Elegie

[94] Wandelnd im Schimmer des Mondes, und tief in Gedanken versunken,

Führt mich der ländliche Pfad über das schweigende Feld,

Und in der Stille des Abends, die mich balsamisch umsäuselt,

Nahet dem sehnenden Geist mancher Erinnerung Bild.


Wie voll Schwermuth und Ernst auf nächtliche Stille des Grabes

Luna den trauernden Blick senkt von der ewigen Bahn,

Der die Gefilde erhellt mit bleichem Glanze, so blicket

Auf vergangene Zeit trübe umwölket mein Sinn.
[94]

Bilder der Freundschaft und Liebe, und all' ihr lächelnden Träume,

Die ihr mein Leben geschmückt, eilet, und kehret zurück.

Stillet mit freundlichem Trug die blutenden Wunden der Sehnsucht,

Da mir die wirkliche Welt meine erträumte versagt.


Ja, ihr erscheinet mir nun – doch nicht mehr im rosigen Schimmer

Jugendlich glühender Lust, die aus der Hoffnung entsprang.

Nächtlich, und trübe verhüllt in melancholische Schleier

Sinnender Wehmuth, erscheint ihr meinem thränenden Blick.


Seyd mir dennoch willkommen, auch im Geleite der Trauer,

Die an den Wechsel der Zeit mahnet mit schweigendem Ernst.[95]

Ach es lindert so sanft den zehrenden Schmerz des Entbehrens

Der Erinnerung Glück, ist's auch mit Wermuth vermischt.


Unbefangene Tage der frühen, blühenden Jugend,

Als mein fröhliches Herz lauter zu klopfen begann!

Als die Erstlingsgefühle der Liebe sich regten im Busen,

Als mir die Freundschaft zuerst reichte den duftenden Kranz!


Könnt' ich Eurer vergessen – vergessen der Stunden voll Wonne,

Denen die Hoffnung einst lieh ihr verwelkendes Grün?

O dann hätte ich nie Euch zu durchleben verdienet,

Und der Vergangenheit Reiz wäre ein Schatten mir nur.
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Treu in liebender Brust bewahret hab' ich Dein Bildniss,

Unvergessliche Zeit, die Du so eilig entflohst.

Oft erscheinst Du mir heiter – doch öfter in Nebel und Wolken,

Aber wie Du auch nahst – freundlich empfang' ich Dich stets.


Tief in dämmernder Nacht der undurchdringlichen Zukunft,

Bleibt die Erinnerung mir ewig ein leuchtender Stern.

Wend' ich mein Auge zu ihm, so strahlt er mir Frieden entgegen,

Und das Dunkel umher hellet sein sonniger Glanz.


Darum will ich die Blumen, die nächsten, welche mir blühen,

Sind sie auch sparsam verstreut, dennoch mit sorgender Hand[97]

Sammeln, und winden zum Kranz, den ich, o holde Erinn'rung,

Opfre mit Thränen des Danks Deinem geweihten Altar.
[98]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie. Berlin 1808, S. 94-99.
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