Die Mama

[160] Sie war wunderbar schön und ganz schlank wie eine Gazelle.

Und eines Abends sagte man zu ihr: »Ein reicher Mann wünscht deine jüngere Schwester zu heiraten. Aber vorerst müssen wir die ältere anbringen – –.« Und man brachte sie an. Sie gebar ihm fünf Kinder. Eines Tages kam ein Mann ins Haus, für den sie sich interessierte. Es wurde ein Familienrat abgehalten und der Mann wurde herausgeschmissen. Nun hoffte sie, daß ihre begabten Söhne und ihre schönen Töchter reich werden würden. Aber es fand nicht statt, denn es waren Idealisten. Sie dachte: »Ich habe meinen Idealismus aufgeben müssen, um euch in Schmerzen zu gebären – – – und nun rächt ihr die beleidigte Natur durch euren Idealismus an mir?!?«

Dann fuhr sie mit ihren herrlichen Töchtern nach Ostende, um jemanden einzufangen. Und es verfing sich wirklich einer in den Maschen. Aber im letzten Augenblicke entschlüpfte er. Da wurde sie fett und mißmutig.

Und eines Tages sagte der Arzt: »Das Herz ist hin – – –«.

Da sagte sie zu ihrer jüngeren Schwester, die nun auch genug mitzumachen gehabt hatte im Leben: »Weil dir eine gute Partie in Aussicht stand, mußte ich verheiratet werden. Stand es wenigstens dafür?!?«

»Nein«, erwiderte die Schwester.[160]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 160-161.
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