Unerbittliche Betrachtungen

[267] Solange Du lebst mit der Herde, so wie alle, alle Anderen, kannst Du unmöglich sehen, ahnen, spüren, wissen, in welchem schauerlichen Lügen-Meere Du eigentlich dahinlebst! Sobald Du Dich aber mit geistig-seelischem Flügelschlage darüber[267] erhebst, um zu betrachten, zu korrigieren, vor allem Anderen zu helfen, wendet sich momentan Alles wie ein schauerlich-beschränkter und gefährlicher Chorus gegen Dich, um sich vor Dir zu schützen und Deine Pläne unmöglich zu machen und zu durchkreuzen! Die bequemste Art, Das zu bewerkstelligen ist das Urteil: »Interessant, aber leider verrückt!« Vereinsamt stehst Du plötzlich mit Deiner romantischen Helfer-Natur und begreifst es nicht, weshalb die Anderen nicht einmal gern zuhören, sondern verlegen werden und vor allem gelangweilt!

Wenn Du Dich also mit geistig-seelischem Flügelschlage von der Herde zu erheben beabsichtigst, um die »Lüge des Lebens« kennen zu lernen, zu korrigieren, so gib es zugleich auf, daß es Dir je gelingen könne! Der »Nächste« ist da sogleich Dein »Entferntester«, hege ja keine trügerischen Hoffnungen! Begnüge Dich mit Deinem eigenen guten Willen! Er allein erhält Dir Deine geistig-seelische selbstlose Spannkraft, sonst nichts!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 267-268.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]