Letztes Bekenntnis

[217] Einundzwanzigster Februar. Mondnacht. Halb drei.

Helga schläft. Mein Bruder schläft.

Alle meine guten Engel schlafen.

Aber auch die ruhen sanft, die mir bös gesinnt sind.

Nur ich, ich bin verdammt zum Wachen!

Ich predigte die Heiligkeit des Schlafes.

Und dafür straft er mich mit seiner Flucht?!

Jawohl! Denn was du andern als heilig predigst, mußt vor allem du selber heilig halten! Kraftlose Wahrheit, die an dir zerschellt!

Wer Wahrheiten erkennt, muß sie befolgen!

Auf daß die andern doppelt daran lernen, an Wort und Tat!

Das, was ich weiß, ist nur die Hälfte meines Geistes, den Gott mir hat gespendet in seiner Gnade. Die andre Hälfte ist, sein Wissen tun.

Ich predigte die reine Frauenseele und liebte Huren – – –.

Ich predigte den Schlaf, und lebte in der Nacht!

So straft mich Gott, der mir die Weisheit, die Erkenntnis ins Gehirn gegeben,

auf daß ich durch mein Beispiel läutere!

Ich aber war stets nur die Hälfte meines eigenen Geistes,

die andre Hälfte blieb ich schuldig meinem Gott in mir!

Nun straft Er mich für meine Sünden, die ich an Seinem, an meinem Geist begangen habe![217]

Als Dichter war ich sein getreuer Sohn, erfüllt von Idealen, die da kommen werden!

Jedoch der Mensch in mir war Satans Sklave!

Ich nahm den leichtern Teil auf mich, ich dichtete, ich dachte – – –.

Jedoch die eigene Dichtung, das eigene Denken zu leben, zu erleben,

dazu, dazu fehlte mir die Kraft!

So zürnte mir mein Gott in mir, wandte sich ab, ließ mich im Stiche!

Einundzwanzigster Februar. Mondnacht. Halb drei.

Alle meine guten Engel schlafen.

Aber auch die, die mir bös gesinnt sind, ruhen sanft – – –.

Mich nur flieht der Schlaf. Ich wache einsam.

Mein Gott in mir hat mich verlassen – – –.[218]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 217-219.
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