Du etwa, ich fühlte es bei mir weniger? oh mei!), ist gar kein Grund, mit diesem Grossberliner aus der Brandenburgstrasse nicht sehr energisch umzugehen; ich hab es letzthin auch wieder in einer, wenn auch kleineren Sache getan, und er hat sofort klein beigegeben. Du musst jedenfalls vollkommen ignorieren, dass Du ihm quasi verwandt bist.

Mein letzter Brief über die Vereinigung war nur ein kleines Präludium zu weit grösseren Plänen, die Kandinsky und ich momentan aushecken; (ich brauch Dich wohl nicht extra zu bitten, gegen jedermann davon vorerst zu schweigen?).

Wir wollen einen ›Almanach‹ gründen, der das Organ aller neuen echten Ideen unserer Tage werden soll. Malerei, Musik, Bühne etc. Er soll zugleich in Paris, München und Moskau erscheinen, mit vielen Illustrationen. In Paris sollen Le Fauconnier und Girieud die erste Mitarbeiterschaft übernehmen, an Musikern haben wir Schönberg und einige Moskauer, ausserdem dort die Burljuks. – Es soll vor allem durch vergleichendes Material viel erklärt werden –. Deine alten Pläne, vergleichende Kunstgeschichte zu treiben, haben hier ihren Platz. Wir werden alte Glasbilder, französische und russische Volksblätter bringen, neben fremden und eigenen neuen Sachen, zuweilen dazwischen einmal ›Münchner moderne Malerei‹ zum Vergleich. Wir erhoffen soviel Heilsames und Anregendes davon, auch direkt für die eigene Arbeit, zur Klärung der Ideen, dass dieser Almanach unser ganzer Traum geworden ist. (Verleger ist natürlich ein ganz gewöhnlicher Setzerlehrling namens Piper). Mir tut es unendlich leid, Dich nicht hier zu haben bei den langen Abenden, an denen wir alles durchsprechen. Selbst wenn noch alles zu Wasser würde,[72] wären mir diese Abende nicht leid. Auch Deine Bühnenpläne sind hier am Platz; in dieser Beziehung haben wir ziemlich feines Material (wiederum von Russen!).

Wenn Du einmal ein paar neue Sachen gemalt hast, schicke sie doch her; ich bin furchtbar neugierig darauf; schreib mir auch bitte einmal, welchen Eindruck Dir die Mannheimer Ausstellung gemacht, sowohl Girieuds wie meine. Für mich scheint diese meine Kollektion schon so weit zurückzuliegen, dass es mir ganz komisch vorkommt, sie wieder ausgestellt zu wissen. Ich war ziemlich fleissig seitdem, und ich glaube auch, dass ich vorwärts gekommen bin. In der Erinnerung scheinen mir jene Bilder z.T. sehr äusserlich schön und vieles hinkend, Gesichter mit schiefen Backen, Wagen mit drei oder fünf Rädern. Mein ganzes Trachten ist, innerlicher zu werden, jeder auf dem Bilde vorkommenden Farbe und Form eine innerliche, nicht beweisbare Notwendigkeit zu geben. Die Wirkung echter Kunst ist nie beweisbar oder erklärbar (z.B. die Sachen Deiner Frau).

Hat Dir. Hagelstange die Roten Rehe nach Mannheim geschickt? Er hatte sie in Köln, ohne sie verkaufen zu können und versprach, sie nach M. zur Ausstellung zu schicken; es scheint mir in der Erinnerung eines der besten; nur muss man eine solche Wirkung auch mit reinerem Material bringen können. A propos Hagelstange: nimm meinen diskreten Freundschaftsrat und gib, wenn Du je mit diesem lustigen Herrn geschäftlich (Verkauf etc.) zu tun hast, höllisch acht; er ist in dieser Beziehung ein ziemlich schamloser Halunke. (Beweis später einmal mündlich).

Nun schreib mir einmal offen, ob Du Lust hast, bei Thannhauser auszustellen, im Frühjahr. Du weisst, dass mann die Termine bei diesem Herrn fast immer ein halbes Jahr vorausbestimmen muss; ich übernehme es gern, Dir eine Ausstellung dort zu sichern (ich glaube wenigstens sicher, dass es mir ohne Mühe gelingt), aber ich muss Deinerseits Vollmacht dazu haben. Schreibe mir, bitte darüber so bald als möglich und zieh es nicht in die Länge, ja? Du musst ausstellen, ob Du willst oder nicht; und dann lassen wir die Sache reisen; dafür lass mich sorgen. Deine Sachen müssen von München aus in's Rheinland reisen.

Mir wurde übrigens jetzt die Mitgliedschaft zum Sonderbund angeboten, die ich natürlich annehme. Etwas Schauderhafteres als den Text dieser Denkschrift habe ich allerdings noch kaum gelesen. Der Blödsinn ist ja ›ausgeschämt‹. Das Kapitel über Deusser ist der Trumpf von allem. Wir werden demnächst das Vergnügen haben, wahrscheinlich ähnliche spek traloptische Spiegelfechtereien des Herrn Niemeyer über uns (im Piperverlag) ergehen lassen zu müssen. Hol ihn der Satan; dieser besoffene Hanswurscht! – Soll ich Dir diese denkwürdige Schrift nach Kandern oder später nach Bonn zurückschicken?

Über den Fund der Hose war ich baff. Ich hatte davon keine Ahnung. Was hätte ich nur gemacht, wenn ich zu einer nach Gottes unerforschlichem Ratschluss erfolgten[73] schnellen Beerdigung der ›Vereinigung‹ hätte gehen müssen? (›Ich hör mi schon gehn‹.)

Nun Schluss mit dem Geschwätz. Deine Glasbilderporträts hab ich fein bayrisch gerahmt, wie sich's gehört. Glänzend fand ich auch die, die Munter hat, vor allem die Schwarzrheindorf er Landschaft mit dem Fischer und das Deiner Frau. (Küss die Hand!). Viel Vergnügen und gute Arbeit in Kandern. Euch beiden herzlich verbunden


Franz und Maria[74]

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 70-75.
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