Ein Band Gedichte

[209] Ich liege sterbenskrank seit vielen, vielen Wochen danieder, kann nichts mehr schreiben; eine Nachricht, die viele Menschen beglücken wird.

Ein fremder eleganter Herr lud mich einmal in einem Café zu einer Flasche G.H. Mumm extra dry ein. Ich erzählte ihm, daß ich Rheumatismus in der rechten Schulter habe, Zahnschmerzen in der Schulter gleichsam: ich könnte daher seit Wochen nicht mehr schreiben. Da entfuhr ihm unwillkürlich ein leises »Gott sei Dank!« Infolgedessen war ich als Gentleman gezwungen, seinen Tisch und den geliebten G.H. Mumm sofort stolz zu verlassen.

Nach dieser »launigen Abschweifung«, wie wir Schriftsteller uns gerne auszudrücken pflegen, teile ich nochmals mit, daß meine körperlichen und seelischen Qualen mich verhindern, über die vielen schönen, wertvollen Dinge des Lebens zu berichten. Trotzdem raffe ich mich auf, um eine Hymne, eine Fanfare der Begeisterung ertönen zu lassen über das Gedichtbuch »Feierabend« der Ilka Maria Unger, Verlag Julius Bard, Berlin. Hier klagt sich eine tiefe, bedrängte Seele aus; es sind gedichtete erlebte Schmerzen. Nie, nie ward ein wahrhaftigeres, edleres, einfacheres, nobleres Buch geschrieben. Eine Seele weint, klagt an, zieht sich zurück in ihre aristokratischen Einsamkeiten – – –.

Ihr wenigen, die ihr mit euren Seelen zu mir haltet, haltet auch zu ihr, der begnadeten Dichterin. Ich glaube, sie wird nichts mehr schreiben, sie hat keinen Ehrgeiz, und ihre Seele hat sich ihr ausgeklagt[209] für immerdar. Es ist keine Anfängerin, sondern eine Beenderin. Sie hat sich ausgeweint. Sie tritt nicht in die Arena des Lebens, um zu kämpfen, zu siegen. Einige edle Freunde haben zu ihr gesprochen: »Ilka Maria, Sie haben so schöne Gedichte, geben Sie sie uns, tun Sie uns die Ehre an, sie herauszugeben – – –.«

Der Titel »Feierabend« bedeutet: »Siehe, ich habe erlebt und erlitten; nun ist es Feierabend geworden, errungener, erkämpfter Friede!«

Leset, leset diese Gedichte, und es wird euch eine klagende Seele rühren, ergreifen. Nur die Wahrhaftigkeiten, die man mit seinem Herzblute, mit seinem Lebensglücke bezahlt, haben, in Dichtung umgesetzt, die Kraft, fremde Herzen zu rühren, zu ergreifen – – –.[210]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 209-211.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Märchen des Lebens
Märchen des Lebens: Lesebuch