Splitter

[288] Hugo Wolf für die »Entwicklung der modernen Seele« überaus wichtig, aber ebenso wichtig Johannes Brahms mit seiner seelereinigenden »Sapphischen Ode«! Wessen Seele aber reinigen sie denn?!? Jene, die von Schicksals Gnaden aus bereits seit jeher reinigungsfähig war! Eigentlich also jene Seelen, in denen beim Anblick des Waldes, der Alm, des Bergbaches, des Sees bereits alle jene Lieder vorhanden waren! Der Künstler bringt ja nur die »tönende Welt«, die im anderen längst verschwiegen der Erlösung harrte! Der Künstler gebiert die embryonale Seele, den embryonalen Geist der anderen!


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Im »Gespräche« anzüglich werden ist ein Verbrechen, keine Ungezogenheit oder Taktlosigkeit! Distanz halten mit seinen Nebenmenschen stets und überall, ist nicht »gute Erziehung«, sondern Kultur des Herzens, ewige Berücksichtigung fremder Nervensysteme! Ist es schwer?! Für den nur, für den es schwer ist! Mir zum Beispiel fällt es ganz leicht. Es gibt nur drei Dinge des Nähertretens: Ökonomische Dinge, Eifersucht, Bedürfnis zu belehren, zu helfen, aufzuklären! Sonst: fast pathologische Reserve! Kann man also mit den heutigen Menschen bereits verkehren?! Nein, man kann noch nicht!


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Es gibt Menschen, die ihre beliebten Sorten von Zigarettenpapier übertrieben anpreisen und bis aufs[289] Messer den anderen Sorten gegenüber verteidigen. Die Unbeteiligten vermeinen dabei, in »Steinhof« sich zu befinden, im »gefährlichen Trakte«. Mit Unrecht. Ein jeder von ihnen hat auch einen solchen Wahnsinn!


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Ich bin noch nicht in Österreich (Vaterland?) so anerkannt, wie ich es verdiene. Weil sie es noch nicht verdienen!


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Eine »Karlsbader Kur« im herrlichen Baum-Paradiese Rathauspark. Gleich daneben im Café die heißgemachten Sprudelflaschen. Ich garantiere Dir, daß es bequemer, billiger, also vorteilhafter ist für Deinen Organismus! Überhaupt, meine Uridee: Tages-Kultur ist, das Leben der Reichen so weit es überhaupt möglich ist, zu führen ohne ihr Geld! Das kann man schon mit einem monatlichen Einkommen von 600 Kronen. Freilich ein Schatz gehört dazu: Tages-Kultur!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 288-290.
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