Der Liebende an eine verwelkte Blume

[10] Diese Blume – ach sie kam von ihr!

Auch verwelkt noch ist sie heilig mir.

Längst sind ihre Farben hingeschwunden,

Wie die Seeligkeit vergangner Stunden –

Aber dennoch bleibt sie heilig mir,

Diese Blume – denn sie kam von ihr.


Tausend blühen schimmernd jetzt im Hain –

Farb' und Duft erfüllt ihr kurzes Seyn –

Aber mich reizt ihre Schönheit nicht,

Wenn nicht ihre Hand sie für mich bricht.

Längst verblichne Blume, Du allein

Sollst mir Weihgeschenk des Frühlings seyn.
[10]

Thränen trüben schwellend meinen Blick,

Denk' ich an den schönen Tag zurück,

Wo sie Dich im Morgenthau mir pflückte,

Und ich zärtlich an mein Herz Dich drückte.

Theure Blume – – mein entfloh'nes Glück

Kehrt wie deine Farbe nie zurück!
[11]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie. Berlin 1808, S. 10-12.
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