Der »Fliegende Holländer«

(Gewidmet Denen, die es sind!)

[137] Wie Senta im »Fliegenden Holländer« sind alle Frauenseelen.

Ueber ihren Thüren ist das Bild gemalt des »Fliegenden Holländer's«, dieses organische und unentrinnbare Bedürfnis ihrer romantischen und kindlichen Seelen.

In einen weiten dunklen Mantel gehüllt, wie mit den Weltenschwingen angethan, sehen sie ihn, mit seinen räthselvollen Augen und seinem Schicksale des ewig Wandernden. Einen suchen sie, der ewig sich bewegt und Ruhe sucht im Weibe!

Ueber den weissen Thüren ihrer kindlichen Schlafgemächer hängt dieses Bild, über den braunen Thüren mit Goldleisten ihrer Salons, über den gelben Thüren ihrer Landvillen, über den dunklen Thoren ihres Lebens!

Nie öffnet sich die Thüre. Nie erscheint er.

Aber siehe!

Hingegen steht Einer da, des Morgens, in langen weissen leinwandenen Beinkleidern mit Zugbändern, taucht das Zahnbürstchen in Pasta Boutemard (Doctor Suin de Boutemard), gurgelt, wählt[137] unter verschiedenen Halsbinden eine geeignete aus, befestigt goldene Knöpfchen in dem Hemde – – –. Fertig!

Senta sitzt aufrecht, an den weissen Kopfpolster angelehnt, in ihrem breiten Bette und betrachtet. Wohin lauscht sie?!

»Um mich zu erlösen, musst Du für mich in den Tod geh'n – – –.«

»Ich bin bereit, Herr!«

»Natürlich, es ist schon wieder kein Spiritus in der kleinen Brennmaschine für den Schnurrbart. Sie, Marie – –. Jedesmal und jedesmal – –. Was glauben Sie eigentlich?!«

Drei Löffel Thee, ziemlich gehäuft, in die Theekanne. Noch einen halben Löffel. Fertig!

Senta lauscht – – –:

»Ich muss ewig wandern – – –.«

Dann geht er in die Kanzlei, Kleine Brunngasse 7, 1. Stock, und bleibt bis zwei.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ueber allen Thüren ihrer Wohnungen ist das Bild des »Fliegenden Holländer's«, über den Thüren des Schlafgemaches, des Speisezimmers, des Salons; wenn sie vom Spaziergange nach Hause kommen, über der lackirten Thüre im Stiegengange. Und über den Thüren ihres Landhauses, wo es kühl ist an Sommertagen.

In einen weiten dunklen Mantel gehüllt steht er da, wie mit den Weltenschwingen angethan, mit[138] seinen räthselhaften Augen und seinem Schicksale des ewig Wandernden ...

Auf und zu gehen alle diese Thüren, auf und zu, bald laut, bald leise.

Nie kommt Er – – –![139]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 137-140.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Was der Tag mir zuträgt
Was der Tag mir zuträgt: Fünfundzwanzig neue Studien [Reprint der Originalausgabe von 1901]
Was der Tag mir zuträgt: Auswahl aus seinen Büchern
Was der Tag mir zuträgt; fünfundsechzig neue Studien