Zwanzigstes Kapitel.

Zwei Erwachen.

[235] »Sprich, was Du denkst«, sagte der Kurfürst zu seinem Begleiter, als sie durch den Fichtenwald ritten. Das kleine Gefolge war auf seinen Wink zurückgeblieben. Die Morgenstunde fing an die Nebel zu zertheilen und versprach einen schönen Tag.

»Daß Ihr wieder gut machen wolltet, was Ihr schlimm gemacht. Aber –«

»Grad' heraus, Niemand lauscht, und ich bin in der Laune, Dich zu hören.«

»Ihr denkt, der Specht spricht auch, und der Häher und die Krähe schreien, warum nicht Hans Jürgen.«

»Was ich denke, ist mein. Ich will Deine Gedanken hören.«

»Nu ja, Herr Kurfürst, was ich von Euch damals dachte, das wißt Ihr, als ich noch nicht wußte, daß Ihr's wart.«

»Das zu wiederholen erlaß ich Dir. Was denkst Du aber nun?«

»Weil Ihr meinem Oheim so große Schande angethan, darum kamt Ihr. Denn, daß Ihr auf der Jagd blos verirrt wär't und nur so von ungefähr angesprochen, das glaube ich nicht.«

»Bursch', Du zeihst Deinen Fürsten einer Lüge?«

»Das darum auch noch nicht. Bei Hofe und in der Stadt mag's wohl so in der Art sein, daß Jeder was anders sagt als er im Sinne hat; weil das Jeder vom Andern weiß, so gleicht sich's aus.«

»Und wenn ich darum nach Hohen-Ziatz geritten wäre? Wir sind hier nicht bei Hof, wir sind in Gottes freiem Walde. Du darfst nicht hinter'm Berge halten.«

»Wenn Einer Einen geschlagen hat, oder was noch schlimmer ist als das, denn das ist es, und nun kehrt er bei ihm im Hause ein, und ißt an seinem Tisch und schläft bei ihm zu Nacht, da weiß ich doch nicht, wie er das damit wieder gut macht.«

»Bist Du unter Bären aufgezogen? Weißt Du nicht, was der Unterschied ist zwischen einem Fürsten und Vasallen?«

»Jeden juckt doch seine Haut, und was Ehr im Leibe ist, das weiß doch ein Vasall so gut, wie ein Fürst.«

»Denke, Du wärst ich, und hättest einem Vasallen, einem[236] Fremden Unrecht gethan, und fühltest den Drang, es wieder gut zu machen. Was würdest Du thun? – Du besinnst Dich sehr lange.«

»Das ist schon recht. Es geht Einem schwer an. Aber wenn ich einen zu meiner Thür hinausgeworfen hätte wider Recht, den lüd' ich wieder zu mir ein, wenn's auch über's Recht wäre, mit allen Ehren und thäte ihn bewirthen wie einen Fürsten, wie's mich auch hart anginge, und was auch die Leute dazu sagten, und wenn –«

»Besinne Dich, Hans Jürgen, ob ich nicht mehr that?«

Hans Jürgen besann sich: »Ja, Ihr denkt's so. Daß Ihr Euch so fast allein in unsern Wald gewagt und in unser Haus geritten, und ohne Leibtrabanten Euch zur Ruhe gelegt habt. Denn um der Ehre willen war das gar nicht nöthig, daß Ihr noch zur Nacht bliebt. Wenn Ihr zur Vesper gegessen und einen Trunk gethan, hättet Ihr noch ganz gut bis Golzow reiten können, wo Ihr bei den Rochows besser aufgenommen wart, als bei uns. Aber Ihr thatet es, um so zu thun, als wenn Ihr uns wunder was Vertrauen damit zeigen thätet. Aber ich meine, für meine Person, das ist nicht so sehr viel, denn das weiß doch jedes Kind, daß wir Euch nicht todt geschlagen hätten, und hätten's auch nicht geduldet, daß Euch Einer ein Haar krümmte, blos weil Ihr unser Gast wart. Ich stand selbst die ganze Nacht durch vor Eurer Thür Wache. Dagegen ist nun nichts, und 's ist auch ganz gut, aber Ihr denkt Euch doch nun, wir Alle müßten uns überschlagen vor Erstaunen und Verwunderung, und vor Dankbarkeit nicht wissen, wo wir hin sollten, und dabei kommen mir denn so eigene Gedanken.«

Joachim ritt eine Weile schweigend vor sich hin.

»Sie werden's mir nicht danken, meinst Du?«

»Ach ja, das werden sie schon; dabei aber dacht' ich mir: Wie das kurios in der Welt ist! Der Eine hat seine Schläge weg, was ich nämlich so meine: mein Oheim und wir. Und der sie ihm gab, der hat erst das Vergnügen weg, daß er einen ehrlichen Mann geschlagen hat; denn da mögen die Priester sagen was sie wollen, wenn ich Einen prügeln gethan, das hat mir Vergnügen gemacht und ihm Schmerzen, und zweitens kostet's Euch gar nichts, im Gegentheil, es hat Euch noch Vergnügen gemacht, und am Ende erheben sie Euch noch in den Himmel, wie edel und großmüthig Ihr seid, und danken Euch, und der Andere muß erstlich seine Schmerzen einstecken und thun, als wenn er wunder wie froh wäre, und dann auch noch[237] danken und von den Leuten sich Glück wünschen lassen, daß es noch so gekommen ist. Das ist doch kurios in der Welt getheilt.«

Der Fürst blickte ihn an, als wollte er ihn fragen, ob er es anders theilen könne.

»Möchtest Du Fürst sein?«

»Das weiß ich nicht,« sagte Hans Jürgen. »Ich müßte es doch erst lernen.«

»Uns lehrt es Niemand. Gott giebt es und es ist da!«

»Da ist's am Ende recht gut, daß es mir Gott nicht gegeben hat. Itzund möchte ich am wenigsten in Eurer Haut stecken.«

»Du beneidest mich also nicht mehr um das Vergnügen, einem wackern Mann Unrecht gethan zu haben, nicht um die Lust, die es mir macht, von den Leuten gepriesen und bewundert zu werden! Ich sage Dir, es giebt noch andere Dinge, um die Du mich nicht beneiden darfst.«

Sie ritten wieder eine Weile, ohne ein Wort zu wechseln.

»Aber Du kannst scharf lesen in den Gedanken Anderer«, hub Joachim wieder an. »Wenn nun Einer wäre, der auch so in Deinen Gedanken läse!«

Da stutzte Hans Jürgen und wurde roth. Er dachte zwar, daß die Leute immer gemeint, er habe keine Gedanken, aber er wünschte jetzt doch nicht, daß der Fürst in sein Herz hineingesehen hätte.

»So ich nun lese, was die Röthe auf Deinem Gesicht aussagt: wie Du zwar Wache gestanden vor meiner Thür, als ich schlief, auch mich itzo sicher willst hinbringen, bis wo ich aus Eurem Gebiet bin, und so mich Einer anfiele, Dein Schwert ziehen würdest, aber doch innerlich grimmig schaust und sinnst, wie Du es wenden sollst. Wie Du in Spandow hingehorcht hast auf die wilden Reden, welche die Junker in der Schänke geführt, wie Du dann hinreiten wollen nach Friesack zu Deinem Pathen, um Raths Dir zu erholen, bis Dir Einer zugeflüstert, der Rath, den Du da fändest, würde Dir nicht gefallen. Wie Du ingrimmig heimgeritten, mit gar wilden Gedanken in Deiner Brust. Wenn ich läse, wie Du an den Knöpfen abgezählt, ob Du zum Pommerherzog gehen solltest, oder warten auf die Gelegenheit, die im Lande kommt. Läse, wie Du beim Gedanken aufgejauchzt, das Schwert zu ziehen und in heller Schlacht gegen Deinen Kurfürsten zu fechten? Da könntest Du auch Ritter werden, und welcher Preis erwartet Dich, wenn Du[238] heimkehrtest. Darum lohnte sich schon, die Treue gegen seinen Landesherrn zu brechen. Nicht so, Hans Jürgen?«

Hans Jürgen hatte den Kopf allmälig sinken lassen und die Arme hingen schlaff zur Seite. Aber er ermannte sich doch, ihn wieder anzusehen, ob er sein Urtheil auf dem Gesichte lese:

»Das wißt Ihr Alles, Herr Fürst.«

»So mir ein Vöglein auch gesungen, daß Du mit ausreiten gewollt in jener Nacht gegen den Krämer, Du wärst gar trotzigen Muthes gewesen; nur die wackere Frau hätte Dich anderwärts hingeschickt. Ei, ei, so keck, und das doch hinter Dir?«

»Herr Kurfürst, lügen kann ich nicht! 'S ist Alles wahr. Ihr werdet mir den Kopf abschlagen lassen, wie Jenem. 'S ist schon manchem bessern Mann als mir so gegangen.«

»Du giebst Dich?«

»Wenn's sein muß, 's ist besser schnell als lange fackeln. Besser früh aus der Welt geh'n mit Ehren, als lange leben ohne Ehren.«

»Den Kopf soll's Dich nicht kosten. So ein Fürst alle die strafen müßte, die ihm übel denken und Böses thun wollten, aber 's kam nicht dazu, da hätte dieser Wald nicht Pfähle genug, um die Köpfe darauf zu stecken. Du hast Dich mir aber gegeben, und nun sollst Du nicht mehr frei sein, vielmehr mein Diener. Du hast für mich da gewacht im Hause von Ziatz, nun sollst Du für mich wachen im Schloß zu Kölln. Und das denke wohl, Hans Jürgen, was es heißt, für seines Fürsten Kopf einstehen. Ich will keinen Schwur von Dir, nur Deine Hand darauf!«

Hans Jürgens Arm zitterte doch etwas, als er seinem Fürsten die Hand reichte. Daß er ihm den Kopf würde abschlagen lassen, das, wenn er recht nachdachte, hatte er doch eigentlich nicht gedacht; aber daß er ihm würde die Hand reichen dürfen, das hatte er auch nicht gedacht. Da war ihm wunderbar, fast bang zu Muthe, und in den Nebeln, die durch die Fichten glitten, sah er ganz eigene Bilder. Seine Muhme Agnes hob den Finger auf. Er hatte ihr ja versprochen, nicht des Fürsten Mann zu werden, nun war er's doch geworden, er wußte nicht wie. Aber dann sah er auch wieder die Eva, wie sie, als er am Morgen mit dem Fürsten ausritt, so schelmisch ihm ein Mäulchen zog. Sie war ganz neckisch geworden, und wollte ihm keinen Kuß geben zum Abschied. Sie sagte ihm, er hätte ja nun einen andern Schatz. Aber bös hatte sie's nicht gemeint. Und was mochte sie nur mit dem Kurfürsten gesprochen[239] haben, der sich so lange und insgeheim beim Morgenimbiß mit ihr unterhalten, und als er eintrat, da sahen ihn beide so sonderbar an.

Der Kurfürst sprach wieder gar nichts. Da mußte er doch wohl anfangen, er hielt es für gute Sitte.

»Herr Kurfürst, da ich nun Euer Mann bin, so muß ich Euch treu und gewärtig sein, das versteht sich: aber wenn ich nun anders denke, als Ihr wollt, dafür kann ich doch nicht.«

»Denken magst Du, was Du Lust hast.«

»Aber muß ich Alles raussprechen oder soll ich's verschlucken?«

»Wenn's Dir zu schwer wird, sprich, aber nur, wenn wir allein sind, wie jetzt im Walde.«

»Wie ich mit dem Herrn von Lindenberg ausreiten wollte, das war nicht recht von mir, das hab' ich auch längst eingesehen. Darum könntet Ihr mich mit Recht strafen. Aber daß ich bös auf Euch war, da weiß ich doch nicht, ob ich da nicht Recht hatte. Und wie ich alles das in Spandow erfuhr, ach Gott, da kochte es mir in der Brust. 'S ist ein Glück, daß Ihr mir nicht schon da im Walde begegnet seid, das hätte ein Unglück gegeben für Euch oder für mich. Nachher, da ritt ich mir denn die erste Wuth aus.«

»Es blieb doch noch genug, als wir uns da begegneten, und Du kanntest mich nicht einmal.«

»Das war, weil der rothe Adler auf Eurer Brust stak.«

»Hans Jürgen,« sprach Joachim, »eins nimm in Acht. Es ist nicht Befehl, es ist ein guter Rath. Wenn Du Einem begegnest, den Du nicht kennst, so verschlucke Deine Gedanken, bis Du ihn kennst.«

»Aber was ich weiß, muß ich das Alles sagen?« hub der Junker nach einer Weile wieder an.

»So Du es für nöthig hältst, und daß Du der Treue gegen Deinen Herrn nachkommst.«

»Es denken Viele wie ich, Herr.«

»Ich weiß es.«

»Und noch schlimmer. Wenn sie Euren Namen nennen« – Hans Jürgen stockte, man sah ihm an, daß er mit sich selbst kämpfte. – »In Spandow, was ich da hörte. – Der Tod des Lindenberg hat Euch viele Feinde gemacht, Herr, die schwuren: es solle Euch nicht ungerächt hingehen.«

»Beim Weine.«

»Muß ich ihre Namen nennen?«[240]

»Nein,« antwortete Joachim nach einigem Besinnen. »Die Gedanken sind eines Jeden Eigenthum. Auch wo sie zu Worten werden, mag der Gefahr sehn, der sich selbst nicht traut. Ich traue mir. Laß sie frei reden, es ist ihre Art. Ich kenne sie, ich lese ihre Gedanken, wie ich Deine las. Sie wähnen sich im Recht, ich bin es auch.« Er schlug sich auf die Brust. »Wohlan, laß sehen, welches Recht stärker ist. Einer muß herrschen, und Gott und das Geschick gab mir den Zügel in die Hand. Ich will ihn straff ziehen, wenn es Noth thut, aber linde lassen, wenn – wenn sie nur Worte haben gegen mich.«

»Herr!« hub Hans Jürgen wieder nach einigem Schweigen an. »Ich an Eurer Stelle ritte nicht mit so geringem Gefolge in dieser Zeit durch's Land.«

»Weißt Du von Etwas, das mehr ist, als Worte, dann wäre es Verrath, wenn Du schweigst.«

Joachim sah ihn scharf an, während der Junker antwortete. Aber seine Muskeln spielten ein verächtliches, mitleidiges Lächeln, als Hans Jürgen von einzelnen verzweifelten Wünschen und ausgestoßenen Drohungen Bericht erstattete.

»Armselige Athemzüge der Ohnmacht! Höre auf. Das können sie, das ist ihre Kraft, das ihre Lust. Ich will sie ihrer Armuth gönnen! Dies Spinngewebe, dies Wespennest von rohen, hohlen Wünschen vernichte ich mit einem Blick. Ihren Worten, die mich wie Fledermäuse und Eulen umflattern, wie Krähen und Raben umächzen, will ich ein Wort entgegensetzen, das, wie der Sonnenstrahl, dies Gezücht verscheucht. Merke Dir's, Hans Jürgen von Bredow, ich fürchte sie nicht, aber sie sollen mich fürchten lernen, sie sollen erschrecken und Zähneklappern fühlen, sie sollen wünschen, daß sie sich verkriechen könnten in der Erde Grund, wenn ich meine Stimme erhebe, wenn ich mich ihnen zeige, nicht wenn ich vor ihnen scheine, wie ich bin. Nun genug. Verdirb mir nicht die reine Morgenluft.«

Es war ein schöner Morgen geworden, die Sonne hatte die Nebel besiegt, und strahlte sogar schon warm durch die Kieferwipfel, als sie auf einer Höhe still hielten.

»Bis hier gabst Du mir das Geleit,« sprach der Fürst. »Kehre zurück, rede mit den Deinen und morgen erwarte ich Dich im Schloß an der Spree. Heut bist Du noch ein Freier, Hans Jürgen, morgen mein Mann. Hast Du noch was auf dem Herzen, was Du als Freier sagen willst, so sprich es aus.«

»Die Eva hat gewiß geplaudert, Durchlaucht?«

»Das Fräulein Eva Bredow steht unter meinem besonderen[241] Schutz, das merke Dir. Ich werde seiner Zeit sorgen, daß die brave Jungfrau einen guten Mann bekommt, wie sie verdient. Den will ich ihr zuziehen. Du aber, mein Dienstmann, der noch viel thun muß, um die Sporen sich zu verdienen, darfst sie nicht anders als mit Ehrfurcht ansehen.«

Die Eva mit Ehrfurcht ansehen, das kam Hans Jürgen kurios vor. Aber der Fürst schien zu erwarten, daß er etwas erbitten solle. Für sich? Er war ja nun des Fürsten Mann. Für seine Pflegemutter? Die sorgte für sich selbst. Aber sein Pflegevater, Herr Gottfried? Was hatte denn er davon, daß Joachim in seiner Burg geschlafen, derweil er fort gewesen? Er fing es etwas ungeschickt an, aber Joachim verstand ihn und sagte freundlich:

»Meine Gedanken kamen Dir zuvor. Er soll Ehre haben wie der Mann verdient, der sich freiwillig selbst einer bösen That zieh, um die Strafe von einem Andern abzulenken. Wenn er verschmäht, ein Amt in meiner Nähe anzunehmen, wo ich der rechtlichen Männer bedarf, denk' ich ihn zum Landtags-Marschall von den nächsten Ständen wählen zu lassen. Er ist nicht immer meiner Meinung, aber er liebt die Ordnung.«

Hans Jürgen war schon weit zurück, von wunderbaren Dingen geschaukelt, als dem Fürsten und seinen Begleitern ein lediges Pferd in den Weg kam, das ihnen entgegen wieherte, gleichwie sich freuend, Gesellschaft in der Einsamkeit zu finden. Als es sie begrüßt, ging es wieder an sein Geschäft und grasete.

»Das bedeutet ja wohl Unglück!«

»Nur einen abgeworfenen Reiter,« entgegnete der Holzendorf. »Das Pferd ist fromm. Es hat ihn wohl nicht abgeworfen, der Reiter mag darauf eingeschlafen sein.«

An einem sonnigen Abhang fanden sie ihn wirklich. Er lag sanft gebettet im weichen Sande und der Friede der Natur ruhte auf dem vollen freundlichen Gesichte. Die Augen fest zu, schien er doch zu lauschen auf die Lieder, welche die Kieferwipfel über ihm rauschten, und die Gedanken des Schlafenden schienen Versteck zu spielen mit der Sonne, welche durch die Zweige ihn jetzt anblinkte und jetzt wieder verschwand.

»Seht ob der Mann nicht zu Schaden gekommen,« sagte Joachim.

Ein tiefer Ton zwischen Schnarchen und Gähnen, der aus der vollen Brust sich arbeitete, gab eine beruhigende Antwort. Er drehte den Kopf um, weil die Sonne ihn belästigte, und[242] wie er den Arm behaglich von sich streckte, ward Jener inne, wie wohl dem Manne war, der auf dem Sande lag.

»Es scheint ein guter Mann zu sein.«

»Hilf Himmel, so mich mein Aug' nicht trügt,« entgegnete der von Holzendorf, »ist's unser Wirth, Herr Gottfried von Ziatz. Freilich, das sind ja seine Elennshosen.«

Joachim hatte selten in seinem Leben gelächelt. Als aber der Ritter fragte, ob er den Mann wecken sollte, verzog sich sein Mund, da er den Kopf schüttelte:

»Er schläft so süß! Was ich ihm sagen und bieten könnte, wäre doch nicht besser als seine Träume.«

»Aber sein Pferd ihm fangen, daß er es hat, wenn er aufwacht, wäre doch Christenpflicht,« meinte der Andere.

Das Pferd kam von selbst, als würde ihm die Zeit lang, ob sein Herr noch nicht aufwachte.

Lächelnd ritten sie fort. Der Kurfürst wies auf einen Mann, der mit einem leeren Wagen des Weges kam. Dem wollten sie die Sorge für den Schlafenden anempfehlen.

»Fort, Katze!« sprach Herr Gottfried, als das Pferd ihn anschnupperte, und gab ihm einen sanften Schlag mit der Hand. Ob das Roß wohl auch sah, daß Herr Gottfried lachte?

Wie rauschte es in den Bäumen über ihm, wie knisterten die Kiefernadeln unter ihm, wie dufteten ihm die Heidelbeersträucher, die für keinen Wachenden einen Duft geben; wie schlürften seine ausgestreckten Glieder die Sonnenstrahlen, die immer wärmer wurden. Er sah durch die geschlossenen Augen die Ameisen, die auf seinen Beinen vergebens mit Schaufeln und Rüsseln durch die Elennshaut zu dringen versuchten. Herr Gottfried träumte einen süßen Traum; ich will ihn nicht verrathen.

Als er die Augen aufschlug, saß neben ihm Einer, der sich's auch behaglich gemacht.

»Kaspar, was machst Du da?« fragte er.

»Ich esse.«

Das war kein Traum mehr. Kaspar schnitt sich mit seinem Zulegemesser Scheiben vom Rettig, vom Käse und vom Brod. Aber neben ihm lag ein aufgemachter Kober mit Würsten.

»Kaspar! Du hast ja auch Wurst da?«

»Ja, Herr.«

»Kaspar, ist's Essenszeit?«

»Je nachdem, Herr. Wen hungert, der ißt, wen schläfert, der schläft.«[243]

Das war die Frage. Herr Gottfried hätte wohl gern noch geschlafen, aber da stand doch die Sonne vor ihm und sah ihn so groß an, wie seine Frau, wenn sie im Recht war und er im Unrecht, und das Pferd scharrte mit den Füßen und wieherte, und die Würste dufteten ganz anders, als vorhin die Haidekräuter.

»Kaspar, wie lange habe ich geschlafen?«

»Das weiß ich nicht, Herr.«

Der Herr rieb sich die Augen und schob sich unvermerkt dem Kober mit den Würsten näher.

»Wo kommst Du denn her, Kaspar?«

»Die Frau schickt mich. Sollte Euch die Würste bringen. In Berlin wart Ihr nicht mehr. Ist auch hier 'ne schöne Gegend.«

»Da hast Du Recht«, sagte Herr Gottfried und griff nach der Wurst. Und als er die zweite zur Hälfte verzehrt, entsann er sich, daß er seit gestern Mittag nichts gegessen. Wer aber einmal den Erinnerungen die Pforte aufschloß, auf den stürmen sie los; es wird ihm schwer, die Thür wieder zu schließen. Als er die dritte gegessen, wie Vieles hatte er sich da entsonnen!

»Ich glaube, ich hab' die Nacht hier gelegen, Kaspar!«

»Das kommt wohl so,« sagte der Knecht. »War 'ne schöne Nacht, die Sterne schienen.«

»Ja, ich habe gefroren. Hat Dir die Frau nicht auch 'nen Morgentrunk mitgegeben?«

»Aber 'ne Gans, 'ne Martinsgans; ist hier im andern Kober.«

»Gieb her. Ist auch 'ne schöne Gegend hier, Du hast Recht.«

Herr Gottfried machte die Bemerkung, daß die Martinigans sauer sei, der Knecht aber sagte, es wäre Manches im Leben sauer.

Da hatte sich Herr Gottfried wieder auf seinen Ellenbogen gelehnt und sah die Sonne an, das Fließ im Grunde und die Kiefern und Büsche, in denen der Wind sich wiegte, und dachte etwas. Wenn Herr Gottfried etwas dachte, nämlich wenn er vorher getrunken hatte, dann ward dem Knecht Kaspar immer bang zu Muthe. Um was mehr, als Herr Gottfried plötzlich ausrief:

»In dem Fließ sind sie gewaschen worden.«

Kaspar war schnell auf den Beinen und die linke Hand unwillkürlich auf dem Rücken. Diesmal hätte es wohl sein Rücken allein aushalten müssen, denn wer denkt jedesmal, wenn er von[244] Berlin nach Hohen-Ziatz fährt, daß er einen Friesrock unter die Jacke stopfen muß; aber das ist das Dämonische bei den Prügeln wie bei den Schlägen des Schicksals, daß sie in der Regel dann kommen, wenn man sich ihrer am wenigsten versieht. So kam es auch hier, nur umgekehrt. Der treue Knecht krümmte schon den Rücken, um sich in die rechte Lage zu bringen, aber der Herr rührte seinen Arm nicht, vielmehr ließ er die Backe immer tiefer in die Hand sinken, als er in einem Tone sprach, über den der Knecht sich verwunderte:

»Siehst dDu, Kaspar, wenn sie nicht gewaschen hätte, dann wär all das nicht gekommen.«

»Dann wär das nicht gekommen, Herr!«

»Und was ist nicht alles d'raus entstanden.«

»Und noch viel mehr.«

»'S ist ein gut Weib, Kaspar!«

»Und was für eins!«

»Wenn sie nur nicht Alles müßte waschen wollen. Weiß auch gar nicht, wo sie das her hat.«

»Die Liese aus Gütergotz, 's muß ihr angethan sein.«

»Und grade meine Hosen! Mein Vetter Balthasar auf Wagnitz sagte auch gleich: ›Die sehn ja wie neu aus. – Ganz wie neu.‹ – Als sie mich abholten, da war's ihnen schon angethan.«

»Angethan –«

»Und der Hedderich hat sie auch an seinem Leib gehabt.«

»Daß sie den nicht auch gehängt haben!«

»Und die Schrift mußte ich unterschreiben. Die in Landin sagten, da müßte mich ja der Teufel geplagt haben.«

»Das war auch der Teufel, Herr!«

»Will sie auch nimmer von mir thun.«

»So ist's recht, Herr.«

»Der kluge Schäfer in Spandow hat mir gesagt, mit der Zeit zieht sich's und schiebt sich wieder zurück.«

»Ist mit dem Leder wie mit dem Menschen, Herr. Jung zieht man's, alt schrumpft's ein. Aber 's giebt schon unterschiedlich Leder.«

»Kaspar, dem sieht's doch Keiner nicht mehr an, daß es im Wasser war.«

»Keine Seele, Herr.«

»Und seit dem –«

»Haben sie Euch mit sechs Trompeten rausgeblasen; ich hört's in Berlin. Das hat Euch Manchermann beneidet.«[245]

»Und die Vettern erst; das hättest Du mal sehen sollen!«

»Haben ein Tractement losgelassen. Nicht wahr?«

Herr Gottfried schmunzelte: »Das ging aus einem Haus in's andere. Weiß doch wirklich nicht, wo ich zuletzt gewesen bin. Was sagt denn die Brigitte zu?«

»I nu, was wird sie sagen. 'Ne Stiege Gänse haben in den Rauchfang gehängt. Die Agnes haben wir nach Spandow gebracht.«

»Die Agnes, ach das liebe Kind!«

»Die wird fromm werden. Nu schlachten wir auch bald die Schweine.«

»Bin doch kurios zu wissen, wie's daheim geht.« Damit war Herr Götz aufgestanden, und der eine Fuß saß schon im Steigbügel. »Wie lange bin ich denn eigentlich fort, Kaspar?«

»In einer Stunde sind wir zu Haus, Herr!«

»In einer Stunde, kurios!« sagte Herr Gottfried, und saß nun ganz im Sattel. »Viele Stunden, die machen einen Tag, und viele Tage einen Monat, und viele Monate ein Jahr, und was machen nun viele Jahre! 'S ist doch kurios, Kaspar, wenn man so das denkt. Manchmal ist mir doch, als wären viele Jahre nur wie eine Stunde, und dann ist mir wieder, als wäre eine Stunde wie viele Jahre.«

Dem treuen Knecht war recht bang zu Muthe, als sie so neben einander, der Herr ritt und er kutschirte. Daß der Herr ihn nicht geprügelt hatte, das war schon sonderbar. Und jetzt ritt er so versenkt in sich und dachte, und dachte laut. Der Knecht dachte, ach wenn's mit dem guten Herrn zu Ende ginge!

Da sah Herr Gottfried plötzlich seine Handschuhe an und steckte den Daumen in den Mund und schüttelte den Kopf: »Kaspar, Kaspar! mir fällt was ein.«

»Das auch noch! da ist's richtig.« Kaspar wischte sich das Auge.

»'S ist richtig! Kaspar, 's kommt schlimme Zeit.«

»I, warum nicht gar! Die Kraniche flogen ja über unser Haus.«

»Krieg, Aufstand giebt's, sie rüsten, ich muß mit. Ach, nu kommt das Alles raus. – Wo waren wir doch die letzte Nacht? – Richtig, richtig! Die blanken Schwerter kreuzweis über den Bechern. Der Todtenkopf auf dem Tisch. Der Köpkin hielt meinen Arm, als ich schwor. Der Wulf, der konnte nicht mehr stehen, da biß er in den Handschuh, daß er sich's entsänne, wenn er aufwachte. Ich biß auch. – Ja ja, 's ist Alles so.«[246]

»Hab auch von gehört, sie sind wolfstoll um den Lindenberg. – Ihr müßt also auch mit, wenn's losgeht?«

»Mit!«

»Der Kurfürst ist ein starker Herr. Wer ihn anbellt, den beißt er.«

»Sie werden auch beißen.« Die kriegerischen Gedanken schienen sich in dem Ritter zu sammeln.

»Unter Wölfen muß man mit heulen. Na, vielleicht kommt's nicht dazu.«

Der Ritter stützte das Kinn mit der Hand: »Vielleicht! Wollen ihn beim Freigericht verklagen, daß er einen Edelmann darum – Wenn das es auf sich nimmt – sonst, sonst Kaspar, da werden wir die Knochen rühren müssen, da wird's Ernst werden. Alle Heiligen, da dürfen wir nicht mehr schlafen. Kaspar, verstehst Du mich; das dürfen wir der Frau nicht sagen.«

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 235-247.
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