Franz Marc 28.03.1912

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BRIEF AUS SINDELSDORF


28. III. 12


Lieber August,


Jetzt ist er schon hina! Viel fehlt wenigstens nimmer. Jedenfalls hat dieses Frauenziefer auf meine Freude am Blauen Reiter bös gespuckt. Kandinsky leugnet vollkommen, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und mir irgendwie in Betracht kämen; lediglich ganz persönliche gekränkte Eitelkeit von Munter, die ich, wie sie und (hinter ihr verschanzt) er sagt, wie einen Stuhl behandele. Stell Dir vor, dass sie[113] mir in's Gesicht vorwirft, ich hätte dann und dann auf der Strasse oder am Kaffeeeingang nicht den Vortritt gelassen, hätte sie vor ca. zwei Monaten einmal auf eine Bemerkung von ihr unwirsch angeblickt oder ein andermal eine Einsprache ihrerseits unbeachtet gelassen usw. Ich übertreibe nicht; es ist zum Kaputtlachen, wie Du sagst, aber für mich auch sehr traurig um Kandinskys willen, den ich sehr liebe und dessen Verkehr mir teuer war. Er wurde von ihr als Posten aufgestellt, meinem Benehmen zu ihr aufzulauern und bestätigte als Pantoffelheld die ›Berechtigung‹ ihrer Vorwürfe!! Er behauptet zwar, dass ich auch gegen ihn kühler geworden sei; als ich nach der Begründung frug, konstatierte Munter, dass ich kürzlich sein neues Bild, das auf der Staffelei gestanden, gar nicht angesehen hätte; das ist wahr; ich war kurz dort, hundsmüd, wir hatten wegen dem Blauen Reiter einen Haufen zu bereden, und ich hatte keine Lust, mir Bilder anzusehen. Das Ganze ist so dumm, dass man sich schämt, es niederzuschreiben. Und dann der Fall August!! Da hätte ich nach Ansicht von Munter überhaupt kein Recht, mitzureden; denn ich sei ihr von Anfang an kühl gegenübergestanden, während Du ihr ein ›warmer Freund‹ in Bonn gewesen seist und in München plötzlich in's Gegenteil umgeschlagen seist (also Treubruch!) Ferner habest Du Deine, statt, wie versprochen, ihre Sachen im Gereonsklub ausgestellt. Die Form der Zurücksendung der Verlobungsringe – pardon, Zeichnungen – entspräche vollkommen Deinem Verhalten! Die typische alte Jungfer schlimmster und dümmster Sorte. Schicke ihr ja bald sämtliche Sachen zurück mit dem Bemerken, sie möchte Dir auch jenes Pastell wieder zustellen; tu es bitte wirklich, es wäre zu gemein, wenn sie es behielte. Wie die Sache nun weiter mit mir und ihnen läuft, ist mir unklar. Ein wirklich freundschaftlicher Verkehr ist natürlich unmöglich; wenn Kandinsky darauf dringt, bleibe ich bei der Blauen-Reiter-Sache, die wir im Grunde wirklich nicht übel in den Sattel gesetzt und die gerade momentan ganz famose Aussichten nach vielen Seiten hat. Viel Lust hab ich freilich nicht dazu. Lieber würde ich nun Ausstellungen mit Dir und Campendonk zusammen arrangieren, dazu Heckel u.a.; denn ab und zu so eine Ausstellung zu machen, freut mich wirklich; man lernt auch dabei und fühlt sich ›Mensch‹. Ich könnte dieses Frauenzimmer direkt kaputt schlagen.

Im ›Sturm‹ sind meine Bilder natürlich nicht verkauft; ein dummes Versehen von Walden im Katalog. Ich bin ganz gut in der Arbeit; werde zum Sonderbund schon einiges haben. Montag fahren wir herein, um die Ausstellung zu hängen; wir freuen uns darauf. – Auch ich habe eine Negerskulptur, mein Lieber! Sobald Dir das eine oder andere meiner Bilder langweilig wird, schick es Reiche; ich sprach ihn per Telefon; er bittet direkt darum, Arbeiten bei sich auf Lager zu haben. Richtet Euch doch ein, diesen Sommer sicher zu kommen, oder Frühjahr; es wäre so nett!

Herzliche Grüsse an Dich und Lisbeth, Dein


Fz. M.

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 111-114.
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