[Nun hab ich überwunden]

[127] Nun hab ich überwunden

Durch Christi theures Blutt/

Und in dem Himmel funden

Das allerhöchste Gutt.[127]


Ich gebe dieser Erden

Mit Freuden gutte Nacht/

Die mir so viel Beschwerden

Und wenig Lust gemacht.


Mein Glaub hat überstiegen

Den Berg der schweren Zeit/

Sieht ihm zu Füssen liegen

Das Thal der Eitelkeit.


Ich lege freudig nieder

Der Hoffnung Wander-Stab/

Die Last der siechen Glieder

Verwahrt das kühle Grab.


Viel lassen sich verblenden

Der falschen Hoheit Schein/

Und wollen auff den Händen

Der Welt getragen seyn.


Ein sanffter Engel-Wagen

Führt mich vor Gottes Thron/

Da werd ich ewig tragen

Die Siegs- und Ehren-Kron.


Es stehn ihr viel nach Schätzen/

Der theure Schlacken-Koth

Soll ihre Seel ergötzen/

Sie wehlen Gold für Gott.


Was Zeit und Dieb nicht stehlen/

Was nirgend findet Platz/

Was keine Zahl kan zehlen/

Gott selber ist mein Schatz.


Wohnt ihr in stoltzen Zimmern/

Schmückt sie mit Marmor aus/

Last auff der Erde schimmern

Ein andres Himmel-Hauß.[128]


Mein Schloß hat Gott gebauet/

Wo man vor Stein Saphir/

Vor Fenster Sternen schauet/

Wo Licht ist für und für.


Man dienet seinem Leibe

Mit schwer-erworbner Kost/

Sucht/ wie man Zeit vertreibe

In offt vergällter Luft:


Hier darff ich nicht mehr wissen

Was Sorg' und Hunger war/

Kan mir die Zeit versüssen

Mit aller Engel Schaar.


Viel wolln den Himmel finden

Durch unermüdten Fleiß/

Und suchen zu ergründen

Was Gott alleine weiß:


Ich kan mich höher schwingen/

Durch Jesus Mund gelehrt/

Und weiß von solchen Dingen/

Die noch kein Ohr gehört.


Darum ihr Eitelkeiten/

Lust/ Wissen/ Schätze/ Pracht/

Ihr Freude meiner Zeiten/

Ihr Freunde/ gutte Nacht!


Und gutte Nacht ihr Glieder/

Schlafft wohl in stiller Grufft/

Wir sehn uns freudig wieder

Wenn Gottes Stimme rufft.

Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 2, S. 127-129.
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