III

[9] Die Gesellschaft, welche die Generalin ihrem Neffen zu Ehren eingeladen hatte, und unter der er die ihm von ihrer mütterlichen Fürsorge bestimmte Braut finden sollte, fing an sich zu versammeln. Aber so manche Mutter auch mit ihrer blühenden oder verblühten Tochter hereintrat – durch keine wurden die ausgezeichneten Lobsprüche gerechtfertigt, mit welcher seine Tante wenigstens seine Neugier in Hinsicht Erna's Bekanntschaft gereitzt hatte.

Endlich erschien eine bleiche, abgezehrte Matrone, geführt von einem jungen Mädchen, das durch die zarteste Sorgfalt im Benehmen, und eine völlig auf ihre kindlichen Pflichten beschränkte Aufmerksamkeit auch ohne Worte aussprach, daß sie die Würde des Berufes fühle, ihrer dem Grabe entgegen kränkelnden Mutter alles zu seyn.

Dies entsprach allerdings, die Güte und Dankbarkeit ihres Herzens verbürgend, der Schilderung, die die Generalin von ihren moralischen Eigenschaften gemacht hatte. Aber schön war sie nicht – und doch hatte sie auch ihr Aeußeres als[9] sehr vortheilhaft gerühmt. Er erwartete daher – sein Ideal jugendlicher Schönheit üppig in der Seele tragend – eine volle, feurig in der Fülle der Gesundheit sich dem Leben öffnende Blüthe zu sehen, die, wie mit Liebesarmen an jede irrdische Freude sich fest schlingend, nur Fröhlichkeit und Muthwillen athmete. Statt dessen erblickte er ein Wesen, zart und ätherisch – er nannte es mager – in dem der leise Uebergang vom Kinde zur Jungfrau noch nicht harmonisch verschmolzen war, und sie demnach weder als das eine noch als die andere erscheinen ließ. Dabei einen Ernst, der ihren Jahren so wenig in seinen Augen kleidete, wie der Doctorhut einem Knaben und in dem ganz eigenen Ausdruck ihres Gesichts, auf welchem nicht die Rosen der ersten Jugend, sondern der blasse Mondschein einer fast überirdischen Verklärung ruhte, stilles Nachdenken, Ruhe und Resignation statt des Aufblitzens üppiger Lebenskraft und kindlicher Heiterkeit, denen er zu begegnen hoffte.

Sie hatte ihre Mutter sanft zu einem Sopha geleitet, und nachdem sie Sorge getragen, sie mit alle den kleinen Bequemlichkeiten zu versehen, die ihre Schwäche ihr zum Bedürfniß machten, zog sie sich zu den übrigen jungen Mädchen zurück, in deren Kreis sie sich so anspruchslos verlor, wie das Veilchen sich im Wiesengrund verbirgt.

Alexanders Augen folgten ihr. Noch immer[10] konnte er die Reize nicht wahrnehmen, die seine Tante als ausgezeichnet erwähnt hatte. Erna war groß für ihr Alter, aber schneller Wachsthum, schien es, hatte ihrer Gestalt noch nicht gestattet, jene wohlgefällige Rundung zu gewinnen, die zu einem richtigen Ebenmaas gehört. Ihr reiches, castanienbraunes Haar war in Flechten zusammengedrängt, kunstlos um das Haupt gewunden. Dunkler noch contrastirten die hoch gewölbten, schmal geformten Augenbraunen und die langen, einem Trauerschleier gleich den gesenkten Blick verhüllenden Wimpern mit der seltenen Weisse ihres Teints, aber es fehlte das warme, frische Roth der belebenden Jugendglut, das nur auf den zarten, fest verschlossenen Lippen anzutreffen war. Ihre Züge waren fein und edel gebildet, und insbesondere trug die Stirn den Stempel hoher Unschuld und Reinheit – doch das Ganze sprach seinen an schimmernden Farbenschmelz und an Flittergold der Kunst gewöhnten Sinn so wenig an, wie im bunten Blumenbeet des Frühlings die farblose Lilie.

Um zu untersuchen, ob seine Tante auch in Hinsicht ihres Geistes das von ihr gefällte Urtheil übertrieben habe, trat er ihr näher, und mit jener Gewandheit und Leichtigkeit, die das immerwährende Leben in der großen Welt giebt, wollte er eine Veranlassung suchen, sie anzureden.[11]

Als er nun aber vor ihr stand, und sie das bisher gesenkte Auge erhob, dem seinen begegnend, da begrüßten ihn, gleich dämmernden Schatten der Vorzeit die längst nicht mehr empfundenen Regungen schüchterner Blödigkeit und süßen Bangens, und er fühlte sich von ihrem großen, ruhigen und klaren Blick tief und wunderbar ergriffen.

Solche Augen – das konnte er sich nicht abläugnen, hatte er niemals noch gesehen. Sie trugen den Himmel in ihrer herrlichen Tiefe, und sprachen in lichtheller Klarheit eine Treue, einen Seelenadel, eine Reinheit aus, vor denen selbst sein frivoler Sinn sich beugte.

Doch lange blieb es ihm nicht vergönnt, sich in ihrem Anschauen zu verlieren, denn Verlegenheit, die ihre bleichen Wangen plötzlich mit dem sanften Anhauch einer zarten Rothe färbte, verhüllte schnell mit der süßen Nacht der langen Wimpern den Himmelsglanz, der ihm so leuchtend in die Seele drang. Wahrscheinlich hatte Erna von ihrer Mutter die Weisung empfangen, ihn mit besonderer Auszeichnung zu begegnen, und die schwache Frau, die kein Geheimnis vor der geliebten Tochter verbergen konnte, hatte den mit der Generalin früher besprochenen Plan einer Verbindung zwischen ihr und Alexander, ihr als Perspective ihrer Zukunft gezeigt.[12]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 9-13.
Lizenz:
Kategorien: