Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Das Leben ein Traum.

Wer uns gern bis jetzt begleitet hat, dem könnten wir hier die Hand drücken und zu ihm sprechen: Auf Wiedersehen! Denn es ist unsere Absicht, wenn uns die Lust und der Muth bleibt, daß wir uns wieder an demselben Platze begegnen, und auch wohl Manchen von denen, die uns hier lieb geworden oder auch nicht lieb. Es ist eine Reise, die wir antreten, mit einem Ziele, das noch fern liegt, durch Jahre getrennt, und dahin zu gelangen war und ist uns ernster Wille, aber es ist nicht immer gut, daß man eine lange Reise in einem Zuge vollende. Doch auch jeder Abschnitt einer Reise muß sein Ziel haben, und an dem stehen wir jetzt. Ja wir sind eigentlich schon eingekehrt, der Vorhang vor den großen Begebenheiten ist gefallen, die Helden sind abgetreten, die Könige haben ihre Staatskleider abgelegt, es sind nur noch einige Kleine, deren Geschicke zwar in allen Zeiten von dem Geschicke der Großen gelenkt worden, die große Geschichte streift hochmüthig an ihnen vorüber, aber die Dichtung kost dafür mit ihnen und weilt aus Eigensinn, vielleicht aus Widerspruchsgeist, desto emsiger bei ihren Heimlichkeiten.

Die Sonne war schon hoch aufgestiegen, und blickte schon tief in die Höfe von Hohen-Ziatz, ohne daß ein Rauch aus den Schornsteinen ihr entgegen wirbelte, ohne daß ein frommer Morgengesang sie grüßte, oder der derbe Fluch eines Knechtes. Selbst die Hunde kläfften nicht, nur die Katzen heulten, nur die Tauben flatterten auf den Dächern, und das Federvieh ward unruhig auf dem Hofe. Es war aber nicht dieselbe Sonne, welche vor Hans Jürgen durch die Wolken brach, als er durch die Köpnicker Haide auf dem keuchenden schweißbedeckten Rosse jagte, noch die, welche die gräßlichsten Schauspiele vor dem Thore beschaute, von dessen Firste später der Kopf des unglücklichen Ritters starrte, ein Schauspiel, vor dem schnell sie vorübergeführt zu haben, meine Leser mir verzeihen, vielleicht danken werden. Die Sonne geht schneller auf über große Dinge, langsamer weilt sie bei den Alltagsdingen. Wir müssen zurück bis zu dem Morgen, welcher der Nacht folgte, wo die Burgfrau mit den Ihren heimlich nach Golzow entwich.

Es mochte schon nahe an Mittag sein, als der Sonnenstrahl[285] durch eine der runden, grünen Fensterscheiben grade auf Herrn Gottfrieds Nase fiel. Und plötzlich, entweder weil es ihn brannte oder kitzelte, als der riesenhafte Mann aufschnellte, mit einer Schwungkraft, die wir ihm kaum zugetraut hätten. Fortflog alles über und unter ihm, und er selbst, auf recht stand er im Zimmer, dessen Decke er mit den Armen streifte, als er sie nur mäßig reckte. Aber gleich darauf fuhr er an die Nase und den Schnurrbart, was der Vermuthung Raum giebt, daß die Scheibe als Brennglas geschliffen gewesen, und der Bart ihm etwas angesengt war. Es mußte ihm indeß schon früher begegnet sein, denn er gerieth nicht gar zu sehr außer sich, sondern brummte nur: »Wieder die verfluchte Hexe, die! –« Im nächsten Augenblick aber erblaßte er, er hielt beide Arme vor sich, und sah nichts, er griff nach dem Kopfkissen, und sah nichts; er warf Pfühle, Kissen, Decken, selbst das Stroh hinaus, und fand nichts. Er rieb sich den Kopf, ob er noch träume, aber er träumte nicht: »Ach Du mein Gott, ich muß ja fort!« – Das Echo der Wände rief: »Fort.« – »Sie sind fort!« murmelte er.

Er riß das Fenster auf. Wie er auch schrie: »Brigitte! Kaspar!« ihm antwortete nur der Flügelschlag der Tauben. Was, war das! Wo verkrochen sie sich? Er zwängte den großen Leib so weit es ging, durch das enge Fenster, aber er sah auch da nichts als einen ausgestorbenen Hof, eine fürchterliche Stille. Warum rauchte es nicht aus dem Stalle? Wo war der Nimrod an der Kette geblieben? Die Kette lag da mit dem leeren Halsringe. Auch die Muttersau, die er immer Morgens zuerst sah an dem Eichenpfahl sich schuppern, schupperte sich nicht. Er strengte sein Ohr an. Nur zuweilen schienen dumpfe Töne aus der Erde zu dringen. Nun schloß er den geöffneten Mund ohne einen Laut. Wer schreit gern in solche Einsamkeit hinein? Es überieselte ihm die Haut; das mochte aber nicht allein die Furcht, es konnte auch die Kälte des frischen Novembermorgens sein, und er stand da, fast wie Gott ihn geschaffen. Er konnte nicht dafür.

Da überkam ihn eine Wuth. Irgendwo mußte es sitzen und an der Wand hing sein Degen. Er riß ihn aus der Scheide, und mit dem blanken Schlachtschwert in der Hand war er schon im Begriff, hinunter zu stürzen, als ihm noch glücklicher Weise die große Tiroler Decke zu Gesicht kam. Die schlang er um sich, doch daß der Arm frei blieb, und vielleicht einem römischen Imperator vergleichbar, stieß Herr Gottfried die Thür auf.[286]

Auf Flur und Treppe war es wie auf dem Hofe. Kein Trampeln, kein Wehen, kein Gehen. Mit dem Degenknauf stieß er an die Thüren; keine Antwort. Er stieß eine und die andere auf; die Betten standen unberührt. Herr Gottfried war und blieb in einer sehr unangenehmen Lage. Er fror nicht allein und fing nicht allein an zu hungern, sondern er fand sich in der Nothwendigkeit, über seine besondere Lage nachdenken zu müssen.

Sein Schlachtschwert mit der Spitze auf die Diele stützend, stand Herr Gottfried da und wollte denken, als der Hauskater plötzlich die Treppe herauf- und an ihm vorbeihuschte, im Maule ein gebratenes Huhn. Wo das ist, ist mehr, dachte Herr Gottfried, und ehe er wußte wie, stand er in der Halle. Da war freilich auch kein lebendiges Wesen, still war es wie in der ganzen Burg, auf dem Heerde glimmten nur noch wenige Kohlen; aber so unheimlich war es Herrn Gottfried doch nicht, denn die ordnende oder schaffende, oder kürzer, die anrichtende Hand des Menschen war sichtbar.

Der große Tisch stand gedeckt, als warte er nur auf ihn. Sogar sein Lehnstuhl mit dem Lammfell darüber war zurecht geschoben. In der Mitte prangte ein ungeheurer Ochsenschinken, daneben Schüsseln mit, Würsten, gesäuerte Gänse, Backwerk, Brod, Käse, ein Topf mit Butter, Körbe mit Rüben, Aepfeln, Birnen: dazu getrocknete Pflaumen, hart gesottene Eier, und was nur die Speisekammer einer guten Burgwirthschaft aufweisen kann. Und neben den Eßwaaren ein Krug Bier, eine Flasche Meth, und noch ein Kelchglas zum Wein. Auch brauchte Herr Gottfried nicht lange umher zu suchen, bis er das ganze Fäßchen mit Malvoisir auf der Bank sah, mit eingeschraubtem Hahn und das Näpfchen darunter.

Alles mußte schon lange dastehen, ohne daß eine Hand daran gerührt hatte. Die kleine Unordnung, die sich nicht verbarg, kam offenbar nur von Katzenpfoten her, und als Herr Gottfried zwei freundliche Thiere an den Wänden Buckel machen sah, und ihre Augen schielten wieder auf den Tisch, hielt er dafür sogleich Platz zu nehmen, denn der Tisch war unstreitig für Menschen, nicht für Katzen gedeckt.

Um deshalb schlang er sich rasch das Tüchlein um den Hals und ergriff das große Messer, um an die Arbeit zu gehen, die ihm nur insoweit schwer ward, als er einen Augenblick unschlüssig war, ob er zuerst die Gans, oder zuerst den Schinken ergreifen solle. Wie dem nun sei, es mochte eine kleine Stunde vergangen[287] sein, in der Herr Gottfried sich recht wohl fühlte, weder Gespräche noch Gedanken hatten ihn gestört, als er einen Augenblick sich zurücklehnte, und die Rechte mit dem Messergriff auf den Tisch stützte, nicht um aufzuhören, sondern um, was man in Hohen-Ziatz nannte – zu verpusten.

Der Bierkrug war leer, die Flasche Meth schon durchsichtig; sein Auge blinzelte nach dem Fäßchen Malvoisir: »Hübsch wär' es doch, wenn das zu mir käme; dann brauchte ich nicht aufzustehen!« Warum mußte das Herr Gottfried denken! Denn ein Gedanke lockt den andern; das ist eine furchtbare Wahrheit, gegen die alle Klugheit und Macht sich vergebens sträubt. – Warum kam das Malvoisirfäßchen nicht zu ihm? – Weil es auf der Bank stand. – Warum stand es auf der Bank? – Weil sie es dahin gestellt hatten. – Wer hatte es dahin gestellt? Die Hexen? Die kleinen Leute oder wer sonst? – Wie eine Bezauberung sah das Ganze freilich aus! – Aber Herr Götz war nie bezaubert gewesen. – Hatte er ein Gebet vergessen? Hatte er eine Sünde begangen? Oder war alles ein Traum? Er wollte die freie Hand auf's Herz legen, aber sie glitt unvermerkt auf den Magen. – Nein, das war kein Traum gewesen. Auf die harten Eier wollte er ja eben den Malvoisir setzen. Halb öffnete sich sein Mund, und in seine Augen trat das Weiße, das ein Zeichen plötzlichen Schreckens ist. »Blitz noch ein Mal«, brach es von seinen Lippen, »das ist nun zu spät!«

»Noch nicht zu spät!« rief eine dumpfe Stimme, und eine Gestalt trat vor den Ritter, die alle Wärme, so Bier und Meth hervorgerufen, wieder erstarrte. Weiß eingehüllt, weißen Gesichtes stand das Gespenst vor ihm, in dem Herr Gottfried, erst nachdem es ausgesprochen, seinen Neffen erkannte.

»Noch nicht, Ohm, aber bald.«

Dem Ritter entfiel das Messer.

»Der Tropfen rinnt in's Meer, die Augenblicke und Stunden fließen in die Ewigkeit; wer schöpft den Tropfen zurück, wer faßt den verlorenen Augenblick! Es wird zu spät werden, aber Heil dem, der noch die Zeit erfaßt.«

»Junge bist Du's?« Ach, Herr Gottfried war so froh, als er das Wort aus der Brust heraus hatte.

»Den Du meinst, Ohm, bin ich nicht. Mein Geist schaut aus der gebrochenen Hülle heraus. Dieser frei gewordene Geist spricht zu Dir.«

»Setz' Dich doch, Hans Jochem«, athmete Herr Gottfried. »Dein Bein, Du wirst ja müde sein.«[288]

Hans Jochem schüttelte den Kopf, wie ein Abgeschiedener, dem ein Lebendiger etwas zumuthen möchte, was ihm ein schmerzlich Lächeln abringt.

»O daß Du müde wärst, Ohm, Deiner selbst, müde des langen Lebens hinter Dir; dann wäre Hoffnung, Du könntest wieder wach werden.«

Herr Gottfried schnappte nach Luft.

»Wie ein tiefer Brunnen bist Du, in dem ein klarer Quell zu Tage strebte, und die Sonne und die Sterne spiegelten sich drein, aber die Wände waren nicht fest gezimmert und gemauert, und mit jedem Jahre fiel mehr Sand und Erde hinab, bis der Quell verschüttet ist. In dem Brunnen spiegeln sich nicht mehr die Gestirne und der Zieheimer schöpft kein Wasser mehr. Aber der pflichtgetreue Brunnenwärter läßt doch den Eimer hinab und schöpft, bis er den Lebenstrank findet. So will ich schöpfen, Ohm, in Deiner Brust.«

Herr Götz rief alle guten Geister und seinen Schutzpatron an; das gläserne Auge des Kranken schien wirklich ihm durch Brust, Magen und Bauch zu dringen.

»Du hältst Dich für einen Lebendigen und bist doch ein Gestorbener. Du athmest, aber Dein Athem ist der Hauch der Stockung und die Stockung ist der Tod. O betrachte Deinen Leib, wie er groß ist, wie riesenhaft die Glieder, und wo findest Du die Seele; die ist verschwunden wie das Körnlein Salz, das man in einen Kessel mit Brei wirft. Daß Du ohne Sünde wärst, möchtest Du Dich rühmen, aber thue es nicht, denn die Sünde ist besser als das Nichtsein. Du hast nicht Witwen und Waisen beraubt, nicht Gott gelästert und seine Heiligen, kein falsch Zeugniß abgelegt und nicht auf der Straße gelegen. O hättest Du's gethan, es wäre Dir besser, als daß Du nichts thatest, dann konntest Du's büßen, und je ärger die Sünde, so größer die Gnade. Dann führe vielleicht sein Blitzstrahl zündend in Deine Eingeweide, und aus der Zerschmetterung erhöbest Du Dich als ein Heiliger.«

Herr Gottfried ein Heiliger! Immerhin, er hätte versprochen zu sein, was die Erscheinung von ihm verlangte, wenn er nur aus den Händen des Fieberkranken erlöst war.

»Oheim, Oheim! aber auch die Sünde floh Dich. Wie die Flamme am Steine fand sie ja nichts Lebendiges an Dir. Ach, hineingelebt hast Du in den Tag, bis die Sonne umsonst Dir aufging, die Vögel umsonst Dir zwitscherten, die Glocken umsonst tönten; der Donner Gottes rollte über Deinem Haupte[289] und fand Dich schlafend. Richte Dich auf, schau Dich an und frage Dich: Was bist Du? Ein Klumpen Erde, gehüllt in menschliche Form. Du fühlst den Schmerz; auch der Wurm krümmt sich. Du lächelst; auch mein Hund springt mich an. Aber wo ist sie geblieben, Deine unsterbliche Seele? Du issest, Du trinkst, Du sprichst, Du schlägst um Dich, Du wehrst Dich Deiner Haut, aber die Seele schläft dabei. Unglückseliger, wie lang ist Dein Lebensfaden schon, und wo sind die Gedanken, an die Du Dich halten kannst, wenn der Leib in Staub zerfällt? Greife sie doch wie ich, die Flämmchen in der nächtlichen Wüste. Drei, vier schon griff ich. Ach, welche unermeßliche Wüste hinter Dir, und ich sah auch kein einzig Flämmchen. Wenn Dich der Posaunenschall weckt, schlägst Du ja umsonst die Augen auf. Dein Sinn zerfällt in Nichts; es sind keine Führer für Dich da, keine Gedanken, die Dich zur Ewigkeit leiten. Ich will Dich wecken, mein armer Ohm, schöpfen, bohren, schneiden, bis das Messer in der todten Masse –«

»Jesu! Maria! Joseph!« schrie der Burgherr, als der Fieberkranke beide Arme nach ihm ausstreckte. Und er saß fest geklemmt zwischen Tisch und Stuhl; nicht einmal sein Schwert konnte er ablangen; und wer braucht ein Schwert gegen den, der unsere Seele fordert! Aber die heiligen Namen, die er anrief, mußten doch dem Ritter geholfen haben. Neben dem weißen Plagegeist stand plötzlich ein schwarzer. Mit rußigem Gesicht, die Haare herabhängend, wie ein Kobold, der aus der Erde aufgeschossen, die noch von seinen Gliedern rollt, umfaßte den Fieberkranken eine kräftige Gestalt mit zwei starken Armen: »Junker, Ihr seid noch krank, Ihr müßt zu Bett.« Im nächsten Augenblick war die weiße und die schwarze Erscheinung aus des Ritters dämmernden Augen verschwinden.

Die Mittagssonne schien freundlich durch die offene Thür. Das Federvieh gackerte auf dem Hofe und eine Gans steckte neugierig ihren Hals über die Schwelle, als sich die Zwei ansahen, die jetzt allein da waren. Die Zwei waren Herr Götz von Ziatz und sein Knecht Kaspar. Da keiner ihn erlösen kam, hatte er sich selbst erlöst aus der Schmiede. Die Thür, die seine Herrin verschlossen, nein, die durfte der treue Knecht nicht aufbrechen. Aber er hatte sich unter der Thüre durchgewühlt. Vielleicht hätte er es schneller thun können, denn er war rüstig, wo es galt; aber er mußte wohl Gründe dafür haben, daß er nicht schneller war.

»Nu sage mal, Kaspar, was das ist,« sprach sein Herr, als er die letzte Erde von den Schultern schüttelte.[290]

»Ja, ja«, sagte der Knecht und kraute sich hinter'm Ohr.

»Hat mich ordentlich erschreckt. – Es wäre zu spät,« sagte er.

»Ich glaub's auch Herr, nun ist's zu spät.«

Der Burgherr ward blaß. Hätte das der Knecht vorausgedacht, er würde es nimmer gesagt haben.

»Wenn Ihr Euch recht zusammen nehmt und die Sporen nicht schont, dann könnt Ihr's vielleicht noch nachholen. Ich weiß nur nicht, ob's gut ist – 's ist auch kein Pferd da.«

Herr Gottfried schien nur die ersten Worte gehört zu haben. Er ließ das Kinn auf die Hand sinken, und so saß er träumend: »Wie soll ich mich denn zusammennehmen? Ist's Einem denn noch nicht schwer genug gemacht – Kaspar, denkst Du denn auch bisweilen?«

»Wenn's mir befohlen wird.«

»Das sag ich ja auch. Aber – 's ist mir in den Magen gefahren.«

»Ihr solltet Eins trinken auf den Schreck.«

Der Herr nickte ihm Beifall. Der Wein war süß, aber über den Lippen glitt etwas Bitteres dem guten Herrn Götz: »Als schnürte er mir die Kehle zu! Einmal war's mir doch, als stäk ich schon in einem Brunnen.«

»Da muß man sich selber helfen,« brummte der Knecht. »Ich stak auch tief, aber ich buttelte mir ein Loch, und da kam ich raus.«

»Du! – Sahst du denn auch Flämmchen?«

»Wie ich erst das Sonnenlicht sah, da ging's risch, rasch.«

Der gute Herr schüttelte den Kopf, so trübselig hatte er nie am Morgen nach einem guten Trunk ausgeschaut; nie hatte er den Knecht, auch in seiner weichmüthigsten Laune, so weichmüthig, nein so wehmüthig angeschaut.

»Kaspar! Wenn er nur das nicht vom Brunnen geredet hätte! Weiß Gott, seit er das gesprochen, 's rührt sich Alles in mir.«

»Ihr habt zu wenig auf's Essen getrunken.«

»Und wie er mich mit den gläsernen Augen ansah, mir war's doch wie in der Storkower Fehde, weißt Du noch, als Abends das Sandtreiben kam, und ich lag verwundet und rings um kein Mensch, glaubte, es sei mein letzter Tag. Da dachte ich auch – Kaspar, toll ist er, aber 's ist mir, als ob's was wäre!«

»Ja, 's ist schon was,« sagte der Knecht.

»Nu sage mal, Kaspar! Hab's mein Lebtag nicht gehört:[291] die Seele im Brunnen zugeschüttet! Werde ja an keinem Brunnen mehr vorbei gehn, daß mir's nicht über die Haut rieselt.«

Der Knecht Kaspar sann eine Weile nach, dann hub er an: »Ich meine so, gestrenger Herr, zweierlei. Das Denken ist schon gut, aber Manchermann meint, daß er denken thäte, und ist's doch nur, daß ihm im Kopfe rum surrt, was ein Anderer vor ihm gedacht hat, und er hat's aufgeschnappt, er weiß nicht wie, und wenn's in ihm losgeht, dann verschwört er Stein und Bein, 's 's wär sein eigener Gedanke. Darum ist's kein so groß Unglück, wenn Einer gar nicht denken thut. Und dann denk' ich, eins schickt sich nicht für Alle. Wenn zum Exempel der Bauer immer denken wollte: warum sitzt der Junker im Schloß und trinkt, und ich muß robotten und dürsten, oder der Pracher: warum muß ich nackt auf's Betteln gehn, und der Bürger liegt in der Wolle bis über's Ohr, da kam Alles aus dem Schick. Oder wo kriegten denn die Fürsten und die Hauptleute ihre Diener, so Jedermann immer an seine Seele dächte und nicht an seines Herrn Vortheil. Dazu kriegen die Priester ihren Decem, und wollte Jeder für seine Seele allein denken, möcht ich mal sehen, ob sie den Priestern noch lange ihren Decem geben thäten, und wenn die nicht ihren Decem kriegten, dann schrien sie Zeter, und wo die Zeter über ein Land schreien, dann kommt die Pestilenz und Interdicte und was nicht Alles.«

Herr Gottfried nickte zu dem Allen, aber daß es gerade der Hans Jochem war, und wo der es her hatte, das konnte er nicht begreifen.

»Wißt Ihr, Gestrenger, als der Kapuziner predigen that zu Fasten, da sah's nachher bei uns doch aus, wie ein Haferfeld, wo die Schloosen drein schlugen. Es dauerte lang, bis das Volk die Köpfe wieder aufrichten that. Der Junker Hans Jochem lachte dazumal, als die Andern heulten und schrien. Nun mein, ich so: eingeschlagen hat's; beim Einen schlägt's oben auf die Haut und beim Andern unter die Haut. Bei dem, da sieht man's, hier aber sieht man's nicht. Wie war's mit dem Gewitter im Ruppiner Thurm: Sie suchten's lang und fanden's nicht. Aber unter'm Blech glimmte es fort, bis am dritten Tage die Sparren in lichter Lohe standen, da schlug's denn auch durch's Blech. Beim Junker hat's drei Monate unter'm Blech geglimmt.«

»Kaspar, wenn's bei mir auch 'raus schlüge!«

»Bei Gott ist kein Ding unmöglich, aber dafür, mein' ich, läßt man den lieben Gott sorgen. Und was der fügt, das[292] muß der Mensch nicht ändern. Und was man findet, das muß man nehmen. Warum wär es sonst vor uns hingelegt? Und der Tisch ist nicht umsonst gedeckt, und der Wein ist auch nicht aus dem Keller geholt, damit er ausdunstet. Morgen ist auch ein Tag, und ein Sperling in der Hand besser, als eine Taube auf dem Dache.«

Herr Gottfried fand den Malvoisir wieder süß. Da reichte er dem Knechte noch einmal die Hand und – »es sieht's ja Keiner!« dachte der gute Herr. Der Knecht mußte sich neben ihm an die Tischecke setzen. Malvoisir auf den Lippen eines Knechtes! Aber ihre Seelen hatten sich gefunden. Der Herr ward froh, der Knecht ward traurig. Er wischte sich mit dem Finger in's Auge. »Nun steht die Welt auf dem Kopfe, mit meinem Herrn ist's aus.« Das sprach er aber nur innerlich. »Kaspar, was sprichst Du für Dich?« – »Ach nicht für mich, Herr, 's ist nur – nur die armen Hühner! Wer streut ihnen Futter!« – Herr Gottfried war ein Menschenfreund, aber die Thiere liebte er fast wie die Menschen: »Das arme Vieh hungert. Aber über die Brigitte, Donnerwetter, hat sie die Hühner vergessen! wo ist sie denn?« – Der Knecht erschrak. Wer nicht an Lügen gewohnt ist, hüte sich vor der ersten Lüge. »Sie wird schon kommen!« – »Kommen. – aber!« sprach der Burgherr, und wieder eine lange, lange Reihe von Fragen stand auf den halbgeöffneten Lippen. Da goß der treue Knecht, der selbst nur am Becher nippte, den großen Pokal seinem Herrn voll, bis er schäumte.

Ein immer süßeres Lächeln breitete sich um die Lippen des Burgherrn, und was fehlt an dem Bilde stiller Zufriedenheit, wenn wir den ehrenfesten Ritter und den rauhen Knecht sehen in der Mitte der Hennen und Küchlein, die nach den Brodkrumen schnappen, welche beide ausstreuen und Einer lächelt den Andern vergnügt an. »Put – put!« waren die letzten vernehmbaren Töne aus den Lippen des Ritters, der, wenn man ihn zur rechten Zeit geweckt und nicht die Hosen fortgenommen hätte, jetzt in der Köpnicker Haide in Stahl und Erz zu Roß trabte, um – doch die Sonne neigte sich schon wieder. Der jetzt in tiefem Frieden schlummerte, säße vielleicht nicht mehr zu Roß, das fürstenmörderische Schwert in der Faust; die Hände auf dem Rücken gebunden, wanderte er, gesenkten Hauptes, von höhnenden Schergen umgeben, dem Thore Berlins zu. Wohl dem, der ein treues Weib hat, das wacht, wenn ihr Mann schläft, das für ihn denkt, wenn der süße Wein seine Gedanken[293] abwärts führte, und für ihn handelt, wenn es schlimme Händel giebt. Das treue Gesicht der guten Frau blickte jetzt vorsichtig durch's Fenster. Da winkte ihr der Knecht Kasper vergnügt zu. Er hatte wohl gehört das Thor knarren. Und nun kamen noch viele neugierige Köpfe und blickten herein. Herr Gottfried sah sie nicht.


Das war wieder eine andere Sonne, die in's Fenster schien, als der Knecht die Thür zur Schlafstube ein wenig aufthat und hineinrief: »Gestrenger, nun ist's Zeit zum Aufstehn!«

Als Herr Götz auffuhr, war das erste, was er zu Gesicht bekam, da er die Arme vorwarf, seine Elennhosen. Er betrachtete sie von allen Seiten, sie waren es. Er fuhr hinein, sie waren es. Er rieb sich die Stirn, sie blieben es. »Kaspar! Brigitte!«

»Was hast Du wieder, mein Götz,« rief die Frau, so die Treppen eben herauf zu keuchen schien. Sie sah so ehrlich und treu aus.

»Glaube, ich habe geträumt!« sagte Herr Götz.

»Das kommt schon, Herr«, antwortete der Knecht, der gar nicht den feinen, forschenden Blick seines Herrn zu verstehen schien, als der ihn wieder fragte: »Ob's denn zu spät ist!«

»Hab Dir zum Morgenimbiß ein Ferkelchen gebraten, Götz. Wenn Du jetzt runter kommst, blitzt es und knuspert nur so. Auch Hirsebrei und geschmorte Pflaumen.«

Ein Ferkelchen und Hirsebrei! Und auf dem Hofe schupperte sich die Muttersau, und aus dem Stalle rauchte es, und – nicht die Tirolerdecke um die Schultern, in seinem wollnen Wamms war Herr Gottfried, er wußte noch nicht wie, die Treppe hinunter. Da küßte ihm Eva die Hand und dann die Backe, und wünschte ihm guten Morgen, und die Frau rückte ihm den Stuhl an den Tisch, und so zierlich und niedlich rauchte es vor ihm in der Schüssel.

»Ich dachte, ihr wärt –« sprach der Burgherr, aber die Frau sagte ihm, der Braten würde kalt werden; und in häuslichen Angelegenheiten ist es gut, wenn ein Mann seiner Frau folgt. Und doch, wunderbar, er war schon mitten im Ferkelchen, als er wieder fragte: »Ich dachte, Ihr wärt Alle aus. –«

»Sind wieder heimgekehrt, als es dunkelte. Du schliefst schon.«

»Schon!« Herr Gottfried vergaß auf einen Augen blick[294] das Ferkelchen und das Zerbster Bier; er lehnte sich zurück und hielt mit beiden Händen die Stirn: »Aber, wie ist mir denn! Also das war auch nichts, der Malvoisir und der tiefe Brunnen – aber die Flämmchen und der schwarze Maulwurf!«

»Vater, das hast Du geträumt.« Eva streichelte mit ihren kleinen Fingern seinen Bart.

»Das also! Aber –«

Und plötzlich sprang Herr Gottfried auf. Alle erschraken und sahen sich bedenklich' an, da er fort eilte. Aber die Edelfrau flüsterte, ihrer Tochter zu: »Ich habe sie gewaschen und ausgebügelt.«

Der Ritter kehrte wieder, seinen Büffelhandschuh in der Hand, und sah ihn und fühlte ihn an und schüttelte den Kopf, dann sank er in den Stuhl: »Das also auch ein Traum! – 's ist wunderbar!« aber unlieb schien es ihm nicht. »Wenn das nur nicht ein Traum ist!« setzte er hinzu und sah ängstlich um sich her.

Nein, das war kein Traum, die Frau war so lieb und gut, und die Eva und das Ferkelchen so weich, es zerging ihm auf der Zunge. Seit lange entsann er sich nicht, daß er mit so gutem Appetit gegessen.

Aber es war doch etwas anders geworden, es war mit ihm etwas vorgegangen. Er saß stundenlang, den Kopf im Arme, und stierte auf einen Fleck und schüttelte den Kopf. Und als ihm die gute Frau erzählte von ihrem Hans Jürgen, wie der dem Kurfürsten das Leben gerettet, und der Kurfürst ihn darauf in so jungen Jahren vor'm ganzen Hofe zum Ritter geschlagen, und wie von der Kanzel herab in Berlin von ihrem Neffen gepredigt worden, und wie der Kurfürst ihn in sein Gefolge genommen und für ihn zu sorgen versprochen, und es könne noch ein großer Herr aus ihm werden mit der Zeit, und mit der Zeit vielleicht sonst auch noch was, wobei sie auf die Eva schelmisch blickte und die Eva hochroth wurde, aber doch schmunzelte, – da hörte es Herr Gottfried ruhig an, und sagte: »Wenn's nur nicht auch ein Traum ist.« – Nachts fuhr der Mann, der einen so festen Schlaf hatte, daß ihn das Knallen einer Donnerbüchse nicht weckte, beim geringsten Geräusche auf und klagte, er sei in einen tiefen Brunnen gefallen, und wenn sie ihm vernünftig zugeredet, ward er wohl still, aber er weinte auch still, und sie hörte ihn die Worte sagen: »Ach es ist doch zu spät.«

Da war der Frost gekommen und mit ihm der Ritter Hans[295] Jürgen nach Hohen-Ziatz. Auf dem Eisspiegel der Wiesen lief das junge Volk im hellen Sonnenschein Schlittschuh, und Herr Gottfried und seine Frau sahen von der Mauer zu.

»Sieh, Götz, wie zierlich der Jürgen die Eva führt. Wer hätt's ihm angesehen: Wenn sie so bei Hofe tanzen, als jetzt auf dem Eise, was werden sie sprechen: Das ist ein schmuckes Paar!«

»Ein Paar!« rief der Götz. »Kinder! Die können ja noch nicht denken!«

Was soll draus werden, wenn's so fortgeht, hatte Frau von Bredow gedacht. Zuweilen dachte sie auch, es wäre doch gut gewesen, wär der Dechant geblieben. Er hätt's ihrem Herrn ausreden können, daß Einer, der sein Lebtag nicht an's Denken gedacht, drei Schritt vor der Grube anfangen will.

»Ketten und Kerker und bösen Leumund hat er überstanden, aber daran stirbt er mir noch,« hatte Frau von Bredow gedacht. Da kam ihr recht zum Trost ein lieber Besuch in's Haus, aus Schlesingen, der Ritter Hans von Schweinichen. Alle Welt kennt den Ritter Hans von Schweinichen, der durch die Welt geritten ist, er vorne, sein Knecht hinten; und wenn er etwas wankte, ritt der Knecht ihm zu Seiten. Seinesgleichen sollte man weit und breit suchen. Vierzehn Tage hintereinander verstand er wie ein Edelmann zu trinken, und wenn er nüchtern ward, schrieb er's in sein Tagebuch, wo man's noch heute lesen kann, und in jedem Jahr, wenn's zu Ende ging, hat er aufgeschrieben, was der Roggen gekostet und der Hafer auf den Märkten. Herr Götz und er hatten einst gute Freundschaft gemacht in Kottbus an einem Fürstentag, da man sie beide nach einem guten Rausch in eine Kammer und in ein Bett trug. Das wollten sie nie vergessen, hatten sie sich zugeschworen. Nun da Herr Hans zum Besuch ritt nach Ziesar zum Bischof Scultetus, seinem Landsmann, der ihn eingeladen, um mit ihm einen guten Trunk zu thun, wollte er vorher bei dem alten Freunde einsprechen. Da war große Freude, und Herr Götz und sein Ehegemahl ließen ihn nicht fort, er mußte an vierzehn Tage bleiben; und was die alten Freunde da mit einander getrunken und gesprochen, das läßt sich besser denken als erzählen. Niemand aber war froher, als Frau von Bredow, da sie ihren Eheherrn wieder so froh sah, und sie hatte nur Furcht, daß wenn der liebe Gast fort wäre, er wieder in seinen Trübsinn verfiele; darum theilte sie dem Ritter Hans ihre Bekümmerniß mit und fragte ihn, wie er's denn mache, daß er immer guten[296] Muthes bleibe, wie ein Edelmann muß, und doch thäte er nicht allein denken, sondern er schreibe sogar seine Gedanken nieder, und auf Papier.

»Meine liebe Frau von Bredow,« sagte Herr Hans von Schweinichen, wie er's auch sonst oft gesagt hat: »Was uns kommt, kommt nicht von uns, sondern vom lieben Gott. Wenn ich einen guten Rausch gehabt, hat's der liebe Gott so gefügt, und da ich um mein liebstes Ehegemahl anhielt, hat er's auch so gefügt, denn wüßte sonst nicht, wie ich zum Muth kommen, daß ich sie fragte, willst Du mich? da ich doch bei unterschiedlichen andern hübschen und adligen Weibsbildern, so ich viel lieber gehabt, ehedem nicht den Mund aufthun konnte. Wer sollte mir also den Mund aufgeschlossen haben, als der ihn mir auch vorhinnen verschloß, der liebe Gott? Item wird es auch mit dem Denken und dem Schreiben sein. Kümmert Euch also, liebwertheste Frau Gevatterin, gar nicht darum. Wenn's Herrn Gottfried treibt, daß er denken muß, so hat's der liebe Gott gefügt, und wenn die ganze Welt anfinge zu denken auf eigene Hand, so müssen wir denken, als gute Christen, der liebe Gott hat's nun mal gewollt.«

»Was kannst Du nun mehr wünschen?« sagte Eva, da sie Hans Jürgen ein Stückchen durch die Kiefern zum Abschied begleitet. Er führte sein Roß am Zaum, so lange er neben ihr herging.

Da kratzte er sich hinter'm Ohr und sah sie eigens an.

»Brummbär! Noch nicht zufrieden?«

»I ja, Eva, es wäre schon.«

»Du, weißt Du noch, wie Du am Fließ Wache standst –« sie sprach es nicht aus, wovor der arme Junge Wache gestanden, – »und jetzt, jetzt bist Du eigentlich was von einem Geheimenrathe, und bei Deinem Kurfürsten!«

»Eva, ich meine so, es hat jedwed Ding zwei Seiten. Von der einen sieht's so aus und von der andern so. Schau da die alten Kiefern, nun die Abendsonne drauf scheint, ist's so lustig gesprenkelt vom Wipfel bis zur Wurzel, als wären's Rosenstengel, und man möchte immer den Finger dran tupfen, daß der auch roth wird. Aber die Sonne ist ein Weniges gesunken, werden sie grau und knarren, und man müßt' auch 'ne Kräh' sein, um sich gern drein zu schaukeln.«

»Der Kurfürst ist Dir immer gut, Hans Jürgen; er lächelt Dir immer zu wie rosenroth. Hast's selbst gesagt.«

»Das ist's eben, Eva. Wenn einer immer zu Einem[297] lächeln thut, und Ensereinem ist nun nicht zum Lachen! Nun hast Du schon recht, ich darf sprechen, wie mir um's Herz ist. Oder, wie er sagt, sprich wie Dir der Schnabel gewachsen ist. Nun ist mir aber manchesmal so zu Muth, wie ihm nicht zu Muth ist, und was ich denke, das denkt er nicht; oder was er denkt, das denke ich nicht. Wenn ich's nun raus sage, daß mir was nicht gefällt, und was mir nicht gefällt, und das ist oft gar viel, so würde ich das ganz recht finden, wenn er wieder raus führe und sagte: Du verstehst das nicht, drum halt Dein Maul. Denn es ist richtig, ich versteh' Vieles noch nicht, aber ich will es lernen; und er könnt' es mich besser lehren. Aber er läßt mich schwatzen und reden, wie das nun ist, und dann sieht er mich so von oben freundlich an, wie die Sonne ein Mühlrad, und mir ist's, als spräche er bei sich: ›Kann der kleine Hund auch schon bellen! Gottes Wunder! daß ich, der Alles weiß, und besser als alle Anderen, auch solche Stimme anhören muß!‹ – Sieh mal, Eva, da ist mir denn auch manchmal so kurios zu Muthe, und gar nicht so, wie die Sonne auf die Kiefern scheint, als knarrten die Aeste in mir, und die Krähen krächzten: Du bist doch auch ein Mensch von Gott gemacht, als wie der, und was ein Mensch nicht findet, das findet der andere; darum soll kein Mensch dem andern zu niedrig dünken, daß er nicht auch von ihm was anhören könnte und lernen dazu, und eines Menschen Stimme, wenn er auch nicht schön spricht und nicht so hohen Verstand hat, ist doch mehr als ein Mühlrad, auch wenn die Sonne drauf scheint.«

Da der Ritter Hans Jürgen auf's Roß sich geschwungen, und nun auch durch die hohen Kiefern ritt, glühte auch Eva's Gesicht, ob's von der Abendsonne war oder von der Freude, ihm nachzusehen? Aber, als hätt's ein Kobold ihr angethan, unterkreuzte das hübsche Kind die Arme und ein schelmisch Lächeln schwebte um ihre Rosenlippen, als sie mit einem Male die Worte des Kurfürsten wiederholte: »Kann der kleine Hund auch schon bellen?« Doch, wie erschrocken, daß er's gehört haben könnte, oder erschrocken vor sich selbst, verstummte, sie, und als wollte sie's wieder gut machen, warf sie ihm Kußhände nach. »Ach, Du lieber Hans Jürgen, ich bin Dir doch so gut,« das hörte er nicht, aber er sah, wie sie, auf den Zehen sich hebend, mit dem Tüchlein wehte, und wehte wieder mit dem Federhut, bis er an den Fichten verschwand. Wie lange stand sie noch da in der einsamen Haide, als lausche sie auf den Abendwind, der in den Wipfeln spielte. Ein Anderer[298] hätte sich gefürchtet, sie lächelte immer holder, als horche sie in dem Surren und Summen und Säuseln in der Haide, die jetzt grau ward, auf einen Brautgesang, den gute Geister anstimmten.


Und damit ist dieses Buch zu Ende.

Denn obschon Mancherlei geschah, was, so zu sagen, noch zum Schluß gehört, so ereignete sich das erst viele Jahre später, und wer es erfahren und lesen will, der suche es im andern Theil unseres Buches, der unter dem Namen »Der Wärwolf« geschrieben und gedruckt ist.


(Ende.)

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 285-299.
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