IV

[80] Er nahte sich dem Strahlenkreis, dessen Mittelpunkt sie war. Zwar fand er sie zu umringt, um sie anreden zu können, hatte auch jetzt noch kaum den Muth, es zu wollen – aber er weidete sich doch an ihrem Anschauen, das ihm mit jedem Blick neue Reize entfaltete.

Wie hatten diese fünf Jahre sie verändert. Kaum erinnerten noch die edlen seelenvollen Züge an den bleichen Schatten, den ihr früheres Bild in seinem Gedächtnis zurückgelassen hatte. War dies stolz in so reizender Lebensfreudigkeit auftretende Mädchen, das mit heller Geistesgegenwart und klarer Umsicht die Huldigungen der Menge[80] kaum zu beachten schien, wirklich jenes einst so blasse, blöde Kind, das in seiner Verlegenheit oft so link sich darstellte, und schüchtern in sich selbst zusammenzitterte, wenn ein Blick es traf, oder ein Wort es zur Rede zwang? Etwas über mittlere Größe heran gewachsen, schmückte die lieblichste Harmonie aller Verhältnisse ihren schlanken Bau, und der ungezwungenste, edelste Anstand vollendete den einschmeichelnden Eindruck, den ihre vollkommen schöne Gestalt bei'm ersten Anblick auf jeden unverwahrloseten Sinn machte. Ihr reiches braunes Haar, kunstvoll aufgewunden, und wieder in seidene, wallende Locken um Stirn und Schläfe ausgegossen, war mit Diamanten durchflochten, doch ein reineres Licht, als diese auszuströmen vermochten, strahlte von den klaren herrlichen Augen, in denen eine seltene Tiefe des Gemüths, verschmolzen mit allem Feuer eines hellen Geistes, sich aussprach. Ihr Anzug war einfach, doch kostbar. Ueber blendend weißen Atlas schmiegte sich ein Gewand von indischem Moußelin gleich einem zarten Gewölk um ihren edlen Wuchs, und ein reicher Gürtel befestigte den weichen Faltenwurf. Die funkelnden Juwelen ihres Halsbands und ihrer Ohrringe, so wie des Diadems, das sich um ihre Locken wand, und die köstlichen Brüßler Spitzen, die ihren Busen umgaben und den Saum ihres Kleides bildeten, erhöhten den[81] Neid, den ihre persönliche Anmuth bereits in den meisten anwesenden Damen erregt hatte.

Alexander kämpfte mit sich selbst, ob und wie er sie anreden solle. Sie an ihre frühere Bekanntschaft mit ihm zu mahnen, konnte nur bittere Erinnerungen in ihrer Seele zurückrufen, und gleichwohl ihrer gar nicht zu erwähnen, hätte ihm den Schein einer Oberflächlichkeit des Sinnes gegeben, den er wie alles was ihm fortan in ihrer Meinung schaden konnte, fürchtete.

Er gründete auf die Neigung, die sie ihm einst so unbefangen verrathen hatte, die schönsten Hoffnungen seines Herzens, und gehoben, und gleichsam schon veredelt durch die zum erstenmal empfundenen Gefühle einer edlen, wahren Liebe, nahm er sich vor, wahr zu seyn, ihr bei der ersten schicklichen Veranlassung offen seine damaligen, so wie seine jetzigen Gesinnungen zu entdecken, um durch seine Reue über das Vergangene sich ihrer Verzeihung werth zu machen, und seinem Charakter ihr verlorenes Zutrauen wieder zu erwerben. Für jetzt aber beschloß er, die fröhliche Tendenz des Abends nicht durch so ernste Erklärungen zu unterbrechen, und sich mit strenger Selbstbeherrschung innerhalb den Schranken zu erhalten, mit denen die Convenienz die Hochgefeierte umbaute.[82]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 80-83.
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